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Оглавление3. Barock1 (1600–1720)
a) Die literarische Reformation
Was Erasmus von Rotterdam befürchtet hatte, war eingetroffen: Die Reformatoren erwiesen sich als ausgesprochen kunstfeindlich.2 Sie schlugen mit ihren Bemühungen um die Erneuerung des Glaubens alle geistigen Kräfte in Bann und ließen keinen Raum für die Wiedergeburt der Künste in Deutschland. Im Gegenteil, die fanatische Zuspitzung im Streit zwischen den Konfessionen führte endlich zum Dreißigjährigen Krieg (1618–1648), den nur ein Drittel der deutschen Bevölkerung überlebte.
Die humanistische Idee von der heiteren Entfaltung schöner Menschlichkeit ging unter in maßloser Verrohung der Sitten, in religiöser und in wirklich begründeter Daseinsangst. Der mittelalterliche Dualismus zwischen Gott und Welt polarisierte erneut das Weltbild und zerriss die Gemüter zwischen Ewigkeit und Vergänglichkeit, zwischen Seele und Leib, Glauben und Wissen, zwischen Todesangst und Lebenshunger. Dabei klang die Losung carpe diem kaum weniger angstgepresst als der Mahnruf memento mori.
In dieser Zeit innerer Zerrissenheit und äußerer Unordnung versuchten besonnenere Geister einen Rest menschlicher Würde durch Bemühung um ästhetische Formen zurückzugewinnen. Der schlesische Gelehrte und Diplomat MARTIN OPITZ (1597–1639) legte in seinem Buch von der Deutschen Poeterey (1624) das Programm der Barockdichtung nieder. Diese erste deutsche Poetik3, die sich an bewährten Mustern der Antike orientiert, verwirft die damals verbreitete Fremdwörterei. Im Kapitel »Von der zuebereitung vnd ziehr der worte« mahnt Opitz zum Gebrauch des Hochdeutschen:
So stehet es auch zum hefftigsten vnsauber / wenn allerley Lateinische / Frantzösische / Spanische vnnd Welsche wörter in den text vnserer rede geflickt werden; als wenn ich wolte sagen:
Nemt an die courtoisie, vnd die deuotion,
Die euch ein cheualier, madonna, thut erzeigen;
Ein handvol von fauor petirt er nur zue lohn /
Vnd bleibet ewer Knecht vnd seruiteur gantz eigen.
Wie seltzam dieses nun klinget / so ist nichts desto weniger die thorheit innerhalb kurtzen Jharen so eingeriessen / das ein jeder / der nur drey oder vier außländische wörter / die er zum offtern nicht verstehet / erwuscht hat / bey aller gelegenheit sich bemühet dieselben herauß zue werffen / […].
Wichtiger als diese sprachreinigende Vorschrift ist die Regelung des Metrums4. Opitz stellt fest:
Nachmals ist auch ein jeder verß entweder ein iambicus oder trochaicus; nicht zwar das wir auff art der griechen vnnd lateiner eine gewisse grösse der sylben [Länge] können inn acht nemen; sondern das wir aus den accenten vnnd dem thone erkennen / welche sylbe hoch [betont] vnnd welche niedrig [unbetont] gesetzt soll werden. Ein Jambus [] ist dieser:
Erhalt vns Herr bey deinem wort.
Der folgende ein Trochéus []:
Mitten wir im leben sind. 5
Diese Regelung, die Sprach- und Versrhythmus aneinanderbindet, schließt zugunsten eines sinnvoll alternierenden Verses das bloße Silbenzählen der Meistersinger und die Senkungsfreiheit des Knittelverses aus (vgl. Kap. 2, Anm. 7 und 9). Ausgeschlossen bleiben zunächst auch die daktylischen Formen (), Wörter wie ›Fingerchen‹, ›dreigliedrig‹ usw., die erst durch August Buchner (1638) wiedereingeführt werden.
Anstelle des Hexameters empfiehlt Opitz den Alexandriner als Hauptversform. Dieser Vers, der seinen Namen von der französischen Alexanderepik des 12. Jahrhunderts hat, ist ein sechshebiger, jambischer Reimvers mit einer Zäsur nach der dritten Hebung. Die Zäsur legt es den Dichtern nahe, antithetische6 Halbverse zu bilden; z. B. Opitz:
Ich weiß nicht, was ich will || ich will nicht, was ich weiß.
Das mochte eine der barocken Zwiespältigkeit angemessene Ausdrucksform sein; Goethe lehnte den Alexandriner, der bis hin zu Lessing das deutsche Drama beherrschte, gerade wegen dieser sich aufdrängenden Dialektik ab.
Wegen der schulmeisterlichen Art seiner Poetik ist Opitz im 18. Jahrhundert überhaupt scharf kritisiert worden. Man mochte die aus der Antike übernommene Dreiteilung in einen niederen, einen mittleren und einen hohen Stil nicht mehr gelten lassen.7 Die Unterscheidung zwischen Tragödie und Komödie nach Tod oder Überleben des dramatischen Helden erkannte man bald als zu äußerlich. Die Festlegung, dass eine Tragödie immer eine Haupt- und Staatsaktion sein müsse, in der eine Standesperson als Held auftritt, wogegen der einfache Mann bestenfalls ein Komödienheld sein dürfe,8 wurde schließlich durch das Aufkommen des bürgerlichen Trauerspiels überholt. Zu seiner Zeit aber galt Opitz nicht grundlos als Autorität und vielseitiger Neuerer. Er hatte unter anderem mit seiner Dafne (1626) für den Komponisten Heinrich Schütz (1585–1672) das erste deutsche Opernlibretto geschrieben und mit der Schäfferey Von der Nimfen Hercinie (1630) die Schäferdichtung9 in die deutsche Literatur eingeführt.
Vielleicht hat das Buch von der Deutschen Poeterey durch seinen gelehrten Ton wesentlich zu der scharfen Trennung zwischen der gesellschaftlich gehobenen Dichtkunst und der schlichten Volkskunst im Stil des 16. Jahrhunderts (vgl. ↑) beigetragen. Doch die kulturellen Mittelpunkte waren im Barock nun einmal die Höfe der absolutistischen Fürsten, an denen sich gebildete Adlige und bürgerliche Gelehrte als Träger der literarischen Erneuerung in sogenannten Sprachgesellschaften zusammenschlossen.
Nach dem Vorbild der florentinischen »Accademia della crusca« (gegründet 1582) hatte Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen 1617 die erste deutsche Sprachgesellschaft gegründet. Die Vereinigung, die sich »Fruchtbringende Gesellschaft« oder »Palmorden« nannte, zählte in den vierziger Jahren die bekanntesten Dichter und Sprachgelehrten der Zeit zu ihren Mitgliedern: Harsdörffer, Moscherosch, Logau, Gryphius, Rist, von Zesen, Opitz; Tobias Hübner, August Buchner, Johann Georg Schottel u. a. bemühten sich im gesellschaftlichen Kreise Gleichgesinnter – aber nicht ohne Gelehrtenstreit – um die Reinerhaltung der deutschen Sprache von fremden Einflüssen.
Oft erwähnt man, dass die Sprachreiniger in ihrem Übereifer auch alte Lehnwörter ausmerzen wollten, dass sie Wörter wie ›Fenster‹ oder ›Nase‹ durch ›Tageleuchter‹ und ›Gesichtserker‹ ersetzen wollten. Doch sollte man über dieser Abwegigkeit nicht vergessen, dass ohne die Verdienste der barocken Sprachgesellschaften um Poetik, Grammatik und Lexikologie (›Lehre vom Wortschatz‹) der literarische Aufschwung im 18. Jahrhundert kaum möglich gewesen wäre.
b) Das Drama
Das barocke Schauspiel setzt die Tradition der Schuldramen fort, jener Stücke, die in den Gymnasien und Universitäten ursprünglich um der lateinischen Sprach- und Redeschulung willen aufgeführt wurden (vgl. ↑). Im Zuge der Gegenreformation gewann vor allem das prunkvolle Jesuitendrama an Bedeutung. Eines der erfolgreichsten Stücke dieser Art schrieb JAKOB BIDERMANN (1578–1639).
Bidermann, Professor für Rhetorik in München, später Bücherzensor in Rom, verband in seinem Cenodoxus (1602) das Motiv vom Teufelsbündler Theophilus mit der Gründungslegende des Kartäuserordens. In der Form des barocken Welttheaters mit allegorischen Verkörperungen himmlischer und höllischer Mächte und mit der undramatischen Geradlinigkeit moralischer Erweckungsspiele unter dem Wahlspruch »Sic transit Mundi gloria« (»So vergeht der Glanz der Welt«) rechnet Bidermann mit dem Geist der Renaissance und des Humanismus ab:
Cenodoxus, der ruhmsüchtige Doktor von Paris, täuscht aller Welt gottgefälligen Lebenswandel vor, ist in Wirklichkeit aber ein humanistischer Pharisäer. Nach seinem Tod wird seine dreimal anberaumte Seelenmesse dreimal unterbrochen, weil sich der Leichnam von der Bahre aufrichtet und zum Schrecken der Anwesenden ruft, er sei angeklagt, gerichtet, verdammt. Sein Schüler Bruno flüchtet daraufhin als Einsiedler in die Wildnis:
Allhie auff Erd / O trewer Gott /
Schlag drein / haw / brenn / schick Angst vnd Noth /
All Creutz vnd Peyn / mit ainem Wort /
Schick her; allein verschon vns dort.
[…]
Mein Sinn steht in ein wilden Wald /
Damit ich dort mein Seel erhalt /
Daß es mir nit auch also geh /
Vnd wie dem Cenodoxo gscheh.10
Die Überlieferung berichtet, dass 1609 in München vierzehn adelige Hofbeamte unter dem Eindruck des Schauspiels, von Seelenangst gepeinigt, wie Bruno der Welt den Rücken kehrten.
Das erste dramatische Genie in der Geschichte der deutschen Literatur, der Begründer des deutschen Kunstdramas11 und der Vollender barocker Dramenkunst in einem, war der gelehrte Glogauer Syndikus ANDREAS GRYPHIUS (1616–1664).
Belesen in den antiken Dramatikern (Seneca, Sophokles und Euripides) und beeinflusst vom Jesuitendrama, übernahm Gryphius von dem niederländischen Rederijker12 Joost van den Vondel (1587–1679) die Schauspielgliederung in fünf Akte, die Bemühung um die sogenannten drei Einheiten13 von Zeit, Ort und Handlung und die dem antiken Chor nachgebildeten Reyen. Im feierlichen Schritt des von Opitz so warm empfohlenen Alexandriners zeigt Gryphius im pathetischen Stil des Welttheaters das Allgemeine am besonderen Fall hoher Häupter: Leo Armenius / oder Jämmerlichen Fürsten-Mords Trauer-Spiel (1652, Erstfassung 1650), Ermordete Majestät. Oder Carolus Stuardus (1657), Großmüttiger Rechts-Gelehrter / Oder Sterbender Aemilius Paulus Papinianus (1659).
Der geistige Angelpunkt all dieser Haupt- und Staatsaktionen sind die Ideen der vanitas (›Eitelkeit‹) und der Vergänglichkeit, ist der den Barockmenschen ängstende Gegensatz zwischen Zeit und Ewigkeit. Weil Gryphius vorführen möchte, wie der Mensch durch tugendhaften Verzicht auf zeitliche Güter ewigen Lohn erringen kann, steigert er seine Tugendtragödien zu Märtyrertragödien, in denen die Helden stets und unbeirrbar im Hinblick auf die Ewigkeit handeln. Am Anfang des Trauerspiels Catharina von Georgien. Oder Bewehrete Beständigkeit (1651) heißt es: »Der Schauplatz lieget voll Leichen-Bilder / Cronen / Zepter / Schwerdter etc. Vber dem Schau-Platz öffnet sich der Himmel / vnter dem Schau-Platz die Helle. Die Ewigkeit kommet von dem Himmel / vnd bleibet auff dem Schau-Platz stehen.« Die allegorische14 Figur rät dem Zuschauer, er möge wie die Heldin des Stückes alles Vergängliche verlachen:
Die Königin Catharina weigert sich standhaft, ihren christlichen Glauben aufzugeben und den mächtigen Schah Abas von Persien, der sie schon acht Jahre gefangen hält, zum Gatten zu nehmen. Viel lieber stirbt sie in der Nachfolge Christi den Martertod, den Gryphius als Höhepunkt des Dramas in schauerlicher Ausführlichkeit beschreibt. Dem physischen Untergang der Heldin entspricht das moralische Verderben ihres Peinigers, dem die Tote als Rachegeist erscheint.
Das Trauerspiel Cardenio und Celinde, Oder Unglücklich Verliebete (1657) ist insofern bemerkenswert, als es von den poetologischen Grundsätzen der Zeit (vgl. Opitz, Kap. 3a) abweicht und dadurch zu einem Zwischenglied zwischen barocker Staatstragödie und bürgerlichem Trauerspiel wird. »Die Personen«, entschuldigt sich Gryphius im Vorwort, »[…] sind fast zu niedrig vor ein Traur-Spiel […], die Art zu reden ist gleichfalls nicht viel über die gemeine […].« Gryphius begründet den Bruch der sogenannten Ständeklausel und das untragische Ende mit dem Hinweis, es handle sich hier um eine »warhaffte Geschichte«. Den Inhalt betreffend sagt er: »Mein Vorsatz ist zweyerley Liebe: Eine keusche / sitsame vnd doch inbrünstige in Olympien: Eine rasende / tolle vnd verzweifflende in Celinden, abzubilden.« – Cardenio, zunächst der Liebesraserei verfallen, wird durch Olympia, die ihm als Totengerippe erscheint, zur Vernunft gebracht. Nicht minder erfolgreich wirkt die Gespensterkur auf Celinde. Die liebestolle Hetäre wendet sich schließlich dem Himmel zu und schwärmt im Chor der Weltverächter: »Wol dem / der jeden Tag zu seiner Grufft bereit!«
Der episch-deklamatorische Stil macht den Text, für den es damals noch keine öffentlichen Bühnen gab, vorzüglich zum Lesevortrag geeignet. Andererseits birgt gerade die rhetorische Überhöhung die Gefahr, in leeres Pathos und barocken Schwulst zu verfallen. Gryphius selbst nimmt solche Überspanntheit der Sprache in seinen Komödien aufs Korn. In dem »Schimpff-Spiel« Absurda Comica oder Herr Peter Squentz (1658) heißt es:
Verschraubet euch durch Zuthuung euer Füsse vnd Niederlassung der hindersten Oberschenckel auff herumbgesetzte Stühle / schlüsset die Repositoria euers gehirnes auff / verschlisset die Mäuler mit dem Schloß deß Stillschweigens / setzt eure 7. Sinnen in die Falten / Herr Peter Squens (cum titulis plenissimis) hat etwas nachdenckliches anzumelden.
Der Schulmeister will mit seiner meistersingerhaften Laienbühne Ovids Liebesgeschichte von Pyramus und Thisbe vor der königlichen Familie aufführen. Durch banausischen Dilettantismus gerät das Spiel im Spiel zu einer Rüpelposse, in der die grobe Gemeinsprache der Handwerker den überkandidelten Theaterschwulst auf Schritt und Tritt bloßstellt.15
Auch das Scherzspiel von Horribilicribrifax (1663) bezieht seine komische Wirkung aus typisierendem Sprachkauderwelsch.
DANIEL CASPER VON LOHENSTEIN (1635–1683) steigerte die Eigenart des barocken Trauerspiels zum Manierismus; d. h., der innere Zwiespalt zwischen Zeit und Ewigkeit, Glücksverlangen und Verhängnis, Leidenschaft und Vernunft, der bei Gryphius vor allem auf ethisch-religiöse Besinnung zielte, wurde nun bei Lohenstein um spektakulärer Wirkungen willen in opernhaftem Schaugepränge und in prunkvoller Rhetorik veräußerlicht. Die mit Metaphern, Emblemen und Allegorien überladenen, meist bluttriefenden oder sentimentalen Staatsaktionen waren bei den Zeitgenossen so beliebt, dass man Lohenstein mit den größten Dramatikern der Antike verglich. Doch wenige Jahre nachdem die exotischen Heldinnen der »afrikanischen Trauerspiele« Cleopatra (1661, zweite Fassung 1680) und Sophonisbe (1680) nicht nur ihre Gegenspieler, die römischen Staatsmänner, sondern auch Zuschauer und Leser bestrickt hatten, bahnte sich ein Stilwandel an, in dessen Licht Lohensteins Verdienste gering schienen: Seit der Aufklärung wurden Lohensteins Dramen als barocker Schwulst verschmäht. Erst in jüngster Zeit beginnt man, diesen Rhetor und Dramatiker geschichtlich zu sehen und gerechter zu beurteilen.
c) Die Lyrik
Die Eigenheiten des literarischen Barock entfalten sich besonders anschaulich in der Lyrik. Gute Beispiele für die repräsentative Gesellschaftsdichtung im hohen Stil findet man bei GEORG RUDOLF WECKHERLIN (1584–1653), der wie Opitz in diplomatischen Diensten stand und viele Auftragswerke und Gelegenheitsgedichte für höfische Feste und fürstliche Ehrungen verfasste. Seiner Dichtungstheorie entsprechend (vgl. Kap. 3a) bemühte sich MARTIN OPITZ (1597–1639) um beispielhaft regelmäßig alternierende Verse und bezahlte, trotz mancher gelungener Gedichte, die neue Glätte nicht selten mit rhythmischer Eintönigkeit (vgl. das Gedicht »Jetzund kömpt die Nacht herbey«). Die von Opitz in die deutsche Literatur eingeführte Schäferdichtung blühte unter GEORG PHILIPP HARSDÖRFFER (1607–1658), der in Nürnberg den Orden der »Pegnitzschäfer« gründete. In Hamburg gründete JOHANN RIST (1607–1667) den »Elbschwanenorden« und sang:
O wie selig ist zu schätzen,
Der in seinem Hüttelein
Auf gut schäferisch sich ergetzen
Und sein eigner Herr kann sein.
PHILIPP VON ZESEN (1619–1689), der Gründer der »Deutschgesinnten Genossenschaft« in Hamburg, glänzte mit äußerst musikalischen Versen voller Binnenreime und Assonanzen:
Glimmert, ihr Sterne, schimmert von ferne
Blinkert nicht trübe, flinkert zu liebe
Dieser erfreulichen, lieblichen Zeit.
Lachet ihr Himmel, machet Getümmel,
Regnet uns Segen, segnet den Regen
Der uns in Freude verwandelt das Leid.
CHRISTIAN HOFMANN VON HOFMANNSWALDAU (1617–1679) besang Liebe und Vergänglichkeit und bewies seine Könnerschaft mit langen Bilderketten und Vergleichsreihen z. B. »Auff ihre schultern«. Die »Vergänglichkeit der schönheit« diente dem ehrbaren Breslauer Stadtrat dabei zur dialektischen Steigerung der Erotik:
Es wird der bleiche tod mit seiner kalten hand
Dir endlich mit der zeit umb deine brüste streichen […].
Man vergleiche auch die Bilderflut in dem Gedicht »Die Welt«! Als Gipfel spätbarocker Umschreibungssucht erfreut den heutigen Leser das »Allegorisch Sonett« eines unbekannten Verfassers:
Amanda, liebstes Kind, du Brustlatz kalter Herzen, [usw.].
Wohl ernst gemeint, wog die Bedeutung der sprachspielerischen galanten Dichtung leicht:
Das Herz ist weit von dem, was eine Feder schreibet,
Wir dichten ein Gedicht, daß man die Zeit vertreibet.
In uns flammt keine Brunst, obschon die Blätter brennen
Von bebender Begier – Es ist ein bloßes Nennen […]16
bekennt SIGMUND VON BIRKEN (1626–1681).
Der im Wortreichtum ausufernden barocken Form steht der knappe Sinnspruch gegenüber:
Wie wilstu weisse Lilien zu rothen Rosen machen?
Küß eine weisse Galathe: sie wird erröthet lachen.
FRIEDRICH VON LOGAU (1604–1655), von dem dieser Sinnspruch stammt, sammelte Deutscher Sinn-Gedichte drey Tausend (1654) unter dem Pseudonym17 Salomon von Glogau. JOHANN SCHEFFLER, genannt Angelus Silesius (1624–1677), ist bekannt durch seinen Cherubinischen Wandersmann (1674), »Geistreiche Sinn- und Schlussreime« mit vorwiegend religiösem Inhalt:
Mensch werde wesentlich: denn wann die Welt vergeht,
So fält der Zufall weg, daß wesen daß besteht.
Ich weiß daß ohne mich GOtt nicht ein Nu kan leben,
Werd’ ich zu nicht Er muß von Noth den Geist auffgeben.
Überzeugend klingen all jene Lyriker des Barock, die die schulgerechte Artistik und die formelhaften Versatzstücke der Sprache in den Dienst eines unverwechselbar eigenen Ausdruckes stellen konnten. Dies gelang vor allem PAUL FLEMING (1609–1640), SIMON DACH (1605–1659) und ANDREAS GRYPHIUS (1616–1664), der in seinen Mahngedichten »Es ist alles eitel«, »Menschliches Elende«, »Tränen des Vaterlandes / anno 1636«, »Die Hölle« und in den »Kirchhofsgedanken« die Schattenseite des Lebens mit düsteren Farben malt. Innigere Töne fanden die Kirchenlieddichter FRIEDRICH VON SPEE (1591–1635) und PAUL GERHARDT (1607–1676). Mit innerer Folgerichtigkeit verwandelten sie Luthers ›Wir‹-Lied der bekennenden Gemeinde zum ›Ich‹-Lied der gläubigen Einzelseele.
Opitz, Logau, Dach, Fleming, Gryphius, Hofmannswaldau, Scheffler – die meisten der großen Barocklyriker kamen aus Schlesien; so auch JOHANN CHRISTIAN GÜNTHER (1695–1723) am Ende der Epoche. Seine Gedichte sind dem Schwulst bereits so fern und so voll persönlicher Leidenschaft, dass man in dem Frühverstorbenen einen unmittelbaren Vorläufer Goethes sehen wollte. Goethe selbst nennt Günther »ein entschiedenes Talent, begabt mit Sinnlichkeit, Einbildungskraft, Gedächtnis, Gabe des Fassens und Vergegenwärtigens, fruchtbar im höchsten Grade«. – Aus dem Vaterhaus verstoßen, den eigenen Leidenschaften ausgeliefert, war Dichtung Günthers einzige wirtschaftliche und seelische Lebensgrundlage. Und gerade der enge Zusammenhang zwischen Leben und Werk macht Freude, Not und Vergänglichkeit beider in Günthers Gedichten erschütternd wahrhaftig.
d) Der Roman
Die epische Großform des Romans18 ist verhältnismäßig jung. Ihr Vorläufer war das höfische Versepos (Parzival, Nibelungenlied, Tristan usw., vgl. Kap. 1c), das am Ende des Mittelalters, in Prosa aufgelöst, als Volksbuch (vgl. ↑) und als sogenannter Artus- oder Ritterroman fortlebte. Unter dem Einfluss des spanischen Amadis-Romans19 entwickelte sich der Ritterroman im Barock zum heroisch-galanten Roman. Das erfolgreichste Beispiel ist Die asiatische Banise oder das blutig- doch mutige Pegu (1689) von HEINRICH ANSHELM VON ZIGLER UND KLIPHAUSEN (1663–1696), die ungeheuer stoffreiche Geschichte eines Staatsstreichs in Hinterindien.
Während das Epos ein idealtypisches Gesamtbild seiner Zeit und Gesellschaft vorzustellen versuchte, verengte der Roman den Blickwinkel auf das persönliche Einzelschicksal. Hinter der Maske naturverbundener Hirten in arkadischen Idyllen20 tauchen im Schäferroman sehr persönliche, oft autobiographische Züge auf. PHILIPP VON ZESENS (1619–1689) Adriatische Rosemund (1645) kann hier als Beispiel dienen. Das Vergnügen an den barocken Romanen steigt beim heutigen Leser, wenn die heroisch-galanten oder schäferlichen Selbststilisierungen der Gesellschaft durch ihren Außenseiter, den Schelm, gesehen und beschrieben werden und das Alamodewesen damit in Frage gestellt wird.21
JOHANN MICHAEL MOSCHEROSCH (1601–1669) verband in den Gesichten Philanders von Sittewald (1642) diese aus Spanien stammende Form des Schelmenromans mit Formen der volkstümlichen Literatur aus dem 16. Jahrhundert: mit Narrenspiegel, Ständesatire und Schwank.22 Philanders zeitkritische Gesichte sind locker gereihte Stationen einer Höllenwanderung in Anlehnung an die Sueños (1635) des Spaniers Quevedo. Im zweiten Teil befreit sich Moscherosch ganz von dieser Vorlage und verwickelt Philander selbst in die Handlung. Im Sinne der patriotischen Sprachgesellschaften muss sich Philander vor Ariovist, Wittekind und anderen germanischen Fürsten wegen neumodischer Unsitten verantworten. Die Helden bezweifeln, dass der »Teutschling« mit den welschen Hof- und Gelehrtenmoden ihr Enkel ist. Ariovist fragt den Verfasser der satirischen Gesichte: »[…] ist euch das Wälsche Gewäsch mehr angelegen als die Mannliche Heldensprach ewrer Vorfahren?« Doch im letzten Gesicht wird der »Mischmäscher« Philander durch Gutachten von Mitgliedern der »Fruchtbringenden Gesellschaft« (vgl. Kap. 3a) rehabilitiert.
Moscherosch gilt als unmittelbarer Vorläufer des HANS JAKOB CHRISTOFFEL VON GRIMMELSHAUSEN – nicht zuletzt, weil der Weltgucker Philander im vorletzten Gesicht, von Reitern verschleppt, zum Soldatenleben gezwungen wird. Grimmelshausen wurde 1621/22 in Gelnhausen geboren. Bei der Zerstörung der Stadt durch die Kroaten floh der Zwölfjährige nach Hanau. Ein Jahr darauf geriet er in hessische Gefangenschaft und zog von da an als Trossbub, Musketier und Regimentsschreiber, dem wechselnden Kriegsglück folgend, bald unter kaiserlichen, bald unter schwedischen Fahnen während der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges durch Deutschland. Nach Kriegsende heiratete er und ließ sich als Gutsverwalter und Gastwirt im Badischen nieder, wo er 1676 als Schultheiß von Renchen starb.
Was Grimmelshausen erlebt und was er gelesen hatte, verarbeitete er planvoll und mit großem erzählerischen Geschick zu einem einzigartigen Zeitgemälde, dem Schelmenroman Der abentheurliche Simplicissimus Teutsch (1669). Der Knabe Simplicissimus beginnt sein Leben im ersten Buch als Einsiedler, als reiner Tor wie Parzival. Das dritte Buch zeigt den Jüngling als »Jäger von Soest« auf dem Höhepunkt äußerer Erfolge und auf dem Tiefpunkt moralischer Bedenkenlosigkeit. Im fünften Buch entsagt der gereifte Mann der eitlen Welt, um wieder Einsiedler zu werden. Allerdings bricht Simplicissimus in einem angehängten sechsten Buch erneut zur Weltreise auf. Diese Continuatio (1669) stellt die Tektonik23 des Romans in Frage und lässt bezweifeln, dass Grimmelshausen einen zielgerichteten Entwicklungsroman unter dem Motto »nosce te ipsum« (»erkenne dich selbst«) schreiben wollte. Simplicissimus entfaltet sich weder stufenweise wie Parzival noch kontinuierlich wie Wilhelm Meister, sondern bleibt, trotz des Mottos, »ein Ball des unbeständigen Glücks«. Die stoffliche Ausweitung des Romans in einer Reihe simplizianischer Schriften, etwa in Trutz Simplex Oder Ausführliche und wunderseltzame Lebensbeschreibung der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche (1670) und Der seltzame Springinsfeld (1670), verweist auf die Anfügung als erzählerisches Baugesetz bei Grimmelshausen.
Bei CHRISTIAN REUTER (1665 – um 1712) gehört diese volkstümliche, reihende Erzählweise bereits zur bewussten Selbstdarstellung des Helden. In der »warhafftigen curiösen und sehr gefährlichen Reisebeschreibung zu Wasser und Lande«, einer glänzenden Parodie24 des höfischen Abenteuerromans, erzählt Schelmuffsky (1696) immer wieder die unerhörte Geschichte von seiner Geburt, um jedermann zu überzeugen, dass er einer »von den bravsten Kerlen der Welt wäre«, schließlich findet jeder: »[…] es siehet ihn was rechts aus seinen Augen.« Die erste Dame, die ihm begegnet, wird schwach vor seinem Charme und schreibt höfisch, doch unverhohlen:
Anmuthiger Jüngling.
Woferne Euchs beliebet diesen Abend noch mein Zimmer zu besehen, so lasset mir durch gegenwärtige Servante Antwort wissen. Adjeu! Eure affectionirte Dame
welche bey Euch heute Abend über Tische an der Ecke zur rechten Hand gesessen und manchmahl mit den Knie gestossen
La Charmante.
Und »in Hochteutscher Frau Mutter Sprache« berichtet der Grobian später: »Sie fraß mir vor Liebe der Tebel hohlmer bald die Schnautze weg.« – Die phantasievoll erschwindelten Reiseabenteuer sind dem indischen Großmogul gewidmet, dem Schelmuffsky bei einem Besuch die Buchführung in Ordnung gebracht hat.