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Kapitel 5

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Robert verspürte auf dem Weg zum Rechtsmedizinischen Institut tatsächlich ein ziemlich undefinierbares Gefühl in seiner Magengegend. So sehr er seinen Job liebte, so sehr hasste er die verdammten Pflichttermine in den kühlen Leichenkellern dieser Einrichtungen. Allein der süßliche Geruch bereitete ihm immer wieder großes Unbehagen, von all den Leichenplastikbehältern, Sektionsinstrumenten und Desinfektionsmittelspendern in den gekachelten Obduktionssälen ganz zu schweigen. In Oldenburg war ihm bisher solch ein Pflichttermin erspart geblieben. Aber nun stand er im Souterrain des Instituts und versuchte den fahlen Geschmack in seinem Mund mit Wasser hinunterzuspülen. Ein in dem Flur aufgestellter Wasserspender wurde offensichtlich häufig benutzt, da es anderen Besuchern wahrscheinlich ebenso erging wie Robert jetzt in diesem Augenblick. Auf Knopfdruck stiegen große und blubbernde Luftblasen an die Oberfläche des Plastikbehälters und ein Wasserstrahl ergoss sich in einen Pappbecher. Ein trostloser Apparat in einer noch trostloseren Umgebung. Er begriff, dass der Schluck Wasser ein Fehler war, denn die Flüssigkeit schmeckte abgestanden und fahl. Endlich öffnete sich eine Tür am Ende des Flurs und Lin Quan kam Robert gutgelaunt entgegen. Ihre Anwesenheit ließ ihn das flaue Magengefühl einen Moment lang vergessen und er warf den halbgeleerten Pappbecher in einen Abfallbehälter. Dennoch nahm er sich vor, den Termin nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Sie gingen zusammen den Flur entlang, dann öffnete die Rechtsmedizinerin eine mit Zahlencode gesicherte Tür und beide betraten den Obduktionssaal.

„Liebe Lin, bringen wir es so schnell wie möglich hinter uns. Was hast du herausgefunden?“

Sie holte tief Luft und sah ihn mit festem Blick an: „Den Feststellungen der Rechtsmedizin zufolge handelt es sich bei dem Toten um einen Mann im Alter zwischen 25 und 35 Jahren, 180 cm groß und 80 kg schwer.“

Der Tote war scheinbar in allem durchschnittlich: durchschnittlich schwer, durchschnittlich groß, mit einem durchschnittlichen Gesicht, das ihm im Dutzend an jeder Straßenecke der Stadt schon begegnet sein könnte. Dies war Roberts erster Eindruck. Allerdings bedurfte es schon etwas Fantasie, um aus der aufgequollenen Masse überhaupt noch ein Gesicht erkennen zu können. Er musste sich überwinden, genauer hinzusehen.

„Konntest du die Identität des Mannes feststellen?“, erkundigte er sich.

„Leider nicht. Ich habe in seiner Kleidung keine personalisierten Dokumente gefunden, wenn du das meinst. Kein Pass, keinen Führerschein, keine Versicherungskarte. Aber es gibt natürlich einige interessante Hinweise, die in eine bestimmte Richtung führen könnten. Sein Schuh beispielsweise, ein Edelsneaker aus feinstem Leder.“ Sie schenkte Robert ein kurzes Lächeln, aber er spürte dennoch, dass sie im Geiste erkennbar ganz woanders war. Dann sprach sie weiter ohne dabei ihren sachlichen Ton zu verändern: „Der Name des Herstellers ist deutlich im Inneren des Schuhs zu erkennen: Dolce & Gabbana. Solch ein Paar kostet schon mal schlappe 350 bis 400 Euro. Zudem werden beispielsweise Edelsneaker aufgrund ihres meist deutlich höheren Ladenpreises vornehmlich von finanziell gut gestellten, modebewussten Erwachsenen in der Altersklasse zwischen 25 und 40 Jahren gekauft.“ Jetzt griff sie nach dem in einer Plastiktüte verpackten Schuh, der auf einem Beistelltisch abgelegt war. „Und betrachte mal die Sohle des Schuhs etwas genauer.“ Lin reichte Robert die Plastiktüte.

„Eine Ledersohle“, sagte Robert desillusioniert. „Was für ein Geheimnis hat sie uns noch zu erzählen?“

Sie zog den vom Meerwasser verquollenen Sneaker aus seiner Verpackung und drückte ihn Robert in die Hand. „Es sind kaum Kratzspuren auf der Sohle zu erkennen. Ein deutlicher Hinweis, dass der Schuh nur kurze Zeit getragen wurde.“

„Oder er wurde nicht auf einer Straße, sondern vielleicht nur auf Deck eines Schiffes getragen“, entgegnete Robert und sah sich das Exemplar von allen Seiten genauer an.

„Vielleicht. In der Regel zeigen sich die Besitzer solcher Luxusschuhe gern in einer angemessenen Umgebung, etwa auf Partys, genau dort, wo sie damit auffallen. Verstehst du? Die Latschen sollen gesehen werden.“

„Ist das nicht vielleicht eine – verzeih bitte – zu weibliche Sicht?“ Robert stellte den Schuh auf das Edelstahltischchen zurück. Dann dachte er kurz nach. „Könnte dieser Sneaker vielleicht nicht auch als Bordschuh auf einer Yacht benutzt worden sein? Straßenschuhwerk ist ja auf diesen Segelschiffen reichlich verpönt, soviel ich weiß. Sie würden die edlen Holzböden der Decks ruinieren.“

„Durchaus möglich, eine Luxusyacht käme sicher auch infrage. Das könnte auch den fehlenden Abrieb erklären. Aber ich bleibe dennoch bei meiner Eitelkeitstheorie. Dieser Mann hier hatte zu seinen Lebzeiten einen ausgeprägten Hang zu Luxusartikeln. Dies zeigt sich auch bei dem nächsten Gegenstand.“

Jetzt hielt Lin dem Kommissar eine weitere Plastikverpackung hin. Darin befand sich die Armbanduhr. Robert reagierte nüchtern.

„Ja, die Reverso Gran` Sport ist mir auch schon am Fundort auf dem Kutterdeck aufgefallen.“

„Ahhh, da zeigt sich der kriminalistische Fachmann. Kompliment, Robert Rieken.“ Sie blinzelte und konzentrierte sich dann wieder auf die Uhr. „Es ist ein schon etwas älteres Modell, vielleicht aber auch eine Imitation, so genau kenne ich mich da nicht aus. Fakt ist: Diese Armbanduhr ist am 20. Juni um 8 Uhr 35, also vor über einem Monat stehengeblieben. Wie gesagt, es ist eine Automatik, die sich durch Körperbewegungen selbst aufzieht. Allerdings hat das Ding wahrscheinlich einen Schlag abbekommen. Die Automatik funktioniert nicht mehr und das Saphirglas ist zersprungen. Der Hersteller garantiert bis auf 50 Meter absolute Wasserdichtheit. Händlerpreis: ca. 4.900 Euro. Mehr kann ich dir darüber beim besten Willen nicht sagen.“

„Mich würde auch viel mehr die Todesursache interessieren.“

Lin wurde wieder ganz sachlich: „Tod als natürliche Ursache beim Baden oder Schwimmen, negativ. Wer geht schon mit seinen teuren Lederschuhen ins Wasser. Herzinfarkt, epileptischer Anfall, Hirnblutung, rupturierte Aneurysmen, alles negativ. Der Mann war genauso fit wie sein eigener Schuh. Allerdings, einen Selbstmord kann ich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausschließen. Deshalb wollen wir uns die Leiche etwas genauer ansehen. Ich hatte ja bereits angekündigt, der Tote hätte noch so einiges zu erzählen.“

Robert öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich dann offensichtlich anders und bemerkte stattdessen: „Du erinnerst mich ein wenig an Gottfried Benn, der übrigens ein Kollege von dir war. Du pflegst, genau wie der Dichter, auf eine lyrische Art, durch die Blume zu sprechen.“

Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe.

„Das erklärt sich durch meine asiatische Herkunft fast von selbst. Aber glaube mir, mit Benns Dichtkunst hat das leider nur sehr wenig zu tun. Dieser Mann hier auf dem Seziertisch war zu seinen Lebzeiten bestimmt kein Bierkutscher. Dieser Mann wollte immer obenauf schwimmen. Tja, jedenfalls bis zu seinem letzten Atemzug ist ihm das ja auch geglückt.“

„Selbstmord ist also immerhin doch möglich. Todesursache? Todesart? Was hast du herausgefunden?“

„Es gibt eindeutige Hinweise auf Gewalteinwirkung. Als da wären: eine Bruchstelle des Schädelknochens am Hinterkopf und eine deutliche Abschürfung an der linken Hüftseite. Außerdem geringe Abschürfungen auf Brust und Rücken. Als Todesursache kommt das jedoch alles nicht in Betracht. Dazu später mehr.“

„Könnten diese Verletzungen vielleicht auch bei der Bergung der Leiche verursacht worden sein?“

„Gute Frage! Bergungsverletzungen kann ich natürlich nicht ausschließen, bis auf zwei kleine Flecken auf seinem Gesicht, die erst lange Zeit nach seinem Todeszeitpunkt entstanden sind. Tierfraß ist zwar nachzuweisen, habe ich bereits auch lokalisiert und protokolliert. Da dieser jedoch in Bezug der Todesursache keine Relevanz hat, können wir das gleich vergessen.“

Lin ging einige Schritte auf und ab, bevor sie weitersprach. „Dann wären noch Treibverletzungen in Betracht zu ziehen. Die Abschürfungen auf Brust und Rücken könnten hierfür ein mögliches Indiz sein. Sie könnten jedoch dem Mann genauso gut auch bei einer vorausgehenden Kampfhandlung zugefügt worden sein. Schiffsschraubenverletzungen kann ich übrigens vollkommen ausschließen, da wäre von dem Körper nur noch Hackfleisch übrig. Aber alle diese Verletzungsarten haben unmöglich etwas mit der Bruchstelle seines Schädelknochens am Hinterkopf zu tun. Der Mann wurde mit hundertprozentiger Sicherheit mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen, ist daran aber nicht gestorben.“

Robert hielt sich nun doch ein Taschentuch vor den Mund, da sein Teint langsam begann, die Farbe einer durchsichtigen Wachskerze anzunehmen. Leise und widerstrebend sagte er: „Ich hatte gehofft, er ist ein Unfallopfer und die Sache wäre dann für mich schnell erledigt gewesen. – Entschuldige bitte.“

Robert räusperte sich und wandte sich dabei etwas ab.

„Ich habe da einen guten Cognac in meinem Büro. Vergiss für einen Moment, dass du im Dienst bist.“

„Nein, vielen Dank, Lin. Das ist sehr freundlich von dir.“

„Das wär´s fürs Erste.“ Lin deckte die Leiche mit einem grünen Tuch ab und schob sie in das Kühlfach zurück.

Anschließend zogen beide ihre Schutzkleidung aus, streiften sich die Latexhandschuhe von den Händen und warfen die Sachen in einen Behälter. Im Büro schenkte Lin einen kräftigen Schluck Cognac in ein Pernodglas und hielt es Robert unter die Nase.

„Hier, riech mal.“

Er konzentrierte sich, kämpfte gegen diese eisige, kriechende Panik an, die ihn schon minutenlang im Griff hatte. In seinem Kopf war nichts als Leere. Dann nahm er ihr das Glas mit dem Cognac aus der Hand und fing sich allmählich wieder.

„Wie geht es übrigens deiner Mutter, Robert?“

„Danke. Es geht ihr den Umständen entsprechend, wie man so schön sagt. Aber es ist immer mal wieder mit einem plötzlichen Anfall zu rechnen.“ Jetzt roch er an dem Cognac. „Oh, er hat wirklich ein verführerisches Bukett.“

„Ich habe da noch etwas für deine Mutter. Ein ausgezeichnetes Mittel gegen Migräne.“

Lin zog aus einer der Schreibtischschubladen eine dekorlose Aluminiumdose hervor und übergab sie Robert.

„Was ist das?“ Er drehte den Behälter leicht hin und her und vernahm aus dem Inneren ein leises Rascheln. „Ich fürchte, ein Mittel gegen Migräne könnte ich jetzt selbst ganz gut vertragen.“

Ihr Lächeln traf ihn erneut. „Dann probiere einfach den Cognac.“

„Also gut. Als Bulle ist man ja sowieso immer im Dienst. Also wäre es ein Frevel, wenn man sich so was nicht auch mal gönnen würde.“

Er betrachte sie und überlegte, wie so oft in den vergangenen Wochen, ob er es sich nur einbildete, dass sie ihn manchmal aus den Augenwinkeln heimlich beobachtete.

„Es ist ein zwölf Jahre alter Courvoisier, der hier schon so manchen nützlichen Dienst geleistet hat. Das kannst du mir glauben.“

„Und was soll das hier sein?“ Robert studierte die Aluminiumdose etwas genauer. Sie ähnelte einer alten Verpackung, in der früher Filme für Fotokameras verkauft wurden, bevor die digitale Revolution all diese Gegenstände überflüssig werden ließ.

„Darin befinden sich Kekse. Sag deiner Mutter, sie soll jeden Abend, bevor sie zu Bett geht, einen halben Keks zu sich nehmen und dazu ein Glas Tee trinken. Das wird ihr ganz bestimmt helfen.“

„Ich meinte, was ist da drin in diesen Keksen, Lin?“

„Ach, ein uraltes asiatisches Heilmittel. Du kennst doch mein Interesse an TCM.“

„Traditionelle chinesische Medizin ist, glaube ich, wohl die einzige Medizin, die bisher an der alten Dame noch nicht ausprobiert wurde.“

Robert nahm nun einen Schuck aus dem Glas und fühlte sich schlagartig besser.

„Einen halben Keks auf eine Tasse Tee, auf gar keinen Fall eine höhere Dosis“, ermahnte ihn Lin. Er betrachtete Lin nachdenklich.

„Du hast mir immer noch nicht verraten, woran unser Mann gestorben ist. Gab es möglicherweise eine toxikologische Beeinflussung? BTM? Alkohol?“

„Gift, Drogen, Alkohol, alles Fehlanzeigen! Oedema aquosum. Allerdings atypisches Ertrinken. Beim Ertrinken im Salzwasser, das ja ein hypertones Medium im Vergleich zum Blut darstellt, ist die typische Reaktion auf die Aspiration dieser hypertonen Flüssigkeit ein Wassereinstrom aus dem Blut in den Alveolarkapillaren in die Alveolen, was zu einem Lungenödem, in diesem Zusammenhang als Oedema aquosum bezeichnet, führt.“

„Leider verstehe ich nicht viel von dem ganzen Fachchinesisch. Und was bedeutet das genau?“

„Entschuldige. Der Mann war clean, als er ins Meerwasser fiel. Daher kann auch ein klassischer Fall von Leichendumping ausgeschlossen werden. Es fanden sich an seinem Körper keinerlei Anzeichen eines Todeskampfes mit Abwehrverhalten. Der Mann war also bereits bewusstlos, bevor er ertrank.“

„Mit anderen Worten, dann wäre das ein Mordopfer oder es könnte sich zumindest um vorsätzlichen Totschlag handeln.“

Robert machte diese Feststellung mit ruhiger Stimme.

„Die Frage, ob er vorsätzlich ins Meerwasser geworfen oder unabsichtlich da hineingestolpert ist, kann die Rechtsmedizin leider nicht eindeutig beantworten. Das müsst ihr schon selbst herausfinden. Es gibt immer wieder auch typische Unfälle auf Segelbooten, die durch erschwerte Wetterbedingungen oder durch Kentern verursacht werden. Aber auch durch scharfe Manöver, Navigationsfehler, Unaufmerksamkeit, Nachlässigkeit bei der Einhaltung von Sicherungsvorschriften. Unser Mann trug ja nicht mal eine Schwimmweste. Daher kann ich nur feststellen: Die Schlagverletzung auf seinem Hinterkopf könnte möglicherweise auch durch einen unerwartet herumschlagenden Großbaum zugefügt worden sein. Ich bin schon oft gesegelt und kenne daher dieses Problem aus eigener Erfahrung.“

Er verzog das Gesicht, nickte aber.

„Die Sache nimmt nun doch eine etwas kompliziertere Form an, als ich es mir zunächst erhofft habe. Eigentlich hatte ich mich nur auf einen kurzen Besuch bei dir eingestellt.“

„Du hast das Schlimmste bereits überstanden, Robert. Die Leiche bleibt bis auf Weiteres im Kühlraum. Sie kann noch nicht freigegeben werden. Ich habe daher alles Wichtige für dich fotodokumentiert. Rätselhaft bleibt allerdings weiterhin, wieso der Körper der Leiche bis auf die ungewöhnliche Tiefe von rund zwanzig Metern sinken konnte. Ich hatte zunächst die Vermutung, dass sie nach dem Tod wieder aufgetaucht sein könnte und erst später endgültig versunken ist. Sie ist vergleichsweise gut konserviert, was durch die kalten Temperaturen der südlichen Nordsee zu erklären ist. In etwa zwanzig Meter Tiefe beträgt die Wassertemperatur ungefähr 11 bis 13 Grad. Das wäre eine mögliche Erklärung. Dann aber habe ich mir die Kleidung des Toten etwas genauer angesehen. Wirf bitte mal einen Blick auf dieses Foto.“

Lin hielt eine Fotografie unter den Lichtkegel einer Schreibtischlampe. Robert zog seine Lesebrille aus einem Etui und setzte sie sich auf die Nase.

„Eine langbeinige Leinenhose, wie sie häufig von Seglern getragen wird. Ich kann daran nichts Auffälliges erkennen.“

„Mit dem bloßen Auge sieht man natürlich nichts, aber hier auf dem vergrößerten Abzug. Erkennst du die veränderte Gewebestruktur im Leinen? Dem Mann wurde ganz offensichtlich ein Seil um sein rechtes Bein geschnürt. Dieser Abdruck ist auch als Hämatom auf seiner Wade gut zu erkennen.“

Sie blickte rasch auf und sah Robert dabei fragend an. „Nur haben wir kein Seil bei der Leiche gefunden. Der schräge Verlauf der Hämatome lässt eindeutig darauf schließen, dass das Seil mit einem Ballastgegenstand verbunden war, der ihn in die Tiefe gezogen haben muss. - Herr Kommissar, ist uns da etwas durch die Lappen gegangen?“

„Ein Seil? Aber da war nichts um sein Bein geschnürt, als mir die Fischer den Toten auf Deck gezeigt haben.“

„Ich habe natürlich auch die Leinenhose nach eventuellen Rückständen untersucht, aber nichts gefunden. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat es sich hierbei um ein Polyesterseil gehandelt.“

„War das alles, Lin? Mir qualmt nämlich der Kopf.“

„Fürs Erste war es das. Du darfst mich nun endlich auf eine gepflegte Tasse Kaffee einladen.“

Robert lächelte mit wehmütiger Zuneigung, dann sah er auf seine Uhr und sagte: „Ich fürchte, wir müssen das auf ein andermal verschieben. Ich habe heute noch ziemlich viel zu erledigen. Am meisten bereitet mir die Identifizierung der Leiche Kopfzerbrechen.“

Robert stellte das geleerte Pernodglas auf der Schreibtischkante ab und reichte Lin seine Hand. „Du hast da einen ganz hervorragenden Job gemacht. Ich weiß gar nicht, wie ich mich dafür revanchieren kann.“

„Oh, vielen Dank. Aber das ist nun mal mein Beruf.“ Sie klang ganz sachlich, dabei wünschte er sich, sie wäre auf sein Angebot einer Revanche eingegangen.

„Es ist unsere erste Zusammenarbeit. Allerdings habe ich mir nicht gerade gewünscht, dass sie ausgerechnet mit einem Mordfall beginnt.“

Sie packte alle Dokumente und den Obduktionsbericht in einen Aktenordner und wollte ihn schon schließen, als ihr plötzlich doch noch ein Gedanke kam: „Ach ja, beinahe hätte ich da noch etwas vergessen. Vielleicht hilft dir sogar dieses kleine Detail weiter. Ich habe auf dem linken Unterarm des Toten ein Tattoo entdeckt. Siehst du, hier auf diesem Foto ist es sehr gut zu erkennen. Ich finde nur das Motiv etwas merkwürdig.“

Als Robert das Gerichtsmedizinische Institut verließ, verspürte er ein leichtes, nicht unangenehmes Gefühl, das der Alkohol in seinem Körper ausgelöst hatte. Obwohl in der Stadt hochsommerliche Außentemperaturen herrschten, fühlten sich seine Hände dennoch eiskalt an.


Tödlicher Nordwestwind

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