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15. Kapitel

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Friedrichshagen, 1933

Die folgenden Jahre waren die glücklichsten im Leben Elisabeths. Ihr Vater war während der Woche bei der Arbeit, wie die Mutter sagte. Welche Arbeit das war, wusste Elisabeth nicht. Als sie mal danach fragte, sagte man ihr nur, es sei eine ganz wichtige Arbeit. Der Vater passe auf, dass keine Verräter den Führer und seine schwierige Arbeit bedrohten. Und sie könne stolz darauf sein, so einen Vater zu haben. Nur wenige Kinder hätten solch einen Vater. Denn der Führer wähle sehr streng aus, wer ihm dienen dürfe.

Das sagte auch ihr Lehrer.

Elisabeth schwoll das Herz vor Stolz.

Nur einmal kam sie zornentbrannt nach Hause.

Der Lehrer hatte am Beispiel ihres Stammbaums deutlich gemacht, wie wichtig es sei, einen reinen Stammbaum zu haben und darauf zu achten, dass er nicht durch artfremdes Blut beschmutzt würde.

Da war der Hans Isert aufgesprungen.

„Das ist doch alles Quatsch! Reines Blut! Unreines Blut! So ein Blödsinn!“, hatte er in die Klasse gerufen, seinen Stammbaum zerrissen und auf die Erde geworfen.

Zehn Stockschläge hatte er dafür bekommen. Doch er hatte nicht geweint.

Als Elisabeth das ihrer Mutter erzählte, meinte sie nur: „Das musst du morgen deinem Vater erzählen, wenn er wieder nach Hause kommt.“

Noch am Sonnabend wurde Herr Isert abgeholt.

Man hätte ihn schon lange im Verdacht gehabt, sagte ihr Vater.

Trotzdem, so ganz wohl fühlte sich Elisabeth nicht in ihrer Haut. Natürlich hatte Hans selbst Schuld, wenn sie seinen Vater abgeholt hatten, aber irgendwie kam sie sich doch ein klein wenig schuldig vor. Sie hatte gepetzt. Und Herr Isert war abgeholt worden.

Nach ein paar Tagen war er wieder frei. Er war kaum wieder zu erkennen. Wenn jemand auf ihn zuging, wich er aus oder ging gar auf die andere Straßenseite.

Seine Arbeit hatte er verloren.

„Isert“, hatte sein Chef gesagt, „Sie wissen, dass ich Sie immer geschätzt habe, aber ich kann Sie nicht mehr beschäftigen. Man hat es mir unmissverständlich klar gemacht. Versuchen Sie es doch in Berlin.“

Wenn Frau Isert in den Kolonialwarenladen Hencke & Sohn kam, verstummten die Gespräche, und sie wurde nicht bedient, auch wenn sie an der Reihe war.

Einmal sagte Frau Hencke, als niemand sonst im Laden war: „Ich würde Sie ja gerne weiter bedienen, ich habe wirklich nichts gegen Sie. Und Sie können ja auch nichts für Ihren Mann. Aber mein Mann hat es mir verboten.“

Hans Isert musste sich auf eine einzelne Bank in der hintersten Ecke des Klassenraumes setzen. Niemand sprach mit ihm. Auch nicht sein bester Freund. Er sah ihn nicht einmal mehr an.

In den Pausen blieb Hans im Klassenraum. Aus Angst, verprügelt zu werden. Erst hatte der Lehrer ihn auf den Schulhof geschickt, doch dann hatte er Mitleid.

„Er hat das zu Hause gelernt. Dafür kann er nichts. Und sein Vater hat sich wohl gebessert, habe ich gehört.“

Zwei Wochen später verließ die Familie Friedrichshagen. Sie wollte nach Berlin ziehen, hieß es. Ob sie es wirklich tat, wusste keiner. Man fragte auch nicht nach. Es war schließlich nicht wichtig. Und man wollte sich auch keine Unannehmlichkeiten schaffen.

***

Viel interessanter waren die Bauarbeiten in Oranienburg.

Keiner wusste Genaueres. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man, es sollte ein Rüstungsbetrieb angesiedelt werden. Andere vermuteten ein Umerziehungslager.

Über eins wenigstens war man sich einig. Die Baustelle würde viele Arbeiter brauchen. Und da würde man sich bewerben können.

An einem warmen Spätsommertag versuchten zwei Freunde ihr Glück. Sie kamen nur bis zum Zaun. Drei SS-Männer traten ihnen entgegen, nahmen sie in ihre Mitte und brachten sie in die erste fertig gestellte Baracke.

Sie wurden in einen gestreiften Drillich gesteckt und einem SS-Mann übergeben, der einen Trupp Häftlinge beaufsichtigte.

Am nächsten Abend wurden sie zur Lagerleitung kommandiert.

An einem Schreibtisch saß ein Untersturmführer. Die Füße hatte er auf die Tischplatte gelegt, die Mütze tief ins Gesicht geschoben. Er schien zu schlafen.

Unschlüssig standen die Männer vor dem Schreibtisch, da bewegte sich der Mann.

„Ist euer Wissensdurst gestillt, oder möchtet Ihr noch etwas bei uns bleiben?“, fragte er.

Er nahm einen Aktendeckel vom Schreibtisch, schlug ihn auf und entnahm ihm einen Zettel. Lange sah er darauf, legte seine Stirn in Falten und fixierte die beiden.

„Wenn Ihr noch einmal neugierig seid, kommt Ihr hier nicht vor zwei Jahren raus, das verspreche ich Euch. Und nun haut ab!“

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