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7. Kapitel

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Dollien, 19. Dezember 1914

Liebste Freundin!

Nun nähert sich das erste Jahr dieses entsetzlichen Krieges seinem Ende. Obgleich weit ab von der Front, gewinnt er doch immer mehr Einfluss auf unser Leben. Wenn man durch die Königstraße geht, sieht man immer weniger Männer in ihren Geschäften. Die Frauen, die zuvor es abgelehnt hatten, hinter der Ladentheke zu stehen und ihre Kundschaft zu bedienen, haben sich mit ihrem Schicksal arrangieren müssen. Aber weißt Du, was das Fürchterlichste ist, sie hadern mit ihrem Schicksal, weil sie diese Arbeit verrichten müssen. Nicht weil ihre Männer an der Front sind.

Front. - Man gebraucht dieses Wort so leicht.

Ich habe mir nie vorstellen können, was es bedeutet. Erst als mir zwei junge Bauernsöhne aus unseren Dörfern berichtet haben, die bei Langemarck schwer verwundet und vor wenigen Tagen auf Genesungsurlaub nach Hause geschickt worden waren, habe ich angefangen zu ahnen. Ich glaube, ich werde Ludwig mal auf einen Besuch mitnehmen. Auf einmal redet er immer öfter davon, dass auch er sich freiwillig melden will. Alles, was er früher gesagt hatte, zählt nicht mehr. Er soll sich anhören, was diese jungen Krüppel – Männer kann man wirklich nicht mehr sagen – zu erzählen haben. Und er soll sie sehen!

Mein Gott, wenn ich daran denke, wie begeistert sie noch vor wenigen Wochen waren!

Ich sagte es ihnen. Weißt Du, was sie antworteten?

Wir waren dumm. Angestachelt von unserem Lehrer. Wir wussten doch gar nicht, worum es ging und was Krieg bedeutet. Wir sollen ‚Deutschland, Deutschland über alles’ bei unserem Angriff gesungen haben? Uns war nicht nach Singen zumute. Gestürmt sollen wir sein? Wir hatten nur die Wahl, von vorne vom Feind oder von hinten von unseren Offizieren erschossen zu werden. Da war der Feind noch besser. Den konnte man wenigstens manchmal sehen.“

Bettina hat sich entschieden. Sie ist nach Berlin gegangen. Sie will Krankenschwester werden.

Überall an der Front werden in den Lazaretts Krankenschwestern gebraucht. Ich will helfen, dass ausgebildete Schwestern für die Front frei werden“, hat sie gesagt, hat ihren Koffer gepackt und sich von Walther zum Zug nach Berlin bringen lassen. Ich habe noch nichts von ihr gehört. Sicher wird die Ausbildung anstrengend sein, und sie wird keine Zeit finden, ihrer Mutter zu schreiben. Ich will ihr Schweigen als gutes Zeichen nehmen.

Clementine geht es, wenn ich es richtig beobachte, am besten von uns allen. Unsere kleine Revolutionärin, die schon lange den ganzen Adel abschaffen wollte, hat sich verliebt. Sie verbirgt es recht geschickt, aber ich sehe die kleinen Anzeichen, die heimlichen Blicke, die sie Max von Walther bei Tisch zuwirft. Und wenn sie ihn bittet, ihr irgendetwas zu erklären, das sie bisher nie interessiert hat, fragt sie immer wieder nach. Aber nur so oft, dass er nicht denken müsste, sie wäre dumm. Das hat sie sehr genau im Gespür.

Letztens hat Max von Walther meinem Vater gegenüber eine Andeutung gemacht, wollte wohl erst das Terrain abklären. Der alte Herr hat sich erstaunlicherweise sehr diplomatisch verhalten. Max müsse die Mutter – und vor allem Clementine selbst fragen.

Ich denke mal, er wird es Weihnachten oder Silvester tun.

Die Zeit könnte günstiger sein. Aber gerade in dieser Zeit braucht man Halt.

Ich wünsche Dir und Deinen Lieben alles Gute und grüße Dich ganz herzlich,

Deine

Luise

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