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Der Osten: Byzanz, Bulgarien und Mähren

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Wurden schon unter Leo IV. und Benedikt III. – hauptsächlich wegen einiger sizilischer Bischöfe – Streitigkeiten mit Byzanz ausgetragen, so spitzten sich diese im Pontifikat Nikolaus’ I. zu, als im Konflikt der beiden Patriarchen Ignatios und Photios Rom eine Schiedsrichterrolle gewann. Nachdem ein politischer Umschwung (856) in Byzanz Bardas, einen Onkel des Kaisers Michael (842–867), an die Macht gebracht hatte, resignierte der bisher am Hof favorisierte, der rigoristischen Mönchspartei angehörige Patriarch Ignatios nach mehreren Zusammenstößen mit Bardas. An seine Stelle trat der gelehrte Photios, der allerdings unter Missachtung der kanonisch vorgeschriebenen Zeiträume vom Laien zu den geistlichen Würden eines Patriarchen erhoben wurde. Als byzantinische Gesandte mit dessen Antrittsschreiben 860 in Rom erschienen und um die Entsendung päpstlicher Vertreter zu einem Konzil baten, bestimmte Papst Nikolaus zwar Legaten, kritisierte jedoch die unkanonische Erhebung des Photios und forderte päpstliche Rechte über den Vikariat von Thessaloniki zurück. Die päpstlichen Legaten stimmten in Konstantinopel – wahrscheinlich eigenmächtig – einer Verdammungssentenz über Ignatios zu, jedoch wies Nikolaus I. die aus Byzanz eingetroffene Rechtfertigung zurück. Anhänger der ignatianischen Gegenpartei aus Byzanz bestarkten dann den Papst wohl darin, auf einer Synode (863) dem Patriarchen Photios alle geistlichen Würden abzusprechen und Ignatios zu bestätigen. Dies führte in der Folge zu einem Austausch zahlreicher scharfzüngiger Schreiben.92

Einen weiteren Akzent brachte der Streit um Bulgarien. Der 864 in Kontantinopel getaufte Bulgarenfürst Boris erbat 866, vielleicht um sich aus einer Abhängigkeit von Byzanz zu lösen, römische Glaubensboten, jedoch erlaubte Nikolaus dem Bischof Formosus von Porto nach dessen ersten Missionserfolgen nicht, sein angestammtes Bistum zu verlassen und Bischof in Bulgarien zu werden. Auf Anfragen aus Bulgarien antwortete Nikolaus mit einem großen Lehrschreiben in 106 Kapiteln (Responsa).93 Diese Antworten wurden zwar aus einem aktuellen Bedürfnis verfasst, sind aber zugleich eine Zentralquelle für päpstliche Auffassungen und Ansprüche in dieser Zeit. Die Kapitel sprechen neben pastoralen Aspekten liturgische und rechtliche Probleme an und berühren dabei nicht polemisch, aber doch abgrenzend indirekt Streitfragen zwischen Rom und Byzanz. Offensiver werden die Responsa zum Beispiel bei der Erläuterung der Patriarchate (Kapitel 92f.). Gegenüber den anderen Patriarchaten sei Konstantinopel weder eine Apostelgründung noch in den Synodalakten von Nizäa erwähnt, sondern werde des Namens nova Roma wegen und vor allem durch Gunst des Herrschers Patriarchat genannt.

Wahrscheinlich aufgrund des eskalierenden Konflikts in Bulgarien unternahm Photios nach mehreren Briefwechseln einen letzten Schritt und ließ Nikolaus I. auf einer Synode im Sommer 867 absetzen und exkommunizieren. Fast gleichzeitig rief er im Herbst 867, nachdem er von Anschuldigungen der Griechen gegen römische Gebräuche in Bulgarien gehört hatte, zu einem Konzil der westlichen Kirche und indirekt zur Abfassung von theologischen Streit- bzw. Verteidigungsschriften auf.94 Die anlässlich des Konzils von Worms (868) auf Wunsch des Papstes formulierte Antwort des Westens auf die „Torheiten der Griechen“ schloss mit den Worten, dies sei gegen die Häresie der Griechen und deren gedankenlosen Tadel zu sagen. Damit erreichten die seit 860 andauernden Auseinandersetzungen zwischen Ost- und Westkirche einen vorläufigen Höhepunkt. Ähnlich wie die im gleichen Zusammenhang auf Empfehlung von Papst Nikolaus I. († 870) entstandenen Werke des Mönches Ratramnus von Corbie († ca. 870) und des Bischofs Aeneas von Paris stellte die in Worms vorgelegte Streit- und Verteidigungsschrift die im Westen geläufigsten Argumente gegen abweichende Gebräuche der Griechen zusammen.95 Diese aus aktuellem Anlass angefertigten Dokumente lassen indirekt erkennen, wie sehr die römische Leitungsfunktion zumindest bei einer bestimmten Gruppe im Frankenreich anerkannt war.

Unter Papst Hadrian II. (867–872) änderte sich die Situation. Ein abrupter Machtwechsel in Byzanz (Kaiser Basileios I.) und die Restitution des Ignatios führten zur Verurteilung des Photios 869 in Rom und anschließend in Konstantinopel (869/870, VIII. ökumenisches Konzil)96, jedoch dauerte dieser Sieg des Papsttums nicht lange, denn unter Johannes VIII. setzten sich die Auseinandersetzungen fort. Nach dem Tod des Ignatios (877) gelang es Photios nochmals, Patriarch zu werden, und er wurde auf einer weiteren Synode in Konstantinopel (879–880) bestätigt; Papst Johannes VIII. wollte an dessen Anerkennung Bedingungen knüpfen, die aber nicht beachtet wurden.97

Der Streit mit Byzanz lässt vor allem in seiner Phase unter Nikolaus I. gut erkennen, wie argumentierende Schreiben der Päpste in konkreten Konflikten dazu führten, die eigenen Ansprüche immer deutlicher hervortreten zu lassen. Die in den frühen Briefen erkennbare Vorstellung von Photios als einem Abweichler, den zurückzuholen in die Gemeinschaft Aufgabe des Papstes sei, führte etwa ab 865 zunehmend zu einer Ausgrenzung mit teilweise pauschalen Vorurteilen. Diese Position entwickelte sich aber stärker aus der Reaktion heraus; dabei war manches außerdem der zunehmend spitzen Feder des Anastasius Bibliothecarius zuzuschreiben. Die Ausgrenzung der Griechen aus der christlichen Gemeinschaft als Häretiker und Gegner erfolgte erst 867/68 in Beantwortung der griechischen Vorwürfe, die im Kern auf den schon 809 im Frankenreich behandelten Streitpunkt des filioque (siehe oben, S. 78) zielten. Dass sich der Papst in dieser Situation an die Franken um Hilfe wandte, scheint insofern folgerichtig. Als Nikolaus aber den Norden in die Auseinandersetzung einbezog, stand der Teil der Kirche, in der die lateinische Sprache benutzt wird, wie Nikolaus an Hinkmar von Reims schrieb, dem griechischen Osten, gegenüber.98

Schon zu Beginn des Pontifikates Hadrians II. und verstärkt unter seinem Nachfolger Johannes VIII. rückte die mährische Mission in den Vordergrund.99 Auch hier bestand Konkurrenz zu Byzanz. Anders als in Bulgarien, das langfristig dem westlichen und päpstlichen Einfluss verloren ging, auch weil Nikolaus I. und Hadrian II. den Bulgaren den gewünschten Römer (erst Formosus, dann Marinus) als Erzbischof verweigerten, waren die Päpste in Mähren erfolgreicher. Schon 863 hatte der Herrscher des „Großmährischen Reiches“, Rastislaw, von Byzanz Glaubensboten erbeten, vielleicht auch um Missionsversuchen aus dem Ostfränkischen Reich ein Gegengewicht gegenüberzustellen. Entsandt wurden die aus Saloniki stammenden Brüder Konstantin-Kyrill und Method. Beide übersetzten die ostkirchliche Liturgie sogar ins Slawische mit eigens dafür entwickelten Schriftzeichen.

Als die beiden Missionare 867 nach Rom berufen wurden, brachten sie Papst Nikolaus I. ein wertvolles Geschenk: die Gebeine des hl. Clemens, also einer der Päpste, die als erste Nachfolger Petri gelten. Nachdem Kyrill und Method sich den päpstlichen Weisungen für eine Fortsetzung der Mährermission unterstellt hatten, gestattete Nikolaus I. sogar den Gebrauch der slawischen Kirchensprache.100 Hadrian II. weihte Method zum Bischof von Pannonien und Mähren, jedoch ließ Johannes VIII. später das Slawische als Kirchensprache verbieten.101 Dies stärkte langfristig den Einfluss ostfränkischer Glaubensboten. Die Schüler des Method wichen nach Osten (zu den Serben und Russen) aus und boten mit ihrer Schrift das Vorbild für die spätere „kyrillische“ Schrift.

Die Auseinandersetzungen bzw. Kontakte mit Byzanz, Bulgarien und Mähren führten zwar zu unterschiedlichen Ergebnissen, eröffneten jedoch zugleich Aktionsräume, die besonders ein Papst wie Nikolaus I. nutzte und ausfüllte. Die teilweise sehr offensiven päpstlichen Positionen konnte der Verfasser zahlreicher Briefe, Anastasius, aber auch deshalb formulieren, weil Schreiben der päpstlichen Vorgänger ihm durch die Tradition von Schriftlichkeit und Archivierung zur Verfügung standen.

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