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Der flüsternde Unbekannte
ОглавлениеUnter der Dusche lehnte Suji sich gegen die Fliesen des Badezimmers und ließ das warme Wasser über ihren Körper fließen. Die junge Frau schloss die Augen und fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht. Das Badezimmer war der einzige Raum, den sie abschließen konnte und wo sie sich somit keine Sorgen machen musste, dass ihre Mutter hereinplatzte. Darum verbrachte sie – trotz der dadurch hohen Wasserrechnung – überdurchschnittlich viel Zeit an diesem Ort. Wo sie endlich etwas Privatsphäre hatte in dieser abgefuckten Zeit.
Suji atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen, als sie sich mit der einen Hand zwischen die Beine fasste und mit der anderen ihre großen Brüste sanft massierte. Doch sie wurde schnell gestört.
»Was machst du da?«, fragte die flüsternde Stimme in ihrem Kopf. Sofort öffnete und verdrehte sie die Augen genervt.
»Wonach sieht es denn aus??«, fauchte sie leise in das Badezimmer hinein.
»Ich weiß es nicht. Ich kann dich nicht sehen.«
Suji ermahnte sich selbst erneut, nicht mit dieser Stimme zu sprechen. Sonst wurde sie wirklich noch verrückt. Schlecht gelaunt nahm sie die Seife und duschte sich fertig. Nach einem Blick aus dem Fenster stellte sie fest, dass der Junge gegenüber sie schon wieder bespannt hatte, da ihre Vorhänge viel zu löchrig waren. Ach verdammt. Suji hatte schon öfter gehört, dass sie sehr hübsch war, aber sie war in diese Richtung sowieso viel zu schüchtern, um sich auf eine Beziehung einzulassen. Für Antonio vielleicht … Den Kerl, der mit den anderen 75 Millionen Menschen verschwunden war. Noch unerreichbarer konnten ihre Träume wohl nicht sein. Nun galt es, dass sie sich etwas Schickes anzog, und ihre unerreichbaren Träume dem Jobcenter mitteilte.
»Hier steht, dass Sie vor sechs Jahren abgeschoben werden sollten«, merkte die Frau am Schalter des Jobcenters an. Eine Glasscheibe trennte Suji von der grimmigen Frau. Links und rechts von ihr fanden noch weitere Gespräche statt, die buchstäblich über Lebensschicksale entschieden. Absolut ohne Privatsphäre.
»Ich wurde aber nicht abgeschoben!«, protestierte die Koreanerin.
»Weil Sie sich der Abschiebung gewaltsam widersetzt haben, steht hier«, erklärte die Frau und deutete auf den Monitor mit ihrer Akte. So viele Daten und Backups waren mit dem Rest von Deutschland verschwunden, aber ihre Akten waren natürlich noch alle da. Suji wurde sauer.
»Die Polizei wollte mich direkt aus der Schule abholen. Meine Lehrer und Schulkameraden haben damals dagegen demonstriert und die Beamten dazu gebracht, aufzugeben. Das kam damals sogar kurz in den Nachrichten! Wir sind also geduldet.«
»Sehe ich anders. Sie sind illegal in Deutschland.«
»Dann wäre mein BaföG-Antrag wohl kaum akzeptiert worden!«
»Haben Sie das Studium denn auch abgeschlossen?«
Suji schwieg. Es war so unfair. Fast niemand schaffte dieses Studium in der Regelstudienzeit und sie hatte nur eine einzige Klausur verpasst.
»Die Universität ist auf der anderen Seite des Kraters. Ich suche darum ja auch einen Job.«
»Also da kann ich Ihnen nicht helfen. Sie müssen sich zuerst an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wenden und Ihren Status dort bestimmen lassen.«
Suji seufzte und rieb sich die Schläfen. »Das ist auch auf der anderen Seite des Kraters.«
»Es gibt eine Ersatz…«
»Die Ersatzdienststelle ist ein Büro mit zwei Mitarbeitern!«, unterbrach die junge Frau. »Da habe ich auch online einen Termin bekommen. In zwei Monaten!«
Die Mitarbeiterin des Jobcenters zuckte mit den Schultern. »Ich kann auch nur machen, was die Gesetze vorschreiben. Sonst würde ich Ihnen ja Schwarzarbeit vermitteln.«
Enttäuscht stand Suji auf und schob ihren Stuhl laut quietschend zurecht. »Schon okay!« Dann stapfte sie wütend aus dem Jobcenter. Zwei Monate musste sie also noch warten. Und worauf? Wahrscheinlich würde man dort auch nur einen Blick in ihre tollen Akten werfen und dann behaupten, dass sie ja illegal in Deutschland wäre. Kein Wunder, dass so viele Flüchtlinge schwarzarbeiteten oder sogar kriminell wurden. Gerade in Zeiten wie diesen.
Suji dachte selbst darüber nach. Aber wie sollte sie an so etwas kommen? Selbst als Schwarzarbeiterin brauchte man schließlich Kontakte. Da gab es ja kein Jobcenter für, das einem so etwas vermittelte. Und eigentlich wollte sie nicht noch mehr Probleme mit den Ämtern haben, als sie jetzt schon hatte.
Zwei weitere Monate also waren sie angewiesen auf Essen von der Tafel und der Kulanz des Vermieters. Wahrscheinlich dauerte es auch nicht mehr lange, bis ihnen der Strom abgestellt wurde.
Gegenüber von dem großen Gebäude des Jobcenters lehnte sich Suji gegen eine der immer noch nicht abgerissenen Ruinen und schloss für einen Moment die Augen.
»Was hast du?«, hörte sie wieder diese Stimme.
»Was wohl«, murmelte sie leise, so dass die wenigen Menschen, die an ihr vorbei gingen – und kaum Notiz von ihr nahmen – es nicht hören konnten. »Ich bin am Arsch. Ich kriege kein Geld, darf nicht arbeiten und werde vielleicht auch noch abgeschoben.«
Jetzt war die Stimme still. Sie hatte ihr noch nie so konkret geantwortet. Suji dachte immer, dass, sobald sie das tat, sie wohl endgültig verrückt werden würde. Galt ihre Krankenversicherung überhaupt noch, um sich Medis gegen Schizophrenie verschreiben zu lassen? Als hätte sie nicht schon genug Probleme.
»Warum will dich jemand abschieben?«, fragte die Stimme neugierig.
»Was willst du überhaupt von mir?«, stammelte Suji zähneknirschend. »Warum lässt du mich nicht in Ruhe?«
»Wenn diese Verbindung einmal etabliert wurde, kann man sie nie wieder lösen.« Die Studentin runzelte die Stirn.
»Verbindung?«
»Als wir uns in der Nacht des Erdbebens gesehen haben.«
Suji schüttelte den Kopf. »Ich hab in der Nacht des Erdbebens viele Menschen gesehen, aber ich hatte keine Halluzinationen!«
»Ich war auf der anderen Seite des Kraters.«
Die Koreanerin zuckte mit den Schultern und machte sich auf den Weg nach Hause. Auf dem Weg kam sie an einem Spielplatz vorbei, auf dem viele Zelte von Obdachlosen aufgestellt waren. Es roch unangenehm. Suji blieb davor stehen und überlegte, ob das wohl ihre Zukunft war. Immer noch besser, als zurück in die Hölle zu müssen, aus der ihre Mutter geflohen war.
»Hast du mich nicht gesehen?«, fragte die Stimme in ihrem Kopf. Suji flüsterte wieder so leise, dass niemand sonst sie hören konnte.
»Es war zu dunkel.«
»Achso. Kannst du in der Dunkelheit nicht so weit sehen?«
Die Studentin schnalzte genervt mit der Zunge. »Wer kann das denn?«
»Ich habe dich gesehen.« Suji verdrehte die Augen. Dann merkte sie, wie ihr Handy – oder besser gesagt: das Handy ihrer Mutter – vibrierte. Schlecht gelaunt nahm sie es aus der Hosentasche und aktivierte das Display.
Aber das Display war bereits aktiviert. Das Handy vibrierte außerdem durchgängig und gab nun auch noch einen lauten Ton von sich. Auf dem Bildschirm erschien eine Nachricht.
»Katastrophenmeldung«, las die Koreanerin leise vor. »Schweres Erdbeben in Japan. Seismologen sehen Parallelen zu dem Erdbeben in Deutschland von vor drei Monaten.«
»Was ist Japan?«
»Ein Land, das sich ungefähr auf der anderen Seite der Welt befindet.«
»Oh nein. Dann tun sie es schon wieder.«
Suji runzelte die Stirn. War diese Stimme wirklich nur ein Produkt ihrer Phantasie? »Wer tut was schon wieder?«
»Es ist eine Technologie, mit der man große Gebiete zwischen zwei Planeten austauschen kann.«
Die junge Frau musste lachen. Mit dieser Phantasie sollte sie entweder in die Klapse eingewiesen werden oder Science-Fiction Romane schreiben.
»Du glaubst mir nicht.«
»Nope! Und sobald ich Geld habe, besorge ich mir irgendwo Medikamente gegen Schizophrenie, damit du weg bist.«
»Experten sind sich zumindest in dieser Hinsicht einig«, sagte die Nachrichtensprecherin im Fernsehen, »dass es eindeutige Parallelen zu dem Ereignis gibt, wodurch der Großteil der Bundesrepublik spurlos verschwunden ist. Die japanischen Inseln sind buchstäblich verschwunden. Nachdem sich der schwere Sturm gelegt hatte, haben Aufklärer des koreanischen, australischen und US-amerikanischen Militärs das Gebiet neu kartographiert und nichts als Ozean vorgefunden. Das Erdbeben und der Sturm haben jedoch in Südkorea eine Tsunamie-Warnung ausgelöst.«
»Das haben die Südköpfe davon«, murmelte Sujis Mutter am Küchentisch, während die Studentin mit offenem Mund auf den Fernseher starrte.
Japan war einfach verschwunden? Das konnte nicht sein. Hatte diese Stimme etwa doch Recht gehabt?
»Das Verschwinden der japanischen Inseln hat zu einem weltweiten Finanzcrash geführt. Während sich nach dem Erdbeben in Zentraleuropa die Aktienmärkte noch einigermaßen halten konnten, ist jetzt an den Börsen eine Panik ausgebrochen. Analysten rechnen bereits mit einer schwerwiegenden Weltwirtschaftskrise.«
»In Japan lebten über hundert Millionen Menschen«, murmelte Suji entsetzt. »Einfach weg? Was kommt denn als nächstes?« Ihre Mutter reagierte nicht. Müde und – wie immer – betrunken, stützte sie ihren Kopf mit den Händen ab und schloss die Augen.
»Zurück ist aber keine neue Landschaft geblieben?«, fragte ein Moderator aus dem Off. Die Nachrichtensprecherin schüttelte den Kopf.
»Nein. Während in der Sperrzone in Zentraleuropa eine Waldlandschaft mit Pflanzen, die laut Experten höchstwahrscheinlich außerirdischen Ursprungs sind, zurückgeblieben ist, befindet sich im japanischen Hoheitsgebiet ausschließlich Meer.«
»Was wollen diese Aliens nur von uns?«, fragte die Koreanerin in die Küche hinein, ohne zu wissen, an wen sie ihre Frage eigentlich richtete.
»Welche Aliens genau?«, fragte die Flüsterstimme. »Wir?«
Schlagartig fuhr ein Schock durch den Körper der Studentin und sie stand vom Küchentisch auf. Was war denn das gerade? War diese Stimme etwa … War sie …
Schnell ging Suji in das kleine Badezimmer und schloss sich ein. Verwirrt ging sie dort auf und ab und dachte nach. Die Nachrichten sagten, dass dieser Wald außerirdisch war. Außer harmlosen Pflanzen gab es dort angeblich nichts. Bewies das die Existenz von Aliens? Und wenn es Aliens gab, war es dann wirklich so unwahrscheinlich, dass diese Stimme nicht nur in ihrem Kopf war?
Fuck! Genau so fing es wahrscheinlich an, wenn man den Verstand verlor! Verdammt! Verdammt! Verdammt!
»Ich verstehe nicht ganz …«, flüsterte die Stimme.
»Was bist du??«, wollte Suji ein für alle Mal wissen.
»Den Namen, den meine Spezies sich selbst gegeben hat, ist in deiner Sprache leider nicht auszusprechen.«
»Also bist du ein Alien? Und warum bist du in meinem Kopf?«
»Ich bin nicht in deinem Kopf. Ich bin auf der anderen Seite des Kraters.«
Suji zog die Gardinen zur Seite und sah die Straße hinunter. Von hier aus konnte sie nicht direkt den Krater sehen, aber zumindest in die Richtung.
»Du bist ein reales Wesen und befindest dich in der Sperrzone?«
»Ja«, antwortete die flüsternde Stimme. Suji sank auf die Knie und rieb sich die Schläfen. Dann fing sie an, zu grinsen. Zuerst pruste sie nur ein paar Mal ganz leise und dann immer lauter, bis sie hysterisch lachte.
»Ja! Geil! Ich gehe jetzt zum Arzt und hole mir Medikamente gegen dich, bevor ich noch völlig durchdrehe!!«