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Die unnatürliche Frau

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Immer wenn Menschen verhindern wollen, dass sich die Welt allzu sehr verändert oder überhaupt verändert, behaupten sie, diese und jene Veränderung sei »unnatürlich«. Echte Gleichheit für Frauen am Arbeitsplatz ist »unnatürlich« – die Natur will, dass sich Frauen aus dem öffentlichen Leben ausklinken, wenn sie Kinder bekommen, und wenn sie keine Kinder bekommen, dann muss das unnatürlich sein. Ehrgeizige und unabhängige Frauen sind unnatürlich. Frauen, die aktiv sexuelles Verlangen äußern, sind unnatürlich. Frauen, die sich nicht für Männer hübsch machen, sind unnatürlich. Frauen, die Respekt und Sicherheit fordern, ohne hübsch und jung zu sein, sind unnatürlich. Abtreibung ist unnatürlich. Verhütung ist unnatürlich. Lust um der Lust willen ist unnatürlich.

Unnatürlich ist so gut wie alles, was Spaß macht.

Aber Vergewaltigung, ja, die ist natürlich. Männliche Gewalt gegen Frauen ist natürlich. Homophobie ist natürlich. Diskriminierung queerer Frauen, armer Frauen, dicker Frauen, hässlicher Frauen, Transgender-Frauen, Women of Colour und weiblicher Männer ist natürlich. Armut ist natürlich, vor allem, wenn die Armen männerlose Mütter mit kleinen Kindern sind. So ist die Welt nun einmal. Tod im Wochenbett ist natürlich. Dass Frauen für sexuelle Lust einen höheren Preis zu bezahlen haben, ist natürlich. Sexuelle Doppelmoral ist natürlich. Frauen haben seit Jahrhunderten weniger Freiheit und Macht, werden stärker ausgebeutet als Männer, und vielleicht gab es da kleine Fortschritte, aber mehr sollten wir nun wirklich nicht einfordern. Mehr einzufordern wäre unnatürlich. Schlampen sollten wissen, wo sie hingehören.

Die Frage ist selbstverständlich: Warum, zum Teufel, sollte irgendjemand natürlich sein wollen?

Seit fünfzig Jahren predigt das Patriarchat den Frauen, sie sollten wieder in die Küche gehen, erst mit echter Wut, dann in einem ironischen, scheinbar witzig gemeinten Krypto-Sexismus: Geh wieder in die Küche, und schmier uns ein Brot, Liebes. Die Männer, die so darauf aus sind, dass Frauen und Mädchen wieder in die Küche gehen, sollten sich mal überlegen, was wir da drin womöglich anzetteln könnten. In der Küche kann man sich ziemlich schlimme Sachen ausdenken. Da bewahren wir auch die Messer auf.

Die Wahrheit ist, dass daran, was es bedeutet, heutzutage ein Mann oder eine Frau zu sein, nichts »Natürliches« ist. Genderidentität ist performativ, und sie wird dargeboten, um Gewinn zu machen, sei es sozial, finanziell oder persönlich. Diese Darbietung ist eine Anpassungsstrategie, die hilft, sich in einem mehrheitlich feindlichen Gebiet zurechtzufinden. Nun müssen wir uns wieder anpassen. Und das ist Feminismus: Anpassung. Evolution.

Der Feminismus hat keine festen Regeln. Er will nicht den Männern Rechte wegnehmen, denn es gibt keine begrenzte Menge an Freiheit. Freiheit steht uns im Überfluss zur Verfügung, wenn wir den Mut haben, sie für alle zu ergreifen. Feminismus ist eine soziale Revolution und eine sexuelle Revolution, und Feminismus gibt sich keinesfalls mit der Missionarsstellung zufrieden. Im Feminismus geht es um Arbeit und um Liebe und um die Abhängigkeit des einen vom andern. Feminismus heißt, Fragen zu stellen und immer weiter Fragen zu stellen, auch wenn sie unbequem werden.

Ein Beispiel: Die Frage, ob Männer und Frauen für dieselbe Arbeit dasselbe Geld bekommen sollten, führt zu der Frage, was unter derselben Arbeit eigentlich zu verstehen ist, wo doch die Haus- und Fürsorgearbeit überwiegend ohne Bezahlung von Frauen verrichtet wird, oft neben einem Vollzeitjob. Die Antwort wirft gleich mehrere weitere Fragen auf, welche Arbeiten bezahlt und welche einfach aus Liebe und Pflichtgefühl getan werden sollten, und schon beginnt man das Wesen der Liebe zu hinterfragen, und an dieser Stelle wird es richtig ungemütlich.

Die Einengung der Frauen auf die häusliche Umgebung war nie nur ein Mittelschichtsphänomen. Doch schon die frühen Vertreterinnen des Feminismus der zweiten Welle, beginnend mit Betty Friedans Der Weiblichkeitswahn,14 befassten sich schwerpunktmäßig mit der Not der Ehefrau und Mutter in der Vorortsiedlung, ihrem Frust, ihren Neurosen und der Sehnsucht, dem endlosen Einerlei aus Abwasch, Abendeinladungen und Tratsch in die männliche Welt von Arbeit und Macht zu entfliehen, die ihr verschlossen war. Ihr Schmerz, die Qualen der bürgerlichen Hausfrau, die sich nach einem Bürojob sehnt, hat zwei Generationen lang das allgemeine Verständnis vom Sinn des Feminismus und den Wünschen der Frauen geprägt. Dass außerhalb der weißen Vororte Frauen immer für Geld arbeiten mussten, spielt in dieser zweckdienlichen Fiktion keine Rolle. Damit Frauen gleichberechtigt und zufrieden sind, müsse, so die Fiktion, allen Frauen eine bezahlte Arbeit zugestanden werden; ihren häuslichen Pflichten kämen sie natürlich weiterhin nach, ein anstrengendes Programm der Selbstverleugnung, für das wir heute den Begriff »alles haben« verwenden. »Alles haben« bedeutet Beruf, Kinder, einen Ehemann, eine anständige Föhnfrisur – und das war’s.

Auch die Arbeit selber wurde zur Frauenemanzipation umgemünzt. So unbefriedigend und schlecht bezahlt der Job auch sein mag: Wenn du einen hast, bist du frei, Baby. Wer schon einmal einen Tag lang richtig malocht hat, weiß, dass das eine gigantische Lüge ist. Dennoch wurde die Frauenemanzipation umdefiniert als die völlige Anpassung an die zeitgenössischen Weiblichkeitsnormen, eine Anpassung, die bestenfalls unendlich viel Arbeit und ständigen Frust mit sich bringt, gewiss aber kein Garant für Gesundheit und Glück ist, nicht einmal für die, die über die Mittel verfügen, diesen Weg zu gehen. Moderne Superfrauen sind dermaßen erschöpft und überdreht, dass sie mittlerweile dämliche kleine Muffins backen und in Fifties-Blümchenkleidern durchs Haus schweben, als brächte ihnen das die Zeit zurück, als die Frau noch einkaufte, kochte, Babys wickelte, und wenn sie Glück hatte und hübsch war, einen Mann dazu überreden konnte, das alles zu bezahlen. Je weiter wir uns davon entfernen, desto attraktiver wirkt diese Möglichkeit auf uns.

Die Vergangenheit ist ein fremdes Land: Dauernd erhebt jemand im Namen der einen oder anderen Ideologie Anspruch darauf, ohne Rücksicht auf die Menschen, die tatsächlich dort leben. Der jüngsten Geschichte bemächtigte man sich mit der Behauptung, frühere Frauengenerationen seien nicht frei gewesen, weil sie nicht gegen Bezahlung arbeiten durften. Das heutige Bild der 1950er Jahre zeigt Frauen, die an das Haus gekettet waren, an den Spülstein, den Jägerzaun, den Ehemann und die Kinder. Viele erschöpfte Frauen von heute fänden diesen vergoldeten Märchenkäfig wahrscheinlich sehr reizvoll: Den ganzen Tag lang im Haus herumwuseln und den Kindern beim Aufwachsen zusehen: Das hat ja wohl kaum weniger Würde, als Tag für Tag ins Büro zu schlappen und einen Job zu machen, der nicht einmal die Miete für eine Zweizimmerwohnung einbringt. Wenn der Feminismus uns nicht mehr gebracht hat als das Recht auf Lohnarbeit, so kommt durchaus zurecht das Gefühl auf, dass es mit der Emanzipation nicht weit her ist und dass die Frauen, die sich für den attraktiven Prinzen und die Hausfrauenrolle entschieden, vielleicht doch die richtige Wahl trafen.

Das derzeitige Konzept von Weiblichkeit ist eng mit Unternehmergeist und Wettbewerb verknüpft: Möchtegern-Sozialtheoretikerinnen wie Catherine Hakim sprechen völlig ohne Ironie vom »erotischen Kapital« der Frauen.15 Das ist abstoßend, denn damit wird laut und deutlich ausgesprochen, was uns Eltern, Lehrer und Freundinnen nur zuflüstern: Deine Weiblichkeit ist eine Marke, deine Erotik dein Aktienpaket, das du halten und zu Geld machen musst, wenn es am meisten wert ist. Deine Genderidentität, einer der intimsten Bereiche, die dich zu dem machen, was du bist, steht vollständig zum Verkauf. So erklärt sich auch, warum sich Frauen und besonders junge Frauen so gut auf die Anforderungen der sozialen Medien und der Kapitalisierung des sozialen Bereichs einstellen, die von ihnen erwarten, dass sie die Logik der Markenbildung auf ihr Leben anwenden, damit sie möglichst viele Anhänger und Freunde bekommen. Weiblichkeit soll für uns ein Teil unserer Marke sein, ein Brandzeichen, das uns schon bei der Geburt ins Fleisch gebrannt wurde.

Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution

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