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Spielboykott

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Auf der Station für die Umerziehung böswilliger Nichtesserinnen war Sex-Talk nicht erlaubt. Fluchen war nicht erlaubt. Als zwei andere Mädchen und ich in der obligatorischen Kunsttherapie, in der wir unsere Gefühle ausdrücken sollten, riesige behaarte Schwänze, Mösen und vulgäre Sexszenen aufs Papier brachten, stellte man uns zur Rede, warum wir so stur seien und nicht nach Plan vorankämen. Wenn wir uns morgens zum Wiegen anstellten, flüsterten wir uns Möse und Fotze zu, immer lauter, um auszutesten, wann uns die Krankenschwestern den Mund verbieten würden. Wir hatten uns zu benehmen. Wir hatten brave Mädchen zu sein, wenn wir da je wieder rauskommen wollten.

Um diese Klinik durch den Haupteingang zu verlassen, und zwar nicht horizontal mit den Füßen voran, mussten wir uns an die Regeln halten. Wir mussten lächeln und aufessen. Wir mussten brave Mädchen sein. Ein braves Mädchen ist eins, das keine Hosen trägt, sich die Haare wachsen lässt, so bald wie möglich einen Freund findet und lernt, sich das Haar zu stylen und einen sauberen Kajalstrich zu ziehen. Ein braves Mädchen kauft verschiedene Kleider für verschiedene Anlässe, macht sich so zurecht, dass es die begehrlichen Blicke der Männer auf sich zieht, und lernt Manieren: den Kopf neigen und »Bitte« und »Danke« sagen und »Nein, für mich keinen Kuchen, ich habe diese Woche schon genug gesündigt«.

Das war die erwünschte Weiblichkeit, die heterosexuelle Weiblichkeit, Weiblichkeit als Kontrolle, als großes Entqueeren. Es war das ultimative Umstyling, und wir halfen uns gegenseitig, verkleideten einander wie überkandidelte Barbiepuppen, sogar ich – ich ganz besonders, denn ich hatte, als ich in die Klinik kam, kurze Haare und Hosen getragen und vom Mädchenküssen gefaselt, und hatte daher am meisten darüber zu lernen, was eine Frau eigentlich ist. Wir spielten das Spiel gemeinsam, vor allem, wenn eine von uns die Station verlassen durfte. Dann kleideten wir sie an, schminkten sie, polierten ihr die Nägel, machten ihr das Haar und schickten eine gesunde normale Frau hinaus in die Welt, nicht das verletzte empfindliche Wesen, das Monate zuvor zu Fuß oder im Rollstuhl mit nacktem Herzen auf die Station gekommen war.

Mach dich schön. Mach dich neu. Spiel das Frauenspiel, und spiel es besser als deine Freundinnen. Du bestehst nur aus Oberfläche, da machst du die Oberfläche am besten interessant, modern und frisch, denn darunter ist ja nur eine Frau mit ihren läppischen Problemen und ihren faden Gefühlen. Sogenannte Makeover-Shows, die sich der Selbstvervollkommnung verschrieben haben, von den Top-Model- Formaten bis hin zu Schönheitsshows wie The Swan – Endlich schön! und Abnehmshows wie The Biggest Loser, zählen zu den erfolgreichsten Produktionen der letzten beiden Jahrzehnte. Das ist kein Zufall.

Für moderne Frauen ist in diesen angstbesetzten Zeiten das Umstylen ein Ritual der Gesundheit, der Hingabe und der sozialen Konformität. Es ist der zentrale Umgestaltungsmythos der modernen Weiblichkeit und ein lukrativer dazu. Das Frauenspiel, das Spiel um Trickserei und Selbstvernichtung, ist ein ernsthaftes Geschäft. Einer jüngeren Umfrage des Teleshopping-Senders QVC zufolge gibt die Durchschnittsbritin jährlich über 2600 Euro oder 11 Prozent des Durchschnittseinkommens einer in Vollzeit arbeitenden Frau für Pflege und Verschönerung ihres Äußeren aus. Männer dagegen verwenden nur 4 Prozent ihres Einkommens auf ihr Äußeres, und zwar überwiegend auf die Rasur und das Fitnessstudio.26 Hochglanzfrauenzeitschriften leiten zur Selbsttransformation an: So modelt ihr euren Körper für den Sommer um, so die Garderobe für den Winter, so geht ein Smokey-Eye-Make-up, so eins, das glitzert, und so ein natürliches – für das ihr deshalb nicht weniger Farbe braucht. Schönheitskliniken kleistern öffentliche Verkehrsmittel mit dem Versprechen zu, dass sie nicht nur den Körper optimieren, sondern auch die Psyche, durch »Selbstvertrauen« zum Beispiel. In Modemagazinen wird uns geraten, Geld, das wir nicht haben, in Kostümröcke oder Handtaschen zu »investieren«. Wir sollen uns nicht nur schön kleiden und stylen, um uns zu gefallen, nein, wir sollen dabei immer die finanzielle Zukunft im Blick haben. Der Rock ist in Wahrheit eine Investition in ein Eine-Frau-Unternehmen, dessen Produkt wir selber sind, nur schicker. Macht, Gesundheit und Erfolg sind für die moderne, emanzipierte Frau genau das: unendliche Erschöpfung und ein mit teuren Kostümen vollgestopfter Kleiderschrank.

Weiblichkeit, Fügsamkeit und Hübschsein – das lebenslange Bemühen, auszusehen wie ein untergewichtiges kaukasisches Mädchen Anfang zwanzig mit ebenmäßigen Gesichtszügen – sind die Eintrittskarten für eine ganze Reihe von Jobs, in denen nur wenige richtig groß werden, die meisten aber scheitern.

Doch sie haben uns angelogen. Die Zeitschriften haben gelogen, die Filme haben gelogen, unsere Mütter haben gelogen. Wenn ein Mädchen schön ist, wird nicht alles besser. In Wahrheit wird so gut wie nichts besser, sondern wir bekommen nur andere Probleme, wie jede Frau bestätigen kann, die wie ich nach der Schule vorübergehend hübsch war. Kleine Mädchen lernen, dass Schönheit der einzige sichere Weg zu Liebe, Glück und Freiheit ist, und wenn sie schön zur Welt gekommen sind, macht es auch nichts, wenn sie arm zur Welt gekommen sind. Der heutige Schönheitsmythos unterscheidet sich kaum von dem jahrhundertealten Märchen vom schönen Mädchen, das eines Tages den Prinzen heiratet, nur dass der Prinz heute nicht mehr die einzige Eintrittskarte in die angeblich erstrebenswerte Welt ist, sondern zu dem Paket aus Ruhm, Geld und Bewunderung als mögliche Zugabe dreingegeben wird. Auf die endlose Liste der reichsten, mächtigsten und beliebtesten Frauen der Welt haben es die meisten durch Schönheit, durch die Eheschließung mit einem mächtigen Mann oder durch beides geschafft. Hillary Rodham Clinton mag US-Außenministerin gewesen sein, aber sie wird immer noch danach beurteilt, wie fickbar sie ist und ob sie im Hosenanzug eine sexy Figur macht. Die einzige Ausnahme bildet die englische Queen, in deren Fall es völlig egal ist, ob sie Botox gespritzt hat oder nicht, weil ihr grimmiges Konterfei Briefmarken ziert und ihr die Hälfte der Antarktis gehört.

Schönheit hängt schon seit jeher eng mit der sozialen Schicht zusammen. Vor Jahrhunderten waren die wegweisenden »Schönheiten« ihres Zeitalters die Vorzeigefrauen und Glamourtöchter reicher Männer, die es sich leisten konnten, dass »ihre« Frau nichts arbeitete und sich in unpraktischen Fummel warf. Wenn wir heute beruflich Karriere machen wollen, sollen wir bitteschön so reich aussehen, als müssten wir gar nicht arbeiten. Zeit, Geld und Energie, die Frauen zusätzlich in ihr Äußeres stecken, nehmen jedes Jahr zu und sind überraschend unabhängig von wirtschaftlichen Krisen:27 als hätten wir schon mit der Muttermilch aufgesogen, dass Schönheit überlebensnotwendig ist. Was ist das Erste, das wir einem Baby mit Schleifchen im Haar sagen? »Was für ein hübsches Mädchen!«

Eines lernen Frauen und Mädchen von klein auf: Egal, was sie mit ihren siebzig Jahren auf diesem Planeten anstellen, wie mutig, klug und gebildet sie sind, egal, wie viele Millionen Euro sie verdienen, wie viele Menschenleben sie retten – das alles zählt nicht, wenn sie nicht schön sind. Ja, wir müssen schön sein, wenn wir geliebt werden wollen, wenn wir mächtig und erfolgreich sein wollen. Die wenigen Frauen, die nicht mit den Maßen einer halbwüchsigen sibirischen Turnerin in die Öffentlichkeit treten, seien sie Akademikerinnen oder Außenministerin, werden in Zeitungen und Zeitschriften, im Fernsehen und online wegen ihres Äußeren gnadenlos zusammengestaucht und lächerlich gemacht, werden ausschließlich danach beurteilt, wie attraktiv sie auf Männer wirken. Wir dürfen nie vergessen: Wir müssen eine heiße Mieze sein – das ideale Subjekt –, sonst schlägt uns Hohn und Spott entgegen.

Schon kleine Mädchen lernen das alles, weil sie nie die Wünsche hinterfragen sollen, die man von ihnen erwartet: wer sie einmal sein wollen, mit wem sie das Leben teilen und was sie in die Welt einbringen wollen. Setz nicht zu früh Kinder in die Welt, das machen die armen Mädchen, aber denk dran, du musst Kinder bekommen, sobald du dir ein Kindermädchen leisten kannst. Und wenn du das Kindermädchen bist? Dann zieh dir ein hübsches Kleidchen an und lächle und hoffe darauf, dass du noch rechtzeitig von der Arbeit nach Hause kommst, um deine Hausaufgaben zu erledigen oder deine eigenen Kinder ins Bett zu bringen. Was, schon die Vorstellung macht dich müde? Es schüttelt dich bei dem Gedanken an vierzig Jahre gnadenlose Konformität, daran, was es an Zeit und Geld kostet, an Hunger, Selbsthass und Selbstaufopferung, und das alles nur, um vielleicht eines Tages behütet und geliebt zu werden? Hast du Angst, dass du nie genügen wirst?

Diese Angst ist durchaus berechtigt. Natürlich werden wir nie genügen. Wir können nie genügen. Nur perfekte, schöne Frauen haben Liebe und Erfüllung verdient. Wir aber sind schwach, hässlich, faul und fett. Wenn wir nicht glücklich sind, sind wir selber schuld. Wir hätten uns eben mehr anstrengen müssen. Wir hätten weniger essen und außerdem Geld für die Nasen-OP beiseite legen müssen. Wir hätten klüger sein müssen, dünner, netter, größer, weißer, hübscher, wir hätten unser grauenhaftes Selbst besser im Griff haben müssen. Die Sorge, nicht genug zu haben, ist immer noch männlich besetzt, obwohl Armut nach wie vor überwiegend eine weibliche Erfahrung ist.28 Männer wollen Objekte; Frauen sind Objekte. Männer wollen genug haben und genug erreichen; Frauen wollen einfach nur genügen. Männer wollen; Frauen werden gewollt. Und für Frauen ist es nach wie vor eine echte existenzielle Gefahr, wenn sie nicht begehrt werden. Frauen, die nicht stereotyp attraktiv, jung und gesund sind, sagen oft, sie fühlten sich »unsichtbar« – als gebe es sie gar nicht.

Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution

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