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Der Krater

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»Bitte stellen Sie sich hinten an!«, brüllte der Mann vor dem LKW ein älteres Ehepaar an, die sich in der Schlange anscheinend vor drängeln wollten. »Und halten Sie ihre Personalausweise bereit!«

Suji bekam einen Schrecken. Es warteten bestimmt einhundert Menschen vor dem LKW mit den Hilfslieferungen in der immer noch zerstörten Straße und die junge Asiatin stand ganz vorne. Mehrere Freiwillige einer Hilfsorganisation stapelten die Kisten auf dem Bürgersteig hinter einem provisorischen Tisch an dem eine ältere Frau mit unzähligen Stapeln an Papier saß.

»I-ich habe nur meinen Studentenausweis …«, stotterte Suji schüchtern, als sie vor trat.

»Haben Sie die Deutsche Staatsbürgerschaft?«, fragte die Frau mit den kurzen roten Haaren schroff.

»Ich wohne fast seit meiner Geburt in München.« Die Frau von der Hilfsorganisation zuckte mit den Schultern.

»Wichtig ist jetzt nur Ihre Staatsbürgerschaft.«

Suji schluckte. Sie kannte kein Leben außerhalb von Deutschland. Machten diese dummen Papiere so einen Unterschied? »Meine Mutter und ich sind Asylsuchende.«

»Dann müssen Sie ihre Hilfslieferungen in der Flüchtlingsunterkunft abholen! Asylbewerber sind selbst für die Verteilung der Hilfsgüter verantwortlich.«

»D-da war ich schon«, stotterte die Studentin verlegen. »Dort sprechen die aber nur arabisch.«

»Wo kommen Sie denn her?«

»Meine Mutter kommt aus Korea …«

»Da kann ich Ihnen nicht helfen. Nächster!«

Suji wurde leichenblass. »Aber …«

Zwei stämmige Männer näherten sich ihr bereits. Die waren hier scheinbar auf Krawall vorbereitet und nicht bereit, irgendwelche Kompromisse einzugehen. Hilfesuchend drehte sie sich um und sah doch nur in Dutzende ungeduldige Gesichter. Mit weichen Knien ging sie zur Seite und ohne eine dieser Kisten mit Hilfslieferungen weg von dem LKW. Ihr Mund stand halb auf und ihr Unterkiefer zitterte. Nicht heulen, dachte sie. Nicht heulen, bis ich hier weg bin!

Fuck. Ohne diese blöde Staatsangehörigkeit hatte sie früher schon genug Probleme gehabt. Aber in der größten Not wurde es noch viel schlimmer. Die Supermärkte waren bereits leer geplündert. Die Hilfsorganisationen mussten gut aufpassen, dass niemand sich mehr nahm, als ihm zustand. Jetzt war jeder sich selbst der Nächste und niemand interessierte sich noch für sie, die nicht nur sich, sondern auch ihre Mutter ernähren musste.

Als sie um die Ecke gebogen war, konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und heulte los. Dieses Gefühl, nicht von der Gesellschaft akzeptiert zu werden, hatte nun eine neue Dimension erreicht. Dabei kannte sie doch gar kein anderes Leben. »Europa den Europäern. So ticken die nun einmal«, hatte ihre Mutter mal dazu gesagt.

»Was ist Europa?«, fragte die Flüsterstimme. Wütend schlug Suji sich gegen den Kopf.

»Hau endlich ab!«, sagte sie laut und war froh, dass sie gerade niemand sehen konnte.

»Wohin denn?«

»Ist mir egal …«

Als Suji mit leeren Händen zuhause ankam, hörte sie, dass der Fernseher in der Küche lief. Die Studentin seufzte enttäuscht, als sie ihre Mutter am Küchentisch schlafen sah. In der Hand hielt sie eine leere Flasche Wein. Die hatte sie sich wohl mit ihrem letzten Kleingeld vom Kiosk gegenüber gekauft. So ein Mist!

»Die ersten Expeditionen zur anderen Seite des Kraters brachten enttäuschende Ergebnisse«, sagte der österreichische Nachrichtensprecher. »Noch immer fehlt von den etwa 75 Millionen Menschen jede Spur, die im Zentrum des Gebiets, das von dem fast kreisrunden Krater umschlossen wird, lebten. Geologen, Seismologen und Wissenschaftler aller Disziplinen sind ratlos, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte. Biologen haben unter dem Schutz des Militärs damit begonnen, die unbekannten Pflanzen, die auf der anderen Seite des Kraters erschienen sind, zu untersuchen. Unterdessen kam es zu einem Crash an den Börsen.«

Suji verdrehte die Augen. »Krass! Oder Mama?« Die alte Frau reagierte nicht. »Fast ganz Deutschland hat sich in Luft aufgelöst und keiner weiß warum.« Die junge Koreanerin stellte ihrer Mutter ein Glas Wasser hin und setzte sich neben sie. Ihre Versuche, Antonio zu erreichen, konnte sie dann wohl auch aufgeben. Der war, genau wie die Uni, an der sie beide studiert hatten, weg. Wo auch immer er hin verschwunden war.

Antonio … Ihr Kommilitone, der immer so unbeschwert wirkte. Und so unheimlich gut aussah. Suji war vom ersten Tag an der Uni in ihn verknallt gewesen, hatte sich aber nie getraut, ihm das zu sagen. Für ihn war sie nur eine Bekannte, mit der er manchmal zusammen gelernt hatte. Dabei war er auch ein guter Zuhörer. Er hatte ihr oft geholfen und Mut gemacht, indem er sich einfach ihre Sorgen und Ängste angehört hatte. Einmal kam er sogar mit zu einem Gespräch mit der Ausländerbehörde.

Ob er nun tot war? Die Welt stand vor einem Rätsel und niemand wusste die Antwort. Dort, wo einst die großen Städte dieses Landes lagen, war nun eine Sperrzone.

»Ist Antonio dein Freund?«, fragte die Stimme in ihrem Kopf wieder. Suji seufzte.

Black Eye Nation

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