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2. Vermögensrechtliche Auswirkungen der Verfahrenseröffnung

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Um eine funktionsgerechte Verwaltung und Verteilung der Masse im Sinne der Gläubigerbefriedigung zu gewährleisten, muss jegliche Einflussnahmemöglichkeit des Schuldners auf die Insolvenzmasse (vgl § 35 InsO) ausgeschaltet werden[15]. Dies erfolgt vor allem durch § 80 Abs. 1 InsO, der anordnet, dass der Schuldner mit der rechtskräftigen Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen verliert. Sie geht kraft Gesetzes auf den Insolvenzverwalter als Exekutivorgan des Insolvenzverfahrens über. Damit wird das gesamte In- und Auslandsvermögen[16] des Schuldners vom Insolvenzbeschlag erfasst und steht künftig als sog. Insolvenzmasse (vgl § 35 InsO sowie § 6) als Haftungsobjekt zur insolvenzkonformen Befriedigung der Gläubigeransprüche zur Verfügung. Der Insolvenzbeschlag, mit dem sich die haftungsrechtliche Zuweisung der Insolvenzmasse an die Gläubiger vollzieht[17], hat gemäß § 81 InsO grundsätzlich die absolute (schwebende) Unwirksamkeit von Verfügungen über Massegegenstände zur Folge (dazuRn 308 ff). Dieser Schutz der Masse wird durch die in §§ 88, 89, 91 InsO enthaltenen Regelungen abgerundet (vgl dazu Rn 319 ff).

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In rechtlicher Hinsicht ist zu beachten, dass sich das Insolvenzverfahren (anders als ein Zivilprozess) nicht auf den Schuldner als Rechtssubjekt bezieht, sondern auf eine Vermögensmasse, nämlich das Vermögen des Schuldners[18]. Der Schuldner behält also trotz der Insolvenzeröffnung seine Rechts-, Geschäfts- und Parteifähigkeit[19]. Insbesondere bleibt er Eigentümer der Massegegenstände und Inhaber seiner Forderungen. Der Schuldner kann auch weiterhin Verbindlichkeiten begründen, deren Erfüllung er jedoch persönlich schuldet, denn die Insolvenzmasse kann gem. § 55 Abs. 1 InsO nur durch Handlungen des Insolvenzverwalters verpflichtet werden (siehe sogleich Rn 187)[20]. Als Insolvenzforderungen mit Quotenaussicht sind diese Forderungen ebenfalls nicht anzusehen, da hierfür gemäß § 38 InsO der Tag der Antragstellung als Stichtag gilt (siehe Rn 372). Ein Gläubigerzugriff für die durch den Schuldner nach Antragstellung begründeten Verbindlichkeiten ist also nur auf das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners möglich (vgl §§ 36, 35 Abs. 2 InsO; dazu ausführlich Rn 258 ff).

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Der Schuldner verliert hingegen die prozessuale und materielle Rechtsausübungsmacht bezüglich seines Vermögens, nämlich die Prozessführungsbefugnis sowie die materiellrechtliche Verfügungsbefugnis[21]. Beide werden gemäß § 80 Abs. 1 InsO künftig vom Insolvenzverwalter ausgeübt, soweit die betroffene Rechtsposition dem Insolvenzbeschlag unterliegt[22]. Ferner geht als Ausfluss des § 55 Abs. 1 InsO die (als eigenständige Kategorie anzuerkennende[23]) Verpflichtungsbefugnis bezüglich der Insolvenzmasse auf den Insolvenzverwalter über, so dass künftig nur noch dieser berechtigt und in der Lage ist, Forderungen gegen die Masse zu begründen. Die Insolvenzeröffnung hat also lediglich eine Sicherung der Rechtsausübungsbefugnisse durch deren vorübergehende Abspaltung auf den Insolvenzverwalter zur Folge, keine Änderung der Rechtszuordnung.

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In tatsächlicher Hinsicht sinkt der Schuldner infolge des Insolvenzbeschlags zum mittelbaren Eigenbesitzer herab, während der Insolvenzverwalter nach Besitzergreifung (vgl Rn 194) zum unmittelbaren Fremdbesitzer aller Massegegenstände wird. Ihm stehen dann auch die Besitzschutzansprüche aus §§ 859 ff, 1007 BGB zu.

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Lösung Fall 9 (Rn 175):

G kann den Zahlungsanspruch nur dann gegen IV verfolgen, wenn die Insolvenzmasse wirksam verpflichtet worden ist. Da S durch die Insolvenzeröffnung seine Geschäftsfähigkeit nicht verliert, berührt die in § 81 InsO angeordnete Unwirksamkeit zwar nicht die von ihm abgeschlossenen Verträge. Allerdings entsteht eine Zahlungspflicht gegen die Masse nur durch die Begründung einer sog. Masseverbindlichkeit, vgl § 55 Abs. 1 InsO. Dies setzt rechtsgeschäftliches Handeln des IV oder den Zwangseintritt der Masse in eine bestehende Verpflichtung voraus. Da beides hier nicht erfolgte, kann sich G nur an den S halten, den er auch persönlich verklagen und in dessen insolvenzfreies Vermögen (§§ 36, 35 Abs. 2 InsO) vollstrecken kann.

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Lösung Fall 10 (Rn 176):

Im Fall 10 ist IV an den Inhalt des Schreibens gebunden, wenn die Voraussetzungen des handelsrechtlichen kaufmännischen Bestätigungsschreibens[24] anwendbar sind. Der Schuldner behält während der Dauer der Betriebsfortführung seine handelsrechtliche Kaufmannseigenschaft, der Insolvenzverwalter wird durch die Betriebsfortführung nicht automatisch zum Kaufmann im Sinne von § 1 HGB[25]. Allerdings können die handelsrechtlichen Vorschriften über die Kaufleute während der Betriebsfortführung weiter gelten, soweit die Geschäftspartner darauf vertrauen dürfen, dass der Insolvenzverwalter sich in kaufmännischer Weise verhalten wird[26]. Dies ist nicht automatisch durch die Fortführung eines kaufmännischen Handelsgewerbes indiziert, sondern es ist darauf abzustellen, in welcher Weise der Insolvenzverwalter im Einzelfall aufgetreten ist[27]. Dabei ist zwischen der aktiven Fortführung und dem bloßen Abverkauf beziehungsweise der Ausproduktion von Halbfertigwaren zu unterscheiden. Im konkreten Fall hat IV von V Rohstoffe für die Neuherstellung von Metallfassadenelementen gekauft. Er hat sich also verhalten wie ein Betreiber eines lebenden kaufmännischen Handelsgewerbes. Folglich sind im Fall 10 die handelsrechtlichen Grundsätze des Bestätigungsschreibens zu Lasten des IV anwendbar.

Das Schreiben des V enthält eine Zusammenfassung des wesentlichen Inhalts des mündlichen Vertragsschlusses (sog. deklaratorisches kaufmännisches Bestätigungsschreiben), ist unmittelbar danach abgesandt worden und IV hat hierauf geschwiegen; er hätte dafür sorgen müssen, dass ihm solche Schreiben unverzüglich vorgelegt werden. Folglich gilt der 30%ige Nachlass erst ab einem Bestellwert von € 100 000, aufgrund des Schweigens des IV, sogar selbst für den Fall, dass der Nachlass tatsächlich für sämtliche Bestellungen vereinbart wurde. V kann also im Fall 10 von IV die volle Bezahlung der gelieferten Aluminiumbleche in Höhe von € 75 000 verlangen. Die beim Landgericht angesiedelte Kammer für Handelssachen ist gem. § 94 GVG ua zuständig, wenn die Streitsache eine Klage gegen einen Kaufmann aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft beinhaltet und die Kaufmannseigenschaft noch zum Zeitpunkt der Klageerhebung gegeben ist[28]. Nach herrschender Auffassung sei dies für den Insolvenzverwalter stets abzulehnen; dies ist jedoch abzulehnen, da der Streitgegenstand ein Handelsgeschäft ist und der Insolvenzverwalter den Prozess nicht für sich führt.

§ 5 Die Rechtswirkungen der Insolvenzeröffnung › I. Die Verfahrenseröffnung aus Sicht des Schuldners › 3. Gesellschaftsrechtliche Auswirkungen

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