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6 • In ihrem Griff

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Sofort spürte ich, wie sich mein Herzschlag beschleunigte und ich rief mir Mayas erste Regel wieder ins Gedächtnis. Keine Emotionen anmerken lassen. Keine Angst zeigen, ganz egal, wie nervös ich auch war. Maya hatte mich draußen zwar vor diesem einen Vampir beschützen können, aber irgendetwas sagte mir, dass dieser hier nicht einfach auf sie hören würde. Also versuchte ich, tief durchzuatmen und hoffte, dass das reichen würde, damit ich einen neutralen Gesichtsausdruck hatte. Ich war nie besonders gut darin gewesen, meine Gefühle zu verbergen, aber jetzt war das wichtiger als je zuvor. Das Leben meines Bruders hing davon ab.

Am Rande bemerkte ich, wie sich Mayas Griff um mein Handgelenk verstärkte. Bestimmt, damit es so aussah, als sei ich ihre Gefangene. Schließlich hatte sie erwähnt, dass sie so etwas vielleicht machen müsste. Irgendwie beruhigte mich diese Geste sogar. So wusste ich zumindest, dass ich nicht allein war und sie noch immer versuchte, mir zu helfen. Viel mehr Gedanken machte ich mir wegen des Mannes, der immer näher auf uns zu kam. Seine leuchtend roten Augen sahen mich an, als wäre ich das Abendessen oder zumindest ein kurzer Snack zwischendurch. Vermutlich war ich ja auch genau das für ihn. Nur eine Mahlzeit.

»Maya, was machst du hier?« Der Vampir kannte Maya also und sie schien auch ihn zu kennen. War das jetzt ein gutes Zeichen?

»Das ist nicht deine Angelegenheit, Raúl«, antwortete meine Begleiterin mit unterdrückter Feindseligkeit in ihrer Stimme. Die beiden verstanden sich wohl nicht besonders gut. Das war definitiv kein gutes Zeichen. Was, wenn er uns aufhalten würde, einfach nur, weil er damit Maya ärgern konnte? So etwas konnten wir gerade wirklich gar nicht gebrauchen.

Diesen Gedanken vergaß ich aber sofort wieder, als Raúl seinen Blick von Maya abwandte und stattdessen mich musterte. Es gefiel mir gar nicht, wie er meinen Hals betrachtete, aber ich versuchte, mir das nicht anmerken zu lassen. Keine Emotionen zeigen. Das sollte doch nicht so schwer sein.

»Wer ist das Mädchen? Sie kommt mir bekannt vor. Kenne ich sie?«

»Wohl eher nicht. Sie ist einfach nur ein dummes Mädchen, das nicht auf ihre Mutter gehört hat und nachts aus dem Haus geschlichen ist. Ihr Fehler.«

Raúl schien mit dieser Erklärung immer noch nicht wirklich zufrieden zu sein. »Wenn sie nur irgendein Mädchen ist, warum hast du sie dann mit hereingebracht? Warum hast du sie nicht gleich gegessen?«

Seine Worte jagten mir einen Schauer über den Rücken, aber noch mulmiger wurde mir bei Mayas Antwort. »Nikolai will sie haben. Ich bringe sie zu ihm, er wollte mal wieder etwas Frisches von der Straße und nicht immer nur die Blutbeutel, die wir hier sonst trinken.«

Ich redete mir ein, dass sie so etwas nur sagte, um Raúl loszuwerden, aber ihre Worte klangen ehrlich. Als hätte sie wirklich vor, mich zu diesem mysteriösen Nikolai zu bringen. Aber das wollte ich nicht glauben. Als sie versprochen hatte, mich zu Felix zu bringen, hatte sie ebenso ehrlich geklungen. Ich konnte mich nicht so in ihr getäuscht haben. Oder?

Zumindest schien Raúl diese Antwort genug zu sein, denn er zuckte nur kurz mit den Schultern und lief dann weiter. Wer auch immer dieser Nikolai war, er schien viel Respekt zu genießen. Eine bessere Ausrede als ihn konnte es nicht geben. In Nikolais Angelegenheiten mischte man sich nicht ein, das war eindeutig. Ich konnte nur hoffen, dass ich selbst keine von seinen Angelegenheiten war.

Mein Herz schlug viel zu schnell, aber ich traute mich nicht, etwas zu sagen, solange ich mir nicht sicher sein konnte, dass Raúl wirklich weg war. Also lief ich stumm weiter neben Maya her und redete mir ein, dass ich mich dieses Mal getäuscht hatte. Dass ich mich dieses Mal nicht auf mein Bauchgefühl verlassen konnte. Sie würde mich nicht zu diesem Nikolai bringen, sondern zu meinem Bruder. Ich wollte ihr vertrauen. Also würde ich ihr auch vertrauen.

Erst als ich mir sicher war, dass Raúl uns nicht mehr hören konnte, nahm ich all meinen Mut zusammen und sah Maya von der Seite an. »Wer ist Nikolai?«, fragte ich kaum hörbar, aber ich war mir sicher, dass Maya mich trotzdem verstand.

Sie öffnete den Mund, um mir zu antworten, schloss ihn aber kurz darauf wieder, als würde sie nicht wissen, was sie mir sagen sollte. Was war denn an einer einfachen Frage so schwer?

»Wer ist Nikolai?«, wiederholte ich eindringlicher, als sie mir auch nach mehreren Sekunden immer noch nicht geantwortet hatte.

»Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst hier drin nicht reden?«, antwortete sie mit einer Gegenfrage, ohne mich anzusehen, aber ich verdrehte nur die Augen.

»Du weichst mir aus. Uns kann hier unten doch niemand hören.«

»Das kannst du nie wissen«, murmelte sie, sah mich dann aber endlich an. »Nikolai ist einer der stärksten und mächtigsten Nachtwandler, die ich kenne. Er hat unheimlich viel Einfluss und er ist so etwas wie unser Anführer. Unser König, um genau zu sein. Deswegen ist er auch die perfekte Ausrede, warum du bei mir bist. Niemand stellt seine Befehle infrage, das würde keiner wagen. Und jetzt hör auf, mir Fragen zu stellen. Wir sind gleich in der Nähe vom Großen Saal und der wird voller Nachtwandler sein. Wir müssen daran vorbei, also verhalte dich unauffällig. Du darfst kein einziges Wort sagen, solange sie dich hören können.«

Ich musterte Maya genau, antwortete darauf aber nur mit einem Nicken. Ich glaubte ihr, sie war nur um meine Sicherheit besorgt. Und solange sie das war, würde ich ihr auch vertrauen können.

Langsam ging ich weiter und spürte kurz darauf Mayas Hand auf meinem Rücken. Sofort breitete sich von der Stelle, an der sie mich berührte, eine wohlige Wärme in mir aus.

Vermutlich tat sie das nur, damit es gleich so aussah, als hätte ich keine Wahl, mit ihr mitzugehen. Als hätte sie mich fest in ihrem Griff. Dennoch beruhigte mich ihre Berührung. Sie gab mir das Gefühl, in dieser Dunkelheit, umgeben von gefährlichen Monstern, nicht alleine zu sein. Was bei genauerem Nachdenken eigentlich ziemlich ironisch war.

Ich bemühte mich, so leise wie möglich aufzutreten, um die Stille nicht zu unterbrechen, denn ich hatte das Gefühl, dass Maya neben mir überhaupt keine Geräusche von sich gab. Doch dann irgendwann hörte ich leise Stimmen. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber es klang so, als ob Hunderte sich in einem Flüsterton unterhielten. Wir waren wohl ganz in der Nähe von diesem Großen Saal, von dem Maya gesprochen hatte.

Gerade als ich das gedacht hatte, spürte ich, wie sie wieder ein wenig fester nach meinem Arm griff, doch es machte mir nichts aus. Sie würde mich an diesem Raum voller Vampire sicher vorbeibringen.

Die Stimmen wurden immer lauter, je weiter wir liefen, aber ich konnte noch immer nicht verstehen, was sie sagten. Es klang fast so, als würden sie eine fremde Sprache sprechen. Und dann waren wir plötzlich da, direkt neben dem Eingang zum Großen Saal. Ich konnte ihn schon von Weitem erkennen, denn der Torbogen war mindestens fünf Meter breit und weil die Tür weit geöffnet war, drangen nicht nur die Stimmen aus dem Saal, sondern auch ein schwacher Lichtschein.

Angestrengt versuchte ich, mein Gesicht so ausdruckslos wie möglich zu halten, während wir an der Masse von Vampiren vorbeiliefen. Immer wieder wiederholte ich Mayas Worte im Geiste. »Verhalte dich unauffällig.« Wie sollte ich mich denn unauffällig verhalten, wenn ich doch ein Mensch unter lauter menschenfressenden Wesen war? Ich versuchte zwar, meine Neugier zu bezwingen, konnte mich jedoch nicht davon abhalten, einen flüchtigen Blick in den großen Saal zu werfen. Ich musste einfach wissen, wie es dort drin aussah, wie viele dort waren. Es war vielleicht dumm, aber ich konnte nicht anders.

Der kurze Anblick, der sich mir bot, war absolut atemberaubend. Die hohen Decken ließen mich fast vergessen, wie weit unter der Erde wir uns befanden und erinnerten mehr an eine Kirche als an ein Vampirversteck. Sie war bemalt, in hellen, bunten Farben, und auch wenn ich von hier nicht erkennen konnte, was auf dieser Bemalung dargestellt war, sah es wunderschön aus.

Von der Decke hingen mehrere Kronleuchter, jeder von ihnen größer als ein Bus, deren Kerzen ein warmes Licht spendeten. Einige Fackeln an den Wänden ließen den Raum noch heller wirken und schafften eine beinahe gemütliche Atmosphäre.

Der Raum selbst war völlig leer, von den vielen Vampiren darin mal abgesehen. Es war kein einziges Möbelstück zu sehen, aber dafür führten fünf andere Eingänge in den Saal. Es war ein großer Treffpunkt, zu dem man aus jeder Richtung gelingen konnte, ein Ort der Versammlung. Dieser Saal hatte eine Schönheit, die man mit Worten nicht beschreiben konnte. Doch bevor ich noch weiter hinsehen konnte oder auch nur einen Überblick bekommen konnte, wie viele Personen sich gerade im Saal aufhielten, waren wir bereits an der Tür vorbeigegangen und ließen den Schein des Feuers und die leisen Gespräche der Vampire hinter uns.

Melya

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