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17. Kapitel

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Berlin, April 1941

Unsicher stand Elisabeth vor dem großen schmiedeisernen Tor, das das parkähnliche Grundstück verschloss. Am Ende der breiten Auffahrt lag eine Villa, ehemals Sitz der Familie Goldstein. Von hier aus hatte Salomon Goldstein sein Unternehmen geleitet.

Hier hatten die berühmten Gesellschaften stattgefunden, zu denen Künstler und Intellektuelle, Freunde und Politiker geladen worden waren.

Nicht nur Wannsee war ärmer geworden, als Goldsteins sich nach der entsetzlichen Novembernacht entschlossen hatten, ihr Anwesen zu verkaufen und Deutschland zu verlassen.

Für einen beschämenden Preis hatte es Obersturmbannführer Möller erstanden, das ganze Inventar inbegriffen. Er hatte den Besitzern unmissverständlich klar gemacht, dass die Zeit für einen normalen Umzug nicht ausreichte.

Um dem Nachdruck zu verleihen, hatten sich einige SS-Leute in Garten und Haus verteilt. Und so hatten die Goldsteins Hals über Kopf zwei Koffer mit dem Wichtigsten zusammengepackt und waren in Goldbergs Arbeitszimmer geleitet worden, wo bereits Möller und ein Notar warteten.

Die Formalitäten wurden schnell erledigt. Mit dem Vorlesen des Kaufvertrags hielt sich der Notar gar nicht erst auf. Nachdem er das Wesentliche zusammengefasst hatte, schob er erst dem Ehepaar Goldberg, dann dem Ehepaar Möller den Vertrag zur Unterschrift zu.

Zu einem Händedruck, wie er nach einem Vertrag üblicherweise erfolgt, kam es nicht. Goldbergs konnten nicht jemandem die Hand drücken, der ihnen alles geraubt hatte. Und Möller gab einem Juden grundsätzlich nicht die Hand.

In den letzten Jahren hatte sich das Anwesen kaum verändert. Das Haus sah aus wie immer, der Park war gepflegt. Vor dem Gesinde-Haus stand neben der Limousine des Hausherrn ein zweiter Mercedes-Benz, ein cremefarbenes Cabriolet. Otto Polenz, der Chauffeur, wedelte mit einem Federwisch an ihm herum, als ob es auch nur ein Staubkörnchen zu entfernen gegeben hätte.

Das Eingangsportal öffnete sich, und eine Dame trat heraus, blieb einen Augenblick auf dem Podest stehen und ging langsam die Stufen hinab, während sich das Cabriolet in Bewegung setzte. Als es vorgefahren war, stieg Otto aus dem Wagen und hielt seiner Herrin den Wagenschlag auf.

Das schmiedeeiserne Tor öffnete sich, und das Auto verschwand.

Hier also sollte sie das kommende Jahr verbringen. Das war schon merkwürdig. Von ihrem einfachen, ja fast armseligen Bauernhaus in dieses Schloss.

Sie ging durch das sich schließende Tor.

Eine Frau, Elisabeth schätzte sie auf Ende dreißig, kam ihr entgegen.

„Sie sind sicher die Neue“, sagte sie und streckte ihr die Hand entgegen.

„Es wird Ihnen hier gefallen – wenn Sie sich erst einmal eingewöhnt haben.“

Elisabeth nickte.

Sie verließen die Auffahrt und gingen an den Garagen vorbei.

„Das müssen Sie sich merken: Nie, aber auch nie dürfen Sie durch den Haupteingang das Haus betreten oder verlassen. Außer Sie werden dazu extra aufgefordert.“

Aufmerksam sah Polenz ihnen nach.

„Vor dem müssen Sie sich hüten. Der steigt jedem Weiberrock nach. Wenn man ihn lässt. Aber ich halte meine Hand drüber.“

Die beiden Frauen betraten durch einen ebenerdigen Seiteneingang das Haus. Sie kamen in einen kleinen Flur, von dem mehrere Türen abgingen und am Ende eine Treppe in das Obergeschoss führte.

„Wir gehen am besten erst einmal nach oben in Ihr Zimmer, und dann zeige ich Ihnen das Haus“, schlug Frau Polenz vor. „Übrigens, ich heiße Gertrud.“

„Ich bin Elisabeth“, stellte sich Elisabeth vor.

Gemeinsam stiegen sie die breite Treppe empor und durchschritten wieder einen langen Flur, von dem ebenfalls einige Türen abgingen.

„Hier sind die Schlafräume und Badezimmer. Und die Kinderzimmer natürlich“, erklärte Gertrud.

„Wie viele Kinder haben Möllers?“, wollte Elisabeth wissen.

„Vorerst eins, einen Jungen, Peter“, war die knappe Antwort.

Sie hatten das Ende des Flures erreicht und stiegen die jetzt schmalere Treppe hintereinander hoch. Sie mündete in einen langen Flur, von dem links und rechts Türen abgingen.

„Das ist Ihr Zimmer“, sagte Gertrud und öffnete eine der Türen.

Sie betraten einen freundlichen, lichtdurchfluteten Raum, ausgestattet mit allem, was sich eine junge Frau nur wünschen konnte.

An der rechten Wand stand das Bett mit weiß lackiertem schmiedeeisernem Kopf- und Fußteil. Daneben ein Nachttisch, ebenfalls weiß lackiert, mit einer rosafarbenen Marmorplatte. Ebenfalls weiß war der Kleiderschrank gegenüber. Ein kleiner Sekretär und Korbsessel komplettierten die Einrichtung.

An den Wänden hingen zwei kleine Aquarelle, eine Heidelandschaft, ausgefahrener Sandweg, gesäumt von schlanken Birken, und eine Dünenlandschaft, eine Wanderdüne, wohl in Hinterpommern, die ein Dorf verschluckt hatte. Nur der Kirchturm und die Wipfel einiger Kiefern ragten aus dem Sand. Golden angestrahlt, wirkte das Bild ungeheuer friedlich und ließ nichts von dem aussichtslosen Kampf der Dorfbewohner ahnen.

Über der Zimmertür hing natürlich das Hitlerbild. Unter dem Schutz des Führers tritt man in den Raum und verlässt ihn, dachte Elisabeth.

Neben dem Schrank hing ein ovaler Spiegel in weißem Rahmen.

Durch die ungewöhnlich großen Mansardenfenster hatte man einen herrlichen Blick auf den Park. Helle Gardinen mit kleinen Röschen schützten den Raum vor der Nachmittagssonne.

„Diese Tür hier“, unterbrach Gertrud die Stille, „führt in Ihr Badezimmer“.

Sie öffnete die Tür, und sie standen tatsächlich in einem kleinen Badezimmer, mit einem WC, einem Waschbecken und einer Badewanne.

Elisabeth konnte so viel Luxus nicht fassen. Und das für eine kleine Haushaltshilfe.

„Hat der Chef erst vor kurzem einrichten lassen“, sagte Gertrud mit einem vielsagenden Blick, den Elisabeth sich nicht erklären konnte.

„Und wer wohnt sonst hier?“, fragte sie.

„Niemand. Die Köchin kommt morgens und geht abends. Außer wenn Möllers eine Gesellschaft geben. Dann geht sie erst nach dem Abendessen. Sie werden also von niemandem gestört. Hier oben.“

Gertrud führte Elisabeth durch die obere Etage. Alle Räume waren groß, hell, luxuriös eingerichtet. Erstaunlich fand Elisabeth, dass die Eheleute getrennte Schlafzimmer hatten. Aber bei dem Beruf ihres neuen Arbeitgebers war das vielleicht verständlich. So störte er seine Frau nicht, wenn er erst spät in der Nacht nach Hause kam oder das Haus verlassen musste. Vielleicht schnarchte er auch, und man hatte sich auf gelegentliche Besuche geeinigt, die dann ganz der Fortpflanzung gewidmet waren, wie Elisabeth vermutete.

Das Kinderzimmer war, wie sie es erwartet hatte, nur etwas teurer möbliert.

Auffällig war das Spielzeug. Kuscheltiere suchte Elisabeth vergebens. Überall nur militärisches Spielzeug. Panzer und Militärlaster aus Holz, Bleisoldaten und Geschütze waren in einem Regal aufgereiht. Nichts lag auf dem Boden. Man hatte den Eindruck, hier wurde nicht gespielt.

Gertrud sah Elisabeths fragenden Blick.

„Ja, er ist zwei Jahre alt. Da spielt man noch nicht mit Soldaten. Aber Herr Möller meint, es ist besser, die Jungen lernen rechtzeitig ihre Aufgabe im späteren Leben kennen.“

Ein Geräusch unterbrach die Frauen in ihren Betrachtungen. Eine schwarze Limousine war vor dem Portal vorgefahren. Der Fahrer sprang heraus, öffnete einem Mann in SS-Uniform den hinteren Wagenschlag und salutierte.

„Das ist er“, sagte Gertrud. „Lass uns nach unten gehen. Er wird dich sicher bald sehen wollen.“

Erst jetzt fiel Elisabeth auf, dass sie geduzt worden war. Wenn das hier so üblich war, sie hätte nichts dagegen.

Sie betraten die Halle durch einen kleinen Raum, der an die Küche und den Hauswirtschaftsraum angrenzte. Elisabeth staunte.

Die Halle war gigantisch. Gewaltige Kristalllüster hingen von der Decke herunter. An den Wänden drängten sich großformatige Portraits von irgendwelchen Männern und Frauen, mit denen Elisabeth aber nichts anfangen konnte. Nur zwei kannte sie, das von Hitler und das von Friedrich dem Großen.

Die Möblierung war sparsam, aber geschmackvoll. Außer zwei Kommoden Louis Seize stand in dem riesigen Raum nur eine Sitzgarnitur, auch aus der Zeit.

Eine zweiflügelige Tür führte zu dem angrenzenden Salon.

Gertrud Polenz klopfte, und nach wenigen Augenblicken ertönte ein lautes „Herein“.

Alles in diesem Haus schien gewaltig zu sein. Die riesigen Vitrinenschränke reichten fast bis an die Decke. Sie waren gefüllt mit Porzellan, nicht Elisabeths Geschmack, aber wertvoll war es sicher.

Das Ehepaar Möller saß in der Sofaecke und schien gelesen zu haben. Der ‚Völkische Beobachter’ lag auf dem Tisch, als hätte man gerade die Lektüre unterbrochen und wollte sie gleich wieder fortsetzen.

Immer wieder hatte sich Elisabeth überlegt, wie sie die Möllers begrüßen sollte. Mit dem ‚Deutschen Gruß’, wie man es bei Nazi-Größen besser tun sollte, oder mit einem Knicks, der ihr in ihrer Stellung angemessener vorkam. Sie war noch zu keinem Entschluss gekommen, doch nun musste sie handeln.

Sie machte einen Knicks. Und wurde über und über rot.

„Ich habe Ihren Lebenslauf und Ihre Ahnentafel gelesen. Klingt alles ganz positiv. Frau Polenz hat Ihnen sicher schon alles gezeigt und Sie mit Ihren Aufgaben vertraut gemacht.“

Damit war das Gespräch beendet.

Heinrich Möller widmete sich wieder der Zeitung.

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