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Eine „natürliche“ Beziehung zu Tieren?

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Die eben dargelegten neueren päpstlichen und bischöflichen Lehraussagen über die Tiere betonen ganz offensichtlich den Eigenwert jedes Tieres und die ökologische Verbundenheit aller Wesen mit- und untereinander. Das ist ein nicht zu unterschätzender Wandel in der theologischen Schöpfungslehre, den es zu würdigen gilt. Die Frage, ob diese neuen theologischen Akzentsetzungen Verhaltensänderungen im täglichen Umgang mit Tieren zur Folge haben sollten und, falls ja, welche genau, wurde in den genannten kirchenamtlichen Dokumenten bestenfalls sehr allgemein beantwortet. Das konkrete Handeln der meisten Christen ist explizit oder implizit nach wie vor von der traditionellen theologischen Überzeugung geprägt, der Mensch sei die Krone der Schöpfung und die übrige Kreatur habe ihm bis zur Hingabe und Opferung des Lebens zu dienen. Wäre es anders, würden wissenschaftliche und medizinische Tierversuche in bischöflichen Hirtenbriefen als moralisches Problem benannt und ihre sittliche Qualität sowie ihre wissenschaftliche Relevanz in Frage gestellt. Wäre es anders, würde es in Spanien zumindest einen Bischof geben, der sich gegen das grausame, religiös verbrämte Ritual der Stierkämpfe stellt. Wäre es anders, würden Bischöfe, Pfarrer und fromme Kirchgänger nicht der Jagd als Hobby nachgehen. Wäre es anders, würden sich auch viel mehr Christen vegetarisch oder vegan ernähren.

Kurz nach seiner Ernennung zum Bischof der österreichischen Diözese Graz-Seckau im April 2015 wurde Wilhelm Krautwaschl von der lokalen Kirchenzeitung gefragt, ob er Tiere möge. „Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen“, antwortete der neue Bischof, „da bekommt man eine sehr gute und natürliche Beziehung zu den Tieren.“ Gut und schön. Worin aber zeigt sich für Krautwaschl diese gute und natürliche Beziehung zu Tieren? Seine verblüffende Antwort lautet: „Meine wichtigste Aufgabe war das ,Sauschwanzerl-Halten‘ [Halten des Schweineschwanzes] beim Schlachten.“89

Wilhelm Krautwaschl ist ein frommer und freundlicher, offener und auf die Menschen zugehender Bischof. Er ist, wie er selbst bekennt, in kleinbäuerlichen Verhältnissen aufgewachsen und durch sie stark geprägt. Es ist dies ein Kontext, in dem das Schlachten von Tieren selbstverständlich ist, so selbstverständlich jedenfalls, dass Krautwaschl eine Schlachtszene als Musterbeispiel für eine vorbildliche, natürliche Mensch-Tier-Beziehung in den Sinn kommt. Dieser idyllisch verklärte, kleinbäuerlich-agrarisch geprägte Blick auf so genannte Nutztiere, die man zwar kennt und die Namen haben, deren Lebenszweck und -sinn aber dennoch ausschließlich darin besteht, dem Menschen zu dienen und für den Menschen geschlachtet zu werden, bestimmt noch heute die Einstellung und das Essverhalten des überwältigenden Teils der Christen. Die Tatsachen, dass die Bauernhöfe der Vergangenheit weder für Mensch noch für Tier eine Idylle darstellten, und dass die kleinbäuerliche Landwirtschaft sukzessive durch agroindustrielle Tierfabriken abgelöst wurde und diese Entwicklung noch weitergeht, wird ausgeblendet. Wie sonst wäre es zu erklären, dass fast alle Theologen, Pfarrer und Bischöfe und, soweit ich weiß, auch der Papst selbst, mehr oder weniger unbekümmerte Omnivoren, also Alles(fr)esser sind, die auch Tiere bedenkenlos verspeisen? Mag sein, dass der eine oder die andere dieser Christen zumindest gelegentlich darauf achtet, dass Fleisch, vielleicht auch noch Milch und Eier, die er oder sie konsumiert, aus artgerechter Tierhaltung stammen, aber das ist eine verschwindende Minderheit. Die große Mehrheit aller Christen, der Katholiken wie der Protestanten, der Anglikaner wie der Orthodoxen, hat – zumindest was ihr tatsächliches Verhalten betrifft – keine Probleme damit, sogenannte Nutztiere auf engem Raum einsperren, in kurzer Zeit mästen und im Kindesalter unter hohem Stress am laufenden Band schlachten zu lassen. Dies scheint den meisten Christen der angemessene und unhinterfragte Preis zu sein, den sogenannte Nutztiere eben zahlen müssen, damit die Menschen ihren Geschmackskonservatismus und ihre davon bestimmten kulinarischen Vorlieben aufrecht erhalten können. Wenn aber, wie Papst Franziskus in Laudato Sí so eindrucksvoll formuliert, die Desertifikation des Bodens jeden einzelnen Menschen wie eine Krankheit betrifft und das Aussterben einer Art wie eine Verstümmelung, warum gilt Gleiches nicht auch für die Intensiv- und Massentierhaltung in Tierfabriken, die fühlenden Wesen massive Einschränkungen und Schmerzen zufügt und zudem maßgeblich zur Desertifikation der Böden beiträgt?90 Ist die traditionelle christliche Tierethik nicht durch tiefgreifende Ambivalenzen und Widersprüche gekennzeichnet? Werden diese Ambivalenzen und Widersprüche in den Kirchen überhaupt als solche wahrgenommen? Ist die Macht kollektiver Gewohnheiten so stark, dass selbst neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse über Tiere, menschliches Mitgefühl und eine franziskanische Schöpfungsspiritualität sie nicht brechen können? Stimmt der Vorwurf von Kirchenkritikern, das christliche Verhältnis zu den Tieren sei im Innersten nach wie vor von einem arroganten Anthropozentrismus geprägt, vielleicht doch? Hier soll zunächst nur so viel gesagt werden: Christen verhalten sich gegenüber Tieren unter anderem deshalb ambivalent und widersprüchlich, weil diese Ambivalenz und Widersprüchlichkeit fast die gesamte christliche Ethik durchzieht. Sie ist in den Schriften der Bibel grundgelegt.

Die Würde des Tieres ist unantastbar

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