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1.4Der Moslemische Oberrat und die Gründung einer Opposition
ОглавлениеIn ihren keinesfalls selbstlosen Bemühungen um die Schaffung einer Institution für die Araber, die sie mit den jüdischen Organisationen gleichstellen sollte, scheiterten die britischen Beamten stets am Widerstand der Araber selbst, die wenig Grund hatten, den Briten zu trauen; außerdem waren sie unter sich viel zu zerstritten. Schließlich wurde zur Verwaltung der religiösen Stiftungen (waqf-Fonds), Sharia-Gerichte und anderer islamischer Institutionen ein Moslemischer Oberrat (Supreme Moslem Council) gegründet, der den Arabern in religiösen Angelegenheiten eine Selbstverwaltung gewährte.
Daß Samuel 1922 den Mufti von Jerusalem provisorisch zum Präsidenten des Moslemischen Oberrats ernannte, wurde als gelungenes Manöver betrachtet, zumal sich die britische Verwaltung ein gewisses Informationsrecht hinsichtlich des Jahresbudgets vorbehielt und somit glaubte, in etwa die Aktivitäten des Mufti einschränken zu können. Sie konnte jedoch nicht voraussehen, daß es el-Husseini später gelingen würde, alle vorgesehenen Wahlen zum Moslemischen Oberrat entweder zu vereiteln oder für ungültig zu erklären. Da auch kein Gesetz verabschiedet wurde, um die Funktion und den Status des Präsidenten des Moslemischen Oberrats klar abzugrenzen, wurde el-Husseini, der in seiner Person die Ämter des Mufti von Jerusalem und des Präsidenten des Moslemischen Oberrats vereinte, „tatsächlich der einflußreichste Araber in Palästina“.27 Durch die Verwaltung der religiösen Stiftungsgüter konnte der Mufti als Präsident des Moslemischen Oberrats auch finanziell aus dem vollen schöpfen. Er baute den Oberrat zu seinem persönlichen Machtinstrument aus, und seine politischen Einflußmöglichkeiten schienen geradezu unbegrenzt. Dies war auch einer der Gründe dafür, daß es dem Mufti später gelang, nicht nur bei seinen Clan-Anhängern, sondern auch bei der breiten Masse der Palästinenser so viel Macht und Ansehen zu erreichen. „Er ist jetzt eine solche Macht im Lande, daß er bei der Unterstützung, die er durch die nationalen Komitees in den verschiedenen Städten Palästinas findet, wirklich als das Haupt einer dritten Parallelregierung bezeichnet werden kann.“28
Während dieser Zeit erlebte Palästina eine bemerkenswerte Politisierung, die sich keineswegs auf die Aktivitäten der 1920 unter der Führung von Musa Kasem el-Husseini gegründeten Arabischen Exekutive29 beschränkte, deren Ziel es war, eine Lösung des Palästinaproblems auf internationaler Ebene herbeizuführen. Ihr gelang es jedoch nicht, die britische Regierung in London von der Notwendigkeit einer Änderung ihrer Palästinapolitik zu überzeugen.
Die Nashashibis, die sich eigentlich niemals mit der Ernennung el-Husseinis zum Mufti von Jerusalem abfinden konnten, sahen sich nun dadurch äußerst bedrängt, daß er auch noch als Präsident des Moslemischen Oberrats fungierte. Sie unterstützten die 1923 gegründete Arab National Party, die u.a. eine Kooperation mit der britischen Regierung befürwortete und zumindest insgeheim Kontakte zu den Zionisten aufnahm.30 Die Briten ihrerseits machten jedoch von den Annäherungsversuchen der Nashashibis keinen Gebrauch; sie nahmen sie einfach nicht zur Kenntnis.31
Die Gründung dieser Partei als Opposition vertiefte die Kluft zwischen den Nashashibis und den Husseinis, denn sie verlieh den Streitigkeiten einen offiziellen Charakter. Da es jetzt mehr denn je um Prestige als um Politik ging, wurde die Entwicklung der arabischen Nationalbewegung in Palästina durch die Zersplitterung sehr stark gehemmt. Die heranwachsende Generation im Lande fing nun verstärkt an, das alte politische Feudalsystem in Frage zu stellen, und dies dürfte der Grund gewesen sein, daß sie radikalere Wege suchte, um ihre politischen Vorstellungen zu verwirklichen.
Der Mufti, der sich bewußt im Hintergrund gehalten hatte, um ungestört seine Position zu konsolidieren, erkannte die Gefahr seitens der Opposition, als die National Party 1926 die Hälfte der Sitze bei der Wahl zum Moslemischen Oberrat gewann. Aus technischen Gründen ließ er deshalb diese Wahl für ungültig erklären und sorgte dafür, daß auch keine weiteren stattfanden. Zunächst verfolgte er weiterhin seine Politik der Zurückhaltung gegenüber den Briten, aber gleichzeitig versuchte er, Kapital für sich selbst aus dem schwindenden Vertrauen zu den Notabeln und Großgrundbesitzern zu schlagen.