Читать книгу Barfuß auf dem Dixi-Klo. Triathlongeschichten vom Kaiserswerther Kenianer. - Lars Terörde - Страница 8
Eine spontane Anmeldung
ОглавлениеEs war einige Monate her, seit der Kenianer eine mehr oder weniger erfolgreiche Triathlonsaison beendet hatte. Mehr, weil er bei allen Wettkämpfen, an denen er teilgenommen hatte, auch das Ziel erreicht hatte. Weniger, weil er weiterhin nur unter ferner liefen – und schwammen und Rad fuhren – platziert war. Aber ernsthaft vorne sein würde er sowieso nie, das war ihm klar. Er suchte eher den Wettkampf mit sich und seinen Zeiten aus dem Vorjahr und natürlich seinem Schwager.
Der hatte sich in dieser Saison zu einem veritablen Gegner entwickelt und bereitete unserem Kenianer zunehmend Kopfzerbrechen. Wie sollte er sich vor seiner Frau, seinem Sohn und allen weiteren Familienmitgliedern erklären? Wie sollte er den Unwissenden klarmachen, dass jahrelanges Training offenbar weniger wert war als das Talent eines Rookies, der zum ersten Mal in seiner Sportlerlaufbahn eine Saison ohne Übergewicht bestritten hatte? Trotzdem war der Schwager bisher noch immer hinter dem Kenianer geblieben, wenn auch zunehmend knapper.
Jedenfalls saßen die beiden nun zusammen und überlegten, was mit der guten Form zu machen sei. Dem Kenianer schwebte Großes vor. Erstmals in seinem Läuferleben wollte er einen Halbmarathon unter 100 Minuten laufen. Das wollte er in Köln erreichen. Doch der Schwager konnte nicht, da er am Abend zuvor zu einem Polterabend eingeladen war. Des Kenianers Einwand, dass man einen Halbmarathon, wie schon der große Steffny einst gesagt hatte, »zur Not auch verkatert laufen kann«, ließ er nicht gelten. So musste der Kenianer alleine den erneuten Weg in die fremde Stadt wagen.
Die 100-Minuten-Marke fiel tatsächlich. Jetzt war es an der Zeit, die Füße hochzunehmen und die verlorenen Gewichtsreserven in langen und kalorienreichen Novemberabenden vor dem Fernseher aufzufüllen. Er richtete sich auf einen Monat des Nichtstuns und der Familienpflege ein, als eines Abends das Telefon läutete. Dran war der Schwager.
Schwager: »Ich will dieses Jahr noch einen Marathon laufen!«
Kenianer: »Du spinnst, hast du mal auf den Kalender geguckt?«
Schwager: »Hier ganz in der Nähe ist im Dezember einer. Ich kann problemlos hinkommen und verhindere so, mit viel Gewicht ins neue Jahr zu starten.«
Kenianer: »Viel Spaß dabei!«
Schwager: »Werd’ ich haben.«
Ende des Gesprächs.
Kopfschüttelnd sank der Kenianer zurück in seinen roten Fernsehsessel und wandte sich dem TV-Programm zu. Nach dem Schälchen Nüsse dann der obligate Alptraum in der Nacht: Ein ranker und schlanker Schwager zeigte dem Kenianer bei dessen Lieblingstriathlon im westfälischen Bocholt auf der kurzen Laufrunde ein ums andere Mal beim Überrunden die Fersen. Vielleicht würde der Schwager ihm sogar großmütig aufmunternde Kommentare zurufen oder ihm eins von seinen Powergels anbieten! Schlimmer noch, der Schwager könnte nach seinem Zieleinlauf den Kenianer auf dessen Schlussrunde auslaufend begleiten und ihn schamlos belügen mit Sätzen wie »Du siehst gut aus« oder »Es ist nicht mehr weit, bald hast du es geschafft«.
Schweißgebadet schreckte unser Kenianer aus dem Schlaf hoch. Er ächzte und stöhnte im Bett, dass sein Weib erwachte: »Was ist los, Kenianer?«
»Der Schwager läuft mir weg! Er ist schneller als ich!«
»Ach was, Kenianer! Er wird wie jedes Jahr im Winter fett und beginnt erst im Mai wieder mit dem Training. Beruhige dich und schlaf weiter«, sagte sein Weib in aller Ruhe, kannte sie doch die nächtlichen Ängste ihres Kenianers. Nicht jedoch kannte sie das Wintervorhaben des Schwagers, sodass sie sich ihrer Sache sicher war. Der Kenianer hingegen war sich ganz und gar nicht sicher. Nach einer unruhigen Nacht, einem Tag im Beruf voller Sorge und Selbstzweifel fand er sich abends am Esstisch wieder.
»Mama. Warum isst der Kenianer heute so wenig Nudeln?«
»Keine Ahnung, frag ihn doch selbst!«
»Papa, warum isst du so wenig Nudeln?«
»Ich muss auf mein Gewicht achten, mein Sohn!«
»Aber es ist doch November, Kenianer! Warum musst du jetzt auf dein Gewicht achten?«
»Ach, nur so…«
Der Sohn war im Bett, das Weib im Bade, der Kenianer unbeobachtet. Heimlich stahl er sich in die Weiten des Internets. Wie von Geisterhand geführt wand sich der kleine weiße Pfeil, der unserem Kenianer im WWW immer vorangeht, an den Niederungen und Verlockungen des Netzes vorbei und landete schließlich auf einer kleinen, gelben Seite, die wenige, aber wesentliche Informationen über einen Marathon im Dezember enthielt. Ein beeindruckendes Höhenprofil war auf der ersten Seite abgebildet, eine kurze Ausschreibung, und schon landete des Kenianers Pfeil auf der Anmeldung.
»Nein, das ist verrückt«, dachte er sich. Im Dezember einen Marathon laufen, noch dazu in einer Gegend, bekannt für Schneeund Graupelschauer in der Vorweihnachtszeit? Außerdem war die Form zwar gut, aber einen Marathon schüttelte sich auch der Kenianer nicht einfach aus der Hüfte. Fünf Mal gestartet und nur drei Mal angekommen, lautete seine Bilanz. Gut, einen halben könnte er tatsächlich verkatert laufen, aber die vollen 42,195 Kilometer? Und auch beim Triathlon war er noch nie auf den ganz langen Strecken gestartet. Ein Marathon musste doch gut geplant und vorbereitet sein. Er musste einem Plan folgen, er musste eine Veranstaltung mit einem Streckenprofil finden, das zu seiner – für kenianische Verhältnisse zugegebenermaßen untypischen – Statur passte. Wer möchte schon zwei Zentner über annähernd 700 Höhenmeter wuchten? Außerdem könnte Schnee liegen, und er nannte doch gar keine Trailschuhe sein Eigen, die ihn über dieses, ach so unwegsame Gelände bringen würden. Stand da nicht etwas von Feld- und Wirtschaftswegen, auf denen zu laufen wäre. Nein, nein, das war alles nichts für unseren Kenianer.
Dann kontrollierte er die Meldeliste. Und da stand er tatsächlich drin: »Der Schwager«!
Er hatte also nicht geblufft. Des Kenianers Puls begann zu rasen. Das Weib ließ schon das Badewasser aus. Jetzt musste es schnell gehen. Name, Vorname, Adresse eingegeben, die Bankverbindung notiert, Überweisung klargemacht. So schnell geht das im Netz. Geschafft. Erleichtert atmete er auf. Jetzt konnte ja nichts mehr schiefgehen. Das Weib trat ein.
»Was hast du gemacht, Kenianer?«, fragte sie ganz ohne Argwohn.
O je, was sollte er sagen, ohne zu lügen? Die Gesichtsfarbe wurde ganz unkenianisch rot, und er stammelte etwas vor sich hin. Er hatte wie immer vergessen, seine Saisonplanung vorher familienintern abzustimmen…
»Äh, ich habe mich nur für einen Lauf angemeldet.«
»Für einen Lauf? Es ist November. Es gibt um diese Zeit in dieser Gegend keine nennenswerten Läufe mehr«, sagte sie, die zwar keinen Ausdauersport betrieb, aber viel davon verstand.
»Ist ja auch nicht im November. Ist erst im Dezember und auch eine relativ kleine Veranstaltung…«
Die Brauen hoben sich, aus ihrem Blick sprach Misstrauen. »Rück’ raus mit der Sprache. Wo bist du gemeldet?«
»Ach, nur beim Siebengebirgsmarathon.«