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Vertikale Wanderung

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Eine Sekunde später landete Suji wieder auf dem Boden. Hä? Die Mathematik-Studentin war völlig desorientiert. Vor sich sah sie eine endlose Steinlandschaft und in der Ferne eine riesige Felswand. Wo war sie denn jetzt gelandet? Was war passiert?

Suji versuchte, sich zu sammeln. Sie wollte sich gerade mit eingebildeten Alien-Schuhen in den sicheren Tod stürzen. Die Schuhe hatte sie immer noch an. Was war hier los? Suji folgte mit dem Blick der fernen Felswand und legte den Kopf in den Nacken. Kastenförmig machte die Wand einen Knick und ging direkt über ihr weiter und ersetzte dadurch den Himmel. Verwundert drehte Suji sich um und sah den echten blauen Himmel und die Sonne direkt hinter sich, als würde sie gerade untergehen. War es nicht eben noch Mittag?

»Hier bin ich!«, hörte sie die Flüsterstimme und die Koreanerin drehte sich instinktiv nach links. Dort war nur wenige Zentimeter von ihr eine Gestalt erschienen. Erschrocken schrie die junge Frau auf und sprang einen Schritt nach hinten.

»Heilige Scheiße!!«

Das Wesen war etwa einen Kopf größer als Suji und hatte zwei Arme und zwei Beine. Die Unterarme und die Knöchel wirkten jedoch etwas länger als bei Menschen üblich. Die Fingerspitzen reichten fast bis zu den Knien. Das Wesen hatte auch einen menschlich wirkenden Oberkörper und einen Kopf. Die Augen sahen leicht asiatisch aus und waren unnatürlich groß und außerdem pechschwarz. So schwarz, dass man gar keine Iris erkennen konnte. Die Nasenspitze war leicht nach oben gebeugt und die Lippen waren voll und orange. Es hatte keine Augenbrauen. Der Kopf hatte ansonsten eine menschliche Form. Die Haare jedoch wirkten wie schwarze ineinander verschachtelte Seidentücher, die dem Wesen hinter den Schultern den Rücken hinunter hingen. Es hatte schneeweiße Haut. Der Oberkörper war schmal, aber muskulös und maskulin. Der Alien-Mann trug als einziges Kleidungsstück ein einziges endloses langes weißes Band, das kunstvoll um seinen Körper gewickelt war und dadurch Muster bildete. Es ließ die Arme und Beine unbedeckt und verdeckte nur die wichtigsten Stellen. Auf dem Rücken trug er eine Art Rucksack, der jedoch am Band selbst befestigt war und nicht auf seinen Schultern lag.

Die Gesichtsform wirkte sehr jugendlich. Da das Wesen keine sichtbaren Pupillen hatte, konnte Suji die Emotionen des Alien-Jungen nicht ganz deuten.

»Hallo Suji«, hörte sie die Stimme des Jungen in ihrem Kopf, ohne dass das Wesen den Mund öffnete, um zu sprechen. Obwohl es still stand, bewegte es sich leicht, wie ein Blatt im Wind.

»Wer …«, flüsterte die Koreanerin völlig verblüfft. »Wer bist du?«

Die Stimme in ihrem Kopf klang nun etwas weniger flüsternd, aber noch immer gleichbleibend emotionslos und zugleich warm. »Mein Name ist in deiner Sprache wohl nicht auszusprechen.«

Jetzt öffnete der Junge doch seinen Mund. Nach einem Atemzug gab er für ein paar Sekunden merkwürdige Klack-Laute von sich, die sich anhörten, wie nichts, was Suji jemals gehört hatte. War das die Sprache dieser Aliens? War das sein Name?

»Bist du verletzt?«, fragte er.

»Nicht körperlich …«, antwortete sie mit gesprochenen Wörtern. »Ich dachte … ich dachte ich würde sterben. Oder bin ich schon tot?«

»Ihr nennt euch … Menschen. Richtig?« Suji nickte. »Wenn einer von uns stirbt, lebt er im Verstand dessen weiter, mit dem er … verbunden ist. Wie merkt ein Mensch, ob er tot ist?«

»Ä-äh …«, stotterte die Koreanerin unbeholfen. »Gute Frage …«

»Ich glaube nicht, dass du tot bist.«

»Und …«, stammelte Suji hilflos weiter. »Wo sind wir hier?«

Das Wesen legte den Kopf schief und starrte sie einen Moment lang an. »Ich bin überrascht. Wir sind doch nur wenige Meter von eurer Stadt entfernt.«

Die junge Frau runzelte die Stirn und sah sich um. Wie meinte er das denn? Suji verstand kein Wort und legte erneut den Kopf in den Nacken. Wo zum Teufel war sie hier?

Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen und sie sah in die Richtung der Sonne. Dort war ein Abgrund, hinter den sie nicht blicken konnte. Schließlich sank sie auf die Knie, schrie auf wie ein kleines Mädchen und hielt sich am »Boden« fest.

»Ach du heilige Scheiße! Wir STEHEN an der Felswand des Kraters??«

»Achte darauf, dass deine Schuhe immer im Kontakt mit dem Boden bleiben.«

»D-d-die …« Suji konnte vor Höhenangst nur noch stottern. »D-die Schu-schu-schu …«

»Die Schuhe ermöglichen es, seitlich an einer Felswand zu laufen. Haben Menschen diese Technologie nicht?«

Energisch schüttelte die Koreanerin den Kopf. »Nein! Ganz bestimmt nicht! Das ist total verrückt! Wie soll denn so etwas möglich sein? Das ist …« Suji stand wieder auf und atmete einmal tief ein und wieder aus. »Das ist genau so verrückt, wie, dass ein ganzes Land einfach so verschwinden kann. Als du meintest, dass wir den Krater überqueren … da meintest du also … wortwörtlich …«

»Ja.«

Suji schloss die Augen und atmete erneut durch. Dann nahm sie die untere Seite ihres dunkelgrauen Girlie-Tops, senkte den Kopf und wischte sich die Tränen und den Rotz aus dem Gesicht. Langsam – musste – sie realisieren, dass sie nicht tot war. Im Gegenteil. Jemand hatte sie … gerettet. Die Polizisten konnten ihr hier schlecht folgen. Sie hielten sie vermutlich für tot und verschwendeten keine Zeit mehr mit der illegalen Einwanderin.

»Warum haben die anderen Menschen dich verstoßen?«, wollte der Alien-Junge wissen.

»Weil unsere Welt ziemlich kaputt ist«, erklärte Suji.

»Ich verstehe das nicht.«

»Menschen sind egoistische und grausame Wesen. Wenn ihr gekommen seid, um sie auszurotten, haben sie es vielleicht verdient.«

»Über menschliche Emotionen gibt es für mich noch sehr viel zu lernen«, begann das Wesen. »Kann es sein, dass deine aktuelle Ausnahmesituation dich dazu bringt, so hart und so pauschal über die Menschen zu urteilen?«

Suji verdrehte die Augen. »Wow …« Sie musste zugeben, dass er … wahrscheinlich recht hatte. »Ich würde sagen, du verstehst menschliche Emotionen schon ganz gut.«

»Dann hat der Austausch zu solchem Leid geführt, dass die Menschen einige Ihresgleichen verstoßen haben?«

»Sehr grobe Zusammenfassung. Aber ja.«

»Es tut mir leid, dass es dich und deine Mutter getroffen hat.« Suji sagte nichts. Sie blickte zurück auf den Abgrund, über den sie gerade gesprungen war. Tatsächlich stand sie nur etwa drei Meter entfernt. Sie konnte, wenn sie denn wollte, einfach wieder zurück nach München gehen. Es waren nur ein paar Schritte. Niemand ahnte, dass sie hier an der Felswand stand, wie ein Eichhörnchen.

Jetzt stand sie hier und unterhielt sich mit ihrem Alien-Freund. Woher wusste sie eigentlich, dass das hier real war? Ein Traum war es jedenfalls nicht und tot konnte sie auch nicht sein. Den Tod hatte sie sich eher mit einem weißen Licht am Ende eines Tunnels und nackten Engeln vorgestellt. Nein! Das war … wo sich nun ihre Mutter befand. Suji war mit den Nerven völlig am Ende. Das Bild ihrer am Strick hängenden Mutter, ermordet vom neu aufgeflammten Rechtsradikalismus, der durch die wachsende soziale Ungleichheit immer mehr Zuwachs bekam, konnte sie nicht mehr aus ihrem Kopf bekommen. Die Koreanerin verlor das Gleichgewicht und taumelte zur Seite.

Sofort kam der Alien-Junge auf sie zu und hielt sie am Arm fest. Seine Finger fühlten sich unglaublich weich an. Er stabilisierte sie. Mit leerem Blick drehte sie den Kopf zu ihm, ihren jetzt noch einzigen Freund.

»Warum hilfst du gerade mir?«, flüsterte sie. Sein Gesicht, seine Augen und seine Lippen zeigten nicht die geringste Emotion. Er wirkte beinahe wie eine Puppe.

»Wir sind verbunden«, war seine unbefriedigende Antwort. »Vielleicht sollten wir nun auf die andere Seite gehen.«

Der Alien-Junge musste sie nur wenige Schritte stützen, bis Suji wieder alleine gehen konnte. Er roch unheimlich gut. Sein Geruch war mit nichts zu vergleichen, was sie kannte, aber irgendwie angenehm. Sein Körper war etwas merkwürdig geformt, aber seine Muskeln und sein jugendliches Gesicht wirkten durchaus attraktiv auf sie. Während sie langsam die Felswand nach unten spazierten, konnte die Koreanerin ihren Blick nicht von ihm wenden.

»Wie soll ich dich nennen, wenn ich deinen Namen nicht aussprechen kann? Soll ich mir einen Namen für dich ausdenken?«

»Sehr gerne«, antwortete er, ohne die Lippen zu bewegen.

»Wie wäre es mit … Hermes?«

»Hat dieser Name eine Bedeutung für dich?«

Sujis Stimme klang weich. Zwischen den Wörtern holte sie überhaupt keine Luft mehr und so klang sie wie ein kleines Kind oder als wäre sie betrunken. »Nicht wirklich. Das ist der Name einer Figur aus einer uralten Geschichte der Menschen. Hermes war ein Götterbote. Du siehst ungefähr so aus, wie ich ihn mir vorgestellt habe.«

Erschrocken sah sie wieder geradeaus. Sie hörte sich an wie eine Verrückte. Aber bei dem, was sie erlebt hatte, war es wohl nur normal, den Verstand zu verlieren. Doch die Neugier und der Drang der vielen Fragen in ihrem Kopf siegten. »Woher kannst du denn meine Sprache sprechen?«

»Ich kann deine Sprache nicht aussprechen«, erklärte er über ihre Gedankenverbindung. »Und verstehen konnte ich sie zuerst auch nicht. Unsere Verbindung überträgt Informationen unabhängig von der Sprache. In den letzten Monaten habe ich so viel auf die Verbindung gelauscht, um eure Sprache verstehen zu lernen.«

»Du hast mich belauscht?«

»Das geschieht unabsichtlich. Mit der Zeit wirst du lernen, wie du deine Gedanken vor mir abschirmen kannst, wenn du Privatsphäre wünscht.«

»Warum bist du mit mir verbunden und nicht mit jemand anderem?«

Hermes drehte den Kopf zu ihr und sah ihr direkt ins Gesicht. »Du warst der erste Mensch, den ich gesehen habe.«

»Also bist du mit dem Alien-Wald auf die Erde gekommen? Aber die in den Nachrichten haben gesagt, dass es in der Sperrzone nur Pflanzen gibt.«

Hermes sah wieder gerade aus und legte den Kopf leicht schief, während sie sich weiter dem Boden des Kraters näherten.

»Ich konnte mich vor euren Aufklärern verstecken.«

Nachdenklich sah Suji ihn an. »Wie viele von euch leben in diesem Wald?«

»Wie viele?«, wiederholte Hermes in Gedanken. »Ich bin, soweit ich weiß, alleine.«

Die Koreanerin blieb erschrocken stehen und auch Hermes hielt an. Suji legte den Kopf schief. »Du warst die ganzen letzten Monate allein?« Der Alien-Junge reagierte nicht auf die Frage. »Dann kann ich dir nicht verübeln, dass du dauernd mit mir reden wolltest.« Die junge Frau seufzte und ließ den Kopf hängen. »Es tut mir leid, dass ich so abweisend war. Ich hatte nicht geglaubt, dass du wirklich existierst.«

»Aus deiner Perspektive ist diese Annahme verständlich und dein Verhalten war sehr vernünftig.«

Jetzt sah Suji wieder auf und blickte den Alien verträumt an. Sie fühlte sich immer noch benebelt von all den Ereignissen dieses Tages.

Der Übergang von der Felswand zum Boden des Kraters war recht simpel. Sie machten unten eine kurze Pause und setzten ihren Weg dann fort. Es brauchte eine Überwindung für Suji, um auf der anderen Seite der Felswand einfach hoch zu spazieren und dabei darauf zu vertrauen, dass die Schuhe, die Gravitation schon in der richtigen Art und Weise für sie manipulieren würden. Hermes erzählte ihr von der Technologie der Aliens, mit der sie die Gravitation beherrschen konnten. Sie hatten Flugzeuge, die völlig ohne Antrieb senkrecht starten konnten und Raketen, die ihre Satelliten ohne Treibstoff in die Umlaufbahn brachten.

Hermes erzählte auch davon, wie faszinierend er die menschliche Architektur fand. Er war verblüfft von der menschlichen Eigenart, alles in Vierecken zu formen. Etwas, das für Suji völlig selbstverständlich und natürlich war. Die Aliens bauten alles in Form von Sechsecken, da dies die natürliche Form war.

»Wie bei den Bienen«, stellte Suji fest.

»Was sind Bienen?«

»Das sind Insekten … also … Tiere. Sie bauen ihre Unterkunft auch aus Sechsecken. Wow …« Suji blieb stehen und sah Hermes direkt an. »Ist dir klar, dass das hier das erste Mal ist, dass einer von uns und einer von euch ein direktes Gespräch führen? Das hier ist ein erster Kontakt.«

Hermes legte den Kopf schief. »Ich möchte widersprechen, Suji. Die Menschen, die mit dem großen Austausch auf unsere Welt gebracht wurden, haben sicher schon vorher Kontakt mit meiner Spezies aufgenommen.«

Suji hob die Hände leicht. »Moment … die 75 Millionen Menschen die hier vermisst werden sind also noch am Leben?«

»Sehr wahrscheinlich, Suji.«

Nachdenklich sah die Koreanerin auf die andere Seite des Kraters, zurück nach München. »Das wird mir nie jemand glauben …« Suji überlegte. »Warum habt ihr das überhaupt gemacht? Diesen … Austausch?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Hermes.

»Warum bist du dann hier auf dieser Welt?« Der Alien-Junge sah in Richtung des Waldes.

»Dieses Gebiet war immer unbewohnt und wurde vermutlich deshalb für diesen Austausch gewählt. Ich befand mich hier auf einer … Wanderung. Ihr würdest es wohl Wanderung nennen.«

»Wanderung?«, wiederholte Suji.

»Bevor ich meinen Dienst antreten muss, wurde mir erlaubt, einige Zeit etwas zu tun, was ich wollte. Ich entschied mich, zu wandern und zu denken. Ich wollte dabei etwas erschaffen. Etwas, was sich nicht in eure Sprache übersetzen lässt. Es ist eine rhythmische Aneinanderreihung unserer Laute, welche sowohl eine Geschichte erzählt, als auch einer mathematischen Struktur folgt.«

»Ein Gedicht?«, vermutete Suji. »Du wolltest Gedichte schreiben?«

»Was ist ein Gedicht?«

»Eine Rhythmische Aneinanderreihung von Lauten, welche sowohl eine Geschichte erzählen, als auch einer gewissen Struktur folgen.«

»Dann gibt es Gedichte in der Menschenwelt«, stellte Hermes fest und Suji starrte ihn mit offenem Mund an.

»Du wolltest durch den Wald wandern, um Inspiration für ein Gedicht zu finden«, fasste sie zusammen. »Das ist … unglaublich.« Sie streckte die Arme aus und berührte sanft seine Hände. Dann ging sie einen Schritt auf ihn zu. »Wir sind uns … überhaupt nicht so verschieden.«

»Ja«, sagte Hermes über ihre Gedankenverbindung. Suji stand direkt vor ihm und roch seinen Geruch. Verträumt sah sie auf seine vollen orangefarbenen Lippen. Ob diese Aliens wohl auch küssten?

Fuck! Was dachte sie denn da? Sie war wohl völlig verrückt geworden. Schnell schüttelte sie sich und damit diese merkwürdigen Gedanken aus dem Kopf und ging ein paar Schritte auf und ab. »Gehen wir weiter!«, entschied sie. »Sind ja bald da …«

Holy Shit, war das peinlich. Sofern Hermes überhaupt verstand, was peinlich war.

Als sie kurz darauf am Abgrund ankamen, brauchte es wieder einige Überwindung für Suji, um über diesen zu steigen. Letztendlich traute sie sich erst, als sie die Augen schloss und den letzten Schritt nach vorne machte. Als sie sie wieder öffnete, sah sie einen endlosen Wald wundersamer Bäume vor sich. Die Bäume waren schneeweiß und die Rinde war unheimlich glatt. Sie sahen eher aus wie große Pflanzen. Die grünen Blätter waren riesig. Die ineinander verwachsenen Äste machten den Anschein, das hier wäre eine einzige, große Pflanze und nicht mehrere Bäume. Das Blätterdach war etwa vier bis sechs Meter über ihnen. Unter den Ästen musste man sich jedoch teilweise hindurch bücken.

»Wow …«, staunte Suji. »Das ist wunderschön und so friedlich.«

Sie ging ein paar Schritte vorwärts und zog die Schuhe wieder aus. Mit nackten Füßen trat sie auf das hohe grüne Gras, das sich ganz von selbst leicht bewegte. Zuerst war das Suji noch etwas suspekt. Die Grashalme streckten sich leicht in ihre Richtung und wollten ihre Füße umschließen. Dazu fühlten sie sich etwas warm an. Schließlich ließ sie es zu, trat auf den Alien-Boden und ließ ihre nackten Füße einhüllen. Die Halme hielten sie nicht fest, sondern wärmten ihre nackte Haut nur. Sie konnte problemlos die Beine wieder heben. Wenn sie auftrat, gingen die Grashalme automatisch zur Seite, so dass sie sich gar keine Sorgen machen musste, irgendetwas zu zertreten.

Hermes packte die Schuhe wieder in seinen Rucksack ein und beobachtete ihre ersten Erfahrungen mit der Natur der Alien-Welt.

»Dann ist mein Freund Antonio auf eurer Welt?«, fragte sie. »Können wir dorthin?«

»Vielleicht«, antwortete Hermes. »Wenn wir das exakte Zentrum dieses Gebietes finden können, dann finden wir vielleicht die Maschine, die den Austausch vollzogen hat. Diese hat vielleicht genug Energie, um uns beide auf die andere Welt zu bringen. Ich konnte das Zentrum jedoch nicht finden, da ich keine Karte habe.«

Suji holte ihr Smartphone aus der Hosentasche. »Mit GPS sollte das gehen. In der Karten-App ist die Sperrzone eingetragen. Da sie kreisrund ist, sollte es nicht schwer sein, den genauen Mittelpunkt zu finden. Aber zu Fuß brauchen wir echt lange dorthin. Solange hält der Akku nicht …«

»Unser Orientierungssinn ist sehr genau. Wenn du uns einen Tag in die richtige Richtung lenken kannst, kann ich den Rest der Reise im Kopf extrapolieren«, erklärte Hermes. Suji nickte. Sie hatten ein Ziel! Gedankenverloren sah sie noch einmal zurück über den Krater auf die andere Seite. Der klägliche Rest von München, der noch auf diesem Planeten war, hatte sich die letzten Monate mehr und mehr zu einem Slum entwickelt. Die Welt wurde immer kaputter und sie hatte die einmalige Gelegenheit, die Erde zu verlassen. Es gab hier nichts mehr, was sie noch hielt. Entschlossen ging sie tiefer in den friedlichen Wald hinein.

Sie gingen noch etwa zwei Stunden, bis es Abend wurde. Die wenigen Tiere und Insekten in diesem Wald waren eindeutig irdischen Ursprungs. Vögel zwitscherten und Bienen summten umher. Auch einige Blumen und Pflanzen, die von der Erde stammten, hatten sich schon zu den ständig in Bewegung stehenden, etwa zwanzig Zentimeter hohen Grashalmen gesellt.

So etwas wie ein Zelt oder einen Schlafsack hatte Hermes natürlich nicht dabei. Langsam wurde Suji bewusst, was es eigentlich bedeutete, über dreihundert Kilometer zu Fuß zurückzulegen. Sie würden wahrscheinlich ein bis zwei Wochen dafür benötigen und Suji war es nicht gewohnt, 10 Stunden am Tag zu laufen. Barfuß! Schon jetzt taten ihr die Füße weh, obwohl sie heute vielleicht sechs Kilometer zurückgelegt hatten.

»Was sollen wir während der … Wanderschaft … überhaupt Essen?«, fragte sie beiläufig, während Hermes sich in der Dunkelheit in das hohe Gras legte. Die Halme deckten seinen Körper zu. Es sah gemütlich und scary zugleich aus und Suji traute sich noch nicht, sich ebenfalls hinzulegen.

»A-also …«, stammelte Suji weiter. »Nahrungsaufnahme. Du hast ja einen Mund, also …«

Ein Motorengeräusch unterbrach sie beide. Die junge Frau legte den Kopf in den Nacken und sah einen großen Hubschrauber direkt über ihnen. Schnell duckte sie sich und legte sich – widerwillig – in das hohe Gras.

»Oh Gott …«, staunte sie, als die Grashalme sich alle in ihre Richtung bewegten und sich auf ihre Beine legten. Dann wickelten sie sich um ihre Finger und zogen sie sanft auf den Boden hinunter. Sie verschmolz regelrecht mit dem Alien-Boden. Suji ließ den Kopf sinken und spürte, wie sich die Halme in ihre Haare hinein wickelten. Hoffentlich konnte sie nachher auch wieder aufstehen. Ihre Arme und ihr ganzer Oberkörper waren nun bedeckt und machten sie aus der Höhe nahezu unsichtbar.

»Erforschen sie den Wald?«, fragte Hermes.

»Wahrscheinlich suchen sie nach Rohstoffen, die sie ausbeuten können, damit die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer werden.«

Der Hubschrauber war ganz schön groß. Wahrscheinlich war das ein Kampfhubschrauber der Luftwaffe. Ohne sie zu bemerken, flog er über sie hinweg und verschwand mit leiser werdendem Propellergeräusch. Suji blieb zur Vorsicht noch ein paar Minuten so liegen. Das Gras fühlte sich warm an und spendete eine gewisse Geborgenheit. Dazu war es recht weich, auch wenn es ihre Bewegungsfreiheit stark einschränkte. Überall bewegten sich die Halme und streichelten über ihre Haut.

Suji konnte sich wenig später ohne Probleme von den Halmen lösen und aufstehen. In der Nacht war der Wald gar nicht so dunkel, denn es gab hier Glühwürmchen. Zumindest sahen diese winzigen außerirdischen Insekten so aus. Man sah von ihnen nur kleine Lichtpunkte, die überall im Wald umher kreisten. Tagsüber waren sie bei weitem nicht so klar zu erkennen, aber nachts war ihr Anblick und ihr Lichtspiel atemberaubend schön. Suji knipste sofort ein paar Fotos und auch ein Video mit ihrer Handykamera.

Hermes erklärte ihr, dass die Bäume innen hohl waren und innen drin eine Art Milch war, wie bei einem Kaktus. Er holte aus seinem Rucksack ein metallisches Werkzeug, dass etwas aussah, wie ein Zapfhahn. Das Gerät steckte er in einen der Bäume und füllte anschließend ein metallisches Gefäß von der Größe eines Coffee-to-go Bechers auf.

Vorsichtig probierte Suji die weiße Flüssigkeit. Sie musste nahrhaft genug sein, um sie für mindestens zwei Wochen zu ernähren, sonst waren sie am Arsch. Zuerst schmeckte es nach nichts, aber dann machte sich ein leicht süßlicher Geschmack in ihrem Mund breit. Es war etwas fad, aber ansonsten ganz okay. Und das Getränk sättigte wie Kuhmilch.

»Und du ernährst dich nur davon?«, fragte sie skeptisch.

»Ja.« Der Koreanerin fiel auf, dass dieser Alien das Prinzip von Nicken und Kopfschütteln überhaupt nicht kannte. Ein Mensch hätte bei dieser Antwort wahrscheinlich zusätzlich seinen Kopf hoch und runter bewegt.

»Musst du dann nie groß, oder wie?«

»Groß?«

Suji riss die Augen auf. »Ä-äh … also … geht ihr Aliens auch mal auf Klo?«

Hermes starrte sie lange an, anstatt zu antworten, und legte sich schließlich wieder hin. Autsch. Suji sollte wirklich mal lernen, diplomatischer vorzugehen.

Mitten in der Nacht wurden sie von einem lauten Donnern geweckt. Erschrocken fuhr die Koreanerin hoch und sah sich um. Die Glühwürmchen schwirrten wild umher und landeten dann auf Ästen und Bäumen, wo sie sich anschließend unsichtbar machten, indem sie aufhörten, zu leuchten. Schlagartig wurde es so dunkel, dass man die Hand vor Augen nicht sehen konnte.

Wieder donnerte es in der Ferne und Suji sah einen Lichtblitz am Horizont. Das war kein Gewitter.

»Sind das Bomben?«, fragte sie. »Das hört sich an wie Waffenfeuer.«

Hermes, der neben ihr lag, richtete sich ebenfalls auf. Scheinbar wusste er keine Antwort auf die Frage.

Sie sprach weiter. »Der Hubschrauber, den wir eben gesehen haben, war vom Militär. In den Nachrichten haben sie nichts davon gesagt, dass sie hier irgendetwas bombardieren.«

Suji holte ihr Handy aus der Hosentasche und wollte instinktiv eine Nachrichtenseite aufrufen. Aber sie waren bereits so weit von der Stadt entfernt, dass sie kein Netz mehr hatte. Verdammt!

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