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2.1.2 Bindungstheorie und Psychoanalyse

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Bowlby sieht in der Methodik der Bindungstheorie einige Gegensätze zur Psychoanalyse, hält deswegen aber die beiden Methoden nicht für unvereinbar (Bowlby 1975, S. 13).

Der größte methodische Unterschied ist wohl der, dass die Psychoanalyse sich solcher Daten bedient, die retrospektiv aus den Erinnerungen von Patienten gewonnen werden, während die Bindungstheoretiker vorausschauend arbeiten, indem sie von einem bestimmten Ereignis in der Kindheit ausgehen und beobachten, wie dies auf die weitere Entwicklung der Person einwirkt (a.a.O., S. 19f). Hier stehen sich also historische Analysedaten und naturwissenschaftliche Verhaltensbeobachtung gegenüber. Die Direktbeobachtung, die insbesondere in behavioristischen Kreisen betrieben wird, sei laut Bowlby jedoch von Freud selbst als eine die Psychoanalyse ergänzende Technik bejaht worden (a.a.O., S. 27).

Ein weiterer Unterschied besteht in der Verwendung von ethologischen Daten in der Bindungstheorie. Dies ist nicht zuletzt das Resultat einer Zeit, in der die Arbeiten von Darwin und Lorenz (1935 veröffentlicht, aber vor 1950 unbeachtet, Bowlby 1975, S. 200) viel diskutiert wurden. Bowlby hatte ein entsprechendes Interesse an deren Schriften und er schreibt Freud ein eben solches Interesse zu (Bowlby 1975, S. 27).

Aus Freuds Psychoanalyse übernimmt Bowlby einige Konstrukte während er andere durch neue ersetzt. So übernimmt er drei von fünf metatheoretischen Standpunkten, die Rapaport und Gill 1959 klassifiziert haben: den strukturellen, der konstante psychologische Strukturen thematisiert, den genetischen, der sich mit den Bedingungen und der Entwicklung eines Phänomens befasst und den adaptiven, der das Phänomen in Bezug zu seiner Umwelt betrachtet (a.a.O., S. 28). Die Annahmen Freuds, die die Persönlichkeitsentwicklung unter strukturellen, genetischen und adaptiven Gesichtspunkten betreffen, werden von Bowlby unverändert übernommen. Die anderen zwei der fünf metatheoretischen Standpunkte entfallen in Bowlbys Denken und werden durch neue ersetzt. Der dynamische und der ökonomische Standpunkt Freuds beziehen sich auf die psychische Energie, die von Freud als eine Kraft postuliert wird, die das Seelenleben antreibt (a.a.O., S. 28f). Bowlby zeigt auf, dass der Energiebegriff bei Freud hypothetischer Natur ist und keinen echten Zusammenhang mit den aus der Analyse gewonnenen Daten hat. Er könne deshalb ohne weitere Verluste aus der psychoanalytischen Theorie ausgeschlossen werden (a.a.O., S. 30). An die Stelle des Modells von der psychischen Energie setzt Bowlby eine Instinkttheorie, die ihren Ursprung zum Teil in der Ethologie und zum Teil in kybernetischen Modellen hat.

„An die Stelle der psychischen Energie und ihrer Entladung treten als zentrale Begriffe die der Verhaltenssysteme und ihrer Steuerung, der Information, des negativen Feedback und eine verhaltensmäßige Form der Homöostase. Die komplexeren Formen instinktiven Verhaltens werden als Resultat der Ausführung von Verhaltensplänen betrachtet, die, je nach der betreffenden Spezies, mehr oder weniger flexibel sind. Es wird angenommen, dass die Ausführung eines Verhaltensplans ausgelöst wird durch den Empfang gewisser Informationen (welche die Sinnesorgane entweder aus äußeren oder aus inneren Quellen oder aus einer Kombination aus beiden beziehen), dass diese gesteuert und letztlich determiniert werden durch ständigen Empfang weiterer Informationen, die ihren Ursprung im Resultat der durchgeführten Aktion haben .... Es wird angenommen, dass die Verhaltensprogramme selbst und die Signale, die deren Ausführung steuern, sowohl aus erlernten als auch aus nicht erlernten Komponenten bestehen. In Bezug auf die Energie, die für das Funktionieren des Ganzen nötig ist, wird nichts postuliert, abgesehen natürlich von der Energie der Physik: Darin unterscheidet sich das Modell von der traditionellen Theorie“ (Bowlby 1975, S. 32).

Wenn Bowlby von verhaltensmäßiger Homöostase spricht, heißt das, dass Verhaltenssysteme ebenso wie physiologische Systeme darauf ausgerichtet sind, ein Gleichgewicht zu erhalten. Analog zum Beispiel zu dem Nebennierenrindensystem, das regulativ für ein stabiles Verhältnis von Blutdruck, Körpertemperatur und anderen Vorgängen sorgt, muss ein Verhaltenssystem darauf achten, dass das angewandte Verhalten mit inneren und äußeren Ansprüchen an die Person nicht zu sehr in Konflikt gerät. Es muss ein Gleichgewicht aufrechterhalten werden zwischen Signalen und gewohnheitsmäßigen Reaktionen und darauf folgenden Antwort-Signalen. Wenn eine Verhaltenstendenz auf ein bestimmtes Signal bereits erfolgreich war, so wird diese meist wieder angewandt, wenn ein gleiches oder ähnliches Signal erscheint. Das Gleichgewicht bleibt erhalten, wenn auch die Antwort auf die Reaktion wieder der Erwartung entspricht.

Unvorhergesehene und unbekannte Signale können die verhaltensmäßige Homöostase bedrohen, und der Grad der Bedrohung hängt davon ab, wie hoch die Flexibilität des Verhaltensplans ist. Bowlby spricht von mehr oder weniger flexiblen Verhaltensplänen und denkt dabei an Unterschiede zwischen verschiedenen Spezies. So hat eine Gans sicherlich weniger Variationen an Reaktionen als es Primaten haben. Aber auch innerhalb der menschlichen Spezies scheinen Unterschiede möglich, je nach Verlauf der Sozialisation. Ein Kind, das viel Freiheit und Anregung genossen hat mag flexiblere Verhaltenspläne etabliert haben als ein Kind, das in einer restriktiven und anregungsarmen Umwelt groß geworden ist. Die Verhaltenspläne hängen somit stets mit der Umwelt zusammen, ein Gleichgewicht kann nur in Beachtung dieser Umwelt aufrechterhalten werden.

Die Anpassung an die Umwelt bringt hier den Gleichgewichtszustand mit sich, etwas, das als angenehm erlebt wird. In der Psychoanalyse hingegen wird die Anpassung an eine restriktive Umwelt als schmerzlich empfunden, da das Es auf Triebbefriedigung, die meist antisozial ist, drängt. Jeremy Holmes macht darauf aufmerksam, dass Freud menschliches Bestreben als auf einen Zustand physischen Glücks oder Lustempfindens gerichtet verstand, während Bowlby das Lebensziel der Menschheit in der Sicherung der Existenz begründet sah. Wenn bei Freud das Lebensglück des Menschen aufgrund kultureller Repressionen von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist, gibt Bowlbys Theorie noch Hoffnung, dass nämlich die uns allen gemeinsame Notwendigkeit von Sicherheit ein Gemeinwesen schafft, dass durch gegenseitige Unterstützung das Überleben der Einzelnen und der Population sichert (Holmes 1993, S. 207ff).

So baut die Psychoanalyse, wie Brisch herausstellt, auf einer Triebtheorie auf, während die Bindungstheorie sich in der Begründung menschlichen Verhaltens auf Motivationssysteme, wie das Bindungssystem, beruft. Brisch zeigt außerdem, dass die Beziehung der Mutter zum Säugling in der Psychoanalyse als symbiotisch bezeichnet wird, das heißt, dass das Baby sich noch nicht von seiner Mutter abgrenzen kann und deshalb von Anfang an eine enge Bindung zu ihr besteht. Bowlby hingegen gibt die Vorstellung der anfänglichen Symbiose gänzlich auf und konstatiert, dass die Bindung zur Bindungsfigur erst im ersten Lebensjahr entsteht (Brisch 2000, S. 73).

Inge Bretherton zeigt weitere Gegensätze von Bowlbys und Freuds Denken auf. Freud ist der Meinung ein Baby könne zu viel Liebe von seiner Mutter empfangen. Bowlby hingegen geht davon aus, dass ein Kind so viel Zuneigung bekommen sollte, wie es verlangt und, dass es ein Zuviel davon nicht geben könnte. Problematisch wird die mütterliche Zuneigung nur, wenn sie als Kompensation unbewusster Feindseligkeit dient und somit als übertriebene Behütung bezeichnet werden kann, die nicht aus liebevollen Gefühlen resultiert (Bretherton 1999, S. 36). Bowlby kritisiert auch Anna Freuds Idee des infantilen Narzissmus, demzufolge die Ich-Strukturen des Kindes noch nicht ausreichend entwickelt seien, um Trauer zu erleben. Die Reaktionen eines Kindes auf längere Trennungen sind nach Bowlby ein eindeutiges Indiz für die Fähigkeit zur Trauer (a.a.O., S. 37). Die drei Phasen, die ein Kind bei der Trennung von seiner Bindungsperson durchmacht lassen sich mit den Phasen der Trauer bei Erwachsenen vergleichen, wie im folgenden Kapitel deutlich wird.

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