Читать книгу Ullisten Getrillum - Lara Elaina Whitman - Страница 8
Papiere
ОглавлениеIm Vorübergehen fragte Ullisten sich, was die Leute hier eigentlich produzierten. Die Kerle sahen irgendwie nicht so aus, als würden sie Handtaschen basteln. Überall standen Maschinen herum, die die unterschiedlichsten Dinge ausspuckten. Sie schienen Produkte zu kopieren, nachdem das Original von einer Art Scanner abgelesen worden war. In einem der Automaten konnte Ullisten Teile erkennen, die ihn irgendwie an den Griff der Waffe von Christos Gatsos erinnerten. Der Arbeiter an der Maschine nahm rasch das frisch gefertigte Teil herunter und stellte einen Becher in den Scanner, nachdem er gesehen hatte, dass Ullisten in seine Richtung blickte. Hier war aber etwas mächtig faul, Ullisten wurde immer unruhiger.
Christos Gatsos führte sie an diversen Containern vorbei, die Metallschrott und Kunststoffe enthielten und das wohl als Rohmaterial diente. Unter gesenkten Lidern hervor beobachtete Ullisten das emsige Treiben. Das Ganze machte auf ihn einen ziemlich dubiosen Eindruck und er hatte den Verdacht, dass das alles nicht ganz legal war. Für seine Gesundheit war es sicher besser nicht danach zu fragen und so zu tun, als würde er nichts davon sehen.
Christos Gatsos führte sie eine metallene Treppe hinauf auf eine direkt unter das Dach der Halle gebaute Plattform, die sich als geräumiges Zimmer entpuppte. Der Raum war etwas besser eingerichtet, als der Rest der Produktionsräume. In einer der Wände war ein breites Panoramafenster installiert worden, das den Blick auf die Halle freigab. Ein schlanker, dunkelhaariger Mann stand mit vor der Brust verschränkten Armen davor und beobachtete die Szene unter sich. Christos Gatsos schloss die Tür und räusperte sich.
»Wir haben uns lange nicht gesehen, Severina.« Der Mann, den sie "Boss" nannten, drehte sich langsam um und musterte, nach einem flüchtigen Blick auf Ullisten Maria Lautner. Sie sagte nichts, wartete einfach ab.
Der "Boss" setzte sich in einen schwarzen Ledersessel hinter seinen Schreibtisch und ließ sich Zeit mit seiner nächsten Frage. »Was willst du?«, sagte er schließlich nach einer Weile.
»Papiere.«
»Papiere, so so. Wie du siehst habe ich eine gut gehende Firma aufgebaut. Alles legal.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung Richtung Halle.
Maria Lautner warf einen spöttischen Blick auf die angebliche Firma, sagte aber nichts dazu.
Ullistens Muskeln waren gespannt wie eine Feder, bereit sich zu verteidigen, wenn es nötig war. Nach außen jedoch wirkte er ruhig und gelassen. Diese Menschen waren gefährlich, soviel hatte er bereits verstanden und Maria hatte offenbar viele Namen.
»Genau, Papiere«, sagte Maria Lautner gedehnt. Sie kannte den "Boss" gut genug, um zu wissen, dass ihr Leben keinen Cent mehr wert war, wenn das hier die falsche Richtung nahm.
Der "Boss" schien zu überlegen. »Warum sollte ich dir vertrauen?«
Maria Lautner zuckte zusammen. Das war die falsche Frage. Konnte er wissen, dass sie seit Jahren für einen Geheimdienst arbeitete? Seine geschäftlichen Verbindungen waren schon immer weitreichend und undurchsichtig für sie gewesen.
»Du schuldest mir etwas.« Maria Lautner setzte alles auf eine Karte.
Der "Boss" sah sie durchdringend an. Ullisten hatte den Eindruck, dass Maria Lautner ein gefährliches Spiel spielte, aber der Mann sagte nur mit gedehnten Worten, »Vielleicht, vielleicht auch nicht.« Seine Augen wurden kalt, wie der Blick einer tödlichen Viper, die bereit war zuzubeißen.
Maria Lautner reckte das Kinn trotzig nach oben. Ullisten sah sich unauffällig nach einem Fluchtweg um, aber es würde ziemlich schwierig werden, hier wieder herauszukommen, wenn der "Boss" das nicht wollte.
Der Boss lachte lauthals. »Noch immer der gleiche Sturkopf.« Er stand auf und kam um den Tisch herum. Ullisten spannte seine Muskulatur noch mehr an, doch der Mann ging an ihm vorbei und öffnete die Tür. Er rief etwas hinaus.
Es dauerte ein paar Minuten, ungemütliche Minuten, in denen keiner sprach, bis ein junger, schlaksiger Kerl hereinkam.
»Boss?«
Die Leute hier waren offenbar alle etwas wortkarg und beschränkten sich in ihrer Kommunikation untereinander auf einzelne Worte.
»Was für Papiere sollen es sein?« Der "Boss" richtete seine Frage an Maria Lautner, doch die wies auf Ullisten.
»Sie sind für ihn. Ramirez Estar, geboren in Chile, Antofagasta, am…« Sie schien kurz zu überlegen, »…15. März 2054, und er braucht Zertifikate für Gold, ein ECOS-Konto und ein Bankkonto in Chile.«
Der "Boss" richtete sich abrupt in seinem Sessel auf. »Das ist ein wenig viel, meinst du nicht? Das wird teuer? Kannst du das bezahlen?« Der Boss hatte die Frage wieder an Maria Lautner gestellt, vielleicht dachte er, dass Ullisten kein Armenisch verstand. Ullisten konnte deutlich in seinem Gesicht sehen, dass er unbedingt wissen wollte, warum Maria Lautner ihm half. Eine brenzlige Situation, die jeden Augenblick aus dem Ruder laufen konnte. Ullisten entschloss sich zum Eingreifen.
»Wie viel?« Ullistens dunkle Stimme füllte das Zimmer. Es klang als hätte ein riesiger Wolf geknurrt. Die Männer duckten sich erschrocken. Christos Gatsos wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Maria Lautner sah ihre alten Kumpane erstaunt an.
»Wie viel?« Ullisten dachte nicht daran sich klein zu machen. Diese Leute waren gefährlich. Sollten sie ruhig wissen, dass er das auch war. Maria warf ihm einen warnenden Blick zu, aber er ignorierte ihn einfach. Das hier war etwas zwischen Kerlen, das verstanden Frauen nicht.
»Juri, geh und bereite die Papiere vor und richte ein Konto ein.« Der "Boss" schickte den schlaksigen jungen Mann wieder hinaus, dann wandte er sich an Ullisten. Er taxsierte ihn abwägend, versuchte zu erahnen, wie hoch er gehen konnte.
»Normalerweise kostet das sechzigtausend Dollar, in Gold wären das …«, er tippte Zahlen in einen kleinen Computer in seiner Hand, »etwa zwei Kilogramm reine Feinunze nach meinem Kurs. Hast du so viel?«
Ullisten wusste nicht genau was eine Feinunze war, aber er vermutete, dass das der Reinheitsgrad sein musste. Sein Gold war extrem rein, reiner als Menschen das für den Gebrauch herstellen konnten, aber es würde trotzdem seine Bestände erheblich reduzieren.
Maria war bleich geworden. »Damit willst du deine Schuld bei mir begleichen? Indem du uns über den Tisch ziehst?«
Der "Boss" drehte sich abrupt zu ihr um. Seine Augen blitzten wütend. »Meine Schuld begleichen? Warum sollte ich das tun?«
Jetzt war Maria richtig wütend. »Ja, du solltest. Für dich bin ich eingesessen, in der Hölle. Du schuldest mir.« Ihre Augen schossen Blitze auf den "Boss" ab.
Ullisten fand, dass das aus dem Ruder lief. Schuld hin, Schuld her, das hier war eine zu heiße Nummer. Er trat zwischen Maria und den "Boss", langsam und mit erhobenen Händen.
»Ich bezahle Preis, mit reinstes Gold, so fein, wie noch nie gesehen«, sagte er ruhig in seinem etwas lückenhaften Armenisch.
Der "Boss" trat einen Schritt zurück und maß ihn mit einem abschätzenden Blick. »Gut, weil du es bist, Severina. Aber sei sicher, dass du sonst tot wärst.« Er machte eine Handbewegung zu Christos Gatsos, der immer noch verstört an der Tür stand. So hatte er schon lange niemanden mehr mit seinem "Boss" reden hören.
»Bring mir den Zahlmeister.«
Christos Gatsos verließ widerwillig den Raum, nachdem er noch einmal einen misstrauischen Blick auf Ullisten geworfen hatte. Der "Boss" deutete auf die zwei Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen. »Setzt euch! Lass sehen!«
Ullisten legte ihm eine seiner Goldmünzen auf den Schreibtisch, die er aus einem Innenfach seiner Hose zauberte. Diese hier waren größer, als die, die er dem Wirt in Tatew für die Übernachtung gegeben hatte. Der Mann bekam große Augen. Erstaunt betrachtete er die goldgelb glänzende Farbe des Edelmetalls und die fremdartige Prägung. Die Münze war erstaunlich groß, ziemlich dick und extrem schwer, er wog sie abschätzend in seiner Hand. Ullisten konnte sehen, dass der Kerl Erfahrung hatte.
»Woher stammt das?«
»Es ist legal, nicht gestohlen«, mehr sagte Ullisten nicht.
Der Zahlmeister betrat den Raum, gefolgt von Christos Gatsos. Der Zahlmeister war ein kleiner rundlicher Typ mit Glatze und Vollbart. Umständlich kramte er eine Waage aus seiner Tasche und stellte sie auf den Tisch. Der "Boss" gab ihm das Goldstück. Ullisten konnte das gleiche Erstaunen im Gesicht des winzigen Menschenmännchens erkennen, obwohl dieses Haargestrüpp sehr viel von der Mimik verdeckte. Maria beobachtete die Szene mit Argusaugen, hielt sich aber zurück. Die Morddrohung steckte ihr noch in den Knochen.
Der Buchhalter untersuchte das Gold akribisch und nachdem er eine Säureprobe gemacht hatte und mit einem Spezialgerät die Münze durchbohrt hatte, um festzustellen, ob es sich tatsächlich durchgängig um Gold handelte, schrieb er nach einer Weile ein paar Zahlen auf ein Papier, das er dem "Boss" gab. Der betrachtete lange den Wert, bevor er ihn in seine Tabelle einfügte. »Für eine Unze bekommst du bei mir eintausend Dollar. Dieses Stück hat etwas über ein Kilogramm. Ich will vier davon. Der Preis ist soeben gestiegen«, sagte er schließlich.
Ullisten biss sich auf die Lippen. Das waren fast alle seine Reserven, aber er hatte keine Wahl. Der "Boss" beobachtete ihn unter halb geschlossenen Lidern hervor.
»Also gut, wenn Qualität stimmt. Ich möchte sehen. Wie lange dauert.«
Maria sah ihn erstaunt an. Wo hatte Ramirez Estar das Gold versteckt? Die Männer hatten ihn doch vorhin untersucht. Gold war schwer, das hätten sie eigentlich finden müssen, vor allem so ein riesiges Teil und nun schien Ramirez Estar noch ein paar mehr davon am Leib zu tragen. Offenbar war der "Boss" zu dem gleichen Schluss gekommen. Ullisten wusste, dass es jetzt gefährlich wurde. Wenn sie ihn noch einmal gründlicher untersuchen würden, dann würden sie die Geheimnisse seiner Kleidung entdecken und dann würden sie hier nicht mehr herauskommen. Ohne zu zögern zog er seinen rechten Schuh aus und griff nach dem Brieföffner, der auf dem Schreibtisch in einer Schale lag.
»Darf ich?«
Ullisten wartete nicht auf eine Antwort, sondern öffnete das Fach, das in die Innensohle seines rechten Schuhs eingelassen war. Während er den Beutel herauszog, in denen er die Goldmünzen aufbewahrte, deaktivierte er unbemerkt von den Menschen die Druckkammer, eine Spezialität der UCEG-Techniker, die das Gold auf subatomarer Ebene zusammenpresste und damit das Volumen verringerte. Sachte legte er die Goldmünzen vor sich auf den Tisch, die jetzt die Größe einer ziemlich dicken Medaille hatten und steckte den Beutel zurück in seine Jeans.
»Das ist alles was habe«, sagte er gelassen.
Der "Boss" zögerte, aber nach einem kurzen Blick auf den Zahlmeister, willigte er ein.
»Hol´ Juri.«
Christos Gatsos ging und holte den jungen Mann, der den Ausweis für Ramirez Estar, die Bestätigung über das ECOS-Konto und ein Bankkonto bei der chilenischen Staatsbank in Antofagasta mitbrachte. Er fügte noch ein Foto ein, das er mit einem kleinen Gerät anfertigte, das das Bild direkt auf den Ausweis transferierte. Maria nahm die Unterlagen und prüfte sie genau. Sie schien sich mit so etwas auszukennen. Ullisten sah zu, wie sie den Ausweis durch verschiedene Geräte zog, deren Funktion sich ihm nicht erschloss. Schließlich nickte sie. »Gute Arbeit. Was ist mit den Goldzertifikaten?«
»Die brauche nicht mehr. Das alles was ich hatte.« Ullisten schüttelte bedauernd den Kopf. Die Leute schienen ihm zu glauben, aber sicher war er sich nicht. Es war Zeit zu gehen, erwachte erst einmal die Gier nach mehr, dann waren sie schneller tot, als sie sich umdrehen konnten.
»Wir fertig?« Er nahm die Papiere und steckte sie in die Innentasche seines Mantels, dann stand er einfach auf. Die Männer hielten Abstand zu ihm. Der fremdartige Riese war ihnen nicht geheuer.
Wenige Minuten später waren sie wohlbehalten wieder draußen auf der Straße, vor der unscheinbaren Tür, und atmeten die staubige Luft ein. Ullisten war froh, dass sie mit heiler Haut davongekommen waren. Maria Lautner, oder sollte er sie jetzt Severina nennen, ging es offenbar genauso. Sie lächelte schwach.
»Lassen Sie uns von hier verschwinden.« Maria Lautner eilte zielstrebig zum Auto. Als sie sich umdrehte war Ramirez Estar verschwunden. Verblüfft sah sie sich um. Hatte er sich etwa in Luft aufgelöst. Die Leitern waren viel zu hoch, um da hinauf zu kommen. Es war ihr unheimlich, so wie der ganze Mann ein wenig unheimlich war. Verwundert war sie eigentlich nicht darüber, dass er sich aus dem Staub machen würde, sie hatte sogar damit gerechnet, aber nicht zu diesem Zeitpunkt. Nun, für sie war es ebenfalls besser, möglichst schnell von hier zu verschwinden. Ihre alten Kumpane beobachteten sie sicher und würden es sich vielleicht anders überlegen, wenn sie noch eine Weile hier herumgaffte. Auf deren Überwachungskameras würde sie vermutlich erkennen können, wohin Ramirez Estar so unvermittelt verschwunden war, aber die würden sich wahrscheinlich schon totlachen über sie und ihre Hilfsbereitschaft.
Sollten sie ruhig, für sie war das bedeutungslos, denn sie brauchte das gar nicht. Lächelnd stieg sie in den Wagen. Ganz so blöd war sie ja auch nicht. Sie hatte bereits in Jerewan, als sie Ramirez Estar am Arm durch die Menschenmenge gezogen hatte, einen Sender auf seinen Mantel geklebt. Bei Ramirez Estar war es besonders effektiv, weil er offenbar nur dieses Kleidungsstück zu haben schien und damit gab es keine Lücken in der Überwachung. Ramirez Estar war das bis jetzt nicht aufgefallen und das würde es vermutlich auch nicht mehr. Der Sender war in der Zwischenzeit bestimmt bereits mit dem seltsamen Material des Mantels verschmolzen. Der Minispion war ein raffiniertes Stück Technik, das Maria schon seit einiger Zeit erfolgreich für die Überwachung von Menschen einsetzte. Es bezog seinen Energiebedarf aus seiner Umgebung und war damit völlig wartungsfrei. Der Sender nutzte das Funksignal der Mobilfunkstationen als Trägerfrequenz. Das Signal, dass sie den Basisstationen unterschob war so kurz, dass es nicht einmal als Störung auffiel. Natürlich hatte sie die Adresse des Minispions maskiert, ebenso die Empfangseinheit. Damit war sie unauffindbar für die wachsamen Augen der Securityabteilungen der diversen Geheimdienste. Nicht umsonst war sie eine der Besten in der Ausbildung gewesen, die sie in den letzten Jahren genossen hatte. Sie hatte natürlich niemandem gesagt, dass sie einen Computerwurm bei einer kleinen Mobilfunkgesellschaft eingeschleust hatte, der sich bereits weltweit über sämtliche Basisstationen verbreitet hatte. Es war ihr Geheimnis. Das bedeutete, egal wo Ramirez Estar hinging, sie würde ihn finden. In aller Seelenruhe startete sie den Wagen und verließ die ungastliche Gegend. Spätestens in einer Stunde würde sie wissen, wo der Kerl sich herumtrieb und einfach in seiner Nähe bleiben, so wie sie das in den letzten Jahren immer gemacht hatte.