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5. Die Medien in der Hauptverhandlung

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Die Prozessberichterstatter und Vertreter der Medien sind im juristischen Sinne keine Prozessbeteiligten. Allerdings sind sie als Teil der Öffentlichkeit und über Art. 5 GG mit eigenen Rechten ausgestattet, ein gewichtiger Faktor im gesamten Strafverfahren, meist noch mehr im Ermittlungsverfahren als in der Hauptverhandlung. Der Verteidiger, der die Interessen seines Mandanten bestmöglich wahrnehmen will, darf sie nicht ignorieren.

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Die in Art. 5 GG garantierte Pressefreiheit schützt auch die Medienberichterstattung aus einem Strafverfahren, denn zum Kern der Meinungsäußerungsfreiheit der Presse gehört auch, dass die Medien nach eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht.[49] Dies gilt unabhängig davon, ob sie, der staatstheoretischen Begründung folgend, öffentliche Kontrolle und Schutz vor Willkür durch die Justiz bieten soll,[50] oder ob sie, wie heute überwiegend angenommen wird, dem Informationsinteresse der Allgemeinheit dient.[51] Der Verteidiger muss die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls in Grundzügen kennen, um argumentativ gewappnet zu sein, wenn es darum geht, die Interessen seines Mandanten in der Hauptverhandlung zu schützen.[52]

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§ 169 Satz 2 GVG verbietet Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen aus der Hauptverhandlung zum Zweck der Veröffentlichung und schränkt damit die Pressefreiheit ein. Die Vorschrift ist verfassungsgemäß,[53] ja sogar verfassungsrechtlich geboten,[54] und auch zwingend, ohne dass dem Vorsitzenden bei einer entsprechenden sitzungspolizeilichen Anordnung ein Ermessenspielraum zustünde. Der Verteidiger muss daher, um seinen Mandanten zu schützen, gegenüber dem Vorsitzenden auf strikter Einhaltung dieses Verbots bestehen.[55]

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Das Verbot des § 169 Satz 2 GVG umfasst allerdings nicht das Anfertigen von einfachen Bildaufnahmen (einerlei, ob in analoger oder digitaler Form) im Gerichtssaal während der Hauptverhandlung[56] (was nicht bei allen Gerichten bekannt ist) und außerhalb des Gerichtssaals,[57] und gilt auch nicht für Ton- und Filmaufnahmen außerhalb der Hauptverhandlung.[58] Allerdings kann der Vorsitzende alle diese Aufnahmen im Rahmen seiner sitzungspolizeilichen Befugnisse unterbinden. Die Zulässigkeit eines solchen Verbots richtet sich nach den §§ 22, 23 KUG. Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Eine Ausnahme besteht dann, wenn es sich um ein Bild aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt (§ 23 Abs. 1 KUG), wozu die Verhandlung schwerwiegender Fälle, etwa im Schwurgerichtsverfahren, gehören, und wenn nicht berechtigte Interessen des Abgebildeten entgegenstehen (§ 23 Abs. 2 KUG). Bei der Anordnung des Vorsitzenden hat eine umfassende Abwägung öffentlicher und privater Interessen stattzufinden, bei der das Gewicht des strafrechtlichen Vorwurfs ebenso zu berücksichtigen ist wie die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten.[59] Bei schwersten Straftaten wird in der Regel das öffentliche Interesse vorgehen, ebenso bei Verfahren gegen sogenannte Personen der Zeitgeschichte. Für den Vorrang des öffentlichen Interesses ist auch ins Feld zu führen, dass der Angeklagte ein Geständnis abgelegt hat, wodurch die Unschuldsvermutung an Gewicht verliert.[60] Zu sehen ist aber auch, dass das Informationsinteresse der Öffentlichkeit regelmäßig nicht allein auf den Angeklagten und die ihm zur Last gelegten Taten, sondern auch auf diejenigen Personen gerichtet ist, die in dem Fall als Mitglieder des Spruchkörpers, als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft oder als Strafverteidiger an der Rechtsfindung mitwirken.[61] Allerdings wird sich der Verteidiger, wie auch die Richter und der Staatsanwalt, mit einem geringeren Schutz seiner Persönlichkeitsrechte abfinden müssen als der Angeklagte, da die Teilnahme an einer öffentlichen Hauptverhandlung zu deren beruflichen Aufgaben gehört, und nicht, wie beim Angeklagten, primär Privatangelegenheit ist.[62] Der Vorsitzende hat die für die Entscheidung maßgebenden Gründe offenzulegen,[63] so dass der Verteidiger zunächst einmal Gegenvorstellungen vorbringen kann. Da die Handhabung bei den Vorsitzenden nicht einheitlich ist, sollte der Verteidiger in den entsprechenden Fällen (insbesondere wenn sich die Presse „angemeldet“ hat) bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung mit diesem Kontakt aufnehmen, um das Procedere abzuklären. So kann mit dem Vorsitzenden vereinbart werden, dass der Angeklagte erst dann den Gerichtssaal betritt, wenn die Pressevertreter ihre Aufnahmen aus dem Gerichtssaal und gegebenenfalls von den übrigen Prozessbeteiligten gefertigt haben.[64] Hierfür kann es angebracht sein, dem Angeklagten einen separaten Zugang zum Gerichtssaal zur Verfügung zu stellen, wenn die baulichen Gegebenheiten dies zulassen, oder einen frühzeitigen Aufschluss des Verhandlungssaales zu gewährleisten.[65] Der Vorsitzende kann auch anordnen, sofern Bildaufnahmen vom Angeklagten gestattet werden, dass diese so zu „verpixeln“ sind, dass dessen Anonymität gewahrt bleibt.[66]

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Der formellere Weg ist derjenige über einen Antrag an den Vorsitzenden, bestimmte Verhaltensweisen von Pressevertretern zu untersagen, etwa Bild- und Filmaufnahmen in der Zeit unmittelbar vor und nach der Hauptverhandlung sowie in den Verhandlungspausen anzufertigen.

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Gegen sitzungspolizeiliche Anordnungen des Vorsitzenden ist grundsätzlich nicht die Beschwerdemöglichkeit gegeben, [67] sondern die Herbeiführung eines Gerichtsbeschlusses nach § 238 Abs. 2.[68] Etwas anderes gilt allerdings, wenn die Anordnung Rechtspositionen des Betroffenen über die Hauptverhandlung hinaus beeinträchtigt, was bei der Gestattung von Bild- oder Filmaufnahmen zum Zweck der Veröffentlichung stets der Fall sein dürfte. Dann ist die Beschwerde zulässig.[69]

Hinweis

Soweit die Versuche von Bildreportern, den Angeklagten zu fotografieren oder zu filmen, gesetzwidrig sind (etwa § 169 Satz 2 GVG verletzen) oder gegen eine gerichtliche Anordnung verstoßen, darf durch den Angeklagten Notwehr in der Form ausgeübt werden, dass er dem Photographen die Kamera gewaltsam aus den Händen schlägt. Er muss sich nicht darauf beschränken, sein Gesicht zu verdecken, sondern darf die Art der Verteidigung wählen, die den Angriff sofort und endgültig beendet.[70] Was für die Notwehr des Mandanten gilt, wird für die Nothilfe des Verteidigers nicht anders zu beurteilen sein.

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Das Verhältnis des Verteidigers zu den Medien ist nicht unproblematisch. Die Schwierigkeiten wurzeln in erster Linie darin, dass hier ganz unterschiedliche Interessen und Sichtweisen aufeinandertreffen. Während sich das Gericht (idealerweise) über die streng rechtlich geregelte Wahrheitssuche zur Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit verpflichtet fühlen soll, und der Verteidiger einseitig den persönlichen Belangen seines Mandanten dient, orientiert sich die Presse im harten Kampf um Marktanteile ausschließlich an wirtschaftlichen Prinzipien,[71] d.h. der Zahl ihrer Leser und Zuschauer.[72] „Zentrales Kampfinstrument“ ist die neue interessante Nachricht.[73] Das Konsumenteninteresse gilt mehrheitlich jedoch nicht der Einhaltung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dessen Regeln überwiegend ohnehin nicht bekannt sind.[74] Hier regiert nicht die Unschuldsvermutung, sondern die „Schuldvermutung“.[75] Die Berichterstattung verkommt so zum Medienspektakel.

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Entsprechend schlecht ist häufig die Qualität der Berichterstattung. Dabei sind sachliche Entgleisungen wie die vom Verteidiger gegen die lebenslange Freiheitsstrafe angekündigte „Berufung“ oder die dreijährige Bewährungsstrafe noch leichter zu ertragen als die oft herabwürdigende und vorverurteilende Berichterstattung über die Person des Angeklagten. Der Verteidiger muss sich darüber im Klaren sein, dass die Presse die Macht hat, in existenzvernichtender Weise über das Verfahren und über seinen Mandanten zu berichten. Dies muss nicht mittels unwahrer Tatsachenbehauptungen geschehen, gegen die man immerhin, wenn auch häufig mit zweifelhaftem Erfolg, juristisch angehen kann. Schon eine süffisante Bemerkung über die Weigerung des Angeklagten oder seines Verteidigers, sich zur Sache zu äußern oder zumindest eine Stellungnahme gegenüber der Presse abzugeben, kann suggerieren, der Angeklagte werde wohl etwas zu verbergen haben.[76] Mit anderen Worten: „Angeklagte werden verbal bereits verurteilt, bevor das Gericht entschieden hat.“[77]

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Aus diesen Gründen sollte der Verteidiger neben der Beherrschung des strafrechtlichem Instrumentariums zumindest auch die Grundzüge des Presserechts kennen oder einen darin bewanderten Kollegen zur Seite haben, wenn es darum geht, Unterlassungs- oder Gegendarstellungansprüche geltend zu machen.[78] Nicht selten hilft in entsprechenden Fällen aber auch ein Gespräch mit dem verantwortlichen Redakteur oder dessen Vorgesetzten, wobei auch für ein solches Gespräch die Kenntnis des Presserechts von Vorteil sein wird.

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Die Gefahr schlechter oder verzerrender Berichtserstattung muss der Verteidiger im Auge behalten, wenn Pressevertreter mit Interviewwünschen oder der Bitte um eine Stellungnahme, etwa zu Beginn oder am Ende eines Hauptverhandlungstages, an ihn herantreten. Meist wird es, wenn ein Interview für einen Fernsehbericht gewünscht wird, lediglich darum gehen, diesen mit ein wenig Lokalkolorit aus dem Gericht anzureichern, wozu Statements der Akteure immer ein gutes Mittel sind.[79] Andererseits besteht im Kontakt mit der Presse auch die Möglichkeit, zugunsten des Mandanten gestaltend auf die Berichterstattung einzuwirken. So wie es im Ermittlungsverfahren nützlich sein kann, „flankierend“ zu verteidigen,[80] etwa durch Gespräche mit Pressevertretern oder durch Presseerklärungen, um vorverurteilender Berichtserstattung entgegenzuwirken, kann es auch noch bei laufender Hauptverhandlung von Nutzen sein, durch Stellungnahmen zum bisherigen Verlauf des Verfahrens die Position der Verteidigung zur Geltung zu bringen. In geeigneten Fällen sollte sich der Verteidiger (das Einverständnis des Mandanten wie immer vorausgesetzt) auch nicht scheuen, den interessierten Gerichtsreportern Kopien der in der Hauptverhandlung gestellten Anträge zur Verfügung zu stellen und diese ggf. zu erläutern. So steigt jedenfalls die Chance, dass die Verteidigung nicht falsch zitiert wird. Dasselbe gilt für Erklärungen zu Beginn der Hauptverhandlung oder für Stellungnahmen nach § 257 Abs. 2, sofern diese schriftlich vorliegen.

Verteidigung in der Hauptverhandlung

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