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Meuterei in unserer Zeit?
ОглавлениеEs kommt eine Zeit, da müssen wir entscheiden, ob wir uns ändern, um in die Geschichte zu passen, oder ob wir die Geschichte ändern. Es erleichtert die Entscheidung ein wenig, wenn wir begreifen, dass die Weigerung, das eigene Leben und die Persönlichkeit den Konturen einer ungerechten Welt anzupassen, der beste Weg zur Schaffung einer neuen ist.
Es kommt eine Zeit, da müssen wir entscheiden, was wir uns zu wollen erlauben.
Da wir gerade dabei sind: Ich will eine Meuterei. Ich will, dass Frauen und Queers und alle anderen, die unter den Gender-, Macht- und Eigentumsstrukturen leiden – und das sind die meisten von uns –, nicht weiter darauf warten, dass sie für ihr Wohlverhalten belohnt werden. Golddukaten sind nicht zu erwarten, und gute Jobs gibt es nur noch wenige. Selbst wenn wir die richtigen Kleider kaufen und unsere Arbeit gut machen und uns jeden Tag mit zusammengebissenen Zähnen dasselbe Lächeln aufs Gesicht zwingen, haben wir keine Garantie, dass man uns in Ruhe alt werden lässt, bis die Flut einsetzt.
Vergesst es. Es ist vorbei. Die soziale Revolution, die stockend durch das vergangene Jahrhundert stolperte, die feministische Gegenwehr, die sexuelle Revision, das Zerschlagen alter Normen zu Hautfarbe, Klasse und Geschlecht, diese soziale Revolution muss neu beginnen, diesmal mit uns allen, nicht nur mit den reichen Weißen, die sie am wenigsten brauchten. Deshalb muss es Meuterei sein.
Es muss Meuterei sein. Nur so geht es. Früher war ich nicht so kompromisslos. Ich ging wählen, unterschrieb Petitionen und plädierte für einen Wandel innerhalb des Systems. Ich blieb die ganze Nacht auf, als Obama gewählt wurde; ich jubelte den Liberaldemokraten in London zu. Ich dachte, wenn wir kleine Veränderungen einfordern – eine andere Haltung zur Körperbehaarung, ein leichtes Anheben des Mindestlohns, vielleicht die Schließung einiger Pornoläden und die Zulassung der Homo-Ehe –, dann würde man uns am Ende ein bisschen Freiheit geben, wenn es nicht zu viel Umstände machte.
Das war einmal. Wohlverhalten bringt uns nicht weiter. Die freundliche Bitte um Veränderungen bringt uns nicht weiter. Wir brauchen Meuterei. Eine Klassenmeuterei, eine Geschlechtermeuterei, eine Sexmeuterei, eine Liebesmeuterei. Es muss die Meuterei unserer Zeit sein.
Oft heißt es, wir sollen doch bitte Verständnis haben für die, die traditionell die Macht in unserer Gesellschaft innehaben – Männer, Weiße, Heterosexuelle, die Oberschicht – und die gnädig ein kleines bisschen ihrer Privilegien abgeben, winzige Fetzen, die wir anderen unter uns aufteilen sollen. Man erklärt uns, Gleichheit auf dem Papier, Gleichheit vor Gericht reichten aus, und das in einer Gesellschaft, deren Gesetze seit jeher ungerecht umgesetzt und ungleich durchgesetzt werden. Vor allem sagt man uns, es sei nun wirklich genug. Es könne keine bessere Welt geben als die, in der wir heute leben. Gleichheit, soziale Chancen, persönliche und sexuelle Freiheit seien ein Luxus, den sich die Gesellschaft nicht leisten könne. Aber das stimmt nicht. Freiheit kann nicht nur vor Gericht ausgehandelt werden. Die sexuelle Revolution ist nicht vorbei und erledigt, wie man es uns weismachen will. Der Feminismus ist hier nicht zu Ende. Er beginnt hier.
Vielleicht täusche ich mich ja auch. Vielleicht kann es wirklich nicht besser werden. Vielleicht war 1989 wirklich das Ende der Geschichte,16 und wir müssen uns mit dem Stand der Dinge abfinden. Vielleicht geben wir uns zufrieden damit, dass so viele Mädchen mit Angst und Missbrauch aufwachsen, dass so viele Frauen gezwungen sind, sich zu ritzen und sich zu zügeln, schön und still zu sein, bis die Männer keine Verwendung mehr für sie haben, dass sich so viele Männer und Jungs eine Kiste aus Gewalt und Trägheit bauen, in die sie ihren Schmerz und ihre Wut einsperren und deren Tür sie leise von innen verschließen. Vielleicht haben wir etwas in uns, dem es so lieber ist.
Folgendes schlage ich vor: Ich werde euch nicht sagen, wie ihr eine bessere Version derer sein könnt, die ihr schon seid. Ich werde euch nicht noch ein Regelwerk vorsetzen, das euch beibringt, euch zu benehmen, immer schön nachzugeben und das bravste Mädchen der Welt zu werden. Und ich schwöre euch, ich verspreche hoch und heilig, ich sage euch nicht, ob ihr euch das Schamhaar wegrasieren sollt, und ich beurteile euch nicht nach dem Zustand eurer Achseln. Mir ist eure Körperbehaarung scheißegal.
Dieses Buch gehört auch nicht zu der Flut der Ratgeber, die euch bei der Navigation durch die heimtückische Maschine des Patriarchats hilft, wo wir die Maschine doch zerstören und mit möglichst vielen Freunden die Fabrik verlassen müssen. Die Welt braucht keinen weiteren Leitfaden dafür, wie wir uns in Würde in eine Welt fügen, die uns in den Selbsthass treibt. Besonders Frauen und Mädchen brauchen keine weiteren Regeln dafür, wie sie leben, arbeiten, sich pflegen, lieben sollen. Es gibt schon zu viele Regeln, und oft widersprechen sie einander. Seit meinem fünften Lebensjahr lese ich neben Bergen feministischer Theorie auch die rosaroten Ratgeber, und trotzdem habe ich keine Ahnung, wie ein braves Mädchen aus mir werden soll, und wenn ich es wüsste, würde ich es euch nicht sagen.
Ich will euch nicht vorgeben, wie ihr Feministinnen werdet oder ob ihr überhaupt welche werden sollt. Ich bezeichne mich als Feministin, um Leute ins Bett zu kriegen und mir in der Bar die Widerlinge vom Hals zu halten, aber Feminismus ist keine Identität. Feminismus ist ein Prozess. Nennt euch, wie ihr wollt. Wichtig ist, wofür ihr kämpft. Fangt jetzt an.