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7 • Nur drei Regeln

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»Du hast reingesehen, oder?«, zischte mir Maya nach einer Weile zu.

Ich war überrascht von ihrem Tonfall, deswegen nickte ich nur, statt eine patzige Antwort zu geben. Sie klang verärgert, fast schon wütend. Damit hatte ich nicht gerechnet.

»Ich hätte es wissen müssen. Du bist einfach nicht in der Lage, das zu tun, was man dir sagt.«

»Ist das jetzt ein Problem?« Unsicher sah ich sie an, verschränkte dann aber meine Arme vor der Brust. Ich wollte keine Angst haben, und ich würde mich nicht von Maya verunsichern lassen. »Ich war eben neugierig. Was ist schon dabei?«

Leise seufzte Maya auf, schien sich dadurch aber zu beruhigen, denn als sie weitersprach, klang sie schon viel gelassener. »Wenn du die anderen Nachtwandler gesehen hast, dann haben sie dich vermutlich auch gesehen. Das ist vielleicht nicht sofort ein Problem, aber sehr gut ist es auch nicht gerade. Sie wissen jetzt Bescheid, dass ein Mensch hier ist. Wenn wir Pech haben, spricht sich das herum.«

»Denkst du, dass wir jetzt nicht mehr ungesehen rauskommen werden?« Ich merkte, dass meine Stimme ein wenig panisch klang, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Wenn ich aus Versehen für so ein Problem gesorgt hätte, wäre das eine Katastrophe. Ich war doch nur hier, um meinen Bruder zu retten. Was sollte ich tun, wenn ich ihn fand, aber ihn nicht in Sicherheit bringen konnte? Dann wäre das alles hier völlig umsonst gewesen.

»Mach dir keine Sorgen, das kriegen wir schon hin.« Seufzend sah sie sich um und wechselte dann das Thema. »Hat es dir Angst gemacht, so viele Nachtwandler zu sehen?«

»Na ja, ehrlich gesagt habe ich sie kaum wahrgenommen. Ich war zu fasziniert von diesem wunderschönen Raum, da habe ich kaum bemerkt, dass sie da waren.«

»Tatsächlich? Interessant«, murmelte sie zu sich selbst, ging aber nicht näher darauf ein, was genau so interessant daran war.

»Sie haben eine andere Sprache gesprochen, oder? Wir waren so nah bei ihnen, aber ich habe trotzdem nicht verstanden, worüber sie geredet haben. Was war das für eine Sprache?«

Ich war mir sicher, so etwas noch nie zuvor gehört zu haben, und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass mir diese Sprache vertraut war. Als wäre sie ein Teil von mir und ich hätte sie nur längst vergessen. Was überhaupt keinen Sinn machte.

»Ja, du hast recht. Einige von uns weigern sich, die Sprache der Menschen zu sprechen. Sie wollen mit der Welt oben nichts zu tun haben und verabscheuen jeden Kontakt damit. Deshalb reden wir meistens in der Alten Sprache, zumindest wenn einer der Ältesten dabei ist.«

Ich freute mich, dass Maya mir geantwortet hatte, aber gleich darauf stellte ich mir schon die nächste Frage. »Die Ältesten? Wie alt sind die Ältesten? Seit wann gibt es euch schon?« Ich hielt inne, als mir bewusst wurde, wie neugierig ich klingen musste und lächelte sie verlegen an. »Entschuldige, wenn ich zu viele Fragen stelle. Ich weiß, dass ich das eigentlich nicht sollte.«

»Ach nein, das ist schon in Ordnung«, antwortete Maya mir und lachte leise. »Mir war klar, dass du dich nicht lange an meine Regeln halten würdest. Solange wir alleine sind, kannst du mich so viel ausfragen wie du möchtest, nur pass auf, wenn uns jemand begegnet.

Uns Nachtwandler gab es eigentlich schon immer, nur wussten die Menschen lange Zeit nicht über uns Bescheid. Das ist erst vor einigen Jahrhunderten passiert. Die Ältesten nennen wir die, die schon vor dem Abkommen gelebt haben.«

Bevor ich auch nur fragen konnte, welches Abkommen sie meinte, redete sie schon weiter. »Dem Abkommen zwischen den Menschen und den Nachtwandlern, eine Art Waffenruhe. Wir lassen die Menschen am Tag in Ruhe, dafür dürfen wir in der Nacht alles tun, was wir wollen. Das Abkommen ist jetzt etwas mehr als achthundert Jahre alt, aber die ältesten Nachtwandler gab es schon weit davor. Nach einigen Jahrhunderten hört man auf, seine Geburtstage zu zählen, deswegen wissen die wenigsten noch, wie alt sie genau sind.«

»Das heißt, einige von euch sind um die tausend Jahre alt?«, wiederholte ich schockiert. Diese Vampire waren also nicht nur gefährlich, sondern auch unsterblich. Na ganz toll. Andererseits hatte ich auch kaum etwas anderes erwartet.

»Ja, das ist so. Wir können nicht krank werden und die meisten unserer Verletzungen heilen, bevor sie wirklichen Schaden anrichten können. Solange wir also nicht gerade mit einem Pfahl…«

Bevor Maya aussprechen konnte, bogen wir um eine Ecke, wo uns sofort jemand entgegenkam. Mein Herz schlug schneller, aber ich bemühte mich, mir das nicht anmerken zu lassen. Ich war wirklich froh, dass Maya mit mir hier war. Alleine hätte ich es niemals geschafft, so weit zu kommen.

»Maya, was machst du hier?«, fragte der Mann vor uns und ich merkte sofort, dass etwas an dieser Situation anders war. Dieser Mann war nicht so wie Raúl. Raúl hatte zwar auch wissen wollen, was Maya mit mir tat, aber er hatte mit ihr gesprochen, als wären sie auf Augenhöhe. So wie Maya ihm geantwortet hatte, hatte er vielleicht sogar noch weniger zu sagen als sie. Die Stimme dieses Mannes allerdings zeigte mir genau, dass er es gewohnt war, dass seine Befehle befolgt wurden. Er duldete keinen Widerspruch und erst recht keine Ausflüchte. Er wollte eine Antwort und die würde er auch bekommen. Was auch immer die Vampire hier für eine Art von Hierarchie hatten, dieser Mann stand eindeutig über Maya. Deshalb überraschte es mich nicht sonderlich, dass diese ohne zu zögern antwortete.

»Nikolai wollte gerne jemand Frischen haben und hat mich dafür losgeschickt. Ich habe sie gerade draußen eingefangen.«

Ich hasste das Gefühl, das ich verspürte, während sie über mich wie irgendein Nahrungsmittel sprach, aber zwang mich, mir das nicht anmerken zu lassen. Irgendetwas sagte mir, dass es jetzt gerade wichtiger war als je zuvor, völlig teilnahmslos in die Leere zu starren, als würde ich nichts um mich herum mitbekommen. Dennoch entging mir nicht der skeptische Blick, den der Mann Maya zuwarf.

»Sie ist für Nikolai? Ich war gerade erst bei ihm, da hat er mit mir gegessen. Ich glaube kaum, dass er sie jetzt noch braucht. Du solltest umdrehen und sie in die Zellen bringen.«

Maya nickte höflich und antwortete noch irgendetwas, aber ich hörte ihr nicht mehr richtig zu. Seine Worte gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Umdrehen und mich zu den Zellen bringen? Was hatte das zu bedeuten? Ich wollte es nicht wahrhaben, aber es gab keine andere Erklärung. Wir mussten schon längst an den Zellen vorbeigekommen sein. In jeder anderen Situation wäre ich froh, so einen Ort nicht von innen zu sehen, aber ich wollte im Moment nirgendwo lieber sein als genau dort. Schließlich war das der Ort, an dem sie meinen Bruder festhalten würden. Aber Maya hatte mich nicht zu den Zellen gebracht. Wir mussten direkt an Felix vorbeigelaufen sein und sie hatte mir nichts gesagt. Vielleicht hätte ich ihr doch nicht vertrauen sollen.

Doch eine Frage, die sich mir stellte, wurde ich einfach nicht los. Wenn Maya mich ganz bewusst an den Zellen und an meinem Bruder vorbeigeführt hatte, wohin wollte sie mich dann bringen?

Ich war so mit meinen Gedanken beschäftigt, dass ich erst wieder zu Maya sah, als der andere Vampir schon lange wieder fortgegangen war.

»Wo bringst du mich hin?« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Ich wollte ihr ja vertrauen, aber wie konnte ich das jetzt noch? Sie hatte mich angelogen. Wieso nur hatte ich das nicht bemerkt? Ich war mir so sicher gewesen, dass sie mir helfen würde.

Fest sah ich in ihre Augen, doch bei dem Blick, den sie mir zuwarf, stutzte ich. Sie schien von meiner Frage ehrlich irritiert zu sein. War ihr denn nicht klar, dass ich sie durchschaut hatte?

»Zu deinem Bruder, wohin sonst?« Entweder sie war eine beeindruckende Schauspielerin oder sie wusste tatsächlich nicht, wovon ich sprach. »Ist es wegen dem, was ich zu dem Nachtwandler gerade gesagt habe? Du wusstest doch, dass ich so etwas vielleicht sagen muss, um dich sicher hier durchzuführen. Ich dachte, wir hätten das geklärt.«

»Nein, das ist es nicht. Es geht nicht um das, was du gesagt hast. Sondern um das, was er zu dir gesagt hat. Über mich.«

Maya sah mich nur fragend an, also seufzte ich leise und erklärte ihr, was ich damit sagen wollte.

»Er hat gesagt, dass du umdrehen sollst, um mich zu den Zellen zu bringen. Umdrehen. Verstehst du? Ich weiß, dass wir nicht zu den Zellen gehen. Wir sind nicht auf dem Weg zu Felix. Wenn du mich also nicht zu meinem Bruder führst, wohin willst du mich dann bringen?«

Ich dachte, sie würde jetzt endlich zugeben, dass sie mich getäuscht hatte, aber zu meinem Erstaunen schüttelte sie nur lächelnd den Kopf und antwortete mir gelassen mit einer Gegenfrage. »Wer hat denn behauptet, dass dein Bruder in den Zellen ist?«

Irritiert sah ich sie an. »Wo sollte er denn sonst sein? Er wurde entführt und muss hier doch irgendwo festgehalten werden«, stammelte ich unsicher. Hatte Maya mich doch nicht verraten? Ich wollte glauben, dass sie mich sicher zu Felix bringen würde. Ich wollte ihr vertrauen. Und vielleicht war genau das das Problem.

Als Maya mir jedoch antwortete, klang ihre Stimme so sanft und ehrlich, dass ich ihr einfach glauben musste. »Dein Bruder ist nicht in den Zellen, Emilia. Bitte frag mich nicht, wieso, ich darf es dir nicht beantworten. Aber ich weiß ganz genau, wo sich dein Bruder im Moment aufhält und genau dort gehen wir hin. Mir ist schon klar, dass du keinen Grund hast, mir das zu glauben, aber wenn du mir nicht vertraust, kann ich dir nicht helfen. Wir sind schon fast bei deinem Bruder angekommen, es ist nicht mehr weit. Aber wenn du lieber umkehren möchtest, um alleine nach ihm zu suchen, kannst du das machen. Ich werde dich nicht davon abhalten. Es ist deine Entscheidung.«

Nachdenklich musterte ich sie, während ich noch immer überlegte, ob es eine gute Idee war, ihr zu vertrauen. Aber mein Herz hatte diese Entscheidung schon längst für mich getroffen. »Okay, gehen wir weiter. Bring mich einfach zu meinem Bruder.«

Ich wusste nicht, wie lange wir noch durch die Gänge liefen, aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Wir sprachen kein Wort mehr miteinander. Ich hatte mich entschieden, Maya zu vertrauen, aber ich hatte doch für einen Moment an ihr gezweifelt. Maya war jetzt mit Sicherheit genervt von mir und bereute es, mir jemals ihre Hilfe angeboten zu haben. Verständlich, wenn man bedachte, dass ich ihr erst mein Vertrauen versprach und ihr dann vorwarf, mich zu belügen.

Eigentlich waren ihre Gefühle im Moment wohl das letzte, um das ich mir Sorgen machen sollte, aber ich konnte es nicht verhindern. Ich fühlte mich schlecht. Sie hatte nur drei Regeln gehabt. Mir keine Gefühle anmerken lassen, keine Fragen stellen und ihr vertrauen. Keine dieser Regeln hatte ich besonders gut eingehalten.

Und dennoch war sie noch hier und half mir weiter. Das sagte mir alles über sie, was ich wissen musste. Auch wenn sie eigentlich kein Mensch war, war sie ein guter Mensch. Ein aufrichtiger Mensch.

Ich war noch ganz in meine Gedanken vertieft, als Maya plötzlich stehen blieb und auf eine Tür neben uns deutete.

»Dort ist er drin.« Maya trat einen Schritt zurück, während ich die Tür musterte. Sie war gewaltig, beinahe so groß wie der Eingang zum Großen Saal. Keine Chance, diese Tür zu öffnen, ohne dass es jeder im Raum dahinter mitbekommen würde. Vielleicht war ja auch genau das der Sinn. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass diese Tür eher in einen Palast führte als zu einem Ort, an dem man entführte Kinder gefangen hielt.

Ich streckte schon meine Hand aus, um die Tür aufzustoßen, aber Maya hielt sie überraschend sanft fest. »Du wirst dort drin nicht nur deinen Bruder wiederfinden«, flüsterte sie kaum hörbar. »Ich will, dass du darauf vorbereitet bist, so gut es eben geht. Ich darf dir nicht verraten, wer oder was dort bei ihm ist, aber du sollst wissen, dass du hinter dieser Tür etwas vorfinden wirst, was dich vermutlich schockieren wird.«

Ich wurde nicht wirklich schlau aus Mayas Worten, also sah ich ihr nur in die Augen und stellte die einzige Frage, die für mich von Bedeutung war. »Geht es meinem Bruder gut?«

»Ja. Er ist in Sicherheit, das verspreche ich dir. Es ist etwas anderes. Etwas, das du vermutlich nicht erwarten wirst. Ich wünschte, ich dürfte dir mehr sagen.«

»Na ja, wenn du es mir nicht erzählen kannst, dann werde ich es mir eben ansehen müssen.« Mit diesen Worten stieß ich die Tür auf und betrat den Raum, in dem mein Bruder auf mich wartete.

Melya

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