Читать книгу Sterben mit oder ohne Gott? - Käthy Hess-Widmer - Страница 7
ОглавлениеNiklaus K., 61
Nach vielen anderen Nachteinsätzen, ein gutes Jahr später, wurde ich wachgerüttelt. Da lag Niklaus mittleren Alters im Sterben. Er war gesprächig, aber unglaublich geschwächt. Eine innere Unruhe plagte ihn. In keiner Stellung war es ihm wohl. Ich schüttelte ihm das Kissen, legte ihm einen kühlen Waschlappen auf die Stirn, öffnete ein wenig das Fenster, genauso, wie wir es im Vorbereitungskurs gelernt wurden; aber sein ganzer Leib blieb ein einziges Feuer. Mit tieftrauriger Stimme sagte mir Niklaus:
„Ich weiß, es gäbe in meinem Leben einiges, bei dem ich mich zu versöhnen hätte, aber jetzt fehlt mir die Kraft dazu.“
Es berührte mich sehr, dass Niklaus mir dieses offene Geständnis machte. Weshalb mir? Doch ich wusste damals nicht, wie ich ihm hätte helfen können. Immer wieder schlief er für zwei Minuten ein, um dann wieder erneut von seiner Unruhe gepackt zu sein. Er streckte mir seine Hand entgegen, als würde er einen Halt suchen. Damals meinte ich, meine Hand wäre ihm Hilfe genug, denn so ähnlich sind wir es gelehrt worden.
„Ich weiß, ich hätte mich zu versöhnen gehabt, aber jetzt fehlt mir die Kraft dazu“, hatte Niklaus aber gesagt.
Das also stand ihm im Weg, dass er die Kraft nicht mehr hatte. Hätte ich nach der Schuld gefragt, hätte er vielleicht zu sprechen gewagt. Mir, einer Unbekannten, hätte er vielleicht seine Schuld herausgesagt. Denn Versöhnung ist schwieriger zwischen den streitenden Parteien, da emotionale Verknüpfungen bestehen. Versöhnung geschieht sehr oft durch die Hilfe eines Dritten, wie wir später im Hineinsterben mit Marthas Vater sehen werden.
Verstrittene Vergangenheit dauert oft bis zum letzten Augenblick, und bis zum letzten Augenblick dauern oft auch die Schuldgefühle, die sich im Verlauf der Jahre angehäuft haben.
Heute weiß ich, dass ich Niklaus tatkräftig hätte helfen sollen, seine Schuld vor den Schöpfer zu tragen. Ich hätte mit ihm wenigstens das „Vaterunser“ beten können; langsam und mit ihm zusammen hätte ich doch erspüren sollen, was zwischen dem Schöpfer und seiner Seele im Wege stand, dass Versöhnung nicht geschehen konnte. Ich habe es nicht getan. Ich habe es unterlassen, weil ich selbst im Glauben viel zu wenig verwurzelt war. Gebete waren für mich damals erst gesprochene Worte, also noch nichts Gelebtes.