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8 • Ihr König

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Ein Schock. Maya hatte mir gesagt, dass der Anblick dort drin ein Schock für mich sein würde. Aber niemals hätte ich erwartet, was ich dort drin vorfand. Ich erinnerte mich noch an meinen ersten Gedanken zu der Tür. Dass sie so aussah, als würde sie eher zu einem Palast führen als zu einem Gefängnis. Jetzt wurde mir auch klar, wieso. Der Raum, der hinter dieser Tür lag, war riesig, beinahe so groß wie der Saal, an dem wir auf dem Hinweg vorbeigekommen waren. An den Wänden hingen goldene Kerzenständer und von der Decke spendete ein gewaltiger Kronleuchter ein warmes Licht. Aber der Anblick von diesem prunkvollen Raum war es nicht, was mich so schockierte.

Mein Blick fiel schnell auf das andere Ende des Saals. Einige Stufen führten hinauf zu einem Podest. Und genau auf diesen Stufen saß er. Felix war dort, nur wenige Meter von mir entfernt. Er trug neue Kleidung, jemand musste sie ihm hier besorgt haben. Ich war unendlich erleichtert, ihn zu sehen. Er schien nicht verletzt zu sein, zumindest konnte ich nichts erkennen. Und merkwürdigerweise schien er nicht einmal Angst zu haben. Er lächelte sogar, als er aufsah und mich erblickte. Grinsend hob er die Hand und winkte mir zu, aber ich war wie erstarrt. Am Rande erinnerte ich mich daran, dass ich ihn beruhigen wollte, wenn ich ihn sah, aber das schien ja nicht nötig zu sein. Gut so, denn im Moment konnte ich mir kein Lächeln abringen, nicht einmal für ihn. Jetzt gerade war eher ich es, die ein wenig Aufmunterung gebrauchen könnte. Ich war unfassbar verwirrt und konnte nicht realisieren, was ich dort vor mir sah. Das musste alles nur ein böser Traum sein, anders konnte ich mir das nicht erklären. Es war nicht der Anblick meines glücklichen kleinen Bruders, der mich so schockierte. Das wirklich Verwirrende saß direkt hinter ihm.

Die Treppen, auf denen mein Bruder saß, führten zu einem Podest mit einem Stuhl, den man schon eher als Thron beschreiben könnte. Er war ganz in schwarz gehalten und an der Lehne mit kleinen, blutroten Edelsteinen verziert.

Maya neben mir ließ meinen Arm los, sobald wir den Raum betreten hatten, und aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie sie sich demütig vor dem Mann auf dem Thron verbeugte. »Ich habe sie draußen aufgelesen, Nikolai. Sie wollte unbedingt zu ihrem Bruder, ich konnte sie nicht davon abhalten. Ich dachte, es wäre besser, wenn ich sie selbst hierherbringe statt sie alleine nach Felix suchen zu lassen.«

Ihre Worte drangen nur gedämpft an meine Ohren. Dieser Mann war Nikolai, der König der Vampire? Das war unmöglich, das machte keinen Sinn. Ich sah dem Mann in die Augen, aber es blieb kein Zweifel. Ich kannte ihn, ich würde ihn überall wiedererkennen. »Dad?«

Aber er reagierte überhaupt nicht auf mich, sondern sah nur Maya an, als würde ich gar nicht existieren. Mein Vater öffnete den Mund, und als er sprach, lief mir ein Schauer über den Rücken. Seine Stimme klang noch genauso wie früher, wenn man davon absah, dass er viel autoritärer sprach als damals mit mir. Aber die Sprache, in der er redete, verstand ich nicht. Sie klang wie die, die auch die Vampire im Großen Saal gesprochen hatten.

»válo tey detákva ley

»mey detémva odáo«, antwortete Maya ihm mit immer noch gesenktem Kopf.

»tey tem áva odáo

»mey temdáo tak ley…«

»ley mel menáma!«, rief mein Dad plötzlich aufgebracht und da wurde es mir endgültig zu viel. Sie sollten aufhören, sich in einer Sprache zu unterhalten, die ich nicht verstand. Er sollte mir erklären, was hier vor sich ging.

»Ich bin auch noch hier!«, schrie ich und sah verwirrt zwischen Maya und Dad hin und her. »Kann mir bitte jemand sagen, was das hier zu bedeuten hat? Dad, was machst du hier? Wieso bist du hier? Worüber habt ihr gerade geredet?«

Mein Dad machte keine Anstalten, mir eine Antwort zu geben, also flüsterte Maya mir leise zu: »Dein Vater wollte wissen, wieso ich dich hergebracht habe und ich habe ihm erklärt, dass ich keine Wahl hatte.«

»Man hat immer eine Wahl«, murmelte ich leise, aber mehr zu mir selbst. Das hatte Dad mir immer gesagt, wenn ich dachte, in einer ausweglosen Situation zu sein. Ich wusste nicht, warum ich ausgerechnet jetzt daran dachte. Vielleicht weil ich in dieser Situation auch keinen Ausweg fand. Und natürlich, weil mein eigentlich toter Dad direkt vor mir saß.

»Genau das hat er mir auch gesagt. Ich meinte, ich könnte dich auch wieder fortbringen, aber…«

»Genug jetzt«, unterbrach mein Vater sie und es erleichterte mich ungemein, dass er wieder in meiner Sprache redete. »Hör auf, für mich zu sprechen, das kann ich selbst. Emilia, was machst du hier?«

Fassungslos sah ich meinem Vater in die Augen. »Was ich hier mache?«, wiederholte ich und sah dabei unwillkürlich zu Felix. Er sah verunsichert aus und ich konnte es ihm nicht verübeln. »Ich will meinen Bruder retten, was denkst du denn? Die eigentliche Frage ist doch wohl, was du hier machst. Ich dachte, du wärst tot!«

»Tja, wie du siehst, bin ich das nicht«, lautete nur seine Antwort und ich widerstand dem Drang, zu ihm zu rennen und ihn so lange zu schütteln, bis er vernünftig mit mir redete.

»Aber du bist entführt worden. Mom hat mir erzählt, was damals passiert ist. Wenn du entführt worden bist, wieso bist du jetzt der Anführer dieser Vampire?«

Ich konnte mir das alles nicht erklären, nichts an dieser Situation machte irgendeinen Sinn. Ich hatte schon oft verrückte Träume gehabt, aber das hier übertraf alles. So etwas konnte selbst ich mir nicht ausdenken, es musste also real sein. Es machte nur keinen Sinn.

»Ich bin nicht ihr Anführer, ich bin ihr König. Und sie heißen Nachtwandler und nicht Vampire«, korrigierte mein Vater mich, aber ich blickte ihn nur wortlos an. Das war doch wahnsinnig. Einige Sekunden starrte er ausdruckslos zurück, seufzte dann aber leise auf. »Es ist eine lange Geschichte, Emilia, und das meiste davon würdest du mir eh nicht glauben. Geh wieder nach Hause. Maya begleitet dich, damit dir auf dem Rückweg nichts passiert. Vergiss das alles hier, solange du es noch kannst. Das ist deine letzte Chance.«

Stur schüttelte ich den Kopf und verschränkte meine Arme vor der Brust. So einfach würde er mich nicht loswerden. »Nein. Ich werde nicht ohne Felix gehen. Wenn du mich loswerden willst, von mir aus. Ich lasse dich in Ruhe, ich werde niemandem von dir erzählen, nicht einmal Mom. Du kannst weiter dein tolles Leben als Vampirkönig leben. Aber nur, wenn Felix mit mir kommt. Ich lasse ihn nicht hier.«

Für einen kurzen Augenblick sah ich fast so etwas wie Reue in seinen Augen, aber so schnell dieser Moment gekommen war, war er auch schon wieder vorbei. Seine Gesichtszüge verhärteten sich und er sah ohne erkennbare Gefühle Maya an, die neben mir stand und bisher kein Wort gesagt hatte.

»Na gut, wie du willst. Wenn du hier bleiben willst, dann wirst du eben nicht wieder gehen. Maya, bring sie in eines der Zimmer. Erklär ihr, was sie wissen will, aber lass sie nicht noch einmal herkommen. Und vergiss nicht, ihre Tür abzuschließen.«

Schockiert sah ich meinem Vater in die Augen, auch wenn dieser meinem Blick auswich. Ich konnte es nicht fassen, was er gerade gesagt hatte. Er wollte mich hier einsperren wie eine Gefangene. Wollte er mir jetzt etwa seine Version von Hausarrest geben? Bevor ich jedoch meinen Mund öffnen konnte, um lautstark zu protestieren, und ihn zu fragen, was er sich dabei dachte, griff Maya nach meinem Arm und zog mich mit nach draußen.

Kurz überlegte ich, ob ich es schaffen würde, mich von ihr loszureißen, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder. Nicht nur weil sie deutlich stärker als ich war, sondern auch, weil ich das gerade ernst gemeint hatte. Ich würde diesen Ort nicht ohne meinen Bruder verlassen, selbst wenn ich die Chance dazu hätte. Ich konnte ihn nicht hierlassen. Der Mann, der früher einmal unser Vater gewesen war, war jetzt ein durchgeknallter Vampirkönig. Das war mit Sicherheit kein guter Umgang für einen zehnjährigen Jungen.

Also ließ ich mich widerstandslos mitziehen und versuchte, mir den Weg einzuprägen. Vielleicht würde ich es ja schaffen, aus meinem neuen Gefängnis zu fliehen. Dann könnte ich Felix suchen und mit ihm von diesem Ort verschwinden.

Wenn Maya mich jetzt jedoch in eine dieser Zellen bringen würde, an denen wir vorbeigekommen waren, würde ich mir das definitiv nicht gefallen lassen. Sie würden mich nicht hier einsperren. Zumindest würde ich nicht einfach so kampflos aufgeben. Glücklicherweise bogen wir aber vor den Zellen ab und standen stattdessen kurz darauf in einem Gang mit mehreren völlig identisch aussehenden Türen.

»Das Zimmer deines Bruders ist das erste links, deines ist direkt nebenan«, flüsterte Maya leise und öffnete mir die Tür. Es war das erste, was sie zu mir sagte, seit wir den Thronsaal von Dad betreten hatten. Und es irritierte mich ungemein. Wieso verriet sie mir, wo Felix untergebracht war? Sie musste doch wissen, dass ich alles versuchen würde, um ihn zu befreien. War das ihre Art, mir zu zeigen, dass sie auf meiner Seite stand?

Ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen, ging ich durch die Tür und sah mich in dem Zimmer dahinter um. Es war groß, deutlich größer als mein eigenes Zimmer zu Hause, und ich musste zugeben, dass es sehr geschmackvoll eingerichtet war. In der Mitte des Raumes stand ein großes Bett, daneben ein bequem aussehendes Sofa und ein hübsch verzierter Schrank in der Ecke. Ich hasste es sofort, wie gemütlich alles war. Es wäre mir leichter gefallen, wütend zu bleiben, wenn das Zimmer heruntergekommen wäre, aber so hatte ich eher den Eindruck, als würde mein Vater mich mit diesem neuen Luxus bestechen wollen.

Am Rande bemerkte ich, wie Maya nach mir durch die Tür ging und sie hinter sich schloss. Kurz fragte ich mich, was das sollte und wieso sie mich nicht einfach hier allein ließ, aber dann fiel es mir wieder ein. Dad hatte ihr befohlen, all meine Fragen zu beantworten und erst dann zu gehen. Wenigstens das hatte etwas Gutes an sich, auch wenn ich im Moment noch zu stur war, sie irgendetwas zu fragen.

»Tust du eigentlich alles, was mein Vater dir sagt?«, fragte ich irgendwann doch spöttisch, als ich die Stille nicht mehr aushielt. Trotzdem drehte ich mich noch nicht zu ihr um und tat so, als wäre ich ganz an der weichen Bettdecke interessiert.

»Ja.« Auf Mayas Antwort musste ich keine einzige Sekunde warten. Sie schien davon überzeugt zu sein, dass das immer das Richtige war.

Ich erwartete, dass sie noch irgendetwas dazu erklären würde, doch ich wartete vergebens. Also drehte ich mich zu ihr um, damit ich ihr in die Augen sehen konnte. Und dann stellte ich die eine Frage, die mich brennend interessierte, seit ich meinen Dad das erste Mal wiedergesehen hatte. »Wieso?«

Melya

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