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6.

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er Dolch zischte durch die Luft.

Ich machte einen Schritt rückwärts und Kunos Streich ging ins Leere. Er taumelte unter der Wucht seines eigenen Angriffs und rannte beinahe von selbst in meine Faust. Der Schlag traf mitten in sein Gesicht. Ich spürte, wie sein Nasenbein unter meinen Fingerknöcheln brach. Blut sprudelte aus seinen Nasenlöchern. Die Hände über sie gebreitet, wich er zurück.

„Mach ihn fertig, Bertram“, brachte er schnaufend hervor.

Der Glatzkopf hielt auf mich zu, ebenso der andere Kerl. Ich presste meine Stiefelsohlen so tief in den Matsch, dass ich halbwegs festen Stand hatte.

Bertram schwang seine Keule. Ich riss das Schwert in die Höhe. Die nagelbewehrte Waffe donnerte auf die Klinge. Die Erschütterung zog sich über meine Arme durch meinen gesamten Körper. Holzsplitter und verbogene Nägel prasselten auf mich. Ich senkte den Kopf, um meine Augen zu schützen. Knurrend lehnte sich Bertram mit seiner ganzen Körpermasse gegen die Keule und zwang mich in die Knie.

Der andere Kerl kam mit erhobenem Beil auf mich zu. Wenn ich so verharrte, war ich ihm deckungslos ausgeliefert.

Ich zog mein Schwert weg und warf mich sofort zur Seite. Die Keule sauste knapp an mir vorbei. Einer der Nägel ritzte in meine Wange. Ich sog unter dem brennenden Schmerz scharf die Luft ein. Allerdings war Bertram von meiner plötzlichen Handlung so überrumpelt, dass er die Nagelkeule einen Moment zu spät hochriss.

Es reichte aus, damit ich zu einem Dachschlag über meinen Kopf ausholen konnte. Die Klinge fuhr wie ein Blitz auf ihn herab und spaltete ihm mit einem Schmatzen den Schädel. Bertrams Miene erfror zu einem Ausdruck der Überraschung. Die Keule glitt aus seinen Händen und er sackte auf die Knie.

Der Schatten des anderen Angreifers lag bereits über mir. Ich hatte keine Zeit mehr, meinen Fuß auf Bertrams Brust zu stemmen und das Schwert aus seinem Schädel zu ziehen. Gerade noch im rechten Moment ließ ich das Heft los. Sprang zur Seite.

Statt meines Brustkorbs riss die Axtschneide nur mein Hemd auf.

Mein Herz schlug wie wild. Rote Lichtpunkte flackerten vor meinen Augen.

Wut verzerrte das Gesicht meines Gegners zur Fratze. Speichel spritzte zwischen seinen gebleckten Zähnen hervor. Wieder schwang er das Beil nach mir und mir blieb nichts anderes übrig, als weiter zurückzuweichen. Musste mich bücken, die Gliedmaßen und den Kopf einziehen. Ich brauchte eine Waffe, brauchte einen passenden Moment. Er trieb mich zum Ufer. Der Axtkopf sauste immer knapper an meinem Körper vorbei.

In einem Anflug der Verzweiflung griff ich nach ihrem Schaft, als er sie gerade auf meine Schulter niederfahren ließ. Ich drückte gegen den hölzernen Griff und bremste das Beil nur eine Handbreit vor meiner Haut. Ehe ich ihn entwaffnen konnte, trat er mir gegen das Schienbein. Ich kam aus dem Gleichgewicht. Mein Feind entriss mir das Beil wieder und hieb es mir mit der stumpfen Seite gegen den Kopf.

Ich fiel ins Gras. Neben mir die Feuerstelle. Hinter mir Simons Rufe: „Lucien! Steh auf!“

Mein Schädel dröhnte wie das Innere einer Glocke. Machte jeden Gedanken stumpf.

Über mir das Astgewirr der Birke.

Und mein grinsender Feind.

Er reckte das Beil in die Höhe.

Ich nahm das Ende an. Gleichmütig. Schloss die Augen. Erwartete den Schmerz. Die Höllenfeuer und die Mäuler Luzifers.

Aber all dies blieb aus.

Ein Surren zerriss das Glockendröhnen. Neben mir landete etwas auf dem Boden. Ich riss die Augen auf. Sah geradewegs in die meines vermeintlichen Henkers.

Er hatte seine Pupillen nach unten gerichtet. Auf den Armbrustbolzen, der aus seinem Bauch ragte. Zitternd und unter einem schmerzerfüllten Stöhnen beugte er sich hinab. Wollte die Axt aufheben, die ihm aus der Hand geglitten war.

Sofort war ich wieder bei Sinnen. Alle Gleichmut wich von mir. Der Schmerz verkam zu einem fernen Pochen. Ich griff nach dem Beil und sprang auf.

Wie schon bei dem Glatzkopf ließ ich auch diesem Kerl keine Zeit zu reagieren. Ich hackte auf seinen Nacken ein. Bei den ersten Hieben versuchte er noch, die Hände schützend vor ihn zu halten. Als aber die ersten Sehnen und Nervenbahnen rissen, sanken sie schlaff herab. Zuletzt hing der Kopf vornüber, gab den Blick frei auf den Stumpf der Wirbelsäule und zerfranstes Gewebe. Ich ließ die blutverschmierte Axt ruhen und sah hinab auf meinen nicht weniger blutigen Oberkörper, verhangen von den Stoffbahnen des zerschnittenen Hemdes.

Schaut! Nicht nur ein Verräter, sondern auch noch ein brutaler Mörder!

Sie haben mich angegriffen, versuchte ich mich zu rechtfertigen. Sie hätten nicht anders gehandelt, wenn es anders gelaufen wäre.

Er hüllt sich in das Gewand eines Mönchs, trägt das Schwert des Großmeisters! Will die Menschheit erlösen! Zerhacken sollte man ihn, wie er es mit seinen Opfern tut!

Ich schüttelte den Kopf, als könnte dies die teuflischen Anklagen vertreiben.

„Nein! Nein!“

„Lucien!“ Simons Stimme.

Ich riss mich los und sah zur Fähre. Der Hund bellte. Charon war gerade dabei, die Armbrust nachzuladen, mit der er mein Leben gerettet hatte, während Simon auf den Planken umhersprang. Mit der einen Hand winkte er, mit der anderen deutete er hinter mich.

Gerade noch nahm ich die Schritte wahr. Verdammt … Kuno!

Ich fuhr herum, das Beil erhoben. Diesmal war ich es, dem keine Zeit blieb zu reagieren. Kuno sprang mich an und riss mich von den Füßen. In seiner Hand blitzte das Messer auf. Er stach sofort zu.

Ich drängte seinen Arm mit dem Ellbogen zur Seite, sodass die Klinge meine Kehle knapp verfehlte. Sie schabte über meinen Hals und zerstach mein rechtes Ohrläppchen. Blut spritzte über meine Wange. Die Haut am Hals brannte, in meinem Ohr rauschte es. Kunos Atem wallte über mein Gesicht, stoßweise, stinkend nach seinen verfaulten Zähnen. Er riss das Messer wieder in die Höhe. Auf seinem pockennarbigen Gesicht spiegelten sich Rachsucht und Triumph.

Er holte aus.

Ich fing die Attacke ab, indem ich sein Handgelenk packte. Zitternd verharrte die Messerklinge direkt über meiner Brust.

Bis Charon die Armbrust nachgeladen hatte, wäre es längst zu spät. Ich stöhnte. Sammelte meine letzten Kräfte. Schleuderte Kuno von mir. Warf mich auf ihn.

Unter einem Fauchen ließ er das Messer vorschnellen und schnitt über meinen Bauch. Ich schrie auf, schlug ihm ins Gesicht. So wälzten wir uns über das Gras, ringend und ächzend.

Als ich abermals die Oberhand gewann und über ihm war, befanden wir uns direkt neben der Feuerstelle. Kuno wollte mir das Messer unters Kinn jagen, aber ich umfasste seinen Ellbogen. Hämmerte seinen Arm so lange auf den Boden, bis er seine Waffe losließ. Sogleich ergriff ich ihn am Kragen. Schlug ihm auf die ohnehin schon gebrochene Nase.

Er heulte auf.

Ich drückte sein Gesicht in die Glut der Feuerstelle.

Er strampelte unter mir. Ein gellender Schrei entfuhr ihm. Qualm stieg von seinem Kopf auf, vermischt mit dem Gestank von verbranntem Fleisch.

„Lass den Jungen in Ruhe!“, zischte ich in sein Ohr.

Dann empfand ich doch Mitleid für diesen armseligen Hund und ließ von ihm ab. Wie ein Knochensack klappte er zusammen. Ich wagte es nicht, in sein Gesicht zu blicken.

Unterdessen hatte Charon seine Armbrust geladen und zielte auf Kuno. Ich bedeutete ihm, die Waffe zu senken. „Es reicht. Wir haben genug Blut vergossen.“

Er nickte und löste den Bolzen aus dem Schaft.

Ich zog Saint Épée aus Bertrams Schädel, wischte die Klinge notdürftig an seinem Gewand ab und ließ es zurück in die Scheide gleiten. Die Kutte hob ich aus dem Schlamm und warf sie mir um die Schultern.

Auf meinem Weg zur Fähre sah ich, wie Kuno sich an der Sandbirke aufrichtete. Sein Gesicht hatte nur noch wenig mit dem eines Menschen gemein, bräunlich und aufgequollen.

„Sterben!“, brüllte er und Blut und Erbrochenes schwappten aus seinem Mund. „Alle werdet ihr sterben! Nur wer den Tod sucht, wird im Pestland fündig werden.“ Wie schon sein Gesicht hatte auch seine Stimme kaum noch etwas mit der eines Menschen gemeinsam, war ein Wechsel aus Heulen und Brüllen.

Er humpelte über die Felder davon und mein Blick heftete sich für einige Momente an ihn. War es klug, ihn laufen zu lassen? Ich zuckte mit den Schultern. Er würde wohl kaum noch eine Gefahr darstellen. Und wenn, dann würde er die geringste sein unter all jenen, die uns im Pestland erwarteten.

„Da biste ja endlich!“, begrüßte mich Charon, als ich vom Steg auf das Boot sprang.

„Wurde nur kurz aufgehalten“, sagte ich unter einem müden Grinsen. Erschöpft ließ ich mich auf die Planken hinab und lehnte den Rücken gegen ein Fass. Mir kam es vor, als würde ich langsam ausbluten, immer mehr an Lebenskraft verlieren. Der Schmerz pfiff in meinen Ohren. Mein Oberkörper sah aus und fühlte sich an, als hätte jemand eine Peitsche hundertfach über ihn knallen lassen. Und das in meinem Alter.

Ich konnte mir nicht vorstellen, heute auch nur noch einen Fuß vor den anderen zu setzen.

„Hoffentlich hat sich das gelohnt.“ Ächzend beugte ich mich vor und besah abwechselnd das Buch und den Brackenhund.

„Alessio konnte ich nicht zurücklassen“, sagte Simon. Er setzte sich mir gegenüber und fuhr über das Fell des Tieres. „Der Graf von Kleve hat ihn meinem Großvater als Geschenk aus Kastilien mitgebracht. Ein Streuner, der dem Reitertross gefolgt ist. Er hört nur auf spanische Befehle.“

„Ein schönes Tier.“

Der Hund kam schnüffelnd auf mich zu, umkreiste mich, wedelte mit dem Schwanz und leckte meine Hand. Während ich ihn streichelte, verlor sich mein Blick. Einen Hund besitzen. Ein Gut. Auf die Jagd gehen. Kinder zeugen. All dies hätte ich haben können.

Stattdessen hatte ich nichts.

Nur ein Leben der Angst und des Verfolgtwerdens.

„Nun sag’ uns endlich, wann sie Paris verlassen wollen!“

„Ich will fünfzig Goldflorin mehr.“

„Du bist ein teurer Mann, Lucien. Das wären dann schon zweihundert Florin, die wir dir zahlen sollen. Gier ist eine der Todsünden, mein Freund.“

„Das weiß ich – und noch dazu weiß ich, dass sie den Tempel am zwölften September verlassen wollen. In einem Heuwagen, gezogen von zwei Ochsen. Ihr Führer ist Aumont.“

„Durch welches Tor wollen sie fahren?“

„Ich … ich will auch noch das Schwert von Jacques de Molay. Das Schwert der Großmeister.“

„Auch das sollst du bekommen. Aber wie heißt es so schön im Lukasevangelium? ‚Und er sprach zu ihnen: Hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.‘ “

„Sagt das erst einmal eurem Papst und seinen Kardinälen. Wie auch immer: Sie wollen durch die Porte Barbette …“

Ich war solch ein Narr gewesen. Verblendet von Gier.

„Bist du wohlauf? Du siehst müde aus.“

Simon beugte sich vor.

Ich richtete meinen Blick wieder auf ihn. „Es ist … Ich war nur in Gedanken. Was ist mit deinem Buch? Der Einband sieht kostbar aus. Woher hast du es?“

Simon strich mit den Fingerkuppen über das gebeizte Leder. „Es ist die Bibel. Mein Vater hat sie von einem Mönch erhalten, als Geschenk für seine Dienste – er war Fischhändler, musst du wissen, und hat das Minoritenkloster für die Fastentage immer mit Heringen und Aal versorgt. Sie ist das Letzte, was mich noch an ihn und Mutter erinnert.“ Achtsam legte er das Buch neben sich. Er blinzelte unter aufkommenden Tränen und drückte seinen Rücken durch.

Charon hatte in der Zwischenzeit die Taue gelöst und sich am Heck des Kahns aufgebaut. Mit Bewegungen, so fließend, als wäre er ein Teil des Wassers, senkte er einen Stab in den Fluss. Sobald das Stabende in den Grund drückte, glitt die Fähre weiter. Es war eine langsame Art der Überfahrt, aber die rhythmischen Bewegungen kamen mir gerade recht. Sie gaben mir Ruhe und machten mich schläfrig.

Ich tätschelte Simons Wange. Der Junge zuckte zurück. „Schon gut“, seufzte er. „Was mit meinen Eltern geschehen ist, liegt schon lange zurück.“

„Das habe ich mir gedacht. So, wie dein Gesicht aussieht, warst du schon länger in der Obhut deines Onkels.“

Simon ballte die Fäuste. Seine Augen loderten. „Er war schon immer der Schandfleck unserer Familie; stets in Betrügereien und Diebstähle verwickelt. Er hat mich für den Gerber oder den Schmied schuften lassen und danach meinen Lohn eingestrichen. Wenn ich Widerworte gab, prügelte er gleich auf mich ein …“

Seine Fäuste lösten sich. Er wandte das Gesicht unter einem plötzlichen, tiefen Schmerz von mir ab. Ich ging nicht weiter darauf ein, was für Untaten sein Onkel mit ihm getrieben hatte. Manche schmerzlichen Erinnerungen sitzen so tief, dass selbst die väterlichsten Worte sie nicht aus dem Fleisch ziehen können.

Ich konnte nicht behaupten, in diesen Zeiten selten auf Jungen wie Simon getroffen zu sein. Allein, arm, verstört. Aber sein Schicksal berührte mich mehr als das der anderen. Vielleicht, weil er mich so an mich selbst erinnerte. „Du bist wortgewandt und listenreich, Lucien. Du wirst einmal ein großer Ritter sein“, hatte Jacques de Molay einst zu mir gesagt. Das war wenige Tage vor der Verhaftung gewesen.

Simon fütterte seinen Hund mit ein wenig Pökelfleisch. Letztendlich war es gut, dass er zu seinem Heim zurückgekehrt und ihn und das Buch geholt hatte. Das Tier ließ seine Augen aufleuchten – und eine Bibel, die konnte nie nutzlos sein, dort, wo wir hinfuhren.

An diesem Jungen würde ich meine Buße ablegen. An ihm und der vom Schwarzen Tod gegeißelten Christenheit.

„Wie sieht es mit dem Fährgeld aus?“, fragte ich Charon. „Ich denke, nach deiner Rettungstat schulde ich dir mehr als den Preis für die Überfahrt.“

Der Fährmann winkte ab. „Ich freue mich, wenn meine Armbrust mal wieder Arbeit hat. Sonst nehme ich sie nur für Kundschaft, die nicht zahlen will. Und da ich zurzeit kaum Kundschaft habe, brauche ich sie nur noch selten. Gebt mir das Geld für den Jungen und ich bin zufrieden.“

Nickend griff ich in meinen Geldbeutel. Ich wollte einen der Obolusse hervorholen und hören, was Charon von ihm hielt. Meine Finger ertasteten Florin, Dukaten, Schillinge, Pfennige, Kreuzer, Groschen und Heller – aber nicht die zwei schweren Münzen.

Ich zog die Ränder des Beutels auseinander und starrte hinein.

Kein Zweifel.

Das Fährgeld war verschwunden.

Pestland

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