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Beziehungen zum westlichen orbis christianus

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Will man die Beziehungen zu den weiteren Mächten des westlichen orbis christianus charakterisieren, so bleiben im Wesentlichen die Reiche des alten Karolingerreiches, denn Kontakte nach Spanien oder England sind nur spärlich belegt. In Lotharingien, einem Teil des 843 entstandenen Mittelreichs, wo seit 855 Lothar II., einer der drei Söhne Lothars I., herrschte, kam es zum „Ehestreit“. Lothar war mit Theutberga verheiratet, aber aus dieser Ehe war kein Thronfolger hervorgegangen. Deshalb hatte er sich Waldrada zugewandt, die ihm einen Sohn namens Hugo gebar. Lothar II. versuchte deshalb, die Ehe mit Theutberga zu lösen. Auf Aachener Synoden, an denen die Erzbischöfe von Trier und Köln führend beteiligt waren, wurde die Ehe mit Theutberga 860 geschieden und 862 als nicht rechtmäßig anerkannt, so dass der Weg zu einer Ehe Lothars mit Waldrada frei schien.102 Der mächtige Erzbischof Hinkmar von Reims widersetzte sich jedoch, Theutberga widerrief ihr Geständnis, Unzucht begangen zu haben, und appellierte an den Papst. Eine neue Synodalverhandlung in Metz (863) urteilte zugunsten Lothars. Eine gegenteilige römische Entscheidung im Oktober 863 führte jedoch zur Absetzung der geistlichen „Drahtzieher“, der beiden Erzbischöfe von Trier und Köln.103 Lothar II. suchte Unterstützung bei Ludwig II., während die beiden Onkel, Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle, ein Bündnis schlossen und ihren Neffen aufforderten, sich dem päpstlichen Spruch zu beugen. Damit nutzten sie als mögliche Erben die päpstliche Entscheidung indirekt auch für eigene Interessen. Der Papstlegat Arsenius zwang Lothar II. 865, Theutberga wieder zu sich aufzunehmen. Ein Jahr später versuchte Lothar II. jedoch, Theutberga abzufinden und sie dazu zu bewegen, selbst beim Papst um Auflösung der Ehe nachzusuchen. 869 erschien Lothar II. schließlich vor Papst Hadrian II. in Rom/Montecassino,104 starb aber auf dem Rückweg ins Frankenreich in Piacenza.

Neben den politischen Implikationen in den karolingischen Teilreichen (Sicherung der Nachfolge, Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Kontrahenten) bleiben die selbstbewussten Reaktionen Nikolaus’ I., der mehrfach grundsätzlich Stellung bezog, bemerkenswert. Päpstliche Äußerungen zur Ehe in seinen Briefen gingen in spätere Rechtssammlungen ein; weiterhin griff der Papst in synodale Entscheidungen ein und beschnitt sogar den Handlungsspielraum der Metropoliten. Um den Nachfolger Gunthers von Köln, Willibert, entwickelte sich eine entsprechend lange Diskussion.

Die Unterstützung, die der Papst zum Beispiel durch Traktate Erzbischof Hinkmars von Reims erhielt, ist nur teilweise mit der politischen Situation im Westfrankenreich105 zu erklären. Nicht nur die Unfruchtbarkeit Theutbergas, sondern auch der Vorwurf des Inzests mit ihrem Bruder Hugbert spielten vor allem in der Anfangsphase eine Rolle.106 Obwohl manche Forscher sogar schon für diesen Fall Zeit von einem Jurisdiktionsprimat Roms sprechen wollen, so kam der Anlass zur päpstlichen Reaktion doch von den Betroffenen.

Weitere wichtige Auseinandersetzungen mit dem Westfrankenreich betrafen die Stellung von Episkopat und Erzbischöfen. Der schon mehrfach genannte Erzbischof Hinkmar von Reims verfolgte nicht nur im Ehestreit Lothars eigene Interessen. Insbesondere im Westfrankenreich entwickelte er die Vorstellung von einer überhöhten Stellung des Erzbischofs, die er auch praktisch anwandte, indem er versuchte, in Diözesanangelegenheiten anderer Bischöfe einzugreifen. Streitpunkte, die in der Folge zu Kontakten beziehungsweise Auseinandersetzungen mit Rom führten, waren unter anderem die von Ebo, seinem umstrittenen Vorgänger, nach 841 vorgenommenen Weihen oder seine Konfrontation mit Bischof Rothad von Soissons, den er sogar absetzen wollte. Auch hier kam es zu langen Konflikten, in denen die Päpste vermittelten und entschieden. In den Zusammenhang dieser Auseinandersetzungen hat man lange Zeit die Entstehung der pseudo-isidorischen Fälschungen eingebettet. Obwohl inzwischen ein früherer Entstehungszeitpunkt ausgemacht werden konnte (siehe oben S. 82f.), dürften diese Konfliktfelder für das Umfeld und die frühe Rezeption der Rechtssätze Bedeutung gehabt haben; jedenfalls verwandte Nikolaus in den einschlägigen Schreiben zuweilen Zitate, welche in ganz ähnlicher Weise die Entscheidungsgewalt des römischen Sitzes unterstrichen.

Neben diesen rechtlichen Auseinandersetzungen, die zu großen Teilen im Briefcorpus von Nikolaus I. und Hadrian II. dokumentiert sind, zeigen die überlieferten Papsturkunden weitere Aspekte. Die steigende Zahl von Privilegien mit Schutzformeln belegt, dass in Krisensituationen – zu denen zum Beispiel vor allem im Westfrankenreich die Bedrohungen durch Normannen zählten – päpstlicher Schutz zunehmend erbeten wurde.107 Dies galt auch für die Bretagne, die politische wie kirchenpolitische Unabhängigkeit (von der Metropole Tours) päpstlich legitimieren lassen wollte.

Die päpstliche Orientierung auf das Frankenreich – die durch die Überlieferungssituation vielleicht oft etwas überbetont wird – wurde weiterhin durch verschiedene Austauschprozesse gefördert, die eher als langfristige Prägungen in den Blick genommen werden müssen, denn schon im 8. Jahrhundert hatte sich das Frankenreich in verschiedenen Aspekten an Rom orientiert, weil man hier den Hort antiker Tradition vermutete und weil Rom generell als Richtschnur galt.108

Bereits im 8. Jahrhundert sollen liturgische Bücher nach Norden geschickt worden sein. Zugunsten einer einheitlichen Liturgie importierten die Franken zunehmend römische Sammlungen mit liturgischen Gebeten; zunächst das Sacramentarium Gelasianum und dann das Sacramentarium Gregorianum (Hadrian I.) mit den wechselnden Orationen für den zelebrierenden Priester, weiterhin Teile der sogenannten Ordines Romani für Zeremonien und liturgische Handlungen. Im Frankenreich wurden die Gebete nicht sklavisch an bestehende Gebräuche angepasst; durch mehrfache Transferprozesse entstand vielmehr eine fränkisch-römische Mischliturgie.

Der Transfer römischer Bücher betraf auch das Kirchenrecht. Hadrian I. übermittelte an Karl den Großen eine Rechtssammlung, die auf den spätantiken skythischen Mönch Dionysius Exiguus zurückging. Dieses Buch, das auch „Dionysio-Hadriana“ genannt wird, bildete fortan eine wichtige Grundlage für das Kirchenrecht, jedoch entfalteten ebenso gallische und westgotisch-spanische Traditionen Einfluss im Frankenreich.

Für die Organisation klösterlichen Lebens erbat Karl der Große wohl ebenso von Hadrian I. die Benediktsregel, obwohl diese kaum direkt auf römische Traditionen zurückgeht. Jedenfalls setzte sich diese Mönchsregel im Frankenreich insbesondere seit den Reformen 816/17, die Ludwig der Fromme und Benedikt von Aniane förderten, zunehmend durch. Darüber hinaus ist erneut an die bereits erwähnten theologischen Diskussionen zu erinnern, die um 800 in großem Maße durch Gelehrte aus dem Frankenreich bestimmt waren.

Vielleicht noch wichtiger waren die Bindungen, die durch Reliquien geschaffen wurden. Der Erwerb römischer Reliquien und deren jeweilige Auswahl waren auch von stadtrömischen Voraussetzungen sowie von den jeweils vorhandenen Schriften bestimmt. Der Papst und die Stadt Rom übergaben die Reliquien in bestimmten Formen und beeinflussten durch die Mitgabe entsprechender hagiographischer Dossiers die weitere Verehrung. Die begleitenden Schriften verdeutlichen, dass auch die Großen der Stadt Rom an den Übergaben beteiligt waren. Ihre Verbreitung und Erweiterung förderte zugleich die Wirkung der Reliquien, denn die römische Herkunft wurde in der Regel besonders hervorgehoben. Im karolingischen Mittelreich und in Grenzräumen erscheint die Romorientierung aufgrund der Translationsberichte und der Martyrologien besonders ausgeprägt, mithin dort, wo man neuer Identifikationshilfen am dringendsten bedurfte. Das Westfrankenreich war in der Mitte des 9. Jahrhunderts weniger betroffen, am ehesten ab den 60er Jahren das an Burgund angrenzende Gebiet. Stellt man die aus Rom nach Norden übertragenen Reliquien zusammen, so wird deutlich, dass die Empfängerinstitutionen in verstärktem Maße in Gebieten lagen, in denen die Missionierung beispielsweise die Festigung von Missionserfolgen anstand. Die beschenkten Orte machten Rom durch die Verehrung römischer Heiliger – auch in liturgischer Form – präsent. Kalendarien und Martyrologien lassen im 9. Jahrhundert erkennen, wie römische Heilige im Frankenreich andere verdrängten.109

Die Rolle des Papstes als Schenker führte in den Schriften zu Ehrenbezeichnungen, welche die Führungsposition Roms unterstreichen; im Brief an Leo IV. aus der Alexander-Translation zum Jahre 851 wird der Papst als religiosus vir, papa und Petri vicarius bezeichnet, Rom gilt als Stadt und Sitz des hl. Petrus, des princeps apostolorum, als Haupt aller Kirchen.110 Dem hl. Petrus gehöre die Binde- und Lösegewalt. Gewiss wurde mit solchen Formulierungen dem Nachfolger Petri noch keine juristische Vorherrschaft zugemessen, aber die besondere Stellung Roms und des Papstes anerkannt. Dabei wurde die päpstliche Autorität an bestimmten Orten und zu gewissen Zeiten besonders bemüht, wenn nämlich Auseinandersetzungen Reliquien sogar zu Waffen in einem aktuellen Streit werden ließen, so im Falle der Bretagne in der Mitte des 9. Jahrhunderts. Dort diente Rom als Orientierung und als Entscheidungsinstanz im Kampf um die Unabhängigkeit von der Metropole Tours. Und in dieser Auseinandersetzung spielten römische Reliquien eine wichtige Rolle. Das Westfrankenreich suchte ansonsten nach 843 oft päpstliche Rechtshilfe, nur selten Reliquien; hier unterschieden sich Ost und West. Außer den Beziehungen, die durch die Reliquiengaben zwischen Schenker und Empfänger entstanden, sind gängige Vorstellungen zu berücksichtigen, wonach der zunächst durch die Reliquien gewährte Schutz gleichzeitig oder später von einem schriftlichen, urkundlichen Schutzversprechen begleitet werden konnte.

Der Erwerb römischer Reliquien samt den Folgen gehört in ein Ensemble von Rombeziehungen, die in verschiedensten Zusammenhängen, auch in Baukunst und Liturgie, langfristig prägten und zurückwirkten. Dies ergab sich aus dem Zusammenwirken von Reliquienverehrung und Liturgie. Die Weitergabe der begehrten Teile und ihre Niederlegung zog in der darauf jeweils abgestimmten Liturgie immer wieder die Besinnung auf die neu erworbenen Reliquien nach sich und vergegenwärtigte damit Rom und seine Heiligen. Somit lassen sich die Imitationen römischer Bauten, die Übersendung römischer Bücher und der Erwerb römischer Reliquien auf einen Nenner bringen. Die Erinnerung an Rom und seine Heiligen lenkte damit den Blick auf das Zentrum der westlichen Christenheit.

Die Mittel der päpstlichen Kommunikation mit dem orbis christianus erscheinen teilweise „moderner“ als für das 9. Jahrhundert oft angenommen. Die Briefe lassen erkennen, dass auf angemessene „diplomatische“ Gepflogenheiten beim Empfang von kaiserlichen Boten geachtet wurde, dass fehlende Siegel registriert wurden, dass die Legaten oft schriftliche und mündliche Botschaften erhielten, wobei zuweilen sogar ein gewisses Misstrauen gegenüber den eigenen Beauftragten, zum Beispiel gegenüber Arsenius von Orte, sichtbar wird. Harte Strafen drohten, wenn Legaten wie Radoald von Porto in Byzanz angeblich ihre Kompetenzen überschritten hatten. Und wenn Legaten überfallen und päpstliche Schreiben entwendet wurden, so funktionierte die römische Archivierung gut genug, um für Ersatzausfertigungen zu sorgen.111

Das Ensemble der verschiedenen Rombeziehungen hat seit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts maßgeblich die Autorität der römischen sedes an verschiedenen Orten im Frankenreich gefestigt und den Boden für die spätere Entwicklung bereitet. Die neue Situation im Frankenreich nach dem Vertrag von Verdun (843) bot hierfür gute Ansatzpunkte, denn nun konnten sich die Rombeziehungen der Teilreiche unterschiedlich gestalten.

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