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ОглавлениеTeil 1 Die Entwicklung der Schutzrechte zugunsten des Verletzten › IX. Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren vom 29.7.2009
IX. Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren vom 29.7.2009
Teil 1 Die Entwicklung der Schutzrechte zugunsten des Verletzten › IX. Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren vom 29.7.2009 › 1. Vorgeschichte
1. Vorgeschichte
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Mit dem am 1.10.2009 in Kraft getretenen sog. „2. Opferrechtsreformgesetz“ vom 29.7.2009 [1] hatte der Gesetzgeber eine Entwicklung fortgesetzt, die den Strafprozess in seiner Gesamtheit erheblich beeinflusste. Die Reform nahm rechtspolitische Impulse und Hinweise aus der Wissenschaft und Praxis auf und stärkte weiter die Beteiligungsrechte der Verletzten und der Zeugen im Strafprozess. Dagegen erhob sich heftige Kritik, weil eine zu große Einflussnahmemöglichkeit des Verletzten zu Lasten des Beschuldigten befürchtet wurde.[2]
Teil 1 Die Entwicklung der Schutzrechte zugunsten des Verletzten › IX. Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren vom 29.7.2009 › 2. Wesentlicher Inhalt
2. Wesentlicher Inhalt
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Das Gesetz schloss an die mit dem „Opferschutzgesetz“ begonnenen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Verbesserung der Rechte von Verletzten an, die zuletzt mit dem „Opferrechtsreformgesetz“ vom 24.6.2004 fortgeführt worden waren. Es sah dabei eine weitere Stärkung der Rechte der Verletzten und Zeugen von Straftaten vor allem in drei zentralen Bereichen vor: Die Stärkung der Verfahrens- und Informationsrechte des Verletzten mit weiterer Ausprägung der Nebenklage, die Heraufsetzung der Schutzaltersgrenze für Kinder und Jugendliche, die von Straftaten betroffen worden waren oder als Zeugen aussagen mussten, von 16 auf 18 Jahre sowie schließlich die Verbesserung der Rechtsstellung der Zeugen mit einer Vereinfachung der Beiordnung eines Rechtsanwalts.
a) Stärkung der Verfahrens- und Informationsrechte von Verletzten im Strafverfahren
aa) Nebenklage und Verletztenanwalt
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Der Straftatenkatalog der nebenklagefähigen Delikte in § 395 StPO wurde ebenso wie der Katalog nach § 397a Abs. 1 StPO neu gefasst, wobei sich die Änderungen vor allem an der Schwere der Tatfolgen für den Verletzten orientierten. Eine Berechtigung zur Nebenklage war insbesondere dann gegeben, wenn der Verletzte durch ein gegen höchstpersönliche Rechtsgüter gerichtetes Aggressionsdelikt verletzt worden war. Der Straftatenkatalog des § 395 StPO wurde bspw. um das Delikt der Nötigung in besonders schweren Fällen nach § 240 Abs. 4 StGB a.F. erweitert, womit auch die Zwangsverheiratung mit ihren erheblichen Folgen für die Betroffene erfasst wurde. Auch Fälle von besonders schwerem Stalking nach § 238 StGB fielen ab diesem Zeitpunkt darunter.
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Durch den neuen Auffangtatbestand in § 395 Abs. 3 StPO wurde es den von schweren Folgen der Tat betroffenen Verletzten nunmehr ermöglicht, sich dem Verfahren als Nebenkläger anzuschließen.
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Die Neufassung des § 397 StPO wurde übersichtlicher und ,,anwenderfreundlicher“ gestaltet [3]. Nach § 201 StPO war dem Nebenkläger und dem Nebenklagebefugten die Anklageschrift zuzustellen, wenn dies beantragt worden war. Der Nebenkläger konnte sich nach § 397 Abs. 2 StPO in jeder Verfahrenssituation des Beistands eines Rechtsanwalts bedienen oder sich durch ihn vertreten lassen. Für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sowie Verletzte, die ihre Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen können, wurde auf Antrag nach § 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO ein Verletztenanwalt bestellt. Dies galt ab diesem Zeitpunkt auch für Fälle der Aussetzung nach § 221 StGB sowie der besonders schweren Nötigung nach § 240 Abs. 4 StGB a.F.
bb) Verletztenbeistand
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Die Auswahlmöglichkeiten des Verletzten in Bezug auf seinen anwaltlichen Beistand wurden durch die §§ 138 Abs. 3, 142 Abs. 1 StPO erweitert. Die den als Verletztenbeistand tätigen Rechtsanwalt betreffenden Regelungen in den §§ 406f, 406g StPO a.F. wurden deutlich ergänzt, so dass bei Vernehmungen des Verletzten auch dem Beistand des nebenklagebefugten Verletzten die Anwesenheit gestattet war. Er war vom Termin der Hauptverhandlung zu benachrichtigen, wenn die Beauftragung dem Gericht angezeigt oder er als Beistand bestellt worden war. Die zur Nebenklage Befugten waren zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt, auch wenn sie später als Zeugen vernommen werden sollten, wie sich aus § 406g Abs. 1 StPO a.F. ergab.
cc) Informationspflichten gegenüber Verletzten sowie deren Angehörigen und Erben
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Für die staatlichen Organe war es nach § 406h StPO a.F. nunmehr verpflichtend, Verletzte auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass und welche Hilfe bzw. Unterstützung sie von Opferhilfeeinrichtungen in Anspruch nehmen könnten. Diese Pflicht bestand insbesondere im Hinblick auf die Nebenklagebefugnis, die Durchsetzung vermögensrechtlicher Ansprüche im Adhäsionsverfahren, die Geltendmachung von Versorgungsansprüchen nach Maßgabe des sog. „Opferentschädigungsgesetzes“, die Anträge auf Erlass von Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz und die Unterstützung und Hilfe durch staatliche und private Hilfseinrichtungen.
dd) Anzeige von Auslandsstraftaten
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In Umsetzung des „Rahmenbeschlusses über die Stellung von Opfern im Strafverfahren“[4] sah nunmehr § 158 Abs. 3 StPO vor, dass der Verletzte, der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union von einer Straftat betroffen war, die Möglichkeit hatte, diese Tat in Deutschland anzuzeigen und über die Staatsanwaltschaft die Weiterleitung der Anzeige an den Mitgliedsstaat zu bewirken.
ee) Vorläufige Einstellung des Verfahrens bei Abwesenheit des Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft
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Nach § 154f StPO konnte die Staatsanwaltschaft bei unbekanntem Aufenthalt des Beschuldigten oder bei einem in seiner Person liegenden Hindernis das Verfahren vorläufig einstellen, wenn der Sachverhalt so weit wie möglich aufgeklärt und die Beweise so weit wie nötig gesichert waren. Damit wurde die Gesetzeslücke bei noch nicht erfolgter Anklage zu § 205 StPO geschlossen.
b) Heraufsetzung der Schutzaltersgrenze für Verletzte und Zeugen
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Die Schutzaltersgrenze für Kinder und Jugendliche wurde in den §§ 60 Nr. 1, 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO sowie § 172 GVG von 16 auf 18 Jahre angehoben und damit eine Angleichung an verschiedene internationale Abkommen, wie der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, der EU-Grundrechtscharta und weitere verschiedene Übereinkommen des Europarats vorgenommen. Mit der Anhebung der Schutzaltersgrenze für jugendliche Verletzte und Zeugen von Straftaten wurde auch die Altersgrenze im Jugendstrafverfahren für jugendliche Täter angepasst. Unter erleichterten Bedingungen konnte nun ein Verletztenanwalt gem. § 80 Abs. 3 S. 2 JGG i.V.m. § 395 Abs. 4 StPO beigeordnet werden.
c) Stärkung der Rechte von Zeugen
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Durch die Neufassung des § 48 Abs. 1 StPO wurde aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit die allgemein anerkannte Pflicht eines Zeugen, vor Gericht auszusagen, gesetzlich normiert. § 68b Abs. 1 und Abs. 2 StPO stellten klar, dass Zeugen bei allen Vernehmungen, also auch schon bei Vernehmungen durch die Polizei, einen anwaltlichen Beistand hinzuziehen konnten, sofern dies nicht die geordnete Beweiserhebung beeinträchtigte. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand für besonders schutzwürdige Zeugen wurde durch § 68b Abs. 2 StPO ebenfalls vereinfacht. Ablehnende Entscheidungen der Staatsanwaltschaft konnten zudem gerichtlich überprüft werden. § 163 Abs. 3 StPO stellte in einem umfassenden Katalog klar, welche Vorschriften zum Schutz von Zeugen von der Polizei zu beachten sind. In § 68 Abs. 2 und Abs. 3 StPO wurden die Rechte der Zeugen erweitert, in bestimmten Fällen keine Angaben zu ihrem Wohnsitz machen zu müssen. § 68 Abs. 4 StPO regelte, dass Zeugen bei entsprechender Gefährdungslage auch nach Abschluss ihrer Vernehmung noch die Entfernung der Angaben zu ihrer Identität oder zu ihrem Wohnort aus der Akte verlangen konnten.