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Mittel der Herrschaft – Rom und Italien

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Neben den seit der Mitte des 9. Jahrhunderts häufiger werdenden Interventionen der Päpste im orbis christianus bot die Stadt Rom ein wichtiges Aktionsfeld, die Bau- und Geschenklisten in den Viten des Liber pontificalis erschließen. Auch bestimmten Parteiungen weiterhin die politischen Auseinandersetzungen. Papst Sergius II. konkurrierte gegen einen römischen Diakon und wurde am Ende seiner Pontifikatszeit zeitweise von seinem Bruder ersetzt; die Spannungen im päpstlichen Umfeld lassen zwei verschiedene Fassungen der Sergiusvita gut erkennen.78 Dass Papst Leo IV. sich energisch durchsetzte, zeigt die Auseinandersetzung mit Anastasius Bibliothecarius, einer der profiliertesten und intellektuell gebildetsten Gestalten Roms in der Mitte des 9. Jahrhunderts. Anastasius sollte später in der „Kanzlei“ Nikolaus’ I. und seiner Nachfolger vor allem bei der Abfassung von Briefen eine wichtige Rolle spielen. Er war zeitweise ein Parteigänger des Kaisers Ludwig II. und hatte 848 unzulässigerweise seine römische Titelkirche S. Marcello verlassen. Ob seine Ambitionen weiter reichten und Leo IV. damals sogar wieder eine stärkere Annäherung an Byzanz in Betracht zog, kann man vermuten, jedoch nicht beweisen. Mehrmals geladen, wurde der päpstliche Konkurrent nach wiederholtem Nichterscheinen und Urteilssprüchen endgültig auf einem römischen Konzil im Dezember 853 verurteilt und mit dem Anathem (dem Bann bzw. Ausschluss aus der Kirchengemeinschaft) belegt. Über den Toren von St. Peter ließ Leo IV. die Urteilssentenz sogar als Inschrift anbringen, machte die Niederwerfung von Opposition damit öffentlich und sichtbar.79

Nach dem Tod Leos IV. im Sommer 855 kam es zu einer schismatischen Wahl, denn Anastasius wurde von einer weitgehend kaiserlichen Parteiung nach Rom geschickt, wo er die Inschriftentafeln mit seiner Urteilssentenz zerstören ließ, um dann den Papstthron im Handstreichverfahren zu „besetzen“. Die verschiedenen symbolischen Akte erwähnt der Liber pontificalis ausdrücklich. Klerus und Volk hatten zuvor schon Benedikt III. gewählt. Erst nach langen Auseinandersetzungen lenkte die kaiserliche Parteiung ein.80 Neu an diesem Schisma war gegenüber früheren strittigen Wahlen, dass nun einer der Kontrahenten auf Seiten des Karolingers Ludwig II. stand, der allerdings fast ausschließlich in Italien agierte und deshalb einflussreich wurde. Es scheint nicht von ungefähr, dass die erste Urkunde, die der schließlich siegreiche Benedikt III. (855–858) für das Kloster Corbie einen Tag nach seiner Weihe ausstellte, eine der eindrücklichsten Arengen (Einleitungspassus in Urkunden und Briefen) dieser Zeit enthält, die den Führungsanspruch Roms bei diesem sonst wenig in Erscheinung tretenden Papst ausdrückt:

Weil es bekannt ist, daß der Bischof des römischen Sitzes das Haupt und der Vorsteher (princeps) aller Kirchen Christi ist und an Stelle des Apostelfürsten Petrus handelt, dem Christus den Prinzipat für die Kirche übertragen und gesagt hat: Du bist Petrus und auf diesem Fels werde ich meine Kirche bauen und dir werde ich die Schlüssel des Himmelreiches geben (Mt. 16,18), bleiben bei keinem Gläubigen Bedenken, daß wir allen Kirchen unsere Sorge zukommen lassen und für das Heil, den Frieden und die Ruhe aller Gläubigen in Christo sorgen müssen, damit Schlechtes verbessert, Richtiges bekräftigt, Verdorbenes wiederhergestellt, Intaktes aber bewahrt wird.81

Auch nach den besonders tiefgreifenden Wirren 855 brachen immer wieder Auseinandersetzungen aus; erinnert sei an die Streitigkeiten unter Papst Johannes VIII. zum Beispiel mit dem ambitionierten Formosus, der zeitweise Bischof von Porto war, 876 verurteilt wurde, 883 sein Bistum wiedererlangte und 891 sogar Papst wurde.

Der Schwerpunkt päpstlichen Handelns lag insgesamt und trotz eines zunächst – der Briefe und der insgesamt freilich seltenen Reisen wegen – anderen Eindrucks vor allem in Rom und im Umland. Dies ist an vielfachen Bauaktivitäten abzulesen. Instandsetzungen an den alten Aurelianischen Mauern und die Anlage von Befestigungen um St. Peter wurden angesichts der Sarazenenverwüstungen 846 durch Leo IV. mit großem Aufwand bis 852 beendet. Außerdem heben die Papstviten wiederholt die Reparaturen der für das tägliche Leben wichtigen Wasserleitungen der Stadt hervor, die inzwischen aber oft auch zur Heranführung des Taufwassers dienten.82

Aus den reichhaltig genannten Objekten zur Ausstattung von Kirchen und Klöstern haben jüngere Studien unter anderem Schlüsse darauf gezogen,83 welche Gebiete innerhalb der Mauern Roms inzwischen wichtiger geworden waren. Ergänzt werden die Notizen durch neue archäologische Befunde, die andeuten, wo innerhalb der alten Mauern weiterhin gesiedelt wurde oder welche Orte im Patrimonium Petri einzelne Päpste förderten.

Manche Bauten waren nach den massiven Bedrohungen durch die Sarazenen als Abwehr- und Schutzmaßnahmen in Angriff genommen worden. Trotz gelegentlicher kaiserlicher Hilfe kämpfte der Papst gegen die Bedrohungen oft allein oder mit italischer Unterstützung, so Leo IV. bei einer Abwehrschlacht in Ostia (849).84 Das Fehlen eines in Italien präsenten Kaisers machte sich vor allem nach dem Tod Ludwigs II. (875) bemerkbar. Seit dieser Zeit schloss der Papst zeitweise Bündnisse mit den kleineren süditalischen Herrschaften wie Gaeta, Neapel oder Amalfi, weil die Hilferufe an den Kaiser verhallten. Manche Papstschreiben enthalten sogar konzeptionelle Formulierungen zu den Kämpfen gegen die Muslime, sie bildeten eine gedankliche Grundlage für spätere Äußerungen in der Kreuzzugszeit.85

Trotz der schon über ein Jahrhundert andauernden Orientierung zu den Karolingern gab es wiederholt erkennbare griechenfreundliche Stimmungen in Rom, wie eine Gerichtssitzung in Rom 855 erkennen lässt;86 auch blieben byzantinische Formen im Zeremoniell präsent. Der Lateran wurde als Palast nach byzantinischem Vorbild ausgestattet, vor dem Lateran wurde Recht gesprochen, die dort aufgestellten sedilia waren aus (für Kaiser angemessenem) Porphyr gearbeitet. Dazu traten die zahlreichen Prozessionen und liturgischen Akte, die sich an byzantinische Traditionen anlehnten.

Das institutionelle Umfeld der Päpste scheint sich nicht grundlegend geändert zu haben. Allerdings lassen gerade die Überlieferungsquantitäten von Briefen – durch Sammlungen oder Registerabschrift – vermuten, dass die Anfänge einer Institutionalisierung zumindest kurzfristig weiter fortschritten. Nikolaus I. klagte mehrfach über die nicht abreißenden Anfragen, verlangte in verschiedenen Schreiben von wartenden Boten größere Geduld bis zum Empfang ihrer Briefe oder redete gar von einer Osterpause, die die Abfassung von Schriftstücken verhindert habe.87 Krankheit und Amtsunfähigkeit konnten ausgeglichen werden, so am Ende des Pontifikates Sergius’ II., als dieser von seinem Bruder Benedikt ersetzt wurde. Dass Benedikt in einer zweiten Vita des Liber pontificalis als brutal, dumm und wenig sittenstreng galt, wofür das römische Volk mit der Strafe der Sarazenenzüge gebüßt habe, zeigt als eindrückliche Ausnahme, dass die Viten dieses Buches in der Regel geschönt waren.88

Auch liturgisch blieben die Päpste im gesamten Raum der Stadt Rom präsent. Des Festtags wegen begann Nikolaus I. die Rehabilitation Rothads von Soissons in der Kirche S. Agnese,89 und Johannes VIII. stellte mit Blick auf die Vigilfeier des hl. Gregor fest, dass die bisherigen Viten durch eine neue (dritte) ergänzt werden sollte,90 die der Diakon Johannes Hymmonides verfasste.

Dies führt zu einem kurzen Blick auf die kulturelle Blüte Roms in den 870er Jahren. Waren in der Zeit zuvor das Karolingerreich und danach dessen Nachfolgereiche vor allem in geistiger Hinsicht vielfach tonangebend gewesen, so ist in den 870er Jahren eine bedeutende literarische Gruppe in Rom belegt. Für eine Geschichte der Päpste sind vor allem Anastasius Bibliothecarius, der neben griechischen Werken auch verschiedene Konzilsakten übersetzte, und der Diakon Johannes Hymmonides, der sich ebenso die griechischen Traditionen aneignete, wichtige Namen. Insgesamt wurden mit verschiedenen Werken zugleich Antike und griechische Traditionen für Rom zunehmend nutzbar gemacht, denn zu den literarischen Aktivitäten gehörten Übersetzungen aus dem Griechischen ins Lateinische. In diesen Zusammenhang ordnen sich Überlegungen zum Ende des alten Liber pontificalis ein. Für die letzten Viten – insbesondere diejenigen Nikolaus’ I. und Hadrians II. – sieht man von der Sonderstellung des letzten Fragments zu Stephan V. ab – ist jüngst die Autorschaft des Johannes Hymmonides erneut in die Diskussion gebracht worden.91 Hier könnte – nimmt man die in dieser Zeit entstandene dritte Vita Gregors I. hinzu – eine neue Form päpstlicher Autorität konzipiert worden sein, deren Zukunft allerdings nach dem Tod Johannes’ VIII. 882 zunächst nicht weitergeführt werden konnte.

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