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1. Sofortmaßnahmen des Insolvenzverwalters
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Der Insolvenzverwalter, der gemäß § 80 Abs. 1 InsO mit Verfahrenseröffnung die Vermögensmasse des Schuldners zu verwalten hat, muss umgehend eine Bestandsaufnahme machen, indem er das Vermögen in Besitz und Verwaltung nimmt, sichert und inventarisiert, §§ 148, 151 InsO. Die Besitzergreifung vollzieht sich nicht kraft Gesetzes, sondern setzt die Erlangung der tatsächlichen Gewalt durch den Insolvenzverwalter voraus[36]. Der Insolvenzverwalter ist gem. § 148 Abs. 1 InsO grundsätzlich zur Inbesitznahme verpflichtet. Er darf davon aber absehen, wenn die Belassung an Ort und Stelle die Befriedigung der Gläubiger nicht gefährdet[37] oder die Inbesitznahme zu einer vermeidbaren Massehaftung führen würde, beispielsweise wegen drohender Zustandshaftung bei kontaminierten Grundstücken oder in Stand zu setzender Mieträume.
Die Inbesitznahme ist gegebenenfalls zwangsweise durchzusetzen, wobei der Eröffnungsbeschluss als Titel im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr 3 ZPO dient (vgl § 148 Abs. 2 S. 1 InsO). Die Verwaltungstätigkeit besteht ua in der Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflichten, Prüfung und Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes, Klärung der Bankbeziehungen und natürlich Fortführung eines Geschäftsbetriebs nebst den damit verbundenen Tätigkeiten und Rechtsgeschäften.
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Bis zur ersten Gläubigerversammlung, dem sog. Berichtstermin (§§ 29 Abs. 1 Nr 1, 156 InsO), hat der Insolvenzverwalter einen Bericht anzufertigen, diesem ein Masseverzeichnis mit Wertangaben (§ 151 InsO), ein Gläubiger- und Schuldnerverzeichnis (§ 152 InsO) sowie eine Vermögensübersicht (§ 153 InsO) beizufügen, die eine Woche vor dem Termin beim Insolvenzgericht einzureichen und dort zur Einsicht niederzulegen sind, § 154 InsO. Bei der Erstellung dieser Verzeichnisse soll er jeweils den Schuldner zur Aufklärung und Mitwirkung heranziehen (§§ 97, 151 Abs. 1 S. 2, 152 Abs. 1, 153 Abs. 2 InsO), um die wirtschaftlichen Verhältnisse möglichst vollständig zu erfassen (s Rn 180 f).
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Gemäß § 151 Abs. 3 InsO ist eine Bewertung der Massegegenstände anhand der zu ermittelnden Veräußerungs- und Fortführungswerte (vgl dazu Rn 130 f) erforderlich, damit Gläubigerausschuss oder Gläubigerversammlung über die Frage der Betriebsfortführung entscheiden kann. Gehört zur Masse ein Geschäftsbetrieb, wird der Insolvenzverwalter nach Sachstandsaufnahme einen sog. Insolvenzverwerter einschalten, der ein detailliertes Wertgutachten erstellt, in dem jeder Einzelgegenstand mit beiden Wertansätzen (vgl § 151 Abs. 2 S. 2 InsO) erfasst wird. Bei komplexen Bewertungsfragen, beispielsweise bei Markenrechten, Patenten, Kunstwerken oder Gebäuden, kann ein entsprechender Sachverständiger herangezogen werden, § 151 Abs. 2 S. 3 InsO. Im Masseverzeichnis und in der Vermögensübersicht sind alle vorhandenen Gegenstände zu erfassen und zu bewerten, wobei bereits bekannte Drittrechte, die an den Vermögensgegenständen bestehen, anzugeben sind. Aufgrund des täglich wachsenden Erkenntnisstandes in Bezug auf diese Umstände, stellen die angelegten Verzeichnisse nur eine Momentaufnahme zum Stichtag der Verfahrenseröffnung dar und sind im Laufe des Verfahrens kontinuierlich zu aktualisieren.
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Da die handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners gemäß § 155 InsO ebenfalls auf den Insolvenzverwalter übergehen, hat er sofort eine eigene Buchhaltung für die von ihm verwaltete Insolvenzmasse einzurichten und eine Eröffnungsbilanz zu erstellen. Weil mit der Verfahrenseröffnung ein neues Geschäftsjahr beginnt (§ 155 Abs. 2 S. 1 InsO), muss er im Abwicklungszeitraum regelmäßig Jahresabschlüsse und Steuererklärungen erstellen und die Abschlüsse nach Maßgabe des EHUG publizieren[38]. War der Schuldner umsatzsteuerpflichtig, so tätigt der Insolvenzverwalter ebenso durch sein Handeln für die Masse umsatzsteuerpflichtige Umsätze, für die jeweils zum Zehnten des Folgemonats Voranmeldungen abzugeben und die Umsatzsteuern abzuführen sind.
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Der Insolvenzverwalter tritt umfassend in die Rolle des Arbeitgebers ein[39] (s Rn 544 ff). Sind Arbeitnehmer beschäftigt, ist er ferner für die Anmeldung und Abführung von Sozialbeiträgen, Lohn- und Kirchensteuer verantwortlich. Für diese Tätigkeiten wird ihm in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter des Schuldners von der Finanzverwaltung nach Verfahrenseröffnung eine eigene Steuernummer zugeteilt. Entsprechendes gilt für die Betriebsnummer, die für die Sozialversicherungsanmeldungen benötigt wird. Verfügt der schuldnerische Betrieb über eigenes Buchhaltungspersonal, empfiehlt sich vorerst dessen Weiterbeschäftigung, wenn dies finanziell möglich ist. Hatte der Schuldner seine Buchhaltungs- und Abschlussarbeiten an einen Steuerberater übertragen, kann der Insolvenzverwalter diese Arbeiten auf Kosten der Masse (sofern vorhanden) delegieren, im Übrigen nur dann, wenn diese Tätigkeiten (wie fast immer) Kenntnisse erfordern, die über das bei jedem Bürger vorhandene Maß hinausgehen[40].
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Der Insolvenzverwalter wird umgehend Kontakt mit den involvierten Banken aufnehmen, um diese durch entsprechende Inkenntnissetzung vom laufenden Insolvenzverfahren „bösgläubig“ im Sinne der §§ 130, 131 InsO zu machen. Darüber hinaus wird er bei der Bank dann schnellstmöglich das Konto des Schuldners sperren lassen und die Kontenbewegungen der letzten Monate im Hinblick auf anfechtbare Rechtshandlungen bzw unzulässige Verrechnungen (siehe Rn 619) durchsehen. Bei seiner eigenen Bank muss der Insolvenzverwalter ein gesondertes Treuhandkonto für das Verfahren eröffnen, auf das Guthaben auf den Konten des Schuldners sowie die Forderungen gegen Drittschuldner eingezogen werden. Diese Kontoverbindung ist allen Drittschuldnern mitzuteilen, obwohl kein Rechtsverlust droht, da die Zahlungseingänge auf den bisherigen Schuldnerkonten an den Insolvenzverwalter ausgekehrt werden und Leistungen der Drittschuldner an den Schuldner sie nach der öffentlichen Bekanntmachung des Verfahrens nur selten befreien, § 82 S. 2 InsO.
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Ferner hat der Insolvenzverwalter die laufenden Rechtsstreitigkeiten im Hinblick auf §§ 85 f InsO (vgl dazu Rn 350 ff) zu erfassen und die vorhandenen Verträge im Hinblick auf §§ 103 ff InsO (vgl dazu Rn 461) zu überprüfen. Eine Liste mit den Daten und Kündigungsfristen der Arbeitnehmer ist zur Prüfung der Kündigungsmöglichkeiten (§ 113 InsO; vgl dazu Rn 551 ff) erforderlich, gegebenenfalls sind umgehend Kündigungen oder Freistellungen auszusprechen (vgl dazu Rn 402). Schließlich muss der Verwalter die Verdienstbescheinigungen für die Insolvenzgeldanträge ausstellen, damit die Arbeitnehmer ihre Insolvenzgeldansprüche durchsetzen können.
§ 5 Die Rechtswirkungen der Insolvenzeröffnung › II. Die Verfahrenseröffnung aus Sicht des Insolvenzverwalters › 2. Rechtliche Stellung des Insolvenzverwalters