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16. Kapitel

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Friedrichshagen, 16. Oktober 1936

Es gab nichts mehr in Elisabeths Leben, über das sie sich beklagen konnte. Der Vater, der sie all die Jahre gequält hatte, war den größten Teil der Woche nicht da, kam nur am Wochenende. Und das auch nicht immer. Und wenn er kam, war er meistens gut gelaunt. Seine Arbeit schien ihm Spaß zu machen. Manchmal lachte er ganz unvermittelt, wenn er an ein komisches Erlebnis dachte.

Auch ihre Mutter war freundlicher geworden, nachdem sie die Sorgen mit ihrem Mann nicht mehr hatte. Es konnte sogar passieren, dass sie ihre Tochter mal in den Arm nahm, wenn sie etwas ganz besonders gut gemacht hatte, ein Deckchen sauber gestickt, eine Bordüre akkurat gehäkelt hatte - zum Beispiel.

„Das hätte ich nicht besser machen können“, sagte sie dann immer und strich Elisabeth über das Haar.

Ihr ältester Bruder, der Kurt, war zur Wehrmacht einberufen worden. Er konnte sie nicht mehr schikanieren.

Als er das erste Mal Urlaub bekommen hatte, tat er etwas, was er noch nie getan hatte. Er stand vor seiner kleinen Schwester und sah sie lange an. Elisabeth fürchtete schon, er würde sich wieder irgendetwas Gemeines ausdenken, als er plötzlich strahlte und auf sie zuging.

„Mann, bist du groß geworden“, sagte er, „beinahe erwachsen“.

Als sie rot wurde, gab er ihr einen flüchtigen Kuss auf die Haare und drehte sich um.

Ihr Bruder Gerhard versorgte jetzt den Hof. Nachdem der Vater nicht mehr da war, hatte er richtiges Interesse an der Landwirtschaft entwickelt. Er, der früher fast aus dem Bett geprügelt werden musste, stand freiwillig um vier Uhr auf, versorgte die Tiere, mistete den Stall aus und arbeitete für zwei. Vom Arbeitsdienst war er freigestellt worden, und auch zur Wehrmacht würde er nicht eingezogen werden.

Die Zwillinge, ihre jüngsten Brüder, hatten ihr niemals Schwierigkeiten gemacht, schon gar nicht, nachdem sie im Jungvolk waren.

Und jetzt war Elisabeth endlich alt genug, um in den Bund deutscher Mädel aufgenommen zu werden.

Schon lange war sie sich viel zu alt für den Kindergarten vorgekommen, wie sie die Jungmädel nannte.

„Fehlt nur, dass wir Märchen vorgelesen bekommen“, sagte sie mal, als sie sich besonders geärgert hatte.

Zwar gab es auch im BDM die langweiligen Heimabende mit Handarbeiten, mit dem Einkassieren von Beiträgen und dem Einpauken von Liedertexten. Und mit der politische Schulung, die sich zäh wie Kleister hinzog.

Anfangs hatte sich Elisabeth eifrig beteiligt. Aber dann begann sie sich zu langweilen und saß die Zeit nur ab.

Aber da waren auch die Wochenendfahrten mit Übernachtungen in Jugendherbergen oder Heuschobern, mit Lagerfeuern, Geländespielen, Wandern und Sport.

Und manchmal gemeinsame Freizeiten mit Jungen. Die waren besonders schön.

Erst musste man die Leiterinnen und Leiter überlisten. Wenn es noch hell war, war das schwer. Erst in der Nacht war es leicht. Dann saßen sie meistens pärchenweise am Fluss oder Strand, hatten kleine Feuer entzündet, hielten sich umschlungen, natürlich nur um sich zusätzlich zu wärmen. Starrten in die Feuer und hatten keinen Blick für irgendetwas außerhalb des Feuerscheins. Standen auch mal auf, unbemerkt von den anderen, verloren sich im Dunkel des Strandes oder Ufers.

Das war die Stunde der aufkeimenden Liebe.

Und sie nutzten sie.

Auch Elisabeth.

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