Читать книгу Sind wir nicht alle ein bisschen tri? - Lars Terörde - Страница 7
ОглавлениеBelohnung
Wenn er etwas verdient hatte, dann war es die Flasche Bier, die er im handtuchgroßen Garten mit einem kraftvollen »Plop« öffnete. Er lag im Liegestuhl und blickte selbstzufrieden in den Abendhimmel. Es war ein Bier, wie er es früher getrunken hatte. Damals, als Weizenbier für ihn noch der Königsweg zu einem preiswerten Kneipenrausch war – und nicht der heißersehnte isotonische und alkoholfreie Durstlöscher nach einem Triathlon. Als der Gerstensaft noch der Kontaktfreude und nicht der Regeneration diente.
Im Laufe der Jahre hatten sich seine Präferenzen geändert. Inzwischen gingen ihm Platzierungs- vor Kontaktchancen. Frauen schaute er nur noch hinterher, wenn sie auf begehrenswerten Rennmaschinen saßen. Und selbst sein Weib wusste, dass er sich dann mehr für die Baugruppe des Rades als für das Fahrgestell der Fahrerin interessierte.
Was war es, was ihn so selbstzufrieden in die Dämmerung blicken ließ? Es war die vergangene Triathlonsaison, die er im Liegestuhl Revue passieren ließ. Natürlich war er auch in diesem Jahr nirgendwo aufs Treppchen gekommen. Den Zahn hatte er sich schon lange gezogen. Er hatte eingesehen, dass er zwar viel Ehrgeiz, aber wenig Talent mit auf die Wettkampfstrecken brachte. Trotzdem war er mit sich und seiner Sportwelt im Reinen. Vor dem Cross-Triathlon hatte er zum ersten Mal in seinem Leben am Start einer Langdistanz gestanden. Und dort hatte er mal wieder seinen Erzfeind – den Schwager – besiegt. Er schwelgte in Erinnerungen. An die vielen Wettkämpfe, an die kleinen Triumphe auf dem Rad, an den gewonnenen Kampf gegen den Rivalen. Es warteten keine neuen Herausforderungen mehr auf ihn. Er hatte alles geschafft, was er sich vorgenommen hatte. Das Gefühl des Stolzes, der Zufriedenheit und des Glücks verstärkte sich mit jeder weiteren Flasche in der Abenddämmerung.
»Du trinkst echtes Bier, Kenianer!? Bist du sicher, dass du dich nicht im Kasten vergriffen hast? Wo du doch sonst nur das Isotonische trinkst …« Sie glaubte kaum, was sie da sah. So lange hatte er dem Alkohol schon im Kampf um zeitraubende Pfunde entsagt. Sogar seine Freunde hatten es sich abgewöhnt, ihn wegen seiner Enthaltsamkeit zu verspotten. Genossen sie doch vielmehr den Umstand, immer einen fahrtüchtigen Triathleten in ihrer Mitte zu wissen.
»Jaja, Weib«, entgegnete er mit bierschwerer Zunge. »Aba das hab ich mia fadient!«
»Aber klar doch! Von mir aus kannst du mal wieder richtig zuschlagen. Wir haben uns schließlich in der Düsseldorfer Altstadt kennengelernt und nicht im Reformhaus. Ich finde es schön, wenn du hin und wieder so bist wie früher …«
Ihr Wunsch war ihm Befehl. Nach einigen Stunden im Garten wankte er voller Stolz zu Bett. Er hatte sein Ziel erreicht. Was vor Jahren als wirrer Wunschtraum während der Fernsehübertragung des »Eisenmannes« auf Hawaii begonnen hatte, war nun zu Ende gebracht. Er hatte in diesem Sommer eine Langdistanz geschafft.
»Unglaublich … Dasss hab ich gäschafft … Jätzz mach ich ersma tswei Wochän gaa nix mähr, un danach Uhrlaubb, Waib!«
»Jaja, mach das mal!«, entgegnete sie gelassen. Das würde ein übles Erwachen geben, so viel war ihr klar. Laktat im Blut konnte ihr Gatte deutlich besser verarbeiten als Alkohol. Denn die Milchsäure war er im Gegensatz zum vergorenen Gerstensaft inzwischen gewohnt.
Irgendwann schlief er auf dem Wohnzimmersofa erschöpft vorm Fernseher ein. Gleich mehrfach büßte er in dieser unruhigen Nacht über die Toilettenschüssel gebeugt für die stolzen Momente in der Abendsonne. Geweckt wurde er am nächsten Vormittag von seinem Sohn. Der hatte sich zunächst zwar gewundert, dass der Platz neben seiner Mutter im Ehebett leer war, aber bevor er sich auf die Suche nach seinem Vater machte, nutzte er die Gelegenheit, die verbotenen Comics am Nachtschrank des Kenianers eingehend zu studieren. Bewegte Männer aus der genialen Feder Ralf Königs erlebten dort ihre nicht jugendfreien Abenteuer.
»Warum sind die Männer alle nackt, und was machen die auf dem Tisch, Papa? Tanzen die da zusammen?«
»Warum haben die Stiefel an, aber keine Hosen?«
»Wer ist dieser Prinz Albert?«
All das waren Fragen, die er schon nüchtern nicht beantworten wollte. Aber jetzt …?
Er war in grauenvoller Verfassung. Die Haare stachen wie tausend Nadeln in der Kopfhaut, die Zunge lag wie ein trockener Schwamm im Rachen, und das Hirn fühlte sich an wie ein zu prall aufgepumpter Radschlauch beim Kopfsteinpflaster-Klassiker Paris–Roubaix. Anstatt zu antworten, stellte er dem Sohnemann den Fernseher an. Der konnte sein Glück nicht fassen. Fernsehen am frühen Morgen. Und endlich mal nicht nur das pädagogisch wertvolle Kinderprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, sondern die aufregenden Filme der sonst verbotenen Privatsender. Dem Kenianer brachten sie die erhoffte Ruhe vor den Fragen.
Er rettete sich durch den trainingsfreien Tag. Am frühen Abend fand er die alte Regel bestätigt, dass ein Kater am besten mit dem Getränk bekämpft wird, das ihn verursacht hat. Nach einer Flasche Bier fand er die Lebensgeister wieder, nach der zweiten konnte er dem Tatort folgen, und nach der dritten spulte er im Kopfkino noch mal die Einzelheiten der langen Distanz ab.
Er fühlte sich eisern. Jetzt durfte er endlich faulenzen. Er freute sich auf zwei Wochen ohne Sport, auf die detaillierten Wettkampferzählungen im Freundes- und Kollegenkreis und den anschließenden Urlaub ohne Trainingspläne. Er war ein Langdistanz-Triathlet geworden!