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Kapitel 1

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Eigentlich erhoffte sich Robert Rieken durch seine Rückversetzung in die Oldenburger Polizeiinspektion nur eins: lieber Fahrraddieben das Handwerk legen, als brutale und kaltblütige Verbrechen aufzuklären. Mit Raub, Erpressung, Mord und Totschlag wollte er nichts mehr zu tun haben, denn die meisten seiner Dienstjahre hatte er als Ermittler in den härtesten Großstadtrevieren des Landes zugebracht - und nun war einfach das Maß voll.

Jedoch sein Wunschtraum zerplatzt genau an jenem Tag, an dem zwei Dangaster Krabbenfischer eine männliche Leiche mit ihrem Schleppnetz aus der Nordsee ziehen und Robert als Kriminalkommissar plötzlich vor der Aufgabe steht, die Identität des unbekannten Toten zu ermitteln. Während der Autopsie durch die taffe Gerichtsmedizinerin Dr. Lin Quan wird schnell klar, dass es sich um ein Gewaltverbrechen handelt.

Eine schwierige Ermittlungsarbeit beginnt und führt Robert zu weiteren ungeklärten Mordfällen im Rotlichtmilieu.

Er muss schließlich erkennen, dass sein Versuch, vor dem organisierten Verbrechen in eine norddeutsche Provinzstadt zu fliehen, ein großer Trugschluss war.

„Tödlicher Nordwestwind“ ist ein Kriminalroman von Lene Levi (ein Pseudonym) und zugleich der erste Fall des Oldenburger Kriminalisten Robert Rieken. Weitere Fälle des Kommissars aus dieser Region werden folgen.


Farbe ist Blut und Blut ist Leben.“

Karl Schmidt-Rottluff

Noch vor Sonnenaufgang des 29. Juli, der ein feuchter- und schwül-heißer Sonntag werden sollte, verließen der friesische Fischer Enno Fedder und sein Maat Hauke Schortens mit dem Krabbenkutter »DAN 2« ihren Heimathafen Dangast am Südrand des Jadebusens. Nachdem sie ihr kleines Schiff durch den gewundenen und schmalen Prickenweg bis hin zur Innenjade hinaus manövriert hatten, durchquerten sie anschließend das Außentief und erreichten endlich das offene Meer. Sogleich ließen sie den Kurrbaum ausfahren, an dem das Netz aufgespannt war, und senkten das Fanggerät mit der Seilwinde herab. Sie beobachteten, wie die schwere Konstruktion langsam auf den Grund der Nordsee hinab sank.

Der erste Fang fiel an diesem Tag mager aus, nur wenige Kilo Nordseegarnelen, ein paar junge Plattfische, sowie Seesterne und anderer Beifang hatten sich in den Netzen verfangen. Das reichte nicht einmal aus, um den Bedarf der Urlauber zu decken, die später am Hafen und gleich vom Kutter weg, fangfrische Delikatessen kaufen wollten. Der Beifang flog ins Meer zurück. Auch ein zweiter Versuch lohnte das Einholen nicht. Missgelaunt und bereits auf Heimatkurs setzten die beiden Männer das Schleppnetz wenige Meilen vor der Küste ein drittes Mal aus. Es war gegen drei Uhr nachmittags und am Horizont zeigten sich schon die ersten Ausläufer einer heranziehenden Gewitterfront aus nordöstlicher Richtung.

„Hol jetzt ein, Hauke!“, grummelte Enno Fedder missmutig vor sich hin und drosselte die Maschine. Die Verständigung auf See funktionierte zwischen den beiden Männern meist ohne viele Worte. Doch diesmal hatte sich Schortens aus reinem Übermut, und weil er genau wusste, dass er damit seinen Chef leicht aus der Reserve locken konnte, absichtlich zu weit über die Reling gelehnt. „Ay, ay, Captain!“, rief er mit ironischem Unterton zurück. Enno Fedders Gesichtsausdruck verfinsterte sich noch mehr, denn genau dieses »Ay, ay, Captain!« konnte er partout nicht ausstehen. Aber er verkniff sich eine abfällige Bemerkung. Als der Maat bemerkte, dass seine kleine Stichelei im Nordseewind verwehte, setzte er die Seilwinde in Gang. Das Tau straffte sich diesmal gleich so rückartig, dass zunächst der kleine Motor der Winde zu ächzen begann. Auch Enno spürte den unerwarteten Gegendruck am Ruder und ließ den tuckernden Dieselmotor erneut anspringen, so dass der Kutter manövrierfähig blieb.

„Na, Junge! Diesmal scheint sich ja der Fang endlich gelohnt zu haben.“

Hauke zwängte seinen breiten Kopf aus der Fensterluke des winzigen Führerhäuschens, um so das Einholen des Netzes besser kontrollieren zu können.

„Sieht ganz danach aus, Enno.“

Schon stemmte sich der Maat mit ganzer Kraft gegen das leicht verzogene Reepspill, um ein drohendes Herausspringen des Seils aus der Trommelwinde zu verhindern.

„Hoffentlich hängt nicht wieder eine dieser verdammten Plastiktonnen mit Drecksabfällen drin, wie vor zwei Wochen“, gab der Maat zu bedenken.

Enno verließ den Ruderverschlag, um Hauke bei der Arbeit zu helfen.

„Nach dem Gewicht zu urteilen, müssten schon drei von diesen Dingern ins Netz gegangen sein.“

Hauke legte sich schwitzend noch mehr ins Zeug.

„Leg doch lieber noch ´nen Zahn zu. Das verdammte Ding ist ziemlich schwer.“

Einige Minuten später hatte sich das gefüllte Netz der Meeresoberfläche so weit genähert, dass schon einige grau-silbrige Reflektionen des Sonnenlichts unter Wasser aufblitzten.

„Granat ist das jedenfalls nicht, was da so schimmert. Da muss noch was anderes drin sein.“

Enno beugte seinen Oberkörper über die Reling, um besser beobachten zu können, aber er konnte nichts Genaues erkennen.

Endlich erhob sich das geschlossene Fangnetz über der Meeresoberfläche und schwang am Kurrbaum, durch den Seegang bewegt wie ein prall gefüllter Beutel auf und ab. Der Krabbenkutter neigte sich in diesem Moment spürbar zur Steuerbordseite. Ein breiter Wasserstrom ergoss sich aus dem Netz und rauschte ins Meer zurück.

„Zieh den Ausleger dichter ran!“, kommandierte Enno. „Ja. Gut so! – Und jetzt lass ihn nieder auf Deck!“

Beide Männer zogen nun gemeinsam an dem Tau, bis das Fangnetz direkt über dem Auffangbehälter auf der Decksmitte schwebte und sich der Motor der Seilwinde automatisch abstellte. Als Hauke die Schlinge des Fangnetzes löste, ergoss sich ein großer Teil des Inhalts in das darunter stehende Auffangbecken, das sofort überschwappte. Erst jetzt, nachdem sich das Netz zur Hälfte geleert hatte, wurde ein weiterer Teil des Fanges sichtbar. Enno war schon wieder am Steuer, als er von dort bemerkte, dass irgendetwas nicht stimmen konnte, denn Haukes Gesichtsausdruck sah sehr ernst aus.

„Is was?“, rief er zu ihm hinüber. Der Maat antwortete jedoch nicht, sondern schaute nur gebannt und wie erstarrt auf die Planken.

„Heiliger Strohsack!“, fluchte Enno. Erst jetzt reagierte Hauke auf seine Frage: „Komm her und sieh dir diesen Schiet an!“

Enno verließ genervt das Steuerhaus und näherte sich mit ein paar Schritten der Decksmitte, auf deren Planken sich inzwischen eine Menge zappelnder Fische mit einer rotfleckigen Hand vermengten. Der Rumpf eines menschlichen Körpers lag unter dem Haufen des herabgesenkten Fangnetzes.

„Ach du liebe Scheiße, eine Leiche. Verdammt, das bringt Unglück!“

Enno hatte eigentlich damit gerechnet, illegal entsorgten Schiffsabfall von einem dieser Riesenpötte eingefangen zu haben. Zu seinem Leidwesen war es längst keine Seltenheit mehr, dass Behälter mit Chemikalien oder anderen giftigen Gegenständen von Bord der großen Frachtschiffe und Öltanker rücksichtslos ins offene Meer verklappt wurden. Anschließend kontaminierten diese dann die Fanggründe der Deutschen Bucht. Solch einen Dreck fand er häufiger im Netz vor. Die Klassifizierung des Wattenmeers als Nationalpark und Biosphärenreservat war deshalb aus seiner Sicht schon eine ziemlich verlogene Angelegenheit, da sich offenbar viele Seeleute nicht daran hielten oder zu wenige Kontrollen stattfanden. Enno zündete sich hastig eine Zigarette an. Nein, damit hat er nicht gerechnet. Eine Wasserleiche an Deck, das war ihm schon viele Jahre nicht mehr passiert.

Er stand ziemlich fassungslos auf den glitschigen Planken seines Krabbenkutters und zog verzweifelt an dem inzwischen feucht gewordenen Zigarettenstummel.

„Verdammt, das bringt Unglück!“, murmelte er noch einmal vor sich hin. Hauke dagegen hatte sich schon wieder gefangen. Mit seinem Gummistiefel versetzt er der Hand der Leiche einen kleinen Schlag.

„Nicht für den hier, Enno. Der hat`s ja hinter sich.“

Enno wandte sich ab und spuckte seinen Zigarettenstummel aus.

Nachdem er einen Teil des Fanges mit einer Schaufel beiseitegeschoben hatte, beugte sich der Maat vorsichtig über die aufgedunsene und merkwürdig verkrümmte Leiche und versuchte ihren Kopf aus der dichten Masse des Granats herauszupuhlen: „Lange kann der da jedenfalls noch nicht im Meer herumgetrieben sein. An dem Kerl ist ja noch alles dran.“

Schortens suchte nun auf dem Deck nach einem Gegenstand, mit dessen Hilfe er den toten Mann herumdrehen konnte, ohne ihn dabei mit den Händen berühren zu müssen: „Willst du mal sehen was er macht, wenn ich hier draufdrücke?“

Hauke hielt plötzlich einen Netzreiter in der Hand, der an einem dicken Tampenende befestigt war. Mit dem verjagte er für gewöhnlich die Möwen von Bord. Jetzt drückte er damit der Leiche auf den aufgedunsenen Bauch: „Unser Netzinspektor streckt bestimmt gleich seine Zunge raus, nur um uns zu verarschen!“

Doch Enno wollte jede Berührung der Leiche vermeiden. Er hasste diese Art von morbidem Sarkasmus, der vielen Seeleuten eigen war, und hielt das nicht für einen besonders liebenswerten Wesenszug.

„Lass den Quatsch! Vor paar Jahren habe ich schon mal so einen Kerl herausgezogen. Der sah aber schon ganz anders aus; da krochen bereits die Aale …“

Enno konnte seine letzten Worte nicht mehr vollständig artikulieren, da sich schlagartig ein heftiger Würgereiz in seiner Magengegend bemerkbar machte.

„Was meinst du? Sollten wir ihn wieder dahin befördern, von wo wir ihn hergeholt haben?“, fragte Hauke. Doch Enno wankte bereits kreidebleich zur Reling und kotzte einen breiten Schwall seines Mageninhaltes ins Meer hinaus. Als er damit fertig war, wischte er sich mit dem Ärmel seines verschmierten Kapuzenpullis die Schweißtropfen aus dem Gesicht.

„Nein, das geht nicht.“

Der Maat ließ nicht locker: „Der Netzinspektor wird uns nur `ne Menge Ärger machen, glaub mir. Sollen ihn doch die Fische fressen.“

Hauke ließ den Tampen fallen und spuckte angeekelt aus.

„Halt die Klappe, Hauke! Auch dieser Kerl hat ein Recht darauf, ordnungsgemäß vom Pastor verscharrt zu werden. Vermutlich ist’s einer dieser neureichen Hamburger Yuppies, die sich hier in letzter Zeit mit Papis geleaster Yacht breitmachen und keinen blassen Schimmer von der Gefährlichkeit der Frachterautobahn haben, geschweige denn von der Nordsee.“

Schortens richtete sich wieder auf und sah hinaus auf die offene See.

„Wo er recht hat, da hat er nun mal recht, der alte Enno Fedder. Wie ein Penner aus Bremerhaven sieht der jedenfalls nicht aus.“

Hauke zog einen Flachmann aus seiner Brusttasche und genehmigte sich einen Schluck. Dann reichte er den Schnaps an Enno weiter. Dieser winkte dankend ab.

„Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass einer von denen mit einem Kaventsmann über Bord gegangen ist. Aber vielleicht ist der da ja auch nur ein ganz gewöhnlicher Selbstmörder? Was meinst du, Enno?“

„Schon möglich“, erwidert Enno. Dann warf er doch einen genaueren Blick auf den toten Mann. Hielt aber genügend Abstand zu der Leiche.

„Ist dir schon die Trosse aus Polyester aufgefallen, die um sein Fußgelenk geschnürt ist? Ein richtiger Seemannsknoten ist das jedenfalls nicht.“ Er hielt inne und fuhr dann in ruhigem Ton fort: „Irgendwo da unter dem Netz wird wahrscheinlich ein Ballast liegen. Da gehe ich fast jede Wette ein.“

Maat Schortens machte sich sogleich an dem Netzhaufen zu schaffen, in dessen Wirren das andere Ende des Seils verschwand. Enno stand noch immer wie angewurzelt auf dem Deck und machte keinerlei Anstalten Schortens zu helfen. Plötzlich glitt Schortens auf einem der herumzappelnden Fische aus und landete, beim Versuch sich abzustützen, direkt mit seiner linken Hand auf dem aufgedunsenen Gesicht des Toten.

„So ein Schiet aber auch!“, fluchte er.

„Ich würde ihn an deiner Stelle jedenfalls nicht gleich umarmen.“ Enno sagte dies nicht ganz ohne ironischen Unterton. „Schon mal was von Leichengift gehört?“

Ihm missfiel diese ganze Angelegenheit. Hauke jedoch scherte sich einen Dreck darum. Im nächsten Augenblick zog er bereits einen Rocna-Anker aus glänzendem Edelstahl aus dem Netzhaufen hervor, der tatsächlich mit dem anderen Ende des Polyesterseils verbunden war. Es war keiner der üblichen und billigen Schlickrutscher, sondern eher einer von der Bauart, die jetzt in Mode kamen. Das Ding wog an die 25 Kilo und musste mehr als 3.000 Euro gekostet haben. Hauke kannte sich in diesen Dingen sehr gut aus. Nun hielt er stolz seine Entdeckung wie eine Trophäe in die Luft.

„Das erklärt ja wohl alles! – Oder?“

„Was für ein Scheißtag heute“, knurrte Enno wütend. Hauke war jetzt aber nicht zu bremsen: „He! Du kannst recht haben, Enno. Ich meine, dass was du eben über die neureichen Yuppies gesagt hast. Sieh mal, an seinem Handgelenk die Uhr. Das ist bestimmt nicht so ein billiges Ding von Woolworth. Schade nur, dass das Glas kaputt ist.“

Enno wendete sich angeekelt ab und eilte schnurstracks in Richtung Führerhaus. Er atmete durch, um sich wieder zu fangen und sich einen Moment zum Nachdenken zu geben. Dann stand sein Entschluss fest: „Ich muss die Küstenwache verständigen, Hauke! Sofort!“

Maat Schortens ließ enttäuscht den blanken Anker auf Deck sinken. Kurz darauf breitete sich über dem Krabbenkutter eine kleine, schwarze Abgaswolke aus. Der Dieselmotor begann lautstark zu tuckern und der Kutter nahm langsam Fahrt auf. Die einsetzende Ebbe und das heranziehende Gewitter ermahnten die beiden Fischer zur Eile, wenn sie noch rechtzeitig ihren kleinen Heimathafen erreichen wollten.

Ein immer dichter werdender Schwarm fressgieriger Möwen umkreiste das Schiff. Die gefangenen Fische und Krabben konnte Maat Schortens nur noch ins Meer zurückkippen. Sollten wenigstens die Vögel was davon haben.


Tödlicher Nordwestwind

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