Читать книгу Barfuß auf dem Dixi-Klo. Triathlongeschichten vom Kaiserswerther Kenianer. - Lars Terörde - Страница 10
Kindergartenviren
ОглавлениеSo kam er voller schöner Eindrücke und guten Mutes zu Hause an. An der Tür sein Sohn. »Hallo Kenianer, darf ich« – hatschi! – »noch Kika gucken? Weil, ich bin nämlich krank, und da darf ich doch etwas mehr schauen.« Die Nase lief, Rotzfahne bis zur Oberlippe.
»Ach du Armer, natürlich darfst du dann noch etwas schauen. Ich gehe eben schnell duschen, dann komme ich zu dir aufs Sofa!«
Kaum hatte er das ausgesprochen, begann es im Kenianerhirn zu rattern. Kindergartenviren – angesteckter Sohn – Ansteckungsgefahr für den Kenianer – die Marathonvorbereitung, der Marathon selbst in Gefahr!
Nein, nein, nein. Bitte nicht jetzt! Nicht nach dem schönen und verheißungsvollen Lauf. Panik. Die vielen gelaufenen Steigungskilometer umsonst. »Warum jetzt, warum hier, warum ich?«, dachte der Kenianer.
Natürlich, es war Dezember, und es war die Zeit für Erkältungen. Aber er war doch so gut drauf! Vielleicht konnte er das Schlimmste noch verhindern. Ruhe bewahren. Erst mal ins Bad. Die Türe verschlossen und den Türspalt mit einem Handtuch abgedichtet.
»Kenianer, warum sperrst du dich im Bad ein?«
Sein Weib vor der Tür. Jetzt galt es, eine Strategie zu entwickeln.
»Ich musste mal und wollte meine Ruhe haben!« – Pause –»Übrigens, Schatz, hast du schon gemerkt? Sohnemann ist krank.«
»Ja klar. Er hat schon den ganzen Tag geschnieft. Aber das ging ja letzte Woche schon in der Kita rum. Der arme Kerl hat Fieber.«
»Meinst du nicht, dass er besser zu Oma und Opa gehen sollte? Die haben doch viel mehr Zeit und die freuen sich sowieso, wenn er mal ein paar Tage zu Besuch ist.« Gedämpft klang seine Stimme durch die abgedichtete Tür.
»Waaas? Er ist krank. Da können wir ihn doch nicht zu den Großeltern schicken! Der Junge braucht seine Eltern, wenn es ihm schlecht geht.«
»Es sind doch seine Eltern, sogar die großen. Wir könnten auch essen gehen, ich lade dich ein.« So groß war seine Verzweiflung.
Kurz bedachte sein Weib den Vorschlag, bis ihr die selbstsüchtigen Motive des Kenianers dämmerten. »Das kann doch nicht wahr sein! Wegen der Rennerei willst du deinen kranken Sohn abschieben? Du hast nur Angst, dich anzustecken. Ich glaube es nicht! Und mich willst du auch noch mit einem Essen bestechen!«
»Es wären doch nur ein paar Tage.« Ein letzter schwacher Versuch, doch das machte nichts besser. Im Gegenteil.
»Jetzt hör mal zu. Ich ertrage schon, dass du in der Vorweihnachtszeit ständig laufen gehst, dass du zudem auch noch all deine Lauferlebnisse als Blog verbreitest, was mindestens genauso lange dauert wie die Läufe selbst. Aber dass du unseren fiebernden Sohn aus der Wohnung verbannen willst, weil du seine Viren nicht abkriegen möchtest, schlägt doch dem Fass den Boden aus.«
»Aber…«
»Ich will nichts mehr hören!« Das war ein eindeutiger K.o. – dieser Kampf war nicht zu gewinnen. Aber vielleicht könnte er ja seinem Sohn innerhalb der Wohnung etwas aus dem Weg gehen.
Und was soll man sagen? Obwohl der Kenianer nicht mit dem Sohn Kika guckte, obwohl er ihm erlaubte, an diesem Abend eigenhändig die Zähne zu putzen, obwohl er die Schlaflieder durch die geschlossene Zimmertüre sang und obwohl er – missbilligend vom Weibe beobachtet – seinem weinenden Kind den Gute-Nacht-Kuss verweigerte, kam, was kommen musste…
Es begann mit einem Kratzen im Hals, Gliederschmerzen und nächtlichem Husten. Am nächsten Morgen war der Kenianer zwar nicht kranker, aber wehleidiger als der Sohn.
»Ich kann nicht arbeiten, machst du mir einen Tee? Oh, oh, oh, mir tut alles weh. Und die Nase und die Augen, nicht mal lesen und fernsehen kann ich heute. Ich glaube, ich muss zum Arzt, oder vielleicht sollte er gleich hierher kommen. Bring mir mal das Fieberthermometer, stell doch bitte das Radio an, aber nicht zu laut, sonst kriege ich noch mehr Kopfschmerzen. Reibst du mir den Rücken ein? Könntest du mir etwas Vitaminsaft kaufen? Und ruf doch für mich auf der Arbeit an, das ist mir jetzt echt zu viel und, und, und…«
So verbrachte er jammernd den Tag zu Hause. Gehegt und gepflegt vom Weibe und dem kranken Sohn zürnte er den Laufgöttern. Alles für die Katz. Der lange Lauf. Der Blog im Internet. Die neuen Wunderschuhe und die aufmunternden Kommentare im Forum. Warum musste es ihn ausgerechnet jetzt treffen? Wo er und alles doch so schön gelaufen war! Alles bereit für das Heldenepos, das er im Kopf schon sann, ohne die Sieben Berge bereits bezwungen zu haben. Wo der Schwager anscheinend schwächelte und immer noch in Südostasien festsaß in Folge einer Blockade des Bangkoker Flughafens.
Das Leben war so ungerecht, befand der Kenianer, während sein Weib das Gejammer den ganzen Tag ertrug, ihn mit allen möglichen Heilmitteln versorgte und gleichzeitig dem Sohn die gesammelten Wickie-Abenteuer vortrug.
»Bei Wind und Wetter rennt er Berge hoch und runter. Fährt im Winter mit dem Rennrad durch die Gegend. Macht immer auf hart. Aber ächzt und stöhnt wegen eines kleinen Schnupfens«, dachte das Weib. »Morgen ist er bestimmt schon wieder fitter und kann arbeiten, und drei Tage später schlägt er alle medizinischen Ratschläge in den Wind und geht laufen.«
Und es war wie so häufig in seinem Leben. Das Weib behielt recht.