Читать книгу Achtsames Selbstmitgefühl unterrichten - Kristin Neff, Christopher Germer - Страница 23
Freundlichkeit gegenüber sich selbst versus Selbstverurteilung
ОглавлениеDie meisten von uns versuchen, freundlich und rücksichtsvoll gegenüber Freunden und Angehörigen zu sein, wenn diese einen Fehler machen, sich unzulänglich fühlen oder ein Unglück erleben. Wir bieten vielleicht Unterstützung an und äußern Verständnis, um sie wissen zu lassen, dass wir Anteil nehmen – auch eine körperliche Geste der Zuneigung wie eine Umarmung kommt in Betracht. Wir fragen sie vielleicht: »Was brauchst du jetzt, in diesem Moment?« Und wir überlegen, was wir tun können, um zu helfen.
Seltsamerweise behandeln wir uns selbst oft ganz anders. Wir sagen uns harte und grausame Dinge, die wir niemals zu einer Freundin sagen würden. Tatsächlich sind wir oft härter gegen uns selbst als gegenüber Menschen, die wir nicht einmal besonders mögen. Die Freundlichkeit, die mit Selbstmitgefühl verbunden ist, beendet jedoch die ständige Selbstverurteilung und abwertenden inneren Kommentare, die die meisten von uns als normal ansehen. Unsere inneren Dialoge werden wohlwollend und ermutigend anstatt strafend oder herabwürdigend, was eine freundlichere und eher unterstützende Haltung uns selbst gegenüber widerspiegelt.
Wir beginnen unsere Schwächen und unser Versagen zu verstehen, statt sie zu verurteilen. Wir erkennen unsere Unzulänglichkeiten an, während wir uns bedingungslos als fehlerhafte und unvollkommene Menschen akzeptieren. Und vor allem erkennen wir, in welchem Maße wir uns durch unerbittliche Selbstkritik schaden, und wählen einen anderen Weg.
Zur Freundlichkeit gegenüber uns selbst gehört jedoch mehr, als die Selbstkritik zu beenden. Es geht darum, bewusst unser Herz für uns selbst zu öffnen und auf unser Leiden zu antworten, wie wir es bei einem lieben Freund in Not tun würden. Wir können uns urteilslos akzeptieren und darüber hinaus inmitten emotionaler Turbulenzen auch trösten und gut für uns sorgen. Wir wollen versuchen, uns selbst zu helfen, wollen unseren Schmerz lindern, wenn wir können. Normalerweise konzentrieren wir uns sogar bei unvermeidbaren Problemen wie einem unvorhergesehenen Unfall mehr darauf, das Problem zu lösen, als auf den fürsorglichen Umgang mit uns selbst. Wir behandeln uns mit kaltem Stoizismus anstatt mit liebevoller Fürsorge und wechseln direkt in den Problemlösungsmodus. Aber wenn wir freundlich mit uns umgehen, lernen wir, uns in schwierigen Lebensphasen zu nähren, und können uns unterstützen und ermutigen. Wir lassen uns von unserem eigenen Schmerz berühren. Wir halten inne und sagen uns: »Das ist jetzt wirklich schwierig. Wie kann ich in diesem Moment für mich selbst sorgen?« Wenn wir in irgendeiner Weise bedroht sind, versuchen wir, uns aktiv zu schützen.
Wir können nicht perfekt sein, und es wird immer Konflikte und Probleme in unserem Leben geben. Wenn wir unsere Unzulänglichkeiten leugnen oder ablehnen, vergrößern wir unser Leiden durch Stress, Frustration und Selbstkritik. Bringen wir uns aber Güte und Wohlwollen entgegen, rufen wir positive Gefühle der Liebe und Fürsorge wach, die uns helfen, mit den Schwierigkeiten umzugehen.