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5. Kapitel

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Dollien, 14. Juli 1914

Liebste Freundin!

Man sagt immer, wenn es einem gut geht, lässt man nichts von sich hören, und wenn man an dem Leben oder irgendwelchen Beschwernissen leidet, teilt man das gerne mit. Ich weiß nicht, wie das bei mir ist. Es geht mir nicht gut. Aber auch dass es mir schlecht geht, kann ich nicht mit Fug und Recht sagen. Ich wäre ungerecht.

Jetzt ist es mehr als ein Jahr her, dass wir Friedrichshagen verlassen haben und hier bei meinen Eltern in der Uckermark Asyl gefunden haben. Was ich nicht geglaubt habe, die Kinder sind hier in der ruhigen und beschaulichen Umgebung richtig aufgeblüht. Bettina und Clementine haben sich zu hübschen kleinen Damen entwickelt. Ich muss nur aufpassen, dass sie nicht zu kokett werden. Vor allem Clementine hat eine Art, die die jungen Männer reizen und sie selbst in Gefahr bringen könnte. Glücklicherweise gibt es hier nur wenig junge Männer, denn der kleine Ort in der Nähe ist zwar recht ansehnlich, aber weit ab von Berlin und Potsdam. Und die wenigen ledigen Männer, die es gibt, sind so wenig attraktiv, dass sie Clementine nicht gefährlich werden können.

Ludwig entwickelt sich nach anfänglichen Schwierigkeiten prächtig. Anfangs hat er sich mit seinem Großvater überhaupt nicht verstanden. Er spürte die Ablehnung meines Vaters gegen Achim. Aber inzwischen hat sich das geändert. Vater hat sich etwas zurückgenommen. Es scheint ihm jetzt vor allem um Ludwigs Wohl zu gehen. Er nimmt ihn mit auf die Felder, lässt ihn das Korn prüfen, lässt ihn die Ernte schätzen und die Tagelöhner und Helfer einteilen. Nur ganz selten muss er noch eingreifen, wenn Ludwig wie ein junges Fohlen zu ungestüm ist.

Aber, und das, liebste Freundin, macht mir Sorgen, er will nicht hier bleiben. Er will nicht von seines Großvaters Gnaden das Gut verwalten. Und Max von Walther, den jetzigen Verwalter, nicht von seinem Platz verdrängen.

Lieber will ich unseren kleinen Hof bewirtschaften als dieses Gut. Dort bin ich mein eigener Herr“, hat er letztens gesagt. Und das hat mir, wie Du Dir denken kannst, im Innersten sehr wehgetan.

Noch etwas anderes beschäftigt mich sehr.

Du weißt, wir sind immer aus dem Raum geschickt worden, wenn die Erwachsenen, vor allem die Männer, politisiert haben.

Jetzt lässt sich das kaum noch machen. Ich bin inzwischen zu alt geworden und füge mich nicht mehr so einfach.

Seit einigen Tagen, ich spüre es ganz deutlich, hat sich etwas verändert. Ich habe meinen Vater gefragt, doch er hat nicht geantwortet. Früher hatte er immer gesagt: „Davon verstehst du sowieso nichts“, jetzt hat er nur geschwiegen.

Meine Mutter hat mir dann gesagt, es wäre etwas ganz Schlimmes passiert, man hätte den Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich in Sarajewo ermordet. Und es könnte durchaus Krieg geben.

Krieg! Stell Dir vor, Krieg!

Die Männer hier im Ort gebärden sich wie die Kinder. Schwenken Fahnen, singen vaterländische Lieder, treffen sich am Abend in der Wirtschaft und verteilen schon das Bärenfell, als hätten sie es gewonnen. Und mein Vater, den ich immer für so klug gehalten habe, ist in der ersten Linie. Wie gerne würde er losziehen.

Es gibt keinen Zweifel an unserer Treue zu Österreich, und es darf und wird nie einen Zweifel geben! Auf die Treue!“, hat er gestern Abend auf einer Versammlung bei uns im Haus ausgerufen. Ich habe weggehen müssen, so schrecklich fand ich das.

Was denken diese Menschen, die so den Krieg herbeisehnen? Der Krieg erscheint ihnen wie ein Abenteuer, aus dem sie jederzeit nach Hause zurückkehren können. Arme Menschen! Ich wünsche uns allen, dass sie sich nicht irren.

Nun bin ich mir doch untreu geworden. Ich wollte Dich nicht belasten und habe es ganz sicher getan. Sei mir nicht bös! Noch können wir hoffen, dass alle Sorgen umsonst sind, dass das nur die überspannten Gedanken einer jungen Witwe waren.

Nimm Deine Kinder in den Arm und küsse sie. Umarme vor allem Deinen Mann! Halte ihn fest, und bete zu Gott, dass Du ihn immer behältst.

Deine Luise

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