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13. Kapitel
ОглавлениеFriedrichshagen, Winter 1923
Ludwig von Wernher hatte sich mit seinem Schicksal ausgesöhnt. Dazu hatte ganz erheblich die Mitgift beigetragen, die Dahlen ihm genehmigt hatte. Neben der Stofftruhe, die im Laufe der Jahre gut gefüllt worden war, überreichte er Ludwig ein kleines Vermögen an Bargeld, das Ludwig auch zu schonen versprach. Am wichtigsten war aber der Landbesitz, der an seinen angrenzte.
Trotzdem, wenn er am Sonntag zum Stammtisch in den Krug ging und die hübschen jungen Frauen auf der Hauptstraße sah, herausgeputzt, in ihrem Sonntagsstaat, eine wahre Augenweide, wenn er daran dachte, dass all diese Schönheiten ihm verwehrt waren und auch bleiben würden, dann bedauerte er sich und verfluchte sein Schicksal.
Er hatte immer noch das Gefühl, von Friederike überrumpelt worden zu sein, und dieses Gefühl verfestigte sich schließlich zur Gewissheit.
Warum wohl war sie so schnell bereit gewesen? Gegen alle Sitte und jeden Anstand?
Hätte es sich nicht gehört, ihn zurückzuweisen, anstatt sich ihm geradezu anzubieten?
Sicher, sie sah immer noch sehr gut aus. Sie versorgte auch Haus und Hof, wie es sich gehörte. Da konnte er nicht klagen.
Und sie war willig im Bett. Spaß machte es auch noch.
Man konnte es sehen. An der Zahl der Kinder. Und obgleich sie seinen Feierabend etwas störten, genoss er doch das gesellschaftliche Ansehen, das er als Vater von mittlerweile fünf Kindern genoss.
Dem Kurt, der wenigstens so rücksichtsvoll gewesen war, zu warten, bis seine Eltern verheiratet waren, folgte sehr bald Gerhard. Ludwig hatte seiner Frau nicht viel Zeit gelassen, sich zu erholen.
„Oder willst du, dass ich mir eine suche?“, hatte er einmal gefragt. Und da hat sie sich eben gefügt.
Zu ihrem Vater konnte sie deshalb nicht gehen. Er hätte ganz sicher kein Verständnis für sie gehabt.
„Stell dich nicht an! Das ist doch wirklich nicht so schwer. Und er hat ein Recht dazu.
Denk dran!“, würde er sagen. Das wusste sie.
Und er würde sicher auch sagen: „Komm bloß nicht irgendwann angelaufen! Dein Zuhause ist bei Ludwig und nicht hier! Krieg seine Kinder und erziehe sie. Und führe den Haushalt anständig!“
An dem Tag, an dem Elisabeth geboren wurde, verlor Ludwig sein ganzes Barvermögen.
Er hatte zwar mitbekommen, dass schon lange alles teurer wurde und die Preise inzwischen rasant stiegen, aber das hatte ihn nicht weiter beunruhigt. Sein Land konnte nicht entwertet werden. Und zur Not konnten sie sich selbst ernähren.
Er hatte ein Schwein mehr geschlachtet und viel Fleisch eingeweckt, auf dem Rauchboden hingen Wurst und Schinken, und die Kellerregale waren gefüllt mit Gemüse- und Obstkonserven. Not würden sie also nicht leiden müssen.
Brauchte er wirklich mal Geld, dann wollte es niemand.
„Natürlich repariere ich dir deinen Pflug“, sagte der Schmied, „das kostet dann einen Schinken.“
Am deutlichsten spürte Ludwig die Geldentwertung im Krug. Täglich stieg der Preis für ein Bier und einen Wacholder. Ursprünglich hatte er nicht einmal bei einer Mark gelegen. Als Elisabeth geboren wurde, musste er fast eine Billion Mark bezahlen.
Natürlich wusste jeder in Friedrichshagen, dass Friederike von Wernher an diesem Tag ihr drittes Kind bekommen sollte. Ludwig war schon am frühen Vormittag, als die ersten Wehen eingesetzt hatten, in den Krug gegangen. Er hatte noch Kurt, seinen Ältesten zur Hebamme geschickt, und war gegangen.
Drei Stunden war er dort geblieben, hatte mit den anderen Gästen getrunken und sich auch nicht lumpen lassen. Der Wirt machte sich gar nicht erst die Mühe, die Zeche in Mark an seiner Tafel auszurechnen. Er addierte die Kreidestriche und verkündete: „Das sind drei Würste. Die langen, du weißt, welche ich meine?“
Als er zu Hause ankam und erfuhr, dass es ein Mädchen geworden war, drehte er auf dem Absatz um und kehrte in den Krug zurück.
„Mensch, Ludwig, das kannst du doch nicht machen! Friederike kann doch auch nichts dafür“, sagte der Wirt.
Erst als er betrunken über dem Tisch zusammengesackt war, wurde er nach Hause gebracht. Vier Männer waren notwendig, um ihn nach Hause zu tragen.
Drei Wochen lang weigerte er sich, seine Tochter anzusehen. Als sie endlich getauft werden sollte, musste er gute Miene zum bösen Spiel machen. Er musste sie auf den Armen tragen und über das Taufbecken halten.
„Das machst du besser!“, hatte er gesagt, „ich mach da vielleicht was kaputt!“
Aber es nützte nichts. Sein Schwiegervater, der sich sonst immer mit Ratschlägen zurückhielt, schaltete sich plötzlich ein.
„Hier bei uns hält der Vater den Täufling über das Becken! Das war so und das bleibt so. Auch wenn es dir nicht passt.“
Damit war die Sache entschieden.
Schon einmal hatte der Dahlen für ihn eine Entscheidung getroffen. Er hatte sich gefügt, weil ihm keine andere Wahl geblieben war.
Jetzt fügte er sich wieder.
Sollte das immer so bleiben, dass sein Schwiegervater bestimmte, was er zu machen hatte?
An diesem Tag schwor er sich, das wäre das letzte Mal gewesen. Von nun an würde er sich nicht mehr reinreden lassen.
Wenn Dahlen gedacht hatte, dass er mit seiner Intervention etwas Positives erreicht hätte, dann hatte er sich gründlich geirrt.
Solange Elisabeth Baby und später auch noch Kleinkind war, ignorierte der Vater sie völlig. Er sprach kaum ein Wort mit ihr. Sie war einfach nicht vorhanden. Wenn sie ihn etwas fragte, tat er, als hätte er es nicht gehört und ging einfach fort. Nur wenn sie ihn störte, dann musste er reagieren. Dann schnauzte er sie an, dass sie vor Angst fortlief.
Anfangs hatte er noch Hemmungen, diesen kleinen Körper zu schlagen, doch langsam nahmen sie ab. Vor allem wenn er getrunken hatte, wurde er gewalttätig. Einmal hatte seine Frau sich schützend zwischen ihn und Elisabeth gestellt. Hasserfüllt hatte er sie angestarrt. Hatte sie angeschrieen, aus dem Weg zu gehen.
Hatte ausgeholt und ihr den Schlag verpasst, der seiner Tochter gegolten hatte.
Sie war zu Boden gefallen, hatte sich nicht gerührt, und als sie endlich wieder zu sich kam, hatte sie eine so große Beule am Kopf, dass sie tagelang im Haus blieb.