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Doki Doki Morning

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Antonio wollte eigentlich eine Liste mit GUTEN Heavy-Metal-Bands aufstellen, um seine kleine Schwester Serena doch noch zu vernünftiger Musik zu bekehren, aber die freche 15-Jährige hatte wohl einen ähnlichen Plan mit ihm ausgeheckt und ihn daher mit auf ein Konzert einer japanischen Kawaii-Metal-Band genommen. Eigentlich hatte Antonio gehofft, dass diese Musikform durch die Isolation von Deutschland aussterben würde. Dann kam Tokyo auf diese Welt und damit auch alle Lieblingsbands von Serena. Deutschland, oder besser gesagt etwa 80% der Bundesrepublik und zusätzlich ein kleiner Teil der ehemaligen Tschechischen Republik und ein paar Grenzgebiete von Frankreich und den Niederlanden, lagen von einem Krater umgeben auf einem außerirdischen Kontinent, der in etwa die Größe von Australien hatte. Ein paar hundert Kilometer vor der Küste befanden sich nun die japanischen Inseln und natürlich wurden bereits Flugrouten eingerichtet, so dass sie problemlos ein Wochenende in Tokyo verbringen konnten.

Die Musik in der riesigen Konzerthalle war laut, aber nicht so laut, dass man sich nicht mehr unterhalten konnte. Mindestens fünftausend Menschen mussten hier vor der Bühne stehen, auf denen diese süßen japanischen Mädchen wild zu der Musik tanzten.

Kawaii-Metal. Ja ja! Wir verbinden Metal mit rosa-knuffiger Knuddeligkeit. Aber je länger Antonio mit verschränkten Armen in der Ecke stand und sich das anhörte … desto mehr ging ihm die Musik ins Ohr.

Verdammt. Serenas Plan ging auf! Wo steckte sie überhaupt? Der junge Informatikstudent suchte den Raum nach ihr ab und fand sie schließlich in einer Ecke, schräg hinter einer Säule. Dort saß sie auf dem Schoß von einem japanischen Jungen, dem sie die Zunge in den Hals steckte. Der Kerl hatte kurze Haare, war etwas speckig und balancierte eine dicke Brille auf der Nase. Er trug ein sehr zugeknöpftes Hemd und eine schwarze Hose, als wäre er in seiner Schuluniform zu dem Konzert gegangen. Sonderlich groß war er auch nicht. Seit wann stand seine kleine Schwester denn auf solche Nerds?

Skeptisch beobachtete er die beiden. Der schüchterne Junge, der auf dem großen Heizkörper saß, wurde von Serena gegen die Wand gedrückt. Dominant packte sie ihn am Hinterkopf und hielt ihn fest, während sie weiter wild mit ihm herum knutschte. Eieiei. Serena lernte zwar nun in der Schule Japanisch, aber ihr Sprachtalent war eine einzige Katastrophe. Antonio hätte ein Vermögen darauf gewettet, dass sie sich den Namen des Jungen nicht gemerkt hat.

Das Vibrieren seines Handys lenkte Antonio ab. Er wurde angerufen! Überrascht holte er sein Smartphone aus der Hosentasche und sah auf den Namen, der auf seinem Display der anrufenden Nummer zugeordnet wurde. Suji Kim. Wer war das nochmal? War das nicht eine alte Kommilitonin von vor dem Erdbeben gewesen? Antonio dachte, dass sie damals in dem Teil von München lebte, der nicht mit auf die Neue Welt transportiert worden war.

»Hallo?«, sagte er verwundert, als er dran ging. Verdammt! Die Musik und der ganze Trubel um ihn herum waren viel zu laut, als dass er etwas hätte verstehen können. »Hallo? Wer ist da?« Er hörte eine weibliche Stimme, die irgendetwas sagte, aber dann wieder auflegte.

Wurde die Nummer neu vergeben? Strange. Wenn Antonio ehrlich war, wollte er sich die Band schon noch weiter ansehen und nicht zum Telefonieren nach draußen gehen müssen. Es war das erste Wochenende, wo er mit seiner kleinen Schwester etwas alleine unternehmen konnte. Antonios Freundin war zusammen mit einer Mission von Entwicklungshelfern in die vom Krieg verwüstete Scavenger-Stadt Antioch gereist, um die Gegend für eine Neubesiedlung zu inspizieren. Lomiri war ein wundervolles Wesen. Da sie sonst jede Sekunde miteinander verbrachten, war es ein merkwürdiges Gefühl, drei Tage getrennt von ihr zu sein.

Der Informatikstudent sah noch einmal auf sein Handy. Es machte ihn doch neugierig, wer ihn da gerade angerufen hatte. Lästige Werbeanrufe von türkischen oder indischen Scammern gab es schließlich nicht mehr. Aber wenn er hinausging, musste er noch Serena Bescheid geben.

Als er sich durch die Menge hindurch gekämpft hatte, klopfte er seiner kleinen Schwester vorsichtig auf die Schulter. Verwundert ließ der kleine Möchtegern-Vampir von seinem Opfer ab und warf einen Blick nach hinten.

»Was denn?«

»Ich geh kurz raus«, sagte Antonio und deutete auf sein Handy. Serena nickte.

»Ist schon gut. Ich komme mit!« Dann stand sie von dem Nerd auf. Der arme hatte eine riesige Beule in seiner Hose. Seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, konnte er sein Glück kaum fassen. Ob Serena und er wenigstens ihre Handynummern ausgetauscht hatten?

»Wer war der Kleine?«, fragte Antonio beiläufig auf dem Weg nach draußen. Serena hatte lange braune Haare, war vielleicht 1.55m groß und sehr schlank. Was neben ihren schwarzen Augen (die ja inzwischen jeder Mensch hatte) und ihrer unheimlich süßen Nase am meisten auffiel, war ihre schneeweiße Haut. Antonios Haut dagegen war noch normal rosa. Er hatte kurze dunkelbraune Haare, die er wieder lang wachsen lassen wollte. Der Student war recht groß und hatte ein liebes Gesicht. Die beiden Geschwister hatten in den letzten Monaten eine Menge zusammen durchgemacht, was sie stark zusammengeschweißt hatte. Sie wohnten zusammen mit Lomiri in einer kleinen Wohnung in München.

Als sie nach draußen an die frische Luft kamen, war die Sonne bereits untergegangen. Das wahnsinnig aufwändige Konzert mit der beeindruckenden Lichtershow war eigentlich in einem leicht heruntergekommenen Lagerhaus. Sogar vor dem Haupteingang war noch einiges los. Hauptsächlich Japaner natürlich. Trotzdem hörte Antonio, dass einige der Jugendlichen sich in gebrochenem Deutsch unterhielten, oder es zumindest versuchten. Sie wollten wohl jede Möglichkeit nutzen, um die neue Pflicht-Fremdsprache zu üben.

Antonio hatte bereits alle Hiragana- und Katakana-Schriftzeichen auswendig gelernt und kannte schon fast einhundert Kanji. Serena hing da allerdings noch stark hinterher. Zum Glück waren fast alle Hinweistafeln in Tokyo inzwischen auch auf Deutsch, so dass sie sich hier zurechtfinden konnten.

»Hat Lomiri angerufen?«, fragte Serena. Sie mochte Antonios Freundin nicht nur, sie liebte sie abgöttisch. Serena liebte alle Scavenger. Sie war ein richtiges Fangirl dieser Aliens.

»Nein. Die Nummer ist von einer alten Bekannten aus der Uni.«

»Ey!«, protestierte die 15-Jährige und boxte ihm gegen die Schulter. »Da ist deine Freundin einmal für ein paar Tage nicht da …«

»Und?«

Serena schüttelte den Kopf. Dann stellte sie sich breitbeinig hin, sah schräg hoch in den Sternenhimmel und holte mit der Faust aus, um diese heroisch in die Höhe zu recken. »Und Antonio rettet die Menschheit vor der Überalterung der Gesellschaft. Warum hängt die Regierung überall diese ultra-peinlichen Plakate über Sex Positivity auf, wenn wir einen tapferen Helden wie dich haben, der selbstlos alle Frauen in Berlin befruchtet.«

Oh Gott! Antonio reagierte auf Serenas peinliche Ansprachen kaum noch. Seit ihrem 15. Geburtstag sprudelte sie so über vor pubertierenden Hormonen, dass er sie am liebsten jeden Tag kalt duschen schicken würde. Am effektivsten war es, einfach halb auf sie einzugehen.

»Berlin reicht doch lange nicht. Suji kommt aus München.«

»Suji? Ist sie Japanerin?«

»Nein, sie ist in Deutschland aufgewachsen. Ihre Familie kommt soweit ich weiß aus Korea.«

»Dann ruf sie doch endlich mal an!«

Der Student war schon dabei und hielt sich das Handy an sein Ohr.

»Hallo?«, hörte er schließlich eine weibliche Stimme. Serena verschwand unterdessen um die Ecke. Was hatte sie jetzt wieder vor?

»Ja, hi! Hier ist Antonio.«

»Du bist es echt? Oh mein Gott!! Hier ist Suji!« Der Student runzelte die Stirn. Warum klang sie so aufgebracht?

»Lange nichts von dir gehört«, merkte er an. »Ist alles okay bei dir?«

»Ich hab seit dem Erdbeben bestimmt einhundert Mal versucht, dich zu erreichen! Du glaubst nicht, wie froh ich bin, deine Stimme endlich zu hören.«

»Achso. Ich war die ersten drei Monate nach dem Beben nicht erreichbar gewesen. Meine kleine Schwester und ich gehörten zu den Hundertfünfzig.«

»Hundertfünfzig?«, wiederholte Suji mit überraschter Stimme. »Wo bist du? Ich würde dich total gerne sehen.«

Hm. Dafür, dass sie monatelang keinen Kontakt hatten, war sie jetzt ganz schön anhänglich. Als Antonio kurz zur Seite schaute, sah sie Serena, wie sie mit einem leeren Bierkasten in der Hand wieder zurück auf ihn zugelaufen kam. Vor ihm stellte sie den Kasten auf den Bürgersteig, kletterte darauf, hielt sich dabei an ihm fest und drückte ihr Ohr dann gegen die andere Seite des Handys.

So eine Verrückte …

»Hallo Suji, hier ist Antonios kleine Schwester!!«, rief sie kichernd. »Also Antonios Lieblingsgeschmacksrichtungen sind Kirsche und Erdbeere!!«

Oh Gott …

»Ä-äh … Hallo?«, stammelte die Koreanerin schüchtern. Der Student schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Das ist Serena. Sie ist noch etwas aufgedreht. Wir sind gerade in Tokyo auf einem Konzert von ihrer Lieblingsband. Wir wollten den nächsten Flieger zurück nach Berlin nehmen.«

»Können wir uns treffen? Ich glaube, ich brauche dringend Hilfe. Ich kenne hier sonst niemanden.«

Der Informatikstudent runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?« Suji schwieg für einen Moment. Dann hörten Antonio und Serena ein Schluchzen.

»Meine Mama ist tot. Der einzige Freund, den ich noch hatte, wurde von einer dieser schwarzen Maschinen angeschossen und liegt jetzt im Koma. Ich kann nie mehr zurück nach Hause und sitze hier in einem Krankenhaus in Erfurt und weiß nicht, was ich tun soll.«

Erschrocken sahen die beiden Geschwister sich an. Noch bevor Antonio reagieren konnte, rief Serena etwas in den Hörer. »Wir kommen sofort zu dir! Wenn wir uns beeilen, kriegen wir sogar eine Linie früher.«

»Ä-äh …«, stotterte Antonio zuerst überrascht. Dann wurde seine Stimme klarer. »Ja! Wir machen uns sofort auf den Weg.«

Der Student hörte sich die Ansage im Passagierflugzeug bis zum Ende an. »Bitte beachten Sie: Da seit drei Wochen keine Fälle von Covid-19 mehr aufgetreten sind, gibt es keine Verpflichtung mehr zum Tragen einer medizinischen Maske. Wir wünschen Ihnen einen guten Flug.« Dann wiederholte der Pilot die gesamte Ansage noch einmal auf Japanisch.

Serena, die neben ihm direkt am Fenster saß, spielte an ihrem Smartphone. Antonio sah an ihr vorbei aus dem Fenster, als das Flugzeug sich in Bewegung setzte und wenig später vom Flughafen startete. Es wurde schon dunkel. Als sie eine gewisse Flughöhe erreicht und damit eine atemberaubende Aussicht auf die Skyline von Tokyo hatten, sah auch seine kleine Schwester von ihrem Handy auf.

Die Lichter der Wolkenkratzer waren beeindruckend. Die Stadt war gewaltig und atemberaubend, auch wenn sie immer noch einige Gebäude sahen, die bei dem letzten großen Angriff der Black Bots schwer beschädigt oder sogar zerstört wurden. Unzählige Baustellen prägten das Bild, waren in der Dunkelheit aber nicht so präsent wie die hell erleuchteten Hochhäuser im Zentrum.

»Antonio?«, sprach Serena leise. Sie hatte den Kopf zu ihm gedreht und sah ihn mit großen Augen an. »Findest du mich eigentlich … manchmal nervig?«

»Was?«

»Bin ich dir zu aufgedreht? Findest du, dass ich mich zu kindisch verhalte?«

»Du meinst, weil du so ein Energiebündel bist?« Der Student schüttelte den Kopf. »Ganz bestimmt nicht. Überleg doch mal, was du für eine Entwicklung durchgemacht hast. Du wurdest von der Schule verwiesen. Deine Eltern haben dich wegen deiner Aggressionsprobleme zur Therapie geschickt. Du hattest dich überhaupt nicht unter Kontrolle und warst todunglücklich. Und jetzt? Jetzt geht es dir richtig gut. Du hast Freunde, bist ständig am lächeln und hast sogar Spaß in der Schule. Du genießt einfach dein Leben und das finde ich super. Und das würde ich niemals kritisieren. Ich mag dich, so wie du bist.«

Serenas Mundwinkel zogen sich nach oben. Früher hätte Antonio sich diesen Gesichtsausdruck bei ihr niemals vorstellen können. Die 15-Jährige lehnte sich zu ihm und legte ihren Kopf an seine Schulter.

»Ich glaube, ich bin jetzt auch glücklich. Voll ungewohnt«, merkte sie an. »Ich hasse die Erde. Hoffentlich, müssen wir nie dahin zurück!«

Antonio zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht, dass das noch der Plan der Bundesregierung ist. Sie sehen bereits die langfristigen Herausforderungen, wie den demographischen Wandel, den wir nicht mehr durch Einwanderung bekämpfen können.«

Serena zog sich ihr zu großes Bandshirt höher und halb über das Gesicht, so dass sie nichts mehr sehen konnte. »Oh Gott! Diese Werbespots sind so peinlich. Die glauben doch nicht ernsthaft, dass sie so die Menschen dazu bringen, Babys zu machen!!«

»Echt peinlich.«

»Super peinlich! Man sollte allen Menschen über 30 verbieten, sich im Fernsehen zu küssen. Das ist so ekelig!«

Der Student prustete los.

»Wie alt ist diese Suji eigentlich und wie sieht sie aus?«, wollte seine kleine Schwester nun wissen.

»Ich glaube, sie war in meinem Alter. Du siehst sie ja in ein paar Stunden selbst.«

Das reichte Serena zum Glück. Sie sah wieder auf ihr Smartphone und spielte weiter Tuxkart. Auch Antonio holte sein Handy heraus und las Nachrichten. Auf dieser Welt passierte immer etwas Spannendes. Fast täglich kündigten sich neue innovative Start-ups an. Seit sie Kontakt zu Japan hatten, ging es so richtig ab.

Aber heute war nicht viel los. Ein neues Start-up hatte, wie so viele davor, die grandiose Idee, die Milch aus den Alien-Bäumen in Flaschen abzufüllen, Vanille und eine ungesunde Menge Zucker zuzuführen, und das dann als Superfood zu verkaufen. Fridays for Future demonstrierte in Berlin gegen den Abbau von Erdöl, auf der anderen Seite des Kraters, während ein Sprecher der Regierung argumentierte, dass man auf dieser Welt einem gefährlichen Klimawandel noch Jahrhunderte weit entfernt war, und man den Kraftstoff schließlich für das Militär bräuchte.

Wobei der Krieg gegen die Black Bots sich dem Ende zu neigen schien. Seit der großen Schlacht von Tokyo wurden die schwarzen Maschinen immer weiter zurückgedrängt. Bald folgte der letzte große Angriff, bei dem die Bundeswehr Luftwaffe und die japanische Air Self-Defense Force die letzte Stadt der Scavenger, die noch von den Black Bots kontrolliert wurde, befreien würden.

»Sieht aus, als wäre es bald vorbei«, murmelte Antonio. Serena sah auf.

»Hm?«

»Der Krieg. Die Luftwaffe bereitet sich auf den letzten großen Angriff vor.«

»Den Blechbüchsen haben wir in Tokyo damals ja auch mächtig eingeheizt.«

Als ihr Flieger in Berlin landete, war es schon mitten in der Nacht. Mit dem ICE brauchten sie noch knapp zwei Stunden nach Erfurt. Die Krankenschwester, die Nachtschicht hatte, war nicht davon begeistert, dass sie mitten in der Nacht Besuch empfangen musste. Nach endlosem Blabla, dass das eigentlich nicht ginge, machte sie schließlich eine Ausnahme und führte sie zu Sujis Zimmer.

Als Antonio die Tür öffnete, sah er ein von Deckenlampen hell erleuchtetes Krankenzimmer mit zwei Betten. In dem vorderen lag ein schlafender Scavenger-Junge, der an mehrere Geräte angeschlossen war, die seine Biowerte überwachten. Er war fast so groß wie Antonio, aber sah trotzdem noch sehr jugendlich aus. An der Bettkante daneben saß eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren und asiatischen Gesichtszügen. Sie trug nichts außer einem langen Krankenhaushemd. Als sie ihn bemerkte, riss sie die Augen weit auf und kam auf ihn zugelaufen.

»Endlich!!«, rief sie und blieb vor ihm stehen. Sie sah aus, als hätte sie ihn am liebsten fest in die Arme geschlossen, traute sich dann aber doch nicht. Antonio merkte, dass sie ein ganz verheultes Gesicht hatte. Was war nur passiert?

»Suji, ich dachte, du wärst auf der Erde.«

»Hallo«, warf Serena ein und stellte sich vor ihn. Sie reichte der Studentin die Hand. »Ich bin Serena, Antonios kleine Schwester.«

»H-hallo …«, stotterte die Koreanerin schüchtern und schüttelte ihre Hand. Ihr Mund stand leicht auf. Sie wirkte so unbeholfen und kraftlos. Hm. Was immer auch geschehen war, sie brauchte wohl gerade dringend einen Freund, der sich um sie kümmerte. Oder mehrere Freunde. Antonio war froh, dass seine kleine Schwester dabei war, denn hinter ihrer verrückten und früher sehr aggressiven Fassade, steckte ein großes Herz. Der Student schob ein paar Stühle, die für Besucher waren, zurecht, so dass sie sich setzen konnten.

»Was ist denn genau passiert?«, wollte er nun endlich wissen. »Wurden du und dein Freund da von Black Bots angegriffen?«

»Ja«, stimmte sie nickend zu. Ihre Stimme klang schwach. »Das überrascht dich vielleicht jetzt. A-also … die Frau vom Verteidigungsministerium war es zumindest. Wir waren bis vor ein paar Stunden noch in der … Sperrzone.«

»Sperrzone«, wiederholte Antonio verwirrt. Da erklärte Serena, was sie damit meinte.

»Das hat mir ein … japanische Freund neulich erklärt. So nennen die Menschen auf der Erde das Gebiet in Zentraleuropa, das von diesem Planeten dorthin transportiert wurde.«

What the fuck? Antonio lehnte sich etwas nach vorne. »Du kommst von der Erde?«

Suji zögerte einen Moment. Dann reagierte sie mit einem Nicken. Fragend sahen der Student und seine kleine Schwester sich an.

»Ich war die ganze Zeit auf der Erde«, erzählte sie weiter und schien, gegen ihre Tränen anzukämpfen. »Die ganzen Monate über, habe ich nicht gewusst, ob du überhaupt noch lebst …«

Der junge Mann verstand das einfach nicht. »Aber warum bist du jetzt hier?«

»I-ich w-w-w-wurde …«, stotterte sie und begann zu weinen. Sofort rutschte Serena mit ihrem Stuhl näher zu ihr und legte einen Arm um sie. Schüchtern sah Suji zu ihr und machte sich ganz klein. Einen kurzen Augenblick später atmete sie tief durch, um wieder sprechen zu können. »Es wurde immer schlimmer. Als Japan auch noch verschwunden war, brach die ganze Weltwirtschaft zusammen. Je weniger es gab, desto stärker wurde der Druck. Und da ich keinen deutschen Pass hatte, sollte ich abgeschoben werden. Meine Mama wurde von Rechtsradikalen umgebracht. Die Polizei hat mich verfolgt und dann bin ich in die Sperrzone geflohen. Zusammen mit …« Sie zeigte auf den Alien-Jungen.

»Die Penner wollten DICH abschieben?«, rief Serena entsetzt.

»Ein Scavenger war auf der Erde?«, fragte Antonio indessen.

»Hermes ist zufällig in dem Wald gewesen, der auf die Erde gebracht wurde. Er meinte, es gäbe im Zentrum der Sperrzone eine Maschine, die uns hierherbringen könnte. Da war dann so ein …«

»… großer schwerer Zylinder«, vervollständigte Antonio ihren Satz. »Die Dinger kennen wir. Ich dachte immer, bei einem Austausch, würden diese Geräte zerstört werden …«

Suji schluchzte. »Diese Maschine hat Hermes und mich hierhergebracht. Aber ich weiß nicht einmal, wo wir hier überhaupt sind. Alle sagen nur ständig, wir wären in Sicherheit …«

Die 15-Jährige streichelte sanft über ihren Rücken.

»Keine Angst«, beruhigte sie sie. »Das war die richtige Entscheidung, hierher zu kommen. Dieser Planet ist etwa 120 Lichtjahre von den Arschlöchern auf der Erde entfernt.«

»Und … hier lebt ihr? Einfach so?«

Antonio breitete die Arme aus und deutete um sich herum. »Deutschland ist hier und wir kommen bisher ganz gut zurecht. Die Anfangszeit war schwierig, aber diese Welt ist voller Wunder, die du noch erkennen wirst. Die japanischen Inseln, die auch auf diese Welt gebracht wurden, sind nicht weit weg.«

»Und diese schwarzen Maschinen …«

»Die Blechbüchsen!«, korrigierte Serena sie. »Das sind Kriegsmaschinen, die von einer K.I. gesteuert werden.«

»Eigentlich ist jeder von denen eine eigene K.I.«, verbesserte Antonio seine kleine Schwester. »Jeder Black Bot ist selbstständig, aber sie stehen miteinander ständig in Kontakt und vereinen ihre Rechenpower zu einem einzigen großen Bewusstsein. Wir wissen nicht genau, wie sie erschaffen wurden. Vermutlich haben die Scavenger sie einst gebaut und dann die Kontrolle über sie verloren. Sie haben die Aliens versklavt und über sie geherrscht, bis wir gekommen sind. Jetzt sind sie fast besiegt. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«

»Und was passiert nun mit mir?«, fragte Suji mit hilfesuchendem Blick. »Was soll ich nun machen? Ich habe das Gefühl, nirgendwohin zu gehören.«

Sie tat ihm so unendlich leid. Antonio musste außerdem zugeben, dass er sie nicht nur sehr sympathisch, sondern auch unheimlich süß fand. Früher in der Uni war er in ihrer Gegenwart daher immer nervös gewesen und hatte sich zurückgehalten. Das war wohl auch der Grund, warum ihre Freundschaft nicht tiefer geworden war. Wegen dieser Gefühle bekam er sofort ein schlechtes Gewissen, obwohl er wusste, dass Lomiri so etwas wie Eifersucht gar nicht kannte.

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