Читать книгу Die Würde des Tieres ist unantastbar - Kurt Remele - Страница 11
3. Ausweitung. Über die Würde der Tiere und andere ethische Begriffe Angemessene Begrifflichkeit
ОглавлениеIn Jonathan Safran Foers Buch Tiere essen ist folgender Bericht eines Arbeiters in einem amerikanischen Schlachthof abgedruckt:
„Im Tötungsbereich, wo immer viel Blut fließt, macht einen der Blutgeruch ganz aggressiv. Wirklich. Du kriegst die Einstellung, dass wenn ein Schwein nach dir tritt, du es ihm heimzahlst. Eigentlich tötest du es ja schon, aber das reicht noch nicht. Es muss leiden. … Du gehst hart ran, setzt ihm zu, schlägst ihm die Luftröhre kaputt, lässt es in seinem eigenen Blut ertrinken. Spaltest ihm die Nase. Da rennt also ein lebendes Schwein durch die Wanne. Es guckt zu mir hoch, und wenn ich gerade den Job als Stecher habe, dann nehme ich das Messer und – krrrk – schneide ihm ein Auge raus, während es einfach dahockt. Und dann schreit das Schwein wie am Spieß. Einmal habe ich mein Messer genommen – es ist ziemlich scharf – und einem Schwein ein Stück von der Nase abgeschnitten, als wär’s eine Scheibe Mortadella. … Dann … nehme ich eine Handvoll Salz und reibe es ihm in die Nase. Da ist das Schwein richtig ausgeflippt. … Ich war nicht der Einzige, der solche Sachen gemacht hat. Ein Schlachter, mit dem ich zusammenarbeite, treibt die Schweine manchmal noch lebend in das Brühbad.“32
Mein hier vorliegendes Buch handelt von der kontrafaktisch unantastbaren Würde der Tiere. Faktisch ist sie, wie dieser Bericht drastisch zeigt, antastbar und verletzlich. Die beschriebene Schlachthofszene legitimiert und provoziert den Gebrauch des Begriffes der Tierwürde in einem expressiven Sinn und wegen seiner appellativen Wirkung. Es mag aus ethischer, juristischer und rechtsphilosophischer Sicht Vorbehalte gegen diesen Begriff geben – ähnlich wie es Vorbehalte gegen den Begriff der Menschenwürde gibt – und selbstverständlich kann man ihm Vagheit und Allgemeinheit vorwerfen. Seine fehlende Konkretheit oder „Dünnheit“33, um die Diktion des US-amerikanischen Moralphilosophen Michael Walzer aufzugreifen, ist jedoch nicht primär Schwäche, sondern Stärke: Nahezu jeder, der diesen Begriff hört, wird etwas wahrnehmen, was er wiedererkennt. Wer über Tierwürde und deren Verletzung spricht, evoziert Bilder von Schlachthöfen und Tierfabriken, Tiertransporten und Gänsestopfleber, abgehackten Haifischflossen und in den Müll geworfenen Hundewelpen. Der Begriff der Tierwürde wird also in diesem Buch nicht philosophisch-ethisch analysiert und reflektiert, sondern als Ausdruck eines intensiven Protestes gegen all diese und andere Grausamkeiten verstanden sowie als Appell an christliche Gemeinschaften und alle Menschen guten Willens, etwas Konkretes dagegen zu tun. Was genau getan werden sollte, wird sich im Laufe dieses Buches erschließen.
Nach post-anthropozentrischen Ethiken steht fest: Wer einzelne Tiere quält oder willkürlich tötet, wer Tierarten ausrottet und den tropischen Regenwald großflächig abholzt, handelt ethisch falsch. Richtig oder falsch zu handeln ist – in der ethischen Fachsprache ausgedrückt – nicht dasselbe wie gut oder schlecht / böse zu handeln. Während es bei den Begriffen sittlich richtig und falsch um die unter Menschen intersubjektiv auszuweisenden und argumentativ darzulegenden Gründe für die Qualität einer ethischen Handlung geht, beziehen sich die Begriffe sittlich gut und schlecht / böse auf die einem Menschen innerliche Disposition und Motivation.34 An einem Beispiel erklärt: Man kann eine ausgeprägte Liebe zu Hunden und die besten Absichten haben, Hunden Freude zu bereiten, aus veterinärmedizinischen Gründen ist es dennoch nicht ratsam, die Tiere dadurch erfreuen zu wollen, indem man sie mit Schlagsahne oder Schokolade füttert. Wer immer solches tut, handelt ethisch zwar gut (Motivation), aber dennoch im Sinne des umfassenden Wohls der Tiere nicht richtig bzw. ausgesprochen falsch. Wer dagegen aus Abneigung gegenüber Hunden Giftköder auslegt, handelt sowohl ethisch schlecht oder böse (Motivation) als auch ethisch falsch (objektive Schädigung der Hunde). Motivation und Sachgerechtigkeit zu unterscheiden ist analytisch hilfreich, darf aber nicht dazu führen, beide strikt zu trennen. Denn an sich ist beides notwendig: eine auf Mitgefühl aufbauende gute Motivation und eine auf Sach- und Fachkenntnis gestützte ethische Entscheidungskompetenz.
Es legt sich nahe, an dieser Stelle noch zwei weitere begriffliche Klarstellungen vorzunehmen. Die erste weist auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Begriffen Moral und Ethik hin: Vor allem in der Alltagssprache werden diese Begriffe weitgehend synonym verwendet. Dagegen ist nichts einzuwenden. In der akademischen Ethik bezieht sich der Begriff Moral allerdings im Allgemeinen auf die in einer Gesellschaft vorherrschenden Moralvorstellungen und sittlichen Regeln, der Begriff Ethik dagegen auf die theoretisch-wissenschaftliche Reflexion über eben diese Moralvorstellungen und Regeln, „mit der Absicht, diese Ansichten auf die eine oder andere Art zu verbessern, weiter zu entwickeln oder zu präzisieren“35. Eine dritte begriffliche Klarstellung bezieht sich auf die Sprache, mit denen wir die Tiere und ihre Welt benennen. Das Anliegen von Tierethik und Ökolinguistik36, in der Rede über Tiere keine Wörter und Begriffe zu verwenden, die diese abwerten oder die die menschliche Grausamkeit gegenüber Tieren euphemistisch verschleiern, wird in diesem Buch voll unterstützt. Die durchaus zu respektierende Empfehlung von Tierrechtlern, nicht von Menschen und Tieren, sondern stattdessen von menschlichen Tieren und nichtmenschlichen Tieren zu sprechen, wird hier allerdings bis auf wenige Ausnahmen nicht übernommen. Für viele Leserinnen und Leser ist diese Sprachregelung sowohl ungewöhnlich als auch ungewohnt und wirkt eher verstörend als zum Denken anregend. Zudem wird durch den Begriff nichtmenschliche Tiere trotz der Intention, die evolutionäre Kontinuität allen Lebens dadurch sprachlich sichtbar zu machen, das Faktum nicht aus der Welt geschafft, dass es sich beim Begriff der Tiere um eine undifferenzierte Sprachregelung handelt, „die die Wirklichkeit dessen, war sie vorgibt zu beschreiben, verdeckt, nämlich ein breites Spektrum von höchst unterschiedlichen Wesen von erstaunlicher Vielfalt und Komplexität.“37 Anders gesagt: Menschen und Schimpansen sind sich in vieler Hinsicht ähnlicher als Schimpansen und Seegrasquallen, dennoch werden beide, Menschenaffen und Quallen, mit dem einheitlichen und undifferenzierten Begriff Tier bezeichnet.