Читать книгу Barfuß auf dem Dixi-Klo. Triathlongeschichten vom Kaiserswerther Kenianer. - Lars Terörde - Страница 5
Der Kaiserswerther Kenianer
ОглавлениеDie Tür ging auf…
»Hallo…!«
»Hallo, Schatz! Wie war dein Lauf?«
»Grandios, einfach nur klasse…«, er rang nach Atem, »…ich habe gewonnen! Zum ersten Mal.«
»Was hast du denn gewonnen? Du warst doch ganz alleine auf einem Trainingslauf?« Sie schaute ihn misstrauisch an. Er sah kaputt aus. Dicke rote Ränder unter den Augen. Salzkrusten im Gesicht. Undefinierbarer Schmodder klebte am Ärmel des Laufshirts. Ein untrügliches Zeichen für eine Trainingseinheit, die er einen »Tempolauf« nennt, und ein klassisches Zeichen von Überforderung, wie sie findet. Aber dass er jetzt auch noch davon redete, dass er »gewonnen« hätte, machte ihr Sorgen.
»Na ja, gegen Haile halt… Heute habe ich ihn herausgefordert und…«
»Gegen Haile? Du willst mir erzählen, dass du im Kalkumer Wald gegen Haile Gebrselassie gelaufen bist?«
Immerhin kannte sie den weltberühmten Wunderläufer aus Äthiopien. Den vielfachen Weltmeister, Olympiasieger und aktuellen Inhaber der Weltbestzeit über die Marathonstrecke. Aber dass ihr Durchschnittsgatte behauptete, nach Feierabend auf einer Laufrunde irgendwo zwischen Düsseldorf-Kaiserswerth und Ratingen gegen ihn angetreten zu sein, ließ sie ernsthaft an seinem Geisteszustand zweifeln.
»Kann man sich so anstrengen, dass man noch zu Hause fantasiert?«, fragte sie sich nicht zum ersten Mal.
Sie selbst treibt keinen Sport, aber das Zusammenleben mit einem ehrgeizigen Triathleten hatte ihr die notwendigen Grund-kenntnisse über den Ausdauersport beschert. Schließlich konnte sie nicht immer weghören, wenn er am Frühstückstisch den Sinn von Trainingsplänen vor sich hin diskutierte oder ihr ungefragt mit Hilfe von Salzstreuern das taktische Verhalten eines Radsportteams und den Effekt des Windschattenfahrens erklärte. Im Laufe der Jahre hatte sie einiges an Triathlonwissen angehäuft. Ob sie wollte oder nicht.
»Ja klar! Heute habe ich ihn endlich gepackt! Auf den ersten Kilometern sind wir noch zusammen gelaufen, dann habe ich ihm einen kleinen Vorsprung gegönnt und ihn in Sicherheit gewiegt. Er hat wohl gedacht, er würde das Ding schon schaukeln«, erzählte er freudestrahlend. »Aber da hatte er sich gehörig geschnitten. Auf den letzten Kilometern habe ich all die Körner eingesetzt, die ich zuvor gespart hatte, und dann…«, er grinste müde, »…habe ich ihm auf den letzten Metern vor dem Ortseingang noch die Fersen gezeigt! Er hat sich noch ganz schön gewehrt, aber…«
»Moment mal! Entschuldige, wenn ich dich unterbreche«, fiel sie ihm ins Wort. »Was erzählst du mir da eigentlich für eine verrückte Geschichte? Du bist mit Gebrselassie in unserem Wald um die Wette gelaufen? Das ist ja schon wirr! Aber dass du auch noch gewonnen haben willst… Bist du sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist?«
»Nee, nee, Schatz, doch nicht gegen Gebrselassie! Ich bin gegen Haile gelaufen…«
»Ist das nicht der Gleiche? Das ist doch sein Vorname.«
»Quatsch. Mein Haile ist doch nicht echt! Der ist hier drin.« Er deutete auf seinen Laufcomputer am Handgelenk. »Das ist der virtuelle Laufpartner, der auf meiner Hausrunde immer die Bestzeit läuft.«
»Und der heißt Haile? Welche Marketingabteilung denkt sich denn so einen Schwachsinn aus? Die sind sich auch für nichts zu schade, um euch Sportlern ihren Technikkram aufzuschwatzen.«
Der Mann wurde kleinlaut: »Äh, Moment mal! Der heißt doch gar nicht so. Das ist lediglich ein virtueller Laufpartner, den jeder nach seinen eigenen Wünschen programmieren kann. Ich habe ihn so eingestellt, dass er mir über GPS anzeigt, wie viele Meter ich hinter meiner Hausrundenbestzeit zurückliege.« Er druckste verlegen. »Den Namen Haile habe ich mir ausgedacht.«
»Du nennst Zahlen in deiner Uhr Haile?«, fragte sie belustigt. »Oh Mann, dir ist aber nicht viel peinlich, oder? Ist das noch derselbe Mann, der sich immer darüber schlappgelacht hat, dass Frauen ihren Autos Namen geben?« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Machen das alle Läufer so, oder bist nur du so kindisch? Lass mich raten, wahrscheinlich ist das so eine Idee von einem aus deiner Läufer-Community! Ihr habt doch echt alle einen an der Waffel.« Sie grinste, ging in die Küche und holte ihm eine Flasche Wasser, einen Messbecher und das Iso-Pulver. Nein, böse war sie ihm nicht. Aber sie konnte sich immer wieder über die Dinge amüsieren, die in der Parallelwelt eines Ausdauersportlers wichtig waren.
»Und du hast also heute gegen Haile gewonnen?«, augenscheinlich hatte sie ihren Spaß an der Geschichte gefunden.
»Ja, sage ich doch! Ich spiele mit ihm immer Kölner oder Kenianer. Der Gewinner ist der Kenianer, der Verlierer der Kölner!«
»Und bis heute warst du immer der Kölner?«
»Na, jedenfalls auf der Hausrunde. Auf anderen Strecken habe ich ihn natürlich schon geschlagen.«
»Kölner oder Kenianer! Tststs…« Kopfschüttelnd sah sie ihn an. »Dann bist du also jetzt der Kenianer? Tut mir leid, aber…« Sie begann zu lachen. »Das ist bekloppt! Du bist fast zwei Meter groß, wiegst annähernd zwei Zentner, und deine Hautfarbe hat auch nicht viel von einem Kenianer!«
»Ach, menno…!«
»Lass mir doch meinen Spaß«, sagte sie. »Schließlich muss ich mir deine Geschichten auch immer anhören. Welchen Schnitt du gelaufen bist, wie deine Herzfrequenz war und wie viele Monatskilometer du geschafft hast. Du kannst dir jede Altersklassenplatzierung bei irgendwelchen Provinzveranstaltungen merken, aber unseren Hochzeitstag vergisst du ständig…!«
»Stimmt nicht, es ist der 22. November!«
»Gottseidank, den Kopf gerade noch mal aus der Schlinge gezogen«, dachte der Mann, natürlich ohne zu erwähnen, dass es Boris Becker war, der ihn mit einer Eselsbrücke gerettet hatte. Der einstige Tennis-Crack hatte am gleichen Tag Geburtstag.
»Oha, erstaunlich! Aber ich denke, du weißt, was ich meine.«
Er mixte sein Sportgetränk, während sich unter ihm eine Schweißlache auf dem Parkett bildete.
»Dafür bin ich neue Bestzeit gelaufen. Die bisherige war ganz schön alt. Dass ich das überhaupt noch mal schaffen würde, hätte ich nicht gedacht.« Seine Freude darüber ließ er sich auch nicht durch die Hänseleien seiner Frau nehmen.
»Ja, ja, Haile sei Dank! Jetzt trag mal brav deine Laufdaten in deine Excel-Tabellen ein und spring unter die Dusche. Ich hole eben Sohnemann von seinem Freund ab, und dann gibt es Abendessen«, entgegnete sie versöhnlich. Aber ein hingekichertes »Er ist ein Kenianer und ich sein Weib, ich glaub’ es nicht!« ließ sie sich im Hinausgehen trotzdem nicht nehmen.
So, sie war weg, und er hatte seine Ruhe. Der Puls verlangsamte sich, die Verbindung seines Armkästchens zum Rechner war hergestellt, und schon konnte er sich an den bunten Grafiken begeistern, die seine Laufleistungen sichtbar machten. Dann schrieb er noch schnell einen beifallheischenden Kurzbericht über seine jüngste Heldentat im Blog seiner Läufer-Website und begab sich unter die Dusche.
»Hallo Papa…« Sohnemann riss ihn aus den Gedanken an den erfolgreichen Wettlauf, während das heiße Wasser auf ihn niederprasselte. Er wollte mit unter die Dusche.
»…Papa!«
»Ja, Sohnemann, was ist denn?«
»Mama hat erzählt, dass du nicht mehr Papa heißt. Stimmt das?«
»Wieso das denn? Natürlich bin ich der Papa. Wie soll ich denn sonst heißen?«
»Känianah oder so…« Der Fünfjährige tat sich mit der Aussprache schwer.
»Unsinn, wie kommt die Mama denn auf so was?«
»Weil, du hast doch den Wettlauf gewonnen, hat sie erzählt bei der Mama von Ben, und dass du jetzt Känia- oder Kännianna oder so heißt, und dann haben die beiden ganz doll gelacht und irgendwie gesagt, dass alle Männer doof sind…«
»Na, super! Schön, dass deine Mutter so etwas erzählt!«
Beim Abendessen fragte der Mann noch mal nach: »Du hast unseren Freunden von meinem Lauf gegen Haile erzählt und ihnen gesagt, dass ich jetzt der Kenianer bin? Musste das sein? Ist doch irgendwie peinlich…«
»Peinlich? Das nennst du peinlich? Das war ein Spaß! Ich werde dir erzählen, was wirklich peinlich war: Dein Verhalten war peinlich, als du dich über das Geburtstagsgeschenk beschwert hast, das genau diese Freunde dir gemacht haben.«
»Aber das war doch auch unmöglich.« Er erinnerte sich noch gut an seinen Schrecken beim Auspacken des Pakets.
»Unmöglich? Das war ein super Trainingsanzug, und du hast dich vor allen anderen Gästen darüber lustig gemacht!«
»Hallo?!? Der Anzug ging doch gar nicht! Ich hatte mir Tights und Windstopper-Funktionswesten aus High-End-Kunstfasern gewünscht, und die haben mir einen Trainingsanzug mit Pluderhosen aus Baumwolle gekauft.«
»Der Anzug war schweineteuer, ich habe ihn zufällig im Katalog gesehen.«
»Es war Baumwolle, überhaupt nicht atmungsaktiv…«
»…und du hast gesagt, dass der für Opas mit Kathederbeuteln in der Rehaklinik sei! Das war peinlich! Die waren echt angefressen, und wir können froh sein, dass sie mit uns überhaupt noch was zu tun haben wollen. Also halt dich schön ruhig und lass mich mal wieder ein bisschen Schönwetter machen – auch wenn es auf deine Kosten geht.«
Na ja, so standen die Dinge für ihn. Jetzt musste er mit diesem Namen leben. Er hatte ihn schwer erkämpft. Also wollte er ihn mit Stolz tragen, denn immerhin hatte er Haile auf der Hausrunde besiegt! Er hatte als Erster das Ziel am Ortseingangsschild erreicht und für den Titel gekämpft.
Er war der Kaiserswerther Kenianer!