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Fettstoffwechsel

In zwei Wochen würde er endlich in den Urlaub gehen, bis dahin mussten seine Kollegen noch unter den detaillierten Schilderungen seiner Wettkämpfe leiden. Jeden Tag bereicherten neue Einzelheiten die Geschichten von seiner Triathlon-Saison: wie er mit dem schnellen Wechsel die übrigen Teilnehmer geschockt hatte … wie es ihm meisterhaft gelungen war, die Renntaktik den Wetterbedingungen anzupassen … wie er trotz der schweren Gesichtsverletzungen, die er sich im Finale bei einem »unglücklichen« Zusammenprall mit seinem Kontrahenten zugezogen hatte, den Weg ins Ziel gefunden hatte. Danach erhob er den zügigen Schlauchwechsel und die Geheimnisse innovativer Schuhschnürungen zu Themen von allgemeinem Interesse.

Er wurde nicht müde, seine Trainingsdisziplin zu preisen und die Wetterverhältnisse beim Wettkampf zu dramatisieren: »Und dann … ich im strömenden Regen … in vollem Tempo um die Kurve … da lag so ein Rookie auf der Straße … wäre beinahe reingesemmelt … rechts oder links vorbei ging nicht mehr … was sollte ich also machen? …« Er legte eine dramaturgische Kunstpause ein und deutete die Ruhe in der Kaffeeküche als atemlose Spannung. Er sah nicht, wie hinter ihm die Augen verdreht wurden.

»Raus aus dem Sattel, Lenker hochgerissen, Fersen unter’n Arsch und mit ’nem ordentlichen Bunny-Hop über den Typen drüber. Mein Reifenprofil ist als Abdruck auf seinem Trisuit, aber Gott sei Dank ist sonst alles gutgegangen!«

Er bekam Sonderaufgaben zugewiesen. Praktikantinnen durch den Betrieb führen. Auch diese Gelegenheit nutzte er, um den Wettkampftag neu aufzurollen und den wehrlosen Schülerinnen sein Fotoalbum von der Langdistanz zu präsentieren. Die Kollegen zeigten sich dankbar, als er endlich den Urlaub antrat. Klar, es war schon beeindruckend, was er da geleistet hatte, aber das wollten sie trotzdem nicht jeden Tag und jede Stunde hören.

Vierzehn Tage Family-Wellness hatten sie gebucht. Es lockte ein Clubhotel, in dem gestresste Großstädter bei sanften Ölgüssen ihre Wurzeln wiederfinden sollen, während das geschulte Personal ihnen die Kinder so lange wie möglich vom Leib hält. Und tatsächlich: Der Sohnemann verabschiedete sich Tag für Tag schon zur frühen Morgenstunde in die Obhut gut gelaunter Betreuerinnen, derweil sich der Kenianer und das Weib in den geschlechtergetrennten Spas aus dem Weg gingen.

Es war etwas unklar, was der Sohnemann den ganzen Tag trieb, aber da er sich zufrieden und gewohnt wortkarg zeigte (»Wie war dein Tag?« – »Schön«; »Wie war das Essen?« – »Lecker:«; »Was gab es denn?« – »Hab’ ich vergessen!«), gab es keinen Grund, der Wahrheit über das tägliche Treiben des Filius auf den Grund zu gehen.

Das Weib war mit immer neuen Masken und Packungen beschäftigt. Und solange der Kenianer brav bestätigte, dass ihre Haut immer frischer und straffer wirkte, war ihre Urlaubsbeziehung intakt.

Er selbst gehörte zur Wellness-Fraktion. Im flauschigen, weißen Bademantel ging er jeden Morgen auf der Suche nach Einkehr und Erholung in den »Men’s Club«. Er startete in der japanischen Bäderwelt. Asiaten scheinen ein besonderes Talent für Entspannungstechniken und Gesundheitspflege zu haben. »Warum stürzen sich japanische Manager dann ins offene Messer anstatt ins warme Wasser, wenn ihre Welt aus dem Lot geraten ist?«, fragte er sich zuweilen. »Warum ist die ayurvedische Medizin für westliche Besserverdiener gut und teuer, während in Indien die Massen an Typhus und Malaria leiden?« Und vor allem: »Wie soll ich mich mit den schmerzenden Knien im Lotussitz entspannen?«

Mit dem großen Fruchtsaft in der Hand schlurfte er in die »Recreation Lounge«. Dort, im wohltemperierten Raum, nickte er zu sphärischen Klängen zum ersten Mal ein.

Der Wecker seiner Sportuhr riss ihn aus den Walgesängen. Er hatte einen Termin mit heißen Steinen. Eine junge Frau begann, nach uraltem Ritus Stein um Stein auf seinem großen Rücken zu verteilen, während sie im Schnelldurchgang deren Wunderwirkungen anpries. Neben Weltfrieden und ewiger Jugend versprach sie ihm den Abtransport von Schlackestoffen. »Des undastützt bei ana Diäd!«

»Diät? Was soll ich denn mit Diät?«, wollte er sie empört fragen. Doch er beließ es bei einem verständnisvollen Grunzen. Sie hatte die Steine nach den Lehren der indianischen Medizinmänner verteilt und überließ ihn den Effekten.

Nach vierzig Minuten war sie wieder da. »Hamse a bisserl gschlafa?«

Er schreckte hoch. Die Steine fielen laut polternd auf den polierten Holzboden. Ein Euro für eine Minute Schlaf! Das gleiche Ergebnis konnte er zu Hause Sonntag für Sonntag bei den Übertragungen der Formel-1-Rennen umsonst haben. Das einschläfernde Dröhnen der Motoren und der Singsang des Moderatoren-Duos wirkten genauso beruhigend auf ihn wie die teure Massage.

Das Mittagessen rief. Der Vorsatz, es beim Salat zu belassen, hielt bis zum Anblick der Hackfleisch-Lasagne unter der Wärmelampe. Danach rundeten Tiramisu und ein doppelter Espresso die spontane italienische Motto-Mahlzeit ab.

Mittagspause. Tiefenentspannt, aufgeweicht und satt schleppte er sich ins Zimmer. Das Weib war schon eingeschlafen. Im Bett mit Lisbeth Salander und dem tragischen Wissen, dass es keine Fortsetzungen der Stieg-Larsson-Krimis geben würde. Er zappte sich durch die Neuigkeiten, die die Sender im Kampf um Einschaltquoten aus den entlegensten Winkeln der Erde in sein Hotelzimmer transportierten, bevor auch ihm die Augen wieder zufielen.

Nach einer dreiviertel Stunde weckte ihn ein brennender Reflux. Die Lasagne war auf dem Rückweg. Ein Liter Wasser aus verchromten Wasserhähnen wies ihr wieder die richtige Richtung.

Dann war es Zeit für den Sport. Laufen, Radfahren oder gar Schwimmen? Mitnichten! Allein der Gedanke, seinen vollen Magen durch Laufsport in Schwingungen zu versetzen, bereitete ihm Übelkeit. Er hatte seinen ersten Termin im »Men’s Gym«.

Früher, als das »Men’s Gym« noch »Kraftraum« hieß, war er mit seinen Kumpels häufig an den Geräten gewesen – im Kampf um einen freibadtauglichen Brustmuskel. Laut brüllend rangen die pubertätsgeplagten Jünglinge auf verschwitzten Lederbänken mit schwankenden Freihanteln. Um die Lenden ein breiter Gurt, in der Nase der Dunst von kaltem Männerschweiß. Frauen kamen nur zum Saubermachen in diese Testosterontempel. Und dem Geruch nach zu urteilen, auch nur äußerst selten.

Im »Men’s Gym« schrie niemand mehr. Die einzigen Geräusche lieferte der Fernseher, vor dem in stiller Eintracht Bürohengste Pedalachsen rotieren ließen. Wahlweise war noch Sturzprophylaxe auf bewegtem Boden im Angebot: das Laufband. Kein breiter Lendengurt. Kein Schweißspritzer auf den sauberen Armaturen. Mit gelangweiltem Gesichtsausdruck wurden polierte Gewichtsplatten bewegt. Einziger Lichtblick war die dralle Sport studentin, die ihn im figurbetonten Fitness-Outfit in Empfang nahm.

»Erzähl mal ausnahmsweise nicht von deinen Heldentaten auf der Langdistanz«, hatte das Weib ihn noch ermahnt. »Das glaubt dir nach drei Wochen ohne Sport eh keiner mehr.« Den Zusatz hätte sie sich natürlich sparen können, aber er hielt sich trotzdem an ihren Rat und präsentierte sich bescheiden als Schreibtischtäter, der um die Erstellung eines Trainingsplans bitte.

Dass Ruhepuls und Blutdruck bedenkliche Höhen erreichten, lag wohl mehr an seinem üppigen Mittagessen, den eindrucksvollen Kurven der Sportstudentin und ihrer körpernahen Methode der Herzfrequenzmessung als an einer manifesten Kranzgefäßschädigung. Schon nach wenigen Augenblicken auf dem Hamsterrad erklang ein hochtönender Alarm, und sie mahnte ihn freundlich zur Entschleunigung.

»Machen Sie langsam! Vor allem, wenn Sie es nicht so gewohnt sind.«

»Wenn du wüsstest, Mädchen«, dachte er still. »Was ich in diesem Jahr an Kilometern auf dem Fahrrad geschafft habe, fährst du bestimmt nicht im Auto.« Trotzdem drosselte er brav das Tempo, bis der Puls zu einem meditativen Bongoschlag verkam. Dann erzählte sie noch etwas von absoluter und relativer Fettverbrennung.

»Was hab’ denn ich mit Fettverbrennung zu tun?«, dachte er empört. »Außerdem … das musst du gerade sagen!« Wobei er sich verstohlene Blicke auf das üppig sortierte Rippengold gönnte.

Eine Stunde langweilte er sich an den Chrommaschinen und bewegte Gewichte. Begleitet von Bildern sprudelnder Ölquellen im Golf von Mexiko und den Neuigkeiten aus dem Sommerloch stärkte er seine Rumpfmuskulatur für den Alltagstrott.

Beim Abendessen kombinierte er den Fitness-Teller mit den Erzeugnissen lokaler Brauereien. »Ich habe schon tagsüber so viel geschlafen, da muss ich jetzt etwas für meine Bettschwere tun«, erklärte er dem Weib. »Außerdem predigst du doch immer, dass man regionale Produkte unterstützen soll.«

Am Morgen quälte ihn ein leichter Kater. Er hatte schlecht geschlafen und brauchte Erholung. Genau die richtige Verfassung, um sich einem neuen Tag voller Entspannungsverheißungen hinzugeben …

Sind wir nicht alle ein bisschen tri?

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