Читать книгу Nur dämlich, lustlos und extrem? - Kurt Möller - Страница 21
SINNLICHKEITSBILANZEN
ОглавлениеMenschliche Orientierung verläuft nicht ausschließlich kognitiv. Menschen sind bio-psychosoziale Wesen, sie haben Körper und Gefühle. Auch wenn Bedürfnisaufschub über einen gewissen Zeitraum hinweg möglich ist – die Befriedigung sinnlicher Bedürfnisse ist für sie auf Dauer unverzichtbar: sich und andere spüren, Interessantes sehen und hören, geschmackvoll genießen u. a. m. Dementsprechend beurteilen sie ihre Existenz auch danach, welche Erfahrungen ihnen hinsichtlich sinnlicher Befriedigungen zur Verfügung stehen.
Selbst Politik und Politisches sind hochgradig sinnlich aufgeladen: Die Personalisierung von Politik schreitet scheinbar unaufhaltsam voran, sodass Fragen von Sympathie und Aussehen für die, die um politische Gefolgschaft buhlen, immer wichtiger werden. Symbole, die sie verwenden, Metaphern, in die sie ihre Botschaften kleiden, Bilder und Fotos, mit denen sie sich bzw. ihre Themen in Szene setzen, Personen, mit denen sie sich umgeben, Gefühle, die sie zu wecken oder umzulenken vermögen – all das und vieles mehr an personaler Außendarstellung, Themenverpackung und Agendasetting wirkt zunehmend meinungsbildend. Und »das Politische« ist ohnehin in das Alltagsgeschehen und damit auch in dessen Wahrnehmung und emotionale Bewertung verwoben. Aus der Sicht besonders von Herkunftsdeutschen wird diesbezüglich immer wieder vorgebracht: die Anzahl und die Außenwirkung der Migrant*innen, die im ÖPNV mitfahren, die Multikulturalisierung der Nachbarschaft, die Sprachenvielfalt in der Kita, die ethnische Durchmischung von Schulen, die Verfügbarkeit von Lokalen mit internationaler Küche, aber auch die Furcht vor marodierenden Horden Rechtsextremer, die Angst vor mehr Luftverschmutzung und Umweltzerstörung, die Betroffenheit von (scheinbar wachsender) Unsicherheit im öffentlichen Raum u. a. m. Einerlei, ob solche Faktoren als Zumutungen und Bedrohungen oder Pluralitätsgewinne und Innovationsschübe (oder noch anders) erlebt werden: Sie verdeutlichen die emotionale Aufladung des Politischen und damit seine sinnlichen Erfahrungskomponenten. Die darüber vorgenommene Bewertung politischer Aspekte beeinflusst die politische Haltungsbildung enorm (vgl. auch Besand u. a. 2019)