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1. Allgemeine Auswirkungen der Verfahrenseröffnung
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Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehen die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners auf den Insolvenzverwalter über, § 80 InsO (dazu sogleich Rn 185 ff). Da der Schuldner seine Vermögensverhältnisse selbst am besten kennt, ist der Insolvenzverwalter auf dessen Mitwirkung im eröffneten Verfahren angewiesen. Der Gesetzesgeber hat dazu in § 97 Abs. 1 InsO eine umfassende Auskunftspflicht des Insolvenzschuldners gegenüber allen Verfahrensbeteiligten normiert, die gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 InsO bereits im Eröffnungsverfahren besteht. Dabei muss der Schuldner (oder der Geschäftsführer) Umstände, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sein können, ungefragt von sich aus offenbaren, wenn sie für den Insolvenzverwalter nicht klar zutage liegen. Da nicht nur Angaben zu den Ursachen der Insolvenz, sondern auch zu Vermögenswerten geschuldet werden, ist der Geschäftsleiter einer juristischen Person auch zur Offenlegung von Umständen verpflichtet, aus denen sich Haftungsansprüche gegen ihn persönlich ergeben können (zB § 64 GmbHG); er muss allerdings keine Auskunft über seine persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse erteilen[1].
Außerdem muss sich der Auskunftspflichtige für den Insolvenzverwalter jederzeit bereithalten (§ 97 Abs. 3 InsO) und diesen bei der Inbesitznahme und Verwaltung der Masse unterstützen (§ 97 Abs. 2 InsO, vgl auch §§ 151 Abs. 1 S. 2, 153 Abs. 2 InsO), beispielsweise durch Erteilung einer Auslandsvollmacht[2]. Falls erforderlich, wird ihm die Versicherung der Richtigkeit seiner Angaben über die Vermögensverhältnisse an Eides Statt aufgegeben, § 98 Abs. 1 InsO, im Falle der Weigerung kann er bei Gericht vorgeführt oder sogar inhaftiert werden, § 98 Abs. 2, 3 InsO. Zu beachten ist § 101 InsO, wonach die aufgeführten Regelungen unter anderem auch für die GmbH-Geschäftsführer der letzten beiden Jahre gelten.
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Problematisch ist das in § 97 Abs. 1 S. 2 InsO normierte Selbstbezichtigungsgebot, denn der Schuldner liefert damit den Ermittlungsbehörden, die die Insolvenzakten regelmäßig lesen, erhebliches Belastungsmaterial gegen sich selbst, vor allem in Bezug auf die Insolvenzstraftaten (§§ 283 ff StGB, § 15a Abs. 3, 4 InsO). Um die Auskunftsfreudigkeit des Schuldners zu steigern, hat man daher ein strafprozessuales Beweisverwertungsverbot für Offenbarungen gegenüber den in § 97 Abs. 1 S. 1 InsO Genannten eingeführt, § 97 Abs. 1 S. 3 InsO. Über dessen Reichweite besteht hingegen wenig Einigkeit, insbesondere zu der Frage, ob hiervon eine Fernwirkung im Sinne der „Theorie der Früchte des verbotenen Baumes“[3] für Informationen ausgeht[4], zu denen die Auskünfte des Schuldners den Weg gewiesen haben; dies wird von der Rechtsprechung mitunter bejaht[5]. Einigkeit besteht jedenfalls darin, dass offenkundige oder bei den Ermittlungsbehörden bereits bekannte Tatsachen und der Inhalt der kraft Gesetzes zu führenden Geschäftsunterlagen unbeschadet des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO verwertet werden dürfen[6]. Gewichtet man die effektive Abwicklung von Insolvenzverfahren höher als das Interesse an Strafverfolgung, ist es naheliegend, die Vorschrift als umfassendes Beweisverwendungsverbot mit Fernwirkung zu verstehen; dabei muss man aber verhindern, dass der Schuldner durch gezielte Aussage gegenüber den in § 97 Abs. 1 S. 1 InsO Genannten sich der Bestrafung entziehen kann[7].
Sehr problematisch ist, dass die Rechtsprechung zu Lasten des Schuldners alle diejenigen selbstbelastenden Angaben für verwertbar hält, die er gegenüber dem (isolierten) Gutachter im Insolvenzeröffnungsverfahren gemacht hat, da dieser in § 97 Abs. 1 S. 1 InsO nicht genannt ist; diese Informationen können durch Verlesung in den Prozess eingeführt werden. Der Schuldner kann aber (ohne spezifische Belehrung) vielfach nicht zwischen einem isolierten Gutachter und einem vorläufigen Insolvenzverwalter unterscheiden, zudem bekleidet dieser häufig beide Ämter gleichzeitig (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr 3 Hs 2 InsO). Unterlagen, die der Schuldner dem Gutachter überlässt, sind aber in jedem Fall verwertbar, da sich das Verwertungsverbot gemäß § 97 Abs. 1 InsO explizit nur auf Angaben bezieht, Unterlagen aber unter § 97 Abs. 2 InsO fallen[8]. In der Praxis wird der Insolvenzverwalter von den Ermittlungsbehörden formularmäßig zu seinen Erkenntnissen befragt; dabei ist im Hinblick auf § 97 Abs. 1 S. 3 InsO anzugeben, welche Kenntnisse erst durch Auskünfte des Schuldners nach Verfahrenseröffnung erlangt worden sind. Alternativ wird auch der Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses beim Insolvenzverwalter für zulässig erachtet, um an interessante Unterlagen zu gelangen[9]. Eine entsprechende Anwendung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO ist aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, wenn eine Postsperre nach § 99 InsO angeordnet wurde, die sich auch auf die Verteidigerpost des inhaftierten Schuldners erstreckt[10].
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Der mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundene Vermögensverfall hat Auswirkungen auf die beruflichen Verhältnisse des Schuldners. So darf er die „vermögenssensiblen“ freien Berufe grundsätzlich nicht mehr ausüben, bei denen er mit Fremdgeldern zu tun hat, was vor allem bei Rechtsanwälten[11] (§ 7 Nr 9 BRAO), Steuerberatern[12] (§ 46 Abs. 2 Nr 4 StBerG) oder Notaren (§ 50 Abs. 1 Nr 6 BNotO) der Fall ist. Anders ist es bei Heilberufen, denn einem Arzt wäre die Entschuldung mittels Insolvenzplans oder Restschuldbefreiung verwehrt, wenn ihm infolge der Insolvenzeröffnung seine Approbation entzogen werden könnte. Die Insolvenz ist also für sich gesehen noch kein ausreichender Grund für die Annahme der Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes, die gemäß §§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr 2, 5 Abs. 2 BÄO zur Versagung der Ausübung und zur Rücknahme der Approbation führen würde.
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Übt der Schuldner bei Antragstellung ein Gewerbe aus, sind gemäß § 12 GewO die Untersagung, Rücknahme oder der Widerruf der Gewerbeerlaubnis während des laufenden Insolvenzverfahrens (einschließlich der Überwachung eines Insolvenzplans) ausgeschlossen, da in dieser Zeit die Führung des Schuldners gewährleistet ist, sodass hinsichtlich der Zuverlässigkeit auf die Person des Insolvenzverwalters abgestellt werden kann. War aber zum Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Gewerbe bereits rechtskräftig untersagt, scheidet eine Sperrwirkung für die Untersagung nach § 12 GewO aus; Ziel dieser Vorschrift ist es nicht, die Fortführung eines unerlaubten Gewerbebetriebs zu ermöglichen[13].
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Ist der Schuldner Arbeitnehmer, kann er seinen Unterhalt aus seinem Arbeitseinkommen bestreiten, das nur bis zur Pfändungsfreigrenze dem Insolvenzbeschlag unterliegt, § 36 Abs. 1 S. 2 InsO, §§ 850 ff ZPO (s Rn 259 ff). War der Schuldner jedoch selbstständig und wird der Betrieb eingestellt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als von den „Ersparnissen der Familie“ oder von Sozialhilfeleistungen zu leben. Ist die Masse zulänglich, kann die Gläubigerversammlung (oder bis zu diesem Termin der Insolvenzverwalter alleine) dem Schuldner nach Maßgabe des § 100 InsO Unterhalt aus der Masse gewähren, der sich der Höhe nach an den sozialrechtlichen Regelungen orientiert[14]. Diese Zusage begründet zwar eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 InsO, sie geht aber nicht auf Kosten der neuen Massegläubiger, da sie im Falle der Masseunzulänglichkeit nachrangig zu befriedigen ist, § 209 Abs. 1 Nr 3 InsO.
§ 5 Die Rechtswirkungen der Insolvenzeröffnung › I. Die Verfahrenseröffnung aus Sicht des Schuldners › 2. Vermögensrechtliche Auswirkungen der Verfahrenseröffnung