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10.

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er signum crucis de inimicis nostris libera nos, Deus noster. Amen.“

Ich löste meine gefalteten Hände und sah ein letztes Mal auf die beiden jämmerlichen Holzkreuze, die wir aus Ästen und Stofffetzen gefertigt hatten. Aber selbst dieses Begräbnis war besser, als die Leichen hier als Fraß für wilde Tiere liegen zu lassen.

Es hatte Zeit gekostet, die Gräber zuzuschütten, und der Abend drohte bereits an den Himmelsrändern.

„Wir müssen eine Bleibe für die Nacht finden.“

„Wie wäre es mit dem Dorf da?“ Simon streckte den Zeigefinger aus. Vom Hügel aus hatten wir Blick auf eine kleine Siedlung, die mehrere hundert Fuß entfernt an einer Wegkreuzung lag. „Das muss Walsem sein. Die Johanniter haben dort ein Ordenshaus. Wir könnten in ihm sicher Zuflucht finden.“

Ich nickte. „Guter Vorschlag.“

Unsere Kleider waren vom Wühlen in der Erde dreckbesprenkelt, unsere Lungen von der kalten Novemberluft erfüllt und unsere Körper ausgezehrt. Mit etwas Glück würden wir im Ordenshaus nicht nur Schlafstätten, sondern auch reichliche Vorräte finden. Wir stiegen den Hügel hinab, betraten wieder die Straße und folgten ihr bis zum Dorf. Es bestand vornehmlich aus Holzhütten, windschief und nur ab und an mit Lehm verputzt. Die einzigen Steingebäude waren die Kirche und das angrenzende Johanniterstift.

Auf viele der Türen waren mit Kreide Kreuze oder Totenköpfe gemalt – ein Zeichen dafür, dass die Pest in ihnen eingekehrt war.

In der Dämmerung meinte ich, Leichen in den Gässlein zwischen den Häusern zu sehen, aber es konnten auch nur Säcke und Beutel gewesen sein.

Eine Katze miaute von einem der Fenstersimse herab. Alessio ging bellend auf sie los. Simon musste ihn mit einem „Deja!“ zurückrufen.

„Wie Charon sagte … das Land macht ihn unruhig.“

„Nicht nur ihn“, murmelte ich, während wir den Platz vor Kirche und Stiftsgebäude durchmaßen.

Das Tor des Stifts stand offen und wir traten in die Dunkelheit seiner Hallen. Das Gebäude war aufgebaut wie ein Kloster. So strömte das Abendlicht durch den Hof hinein und umspielte die Säulen des Kreuzgangs. Es gab einen kleinen Kräutergarten und Bänke, die zum gottgefälligen Innehalten einluden. Die meisten Sträucher waren allerdings kahl, der Garten sah verwildert aus. Ich konnte mir vorstellen, wie sich schon bald Efeuranken von ihm ausbreiten und über die Fresken und Wände wuchern würden.

Gott hat diesen Ort verlassen, dachte ich. In Jahrzehnten wird die Kirche nichts mehr sein als eine Ruine, überwuchert und verfallen, nicht besser als die versunkenen Heiligtümer der Heiden.

Ich fröstelte. Die Fackeln waren längst erloschen, ebenso wie die Glut in den Kaminen. Das Stift war ausgekühlt. Wir würden auch nach Öl und Zündsteinen Ausschau halten müssen.

„Suchen wir zuerst das Dormitorium“, schlug ich vor, damit wir in der Schlafstätte nach Decken und Matratzen sehen konnten.

„Ich wäre für die Speisekammer.“ Simon strich sich über den Magen.

„Mach dich nur nach ihr auf die Suche und schlag dir den Wanst voll. Ich sichere mir schon einmal das bequemste Lager im Dormitorium.“

Sich auf den Bauch klopfend, stimmte er zu und lief zusammen mit Alessio weiter den Kreuzgang entlang, während ich durch eine der Türen ins Innere abbog. Willkürlich betrat ich einen der finsteren Flure, der so eng war, dass ich mich regelrecht durch ihn hindurchzwängen musste. Je weiter ich wie eine Ratte durch den Gang schlich, desto mehr vernebelte ein fauliger Gestank meine Sinne. Er drängte sich durch Mund und Nase, ließ mich das Gesicht verziehen wie nach einem Faustschlag.

Der Flur mündete ins Dormitorium. Was der Gestank in mir als dunkle Vorahnung heraufbeschworen hatte, wurde in dem Schlafsaal Gewissheit: Wie schon in Duisburg hatten die Mönche ein notdürftiges Krankenlager eingerichtet. Jetzt war es nur noch eine Gruft.

Die Mönche mussten geflohen sein und die Kranken einfach hier zurückgelassen haben.

Das einzige Licht fiel durch ein kreuzförmiges Fenster und warf das Symbol orangefarben auf die Fliesen, als wäre es dorthin gemalt worden. In seinem schwachen Schein waren die etwa zwanzig Bettstatten an den Wänden nur als Schemen auszumachen. Was gut war, denn so musste ich nicht genauer die Körper betrachten, die auf ihnen lagen. Ich konnte nur erkennen, dass sie oftmals völlig verrenkt waren, gekrümmt unter Todesqualen. Der Gestank tat sein Übriges und ließ mich stark husten. Ich hielt mir den Ärmel vor den Mund, um weiter atmen zu können. Hier konnten wir jedenfalls nicht nächtigen.

So suchte ich nach ungenutzten Decken und Matratzen, die wir nehmen konnten, um an einem anderen Ort zu schlafen. Zuerst entdeckte ich auf einem Schemel Verbandszeug und eine Kräutertinktur. Sie würden mir helfen, meine Wunden zu kurieren. In der hinteren Ecke des Saales fand ich schließlich einen Stapel Wolldecken. Ich nahm so viele, wie ich tragen konnte.

Als ich mich zum Gehen wandte, irritierte mich etwas. Erst konnte ich nicht ausmachen, was es war, dann fiel mir der Lichtstrahl auf, der durch das Fenster fiel. Obwohl er sich in keinster Weise verändert hatte, war das Kreuz, das er auf den Boden warf, umgekehrt.

Ich erstarrte. Umklammerte die Decken.

Das umgedrehte Kreuz. Das Zeichen der Feinde Christi.

Ein Rascheln ertönte hinter mir. Ich fuhr herum. Eine der Leichen erhob sich von ihrer Strohmatratze. Gezwirbelte Ziegenhörner ragten aus ihrem Schädel. Auf ihrer Stirn funkelte ein Pentagramm, auf ihrer Handfläche tanzte ein Sichelmond.

Willkommen, Lucien!

Der Boden erbebte unter Baphomets Stimme.

Er hielt etwas in der Hand. Schleuderte es mir entgegen. Der Gegenstand schlitterte über den Boden und stieß gegen meine Stiefelspitzen. Panisch machte ich einen Satz zurück, blickte hinab. Es war ein Buch.

Als ich wieder aufsah, war Baphomet verschwunden, die Strohmatratze verwaist. Auch das Lichtkreuz auf den Fliesen erstrahlte wieder in der richtigen Position. Nachdem ich mich nochmals vergewissert hatte, dass Baphomet wirklich nirgendwo mehr zu sehen war, beugte ich mich hinab. Ich legte die Decken zur Seite und hob das Buch hoch.

Ich stieß die Luft aus. Der kostbare Ledereinband, die vergilbten Seiten. Es sah genauso aus wie die Bibel, die Simon aus seinem Haus in Duisburg gerettet hatte. Ich schlug sie an einer willkürlichen Stelle auf.

„Durch mich geht man hinein zur Stadt der Trauer,

Durch mich geht man hinein zum ewigen Schmerze,

Durch mich geht man zu dem verlornen Volke.

Gerechtigkeit trieb meinen hohen Schöpfer,

Geschaffen haben mich die Allmacht Gottes,

Die höchste Weisheit und die erste Liebe.

Vor mir ist kein geschaffen Ding gewesen,

Nur ewiges, und ich muss ewig dauern.

Lasset, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“

Die Schrift war raumgreifend und verschnörkelt, die Tinte von einer Schwärze, die sich in meine Augen brannte. Ich kannte den Text. Es war die Inschrift des Höllentors, entnommen aus Dantes „Göttlicher Komödie“. Deshalb hatte Baphomet Willkommen! gesagt – weil ich durch das Höllentor getreten war, hinein in dieses Land der Trauer und des ewigen Schmerzes, bewohnt von einem verlorenen Volk.

Die Verse standen auf beiden Seiten. Ich blätterte weiter. Auch hier, derselbe Text. Mit pochendem Herzen schlug ich die nächsten Seiten um. Überall dieselbe, tiefschwarze Tinte. Überall dieselben Worte.

Ich schlug das Buch zu, klemmte es mir unter den Arm und hob die Decken auf. Ich musste hier weg. Zu Simon. Sehen, was mit seiner Bibel war. Die Kirche, dachte ich, wir müssen in die Kirche, in den Schoß Gottes. Dort könnten wir schlafen.

Schlaf finden wirst du, Lucien, aber sicher nicht den Schlaf der Gerechten.

Ich rannte los, zurück durch den engen Gang. Der Hall meiner Schritte wogte durch die Dunkelheit. Es schien, als würde sich das Deckengewölbe immer weiter auf mich herabsenken. In der Ferne hörte ich Alessios Bellen. Ich bekam kaum noch Luft, meine Lungen erfüllt vom Gestank der Pest.

Lasset, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!

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