Читать книгу Achtsames Selbstmitgefühl unterrichten - Kristin Neff, Christopher Germer - Страница 40
Selbstmitgefühl im Vergleich mit Achtsamkeit
ОглавлениеEinige Wissenschaftler haben sich dafür interessiert, ob Selbstmitgefühl und Achtsamkeit zu unterschiedlichen Ergebnissen in Bezug auf persönliches Wohlbefinden führen. Obwohl Selbstmitgefühl auch das achtsame Wahrnehmen negativer, selbstbezogener Gedanken einschließt, fügt es die Elemente »Selbstfreundlichkeit« und »Erfahrung gemeinsamen Menschseins« hinzu, was zusätzlich zur psychischen Gesundheit beitragen kann. Als man beispielsweise den Zusammenhang zwischen Achtsamkeit, Selbstmitgefühl und Wohlbefinden bei Menschen mit moderaten bis schweren Angstzuständen und/oder Depressionen untersuchte, stellte man fest, dass Selbstmitgefühl eine signifikant höhere Varianz im Hinblick auf Angst, Besorgtheit, Depression und Lebensqualität erklärte als Achtsamkeit allein (Van Dam, Sheppard, Forsyth und Earleywine, 2011). Ebenso scheint Selbstmitgefühl bei Collegestudenten im Hinblick auf Depression, Angst, Glücksempfinden, positive und negative Gefühle und Lebenszufriedenheit ein stärkerer Prädiktor zu sein als Achtsamkeit (Woodruff et al., 2014). Forscher fanden außerdem heraus, dass das Induzieren einer selbstmitfühlenden Reaktion auf Gefühle der Traurigkeit bei ehemals oder gegenwärtig depressiven Menschen depressive Stimmungen effektiver verringert als eine Strategie des achtsamen Akzeptierens (Ehret, Joormann und Berking, 2018).
Interessanterweise ist Selbstmitgefühl ein negativer Prädiktor für Schamanfälligkeit, Achtsamkeit hingegen nicht (Woods und Proeve, 2014), was darauf hinweist, dass Freundlichkeit und Verbundenheit sich selbst gegenüber notwendig sind, um zu verhindern, dass sich negative Gedanken in Hinblick auf die eigene Person als Scham manifestieren. Darüber hinaus scheinen Selbstmitgefühl und Achtsamkeit eine unterschiedliche Rolle bezüglich der Selbststigmatisierung und des Wohlbefindens bei Menschen mit psychischen Krankheiten und HIV-positiven Menschen zu spielen (Yang und Mak, 2016). Achtsamkeit bremst hauptsächlich den Automatismus der Selbststigmatisierung bei Menschen mit psychischen Erkrankungen, und Selbstmitgefühl beeinflusst hauptsächlich die Verbindung zwischen Stigma-Identität und Wohlbefinden bei Menschen, die mit HIV leben.
Mehrere Forscher haben die Rolle der Achtsamkeit und des Selbstmitgefühls im Hinblick auf einen Zuwachs an Wohlbefinden im Zusammenhang mit Meditation verglichen. Obschon sowohl erhöhte Achtsamkeit als auch mehr Selbstmitgefühl die Korrelation zwischen Meditation und Glücksempfinden erklären helfen (Campos et al., 2016), ist Selbstmitgefühl ein stärkerer Prädiktor für psychisches Wohlbefinden bei Meditierenden als Achtsamkeit, selbst unter Berücksichtigung der Meditationserfahrung (Baer, Lykins und Peters, 2012). In einer mit Jugendlichen durchgeführten Studie, die an einem fünftägigen Meditations-Retreat teilnahmen (Galla, 2016), war die Zunahme des Selbstmitgefühls ebenfalls ein stärkerer Prädiktor für Wohlbefinden im Hinblick auf wahrgenommenen Stress, Grübelei, depressive Symptome, Lebenszufriedenheit sowie positive und negative Gefühle als die Zunahme an Achtsamkeit. Die Forscher stellten außerdem fest, dass Teilnehmende, die vor einer Achtsamkeitsmeditationssitzung kurz angeleitet wurden, warmherzig und mitfühlend mit sich umzugehen, eine höhere Bereitschaft zeigten, das Training fortzusetzen (Rowe, Shepstone, Carnelley, Cavanagh und Millings, 2016), was darauf hinweist, dass Selbstunterstützung beim Erlernen der anspruchsvollen Fertigkeit der Achtsamkeitsmeditation zu verhindern hilft, dass die Teilnehmenden entmutigt werden und aufgeben.