Читать книгу Die Würde des Tieres ist unantastbar - Kurt Remele - Страница 16
Artensterben als Verstümmelung
ОглавлениеDas moralische Bewusstsein in der Gesellschaft in Bezug auf Tiere hat sich geschichtlich gewandelt und weiterentwickelt, auch das moralische Bewusstsein in den christlichen Kirchen. Thomas von Aquin lehrte, dass die Tiere allein zum Gebrauch durch die Menschen bestimmt seien. Noch die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils, Gaudium et spes, erklärte, dass der Mensch die auf Erden „einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist.“83 Und auch im Katechismus der Katholischen Kirche aus dem Jahre 1993 ist zu lesen: „Er [Gott] hat alle materiellen Geschöpfe [Engel dagegen sind nichtmaterielle Geschöpfe] zum Wohl des Menschengeschlechtes bestimmt:“ (Paragraf 353)
Doch bereits der Sozialhirtenbrief der katholischen Bischöfe Österreich, der 1990, also drei Jahre vor dem Katechismus erschienen ist, stellte fest, „dass die Schöpfung und alles was lebt, einen gottgewollten Eigenwert besitzt und nicht allein zum Nutzen des Menschen da ist.“84 Im darauffolgenden Jahr betonten die katholischen Bischöfe der USA in ihrer pastoralen Erklärung Renewing the Earth. An Invitation to Reflection and Action on Environment in Light of Catholic Social Teaching: „Die übrigen Geschöpfe … sollten nicht bloß als Mittel für die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse behandelt werden, sondern auch als Geschöpfe Gottes, die einen unabhängigen, eigenen Wert besitzen und die unseren Respekt und unsere Fürsorge verdienen.“85 In seiner Enzyklika Laudato Sí vom Mai 201586 und in seiner Ansprache vor der UNO im September 2015 bestätigte Papst Franziskus die neue kirchenamtliche Lehre auf höchster Ebene: „Jedes Geschöpf – besonders die Lebewesen – hat einen Eigenwert, einen Wert des Daseins, des Lebens.“87
Die gegenwärtige kirchenamtliche Lehre verkündet den Eigenwert aller Lebewesen und der gesamten Schöpfung. Sie betont jedoch ebenso die gegenseitige Verflechtung und Interdependenz aller Kreaturen. In Laudato Sí betont Papst Franziskus, „dass sämtliche Geschöpfe des Universums, da sie von ein und demselben Vater erschaffen wurden, durch unsichtbare Bande verbunden sind und wir alle miteinander eine Art universale Familie bilden, eine sublime Gemeinschaft.“ Der Papst fährt fort: „Ich möchte daran erinnern, dass ,Gott uns so eng mit der Welt, die uns umgibt, verbunden [hat], dass die Desertifikation des Bodens so etwas wie eine Krankheit für jeden Einzelnen ist, und wir […] das Aussterben einer Art beklagen [können], als wäre es eine Verstümmelung‘.“88
Gegen Anfang dieses ersten Kapitels wurde über die Ausrottung des Dodo berichtet und darüber, dass die christliche Lehre von der göttlichen Bestimmung der vernunftlosen Tiere zum Wohle des Menschen und zum Gebrauch durch ihn nicht unwesentlich dazu beigetragen hat. Am Ende des Kapitels erfahren wir, dass der amtierende Papst ein solches Aussterben einer Tierart in ökozentrisch anmutender Art und Weise als Verstümmelung der mit allen anderen Geschöpfen verbundenen Menschheit bezeichnet.