Читать книгу Ullisten Getrillum - Lara Elaina Whitman - Страница 10

Zementsäcke

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Ullisten hatte die ganze Zeit fieberhaft überlegt, wie er unbemerkt verschwinden konnte, während er und Maria Lautner den engen Flur entlanggegangen waren, der sie aus dem Industriegebäude vom "Boss" hinausführte. Einen Teil seiner Aufmerksamkeit hatte er für ihre Rückendeckung verwendet, aber es war ihnen niemand gefolgt. Sollten sie da tatsächlich ungeschoren davongekommen sein? Schließlich standen sie auf der Straße und gingen zum Wagen von Maria Lautner. Ullisten fand es war an der Zeit sich zu trennen. Er schuldete dieser Menschenfrau seinen Dank und das bewies er ihr am besten, indem er so schnell wie möglich verschwand. Rasch sah er sich in der heruntergekommenen Straße um, konnte aber nichts finden, was ihm weiterhelfen konnte. Nur die Leitern waren vielleicht eine Chance. Wohin sie wohl führten? Für Menschen waren die unerreichbar, aber für einen Natali nicht. Maria lief voraus und rief ihm etwas zu, aber er ignorierte es. Ein wenig bedauerte er, dass er so sang und klanglos verschwinden musste, aber es war besser für sie. Mit einem kraftvollen Sprung griff er nach der untersten Sprosse der Metallleiter und betete, dass sie sein Gewicht hielt. Er hatte Glück. Das Material war weniger durchgerostet, als es von unten den Anschein gehabt hatte. Mühelos zog er sich hoch und hastete lautlos die wenigen Sprossen hinauf. Oben war eine schmale Plattform aus Beton in das gewellte Dach hineingebaut. Eine niedrige Tür führte ins Innere, die aber verschlossen war. Er drückte sich flach auf den Boden der schmalen Nische und hielt sich ruhig. Von unten hörte er Maria ein paar Mal nach ihm rufen, aber sie gab schnell auf. Für seinen Geschmack zu schnell. Hatte sie damit gerechnet, dass er verschwinden würde? Er war ein wenig enttäuscht, dass sie sich nicht mehr ins Zeug legte. Bedauernd hörte er wie sie den Wagen startete und wegfuhr. Das war zu einfach gewesen. Ein weiteres Geräusch von unten belehrte ihn eines Besseren. Ullisten spähte vorsichtig hinunter. Zwei Männer, schwer bewaffnet, standen in der Gasse und sahen zu ihm hoch. Sie schienen zu überlegen, wie sie nach oben kommen sollten. Ullisten fluchte unterdrückt und zog sich ans Ende der Plattform zurück, weg vom Rand.

»Kommen Sie herunter, oder wir erschießen Sie!«, rief der eine im Befehlston.

Ullisten dachte nicht im Traum daran der Aufforderung nachzukommen. Vorsichtig setzte er einen Fuß auf die Dachkonstruktion. Es knirschte verdächtig laut. Bedächtig nahm er den zweiten Fuß von der Plattform und verlagerte sein Gewicht langsam auf das angerostete Dach. Die Konstruktion schien ihn trotz ihres maroden Zustandes zu halten. Unten wurden die Stimmen aufgeregter. Ullisten schlich wie eine Katze auf Raubzug über das Dach davon. Die Kerle hatten sicher schon gemerkt, dass er im Begriff war abzuhauen. Er war beruhigt, dass sie trotz ihrer Ankündigung nicht einfach in der Gegend herumballerten.

Ullisten lief über das Dach auf die andere Seite der riesigen Halle. Ein paar Windböen trieben ihm Schnee ins Gesicht. Er sah hinunter, aber hier war kein Weiterkommen. Diese Seite endete in einem schmalen Innenhof, der offenbar zum gleichen Industriegebäude gehörte und keinen Ausgang hatte. Der Hof war nicht sehr breit, vielleicht fünf Meter, dafür aber lang. Vielleicht konnte er springen. Aus den Augenwinkeln sah er hinter sich, von dort wo er gerade hergekommen war, eine Bewegung. Die Männer hatten es wohl doch auf das Dach hinaufgeschafft, sie schienen der Konstruktion aber genauso wenig zu trauen wie er, weil sie sich ebenfalls nur mit äußerster Vorsicht fortbewegten. Das hielt sie nicht davon ab ihre Schnellfeuerpistolen auf ihn zu richten. Ullisten wollte es nicht darauf ankommen lassen. Er nahm ein paar Schritte Anlauf und sprang, auf die andere Seite des Innenhofes hinüber. Das Dach knirschte vernehmlich, Ullisten rollte sich ab, rannte zur Außenkante und sprang auf den Boden hinunter. Hinter sich hörte er, wie das Dach nachgab und Teile davon einstürzten. Schreie drangen aus der Halle heraus. Ullisten nutzte die Verwirrung und rannte so schnell er konnte die Straße hinunter und die nächste Seitenstraße entlang, hinaus aus dem verwahrlosten Industriegebiet. Suchend sah er sich um, aber hier gab es nirgendwo eine Deckung. In der Ferne konnte er die Fabrik mit den rauchenden Schloten erkennen, die offenbar an dem Dreck Schuld war, der sich über die Gegend hier verteilte. Was hatte Maria Lautner gesagt, was die herstellten? Er hatte es seltsamerweise vergessen. Mit weitausgreifenden Schritten spurtete er über die Brachäcker und hoffte, dass sein Vorsprung ausreichte und er sich dort irgendwo verstecken konnte. Natali konnten sehr viel schneller und ausdauernder laufen als Menschen, nicht so schnell wie Adschirr´arr, aber schnell. Es dauerte daher nur ein paar Minuten, bis er einige Kilometer zwischen sich und das Industriegebiet gebracht hatte. Von seinen Verfolgern war nichts zu sehen. Hoffentlich war niemand ernsthaft verletzt worden, das wäre nicht gut für ihn, denn dann würden sie die Suche nach ihm niemals aufgeben.

Langsam fühlte er sich etwas sicherer, er zügelte sein Tempo und fiel in einen leichten Trab, den er, wenn es darauf ankam, sehr lange durchhalten konnte. Die Fabrik kam näher, graue Abraumhalden säumten die breite Fahrstraße, die zu einem großen Tor führte. Busse und Autos in mehr oder weniger gutem Zustand parkten am Straßenrand. Niedrige Gebäude reihten sich vor dem Zaun aneinander, etwa fünfzig Männer in einfacher, abgetragener Kleidung und mit muskelbepackten Armen, standen davor und sahen ihm überrascht entgegen.

Ullisten mäßigte sein Tempo, um nicht noch mehr aufzufallen. Was sollte er tun? Einfach weiterlaufen und sie ignorieren?

Einer der Männer, der bessere Kleidung trug, als die anderen, hielt ein Gerät in der Hand, mit dem er von Mann zu Mann ging. Ullisten biss sich auf die Lippen. Verdammt, was machte der mit dem Gerät da? Der Mann sah auf und winkte ihm.

»Stellen Sie sich in die Reihe und halten Sie ihre Papiere bereit, wenn sie Arbeit wollen.«

Ullisten versuchte seine Überraschung zu unterdrücken, stattdessen setzte er eine undurchdringliche Miene auf. Er wäre am liebsten weitergelaufen, aber dann würden sich die Männer hier ganz gewiss an ihn erinnern, also stellte er sich hinten in die Reihe, immer den Blick auf die Umgebung gerichtet. Die Anderen in der Schlange beäugten ihn argwöhnisch, es war ihnen deutlich anzusehen, dass er für sie nicht wie ein Arbeitssuchender aussah. Ullisten ignorierte die Blicke und versuchte in der Zwischenzeit herauszufinden, was für Papiere er wohl benötigte und wofür. Aufmerksam sah er zu, wie der Mann mit dem Gerät von einem zum anderen ging und die Ausweiskarten durchzog, die sie ihm reichten.

Der Kerl neben ihm murrte leise. »Noch einer! Gibt ´eh nicht viel zu tun.«

Der Angestellte mit dem Gerät warf dem Murrenden einen stoischen Blick zu und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Ohne Kommentar nahm er den Ausweis des Nächsten und zog ihn durch das Gerät.

Ullisten hatte Schweißperlen auf der Stirn, er hatte begriffen, was der Kerl mit dem Gerät von ihm wollte. Er musste ihm die kleine Plastikarte geben, die Maria Lautners Leute angefertigt hatten, aber das war etwas, das er ganz und gar nicht tun wollte. Verstohlen sah er sich um. In ein paar Kilometern Entfernung fuhr ein schwarzer VAN die Landstraße entlang, verdächtig langsam, so als wäre er auf der Suche nach etwas oder jemandem. Ullisten war sofort klar, dass er keine Chance hatte von hier wieder zu verschwinden. Er zog seinen Mantel aus und hängte ihn sich über den Arm, nachdem er seinen Ausweis aus der Tasche genommen hatte. Er konnte zwar seine körperliche Größe nicht vermindern, aber das auffällige Stück, das auch auf weite Entfernung gut zu erkennen war, musste er ja nicht zur Schau tragen. Jetzt war er an der Reihe. Der Angestellte der Fabrik nahm seinen Ausweis und schob ihn in den Schlitz seines PAD. Ullisten hielt den Atem an. Nun würde es sich zeigen, ob er gute Qualität erhalten hatte.

»Sie waren noch nie hier.« Es war keine Frage, sondern nur eine Feststellung. Ullisten beherrschte seinen Schreck, nickte nur beiläufig. Der Angestellte musterte ihn aus dunklen Augen, die ihn an die Augen eines Insektes erinnerten, dann gab er ihm den Ausweis zurück.

»Gut, ich brauche zwölf Leute von euch heute.« Er warf einen Blick über die lange Schlange. Ullisten konnte in manchem der abgearbeiteten, verhärmten Gesichter Enttäuschung sehen. Worum auch immer es hier ging, es wurde offenbar nicht jeder genommen. Das war seine Chance wieder zu gehen.

Der Angestellte tippte etwas in sein Gerät, dann begann er Namen vorzulesen. » …und zum Schluss, Ramirez Estar.«

Ullisten war völlig überrascht, damit hatte er nicht gerechnet. Nun blieb ihm nichts übrig, als den Männern zu folgen. Die Anderen schulterten ihre Sporttaschen und gingen mit enttäuschten Gesichtern und gesenkten Köpfen zu einem der Busse, der an der Straße geparkt war.

Die Gruppe der Ausgewählten folgte dem Angestellten mit schleppenden Schritten. Ullisten hielt sich im Hintergrund und versuchte seinen Gang an den der Männer anzupassen. Vor einem niedrigen Gebäude, das irgendwann vor vielen Jahren einen weißen Anstrich gehabt haben musste, blieben sie stehen. Keiner sagte ein Wort, manche kauten auf etwas Undefinierbarem, süßlich Riechendem herum, einige inhalierten weiße Stäbchen, wie die Leute in der Dorfkneipe in Tatew. Der Angestellte verschwand in dem Gebäude. Es dauerte ein paar Minuten bis er wieder herauskam. Ullisten hielt den Kopf gesenkt und starrte auf seine Schuhe.

»So, Leute. Ihr habt zwei Tage Zeit zum Beladen. Bis morgen Nachmittag 17:00 Uhr müsst ihr fertig sein, dann startet der Konvoi. Ihr bekommt Abendessen, Unterkunft in der Baracke und 1000 DRAM Auslöse pro Stunde. Wenn ihr schneller seid, gibt es 2000 DRAM pro Nase extra.« Er gab den Stapel Papiere einem großen Kerl mit speckigen, schwarzen Haaren, der wartend vor der Bürobaracke stand. »Hier Tardat, die Unterlagen, wie immer.« Dann verschwand er ohne weitere Worte in seinem Kabuff.

Die Männer nickten nur schweigsam, Unzufriedenheit im Gesicht, aber keiner murrte. Ullisten verstand endlich was hier lief. Das hier waren Tagelöhner, die gegen wenig Geld niedrige Arbeiten verrichteten. Er atmete erleichtert auf. Vielleicht hatte er Glück und konnte sich hier für die nächsten zwei Tage unter ihnen verstecken.

Tardat Spandarjan forderte seine Aufmerksamkeit. Er war ein großer, grobschlächtiger Kerl, dessen Haare am erstaunlich flachen Schädel klebten und der mit immensen Muskeln und einem breiten Grinsen im Gesicht ausgestattet war.

»Also Leute, ihr habt´s gehört. Macht euch an die Arbeit, nicht trödeln. Kommt!«

Er lief der Gruppe voran, tiefer hinein in das weitläufige Gelände, bis zu einer großen Halle, vor der er stehen blieb. Dreißig Auflieger waren hier in Reih und Glied geparkt und warteten darauf beladen zu werden. Ullisten konnte längere Containerauflieger auf großen Rädern und kürzere unterscheiden, mehr aber auch nicht. Die Männer aber stöhnten entsetzt auf. Es war das erste Mal, dass sie etwas sagten. Tardat Spandarjan ließ keine Langeweile aufkommen. Er teilte sie in Zweiergruppen ein und schickte sie dann zu den Sattelaufliegern, die ganz rechts standen, dann öffnete er das Tor der Halle. Zementsack über Zementsack stapelte sich bis zur Decke des Gebäudes. Ullisten war sofort klar, was für eine Schufterei das werden würde. Er rollte seinen Mantel zusammen und steckte ihn in den Rucksack. Den würde er jetzt bestimmt nicht brauchen, obwohl ein eisiger Wind über das Fabrikgelände wehte. Die Männer stapelten ihre Sporttaschen an der Seite des Gebäudes, Ullisten legte seinen Rucksack dazu. Die Arbeiter mussten sich nicht umziehen, sondern zogen nur ihre dicken Winterjacken aus. Zu allem Überfluss begann es auch noch zu schneien. Im Gegensatz zu den anderen elf Männern, die den Job bekommen hatten, freute Ullisten sich darüber. Das würde es seinen Verfolgern noch schwerer machen ihn zu finden, vor allem aus der Luft.

Die Tagelöhner begannen ihre kräftezehrende Arbeit. Die Säcke waren schwer, aber Ullisten hätte gut drei davon bewältigen können. Für ihn war es nicht ganz so schlimm, da er als Natali erheblich stärker war, als die Menschenmänner. Immer wieder trafen ihn verwunderte Blicke, als er ab und zu zwei von den Säcken auf den Rücken lud und immer ein paar Schritte schneller war als die Anderen. Der Arbeiter, der mit ihm den Laderaum des Sattelaufliegers belud, war anfangs nicht sehr glücklich über die Wahl gewesen, nun aber so froh, dass er mit einem breiten Grinsen in den ersten Stunden hinter ihm herlief. Sie waren schneller als die anderen und am Abend hatten sie drei der großen Auflieger mehr beladen. Die Männer waren restlos fertig. Müde wischten sie sich den Zementstaub aus dem Gesicht, immer darauf bedacht, ihn nicht in die Augen zu bringen. Ullisten ging es etwas besser, aber auch er spürte die harte Arbeit in den Knochen. Er bewunderte diese Männer für ihre Leistung. Zusammen gingen sie in die Baracke.

Die Baracke war eine einfache Wellblechhütte und bestand aus einem Zimmer, in dem Etagenbetten nebeneinander standen und einem Raum, der für die sanitären Bedürfnisse eingerichtet war, sonst nichts. Zu Ullistens entsetzen gab es nur eine Gemeinschaftsdusche. Das wurde immer verzwickter! Er konnte nicht genau sagen, ob es große Unterschiede zwischen seinen körperlichen Merkmalen und dem der Menschenmänner gab. Meistens zeigten sich gewisse speziesbedingte Eigenarten an den Fortpflanzungsorganen oder dem Aufbau der Knochen, die sich mit Kleidung gut kaschieren ließen, aber nackt nicht mehr. Die Männer hatten es eilig aus ihrer schmutzigen Kleidung herauszukommen und unter die Dusche zu springen. Ullisten warf ihnen einen verstohlenen Blick zu und war erleichtert, denn er sah den Menschenmännern bemerkenswert ähnlich. Die Arbeiter warfen ihre Kleidung einfach auf den Boden.

Einer der Männer blieb zurück und sah ihn auffordernd an.

»Ich bin für die Ordnung hier drinnen zuständig. Los, beeil dich ein wenig. Ich will auch noch warmes Wasser haben! Zieh dich endlich aus!«

Er machte eine ungeduldige Geste. Ullisten blieb nichts anders übrig, als es den anderen gleich zu tun. Rasch entledigte er sich seiner Kleidung und warf sie ebenfalls auf den Boden. Was sollte er nachher anziehen? Er musste das dringend waschen, aber wie. Der Kumpel schien zu erraten, woran er gerade dachte.

»Du hast nichts zum Wechseln dabei? Nimm die Waschmaschine, dort.« Er zeigte auf einen weißen Behälter mit einer runden Öffnung. Ullisten warf seine Sachen hinein und blieb etwas ratlos vor dem Ding stehen. Resigniert kam der Kollege zurück schloss die Tür, füllte ein weißes Pulver in einen Behälter und drückte ein paar Knöpfe.

»Ist nicht schwer. Beim nächsten Mal weißt du das selber. Na, geh schon, worauf wartest du? Wenn du warmes Wasser haben willst, solltest du dich beeilen.«

Er schob sich an ihm vorbei in den Sanitärraum und stellte sich prustend unter eine der noch freien Duschen. Sie mussten sich abwechseln, da es nicht genügend Brausen gab. Die Männer teilten sich die spärliche Seife, die die Fabrik zur Verfügung stellte. Einige der Kerle musterten ihn verstohlen von oben bis unten. Ullisten war das extrem peinlich und offenbar nicht nur ihm. Ein paar der anderen Männer warfen giftige Blicke auf die Gaffer. Schon wieder ein menschliches Verhalten, das er nicht einordnen konnte, er hatte noch viel zu lernen.

Das saubere Wasser hatte gutgetan. Zum Glück gab es genügend Handtücher zum abtrocknen. Die Maschine, in die er zuvor seine Wäsche geworfen hatte, war nach einer halben Stunde fertig mit waschen und trocknen. Seine Sachen waren, dank des schmutzabweisenden Materials aus dem sie hergestellt waren, trotz des kurzen Waschgangs ziemlich sauber geworden. Er zog sich rasch an und folgte den Arbeitern hinaus auf den verschneiten Hof. Unter einer Zeltplane standen lange Tische und einfache Bänke aus einem Plastikmaterial. Ein großer Metallbehälter, der sich als Topf auf Beinen mit integrierter Kochplatte herausstellte, verströmte einen einladenden, deftigen Geruch. Ullistens Magen knurrte laut und vernehmlich.

Der Arbeiter neben ihm lachte ironisch. »Hoffentlich hast du noch Hunger, wenn du den Fraß erst einmal zu schmecken kriegst.«

Er nahm sich eine Schale und stellte sich hinter die anderen in die Reihe. Ullisten sah zu, wie Tardat Spandarjan jedem seine Schale mit einer roten Suppe füllte, in der ein paar Stücke Gemüse und etwas Fleisch schwammen, dazu gab es ein Stück weißes Brot. Die Männer setzten sich und aßen schweigend ihr kärgliches Mal. Ullisten wischte verstohlen über den Rand der Schale um eine Probe von der Nahrung zu nehmen, dann berührte er sachte seinen Analyser. Ein kurzer Blick darauf zeigte ihm die Zusammensetzung der Nahrung. Es waren ein paar Vitamine, Eisen, Kohlenhydrate und ein paar Spurenelemente wie Selen, für ihn also genießbar. Erleichtert atmete er auf. Das menschliche Essen schien wirklich gut für ihn geeignet zu sein. Sein Nachbar warf einen interessierten Blick auf das Armband um Ullistens Handgelenk.

»Verdammt, sehen die denn immer alles?«, dachte Ullisten und versuchte so unauffällig wie möglich den Analyser zu verdecken, aber es war zu spät.

»He, lass mal sehen! ´Ne seltsame Uhr haste da, mit seltsamen Zeichen drauf, hab´ ich noch nie gesehen. Was ist das für ein Ding?«, fragte ihn der Tischnachbar rechts von ihm neugierig.

Ullisten beäugte den Mann, der ihm schon ein paar Mal negativ aufgefallen war. Vor dem musste er sich in Acht nehmen. Am liebsten hätte er den Kerl ignoriert, wusste aber nicht, ob er sich damit verdächtig machte und außerdem kannte er das Wort "Uhr" nicht und wusste nicht was es bedeutete. Sein Gegenüber kam ihm zu Hilfe.

»Mann, lass ihn essen. Den Zeitmesser kannste dir später auch noch ansehen«, knurrte er unwillig. Offenbar konnte der den Kerl auch nicht leiden, jedenfalls hatten seine Augen keinen freundlichen Ausdruck.

Ullisten nickte dankend und griff zu seinem Löffel. Stillschweigend aß er sein Essen. Das Gericht fand er nicht so schlecht, wie die anderen behauptet hatten, aber ein paar der Männer verzogen angewidert das Gesicht. Im Feldlager hatte er schon Schlimmeres gegessen. Ullisten holte sich einen Nachschlag.

»Du musst wirklich hungrig sein, wenn du das Zeug magst«, sagte sein Tischnachbar links von ihm. Es war der Arbeiter, mit dem er heute zusammengearbeitete hatte.

»Ich bin Grigori Zeytun.«

»Ramirez Estar«, antwortete Ullisten knapp und schaufelte sein Essen in sich hinein.

»Ramirez, aha! Kommst nicht von hier, eh? Morgen wieder, wir beide?« Grigori Zeytun grinste verschwörerisch. Ullisten grinste zurück. Der hier war ihm erheblich sympathischer und er war fleißig. Sie hatten gut zusammengearbeitet.

»Warum nicht?«

»Kannst ganz schön zupacken.« Der Mann gegenüber schenkte ihm einen Blick, den er nicht einordnen konnte.

»Lasst ihn in Ruhe, verstanden! Ich teile die Leute morgen ein und keine Diskussion«, knurrte Tardat Spandarjan wie ein bissiger Hund vom anderen Ende des langen Tisches herüber.

Ullisten war froh über die eiserne Hand, mit der Tardat Spandarjan offenbar die Leute führte und dass damit die spärliche Unterhaltung beendet war. Offenbar kannten sich die Meisten untereinander, so war es nicht verwunderlich, dass sie neugierig auf den Neuen waren. Ullisten fragte sich, warum von all den Männern vor dem Gelände heute Morgen die Wahl ausgerechnet auf ihn gefallen war. Alle standen auf und brachten ihr Geschirr zur Ausgabe zurück. Ullisten folgte ihrem Beispiel und war überrascht, dass die Männer sich wieder hinsetzten. Zögernd setzte er sich daneben. Es sollte ein langer Abend werden, die Menschen hatten offenbar eine Menge Energie, wenn es um das Vergnügen ging.

So müde die Arbeiter auch waren, ins Bett gingen sie noch lange nicht. Einer von ihnen holte Würfelbecher aus seiner Jackentasche. Die Männer wetteten mit Begeisterung und manch einer machte ein langes Gesicht, weil er seinen Lohn des heutigen Tages verspielt hatte. Ullisten spielte nicht mit. Er kannte das Spiel nicht und er fand es dumm das hart verdiente Geld zu verprassen. Stattdessen machte er nach einer Weile einen Spaziergang über den Hof, auf die andere Seite des Areals in dem sich die Ladezone für die Auflieger befand. Die Baracke und das Essenszelt befanden sich auf der Rückseite des Fabrikgeländes, Richtung der Berge. Es war sehr dunkel und wäre er ein Mensch gewesen, hätte er gewiss nichts gesehen. Ullisten aber war kein Mensch und hatte darüber hinaus noch speziell designte Augen. Er spähte durch den Zaun hinaus und musterte akribisch die Landschaft. Außer ein paar Tieren rührte sich zum Glück nichts. Auch am Himmel war nichts zu sehen. Sollten sie seine Spur etwa verloren haben? Das würde sich vermutlich erst morgen zeigen, wenn sie ihren Suchradius vergrößerten und ihn trotzdem nicht fanden.

Ullisten Getrillum

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