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Einleitung

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Dies ist kein Märchen.

Dies ist eine Geschichte darüber, wie Sex, Geld und Macht Mauern um unsere Fantasie errichten. Sie handelt davon, wie unser Geschlecht unseren Träumen Zügel anlegt. Die wichtigsten politischen Schlachten der Menschheitsgeschichte wurden auf dem Gebiet der Fantasie geschlagen, und welche Geschichten wir uns zu erzählen erlauben, hängt davon ab, was wir uns vorstellen können.

Wie jede unterdrückte Klasse lernen Frauen, den eigenen Zorn zu fürchten. Unser Zorn ist furchterregend, und das hat seinen Grund. Wir wissen, wenn er sich je Bahn brechen sollte, werden wir womöglich verletzt oder, schlimmer noch, verlassen – ein zuverlässiges Maß für soziale Privilegiertheit ist, wie viel Zorn man äußern kann, ohne einen Rauswurf, Verhaftung oder soziale Ächtung fürchten zu müssen. Deshalb schlucken wir unseren Zorn hinunter, bis er wie verdorbenes Essen in uns gärt und uns krank macht.

Dies ist ein feministisches Buch. Es ist keine heitere Anleitung für den Umgang mit dem modernen Patriarchat, Augenzwinkern, Daumen hoch. Es ist kein kuscheliges Wohlfühlbuch über Sex, Shopping und Schuhe. So etwas kann ich gar nicht schreiben. Ich kann mir für euch kein Lächeln abringen. Als Leitfaden zum Glück in einer abgefuckten Welt taugt dieses Buch nicht.

Es ist aber auch keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine Polemik, gestützt auf Studien, Erfahrungen und Jahre des Schreibens und des politischen Agitierens in der queeren und feministischen Szene in Großbritannien, den USA und im Netz. Ich habe genug Frauen kennengelernt, die an den Pranger gestellt wurden, weil sie offen über Vergewaltigung gesprochen, die mit dem Tode bedroht wurden, weil sie eine Abtreibung vorgenommen hatten; genug Männer, die mit Schlägen und Schikane in den Selbstmord getrieben wurden, weil sie nicht straight genug auftraten; genug Menschen beider Geschlechter, die daran verzweifelten, dass sie einem stereotypen Erfolgsideal nicht gerecht werden konnten, obwohl sie es sich doch nie ausgesucht hatten.

Dieses Buch handelt von Liebe und Sex in Zeiten staatlicher Sparmaßnahmen, von Gender und Neoliberalismus. Der Begriff »Neoliberalismus« bezeichnet den Versuch, Gesellschaft und Staat auf der Basis »des Marktes« zu organisieren. Der Neoliberalismus betrachtet die Logik der Wirtschaft und des Geldes als die optimale Determinante für menschliches Glück. Man könne den Menschen nicht trauen, so heißt es, daher müsse der Markt diktieren, was die Menschen wollen. Jede Kategorie menschlicher Interaktion – von der öffentlichen Hand bis hin zum intimsten Liebesund Lustabenteuer – müsse wie ein Markt funktionieren, mit eingebauten Wettbewerbsmechanismen und einer Kostenkontrolle. Alle persönlichen Entscheidungen, auch demokratische, seien der Logik des Marktes zu unterwerfen – sogar das Fleisch lässt sich zum Zwecke der Gewinnoptimierung modifizieren.

Das sei Freiheit, erklärt man uns. Der Neoliberalismus errichtet, um mit den Worten David Friedmans zu sprechen, ein »Räderwerk der Freiheit«, in dem Menschen in erster Linie ökonomische Wesen sind.1 Alles, was wir tun, habe der »Nutzenmaximierung« zu dienen, sei es in einer Beziehung, im Beruf oder im sozialen Umgang. Das Selbst sei nur ein unternehmerisches Projekt, der Körper nur menschliches Kapital, eine Ansammlung von Ressourcen – Gehirn, Brüste, Bizeps –, die der Generierung von Einkommen dienen können.

Das betrifft alle – am meisten aber Frauen. Frauen verrichten häufiger als Männer Arbeit, die gesellschaftlich notwendig, aber gering oder gar nicht bezahlt ist, und sie sind auch häufiger auf staatliche Hilfe und Fürsorge angewiesen. In der angeblich freieren und gleichberechtigteren Welt arbeiten Frauen am Ende mehr für weniger Lohn und stehen stärker unter Druck, Gendernormen zu entsprechen.

Der Neoliberalismus rühmt »Karrierefrauen« und verunglimpft arme Frauen, Women of Colour, Sexarbeiterinnen und alleinstehende Mütter als Schmarotzer, Schlampen und Schwindler. Die »Karrierefrau« ist die neoliberale Heldin: Sie feiert marktkonform ihre Triumphe, ohne Hierarchien anzutasten.

Die »Karrierefrau« ist allerorten das neue Idealbild für junge Mädchen: Sie ist der wandelnde Vorzeigelebenslauf, sie wertet mit Make-up und Schönheitsoperationen ihr »erotisches Kapital« auf, um damit ihr Einkommen oder das ihres Chefs zu maximieren. Sie ist immer schön, ausnahmslos weiß und fast völlig fiktional. Dennoch hat ihre Freiheit Vorfahrt, denn rund um den Erdball kürzen die Staaten Leistungen und Hilfen für arme Frauen und setzen alles daran, »mehr Frauen in die Vorstände« zu bekommen.2 Der Neoliberalismus kolonisiert unsere Träume. Er frisst unsere Freiheitsideale und spuckt sie als Strategien der Sozialkontrolle wieder aus.

Dieses Buch ist insofern feministisch, als es als Gegenmittel gegen die Kolonisierung unserer wichtigsten Leidenschaften durch Geld und Hegemonie eine feministische Politik propagiert. Es kommt auch privater Schmuddelkram vor. Wenn ihr euch dafür interessiert, blättert gleich vor zu den Seiten 248ff.

Ich begann dieses Buch während der Studentenunruhen in Großbritannien zu schreiben, mit dem Laptop auf den Knien in einem besetzten Haus auf dem Boden kauernd, umgeben von angeschlagenen, erschütterten jungen Leuten, deren Freunde verprügelt, gefesselt und abgeführt worden waren, weil sie es gewagt hatten, vor ihrem Parlament eine bessere Zukunft einzufordern. In Wohnungen mir fremder Menschen kritzelte ich in Kladden, während unter mir auf den besetzten öffentlichen Plätzen, in den verwüsteten Traumhöllen des Neoliberalismus Polizei und Demonstranten aufeinanderprallten. Ich erlebte, dass naive junge Frauen und Männer aus der Mittelschicht des 21. Jahrhunderts plötzlich begriffen, wie es um die Welt, in der sie leben, wirklich bestellt ist. Das alles beobachtete ich, und ich glaube, es gibt Hoffnung. Ich glaube, wenn uns in dieser strapaziösen konfusen Zukunft etwas retten kann, so ist es die Wut von Frauen und Mädchen, Queers, Freaks und Sündern. Ich glaube, die Revolution wird feministisch sein, und wenn sie da ist, wird sie intimer und schockierender sein, als wir es uns bisher vorzustellen wagen.

Dieses Buch hilft euch nicht dabei, einen Mann zu finden, eure Frisur zu richten oder euren Job zu behalten. Dieses Buch handelt von Liebe und Sex, Schönheit und Ekel, Macht, Leidenschaft und Technik. Es handelt vom intimen Terrain des Aufruhrs. Ich schrieb es in fremden Städten, im Gespräch mit halbwüchsigen Ausreißer_innen, radikalen Feminist_innen, Anarchist_innen, Hipster_innen, Sexarbeiter_innen, verrückten Künstler_innen, verurteilten Kriminellen, transsexuellen Aktivist_innen und traurigen jungen Kleinstadtbewohner_innen, die sich nach Abenteuern sehnten.

Ich richte mich in diesem Buch an die anderen, als eine dieser anderen, eine derer, die sich nie zufrieden geben, denen es nie gut genug, denen es nie frei genug ist, wenn nur ein paar gleichberechtigt sind. Dieses Buch ist für die Unsäglichen, die Unnatürlichen, die, die andere verschrecken. Die nicht tun, was man ihnen sagt. Die den Mund aufmachen, wenn sie es nicht sollen, und die nicht auf Knopfdruck lächeln. Die schräg sind und immer zu viel wollen. Wenn ihr so jemand seid oder sein könntet, dann ist dieses Buch für euch.

Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution

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