Читать книгу Mein englischer Liebhaber - Leonie Bach - Страница 5
2. Kapitel
ОглавлениеDas sind sie. Was machen sie nur so lange in dem Auto? Nicht, dass Sophie sich doch noch anders besinnt!« Leonhart linst vorsichtig durch einen Spalt im Blümchenvorhang. Der Vorhang riecht stark nach Seifenpulver, und Leonhart muss niesen.
»Gesundheit, Herr Professor!«
»Danke, Böckelkamp, aber nennen Sie mich nicht Professor. Ich bin noch keiner, und vielleicht will ich nicht einmal mehr einer werden.«
»Wie Sie meinen, Herr Professor.«
Leonhart verrenkt den Hals.
»Was zum Teufel macht Bea denn da? Sie sitzt neben Sophie und schwingt eine ... was ist denn das? Ein kegelförmiges Schlaggerät aus unbehandeltem Hartholz, wenn ich mich nicht irre.«
Böckelkamp hüstelt. »Das ist kaum möglich, bei Ihrer präzisen Beschreibung.«
»Tatsächlich, es ist eine Keule, genauer gesagt ein Baseballschläger! Will Bea Sophie etwa mit Gewalt von einer Rückkehr in die Ehe überzeugen? Wenn das eure ausgereifte Idee ist, kann ich nur sagen, das nutzt nichts. Sophie hat einen Schädel aus Stahl.«
Böckelkamp hält sich weiterhin diskret im Hintergrund und räuspert sich. »Ich würde vorschlagen, dass Sie sich vom Fenster fern halten, Herr Professor. Das eigentliche Geschehen wird sich im Haus nebenan bei meiner Tochter abspielen, und dabei können Sie nicht Zeuge sein. Sie sollten einen Tee trinken und in Ruhe abwarten, was passiert.«
»Ruhe? Abwarten? Genau das wirft mir meine Frau doch vor, wenn ich sie richtig verstanden habe. Aber eigentlich verstehe ich sie gar nicht mehr. Diese unbändige Wut gegenüber meiner Person. Ich kann mir nicht erklären, wo diese Aggressionen plötzlich herkommen.«
Niemand kann es ihm erklären. Selbst Bea nicht, die Sophie seit ihren ersten gemeinsamen Tagen als Verbraucherbefrager kennt. Er hatte immer gedacht, die beiden würden sich alles erzählen, »bis in die Unterhose hinein«, wie es eine Studentin in seinem Seminar über »Weibliche Kommunikationsstrategien« neulich formuliert hat. Er konnte sich darunter vage etwas vorstellen. Zwei Frauen, die kichernd im Waschraum einer Toilette zusammenstehen, tuscheln, über Kerle herziehen, vor Vergnügen kreischen, die Lippenstifte tauschen oder sich Tampons leihen. Vertrautheit bis in die Unterhose hinein eben.
Solche Freundinnen würden einander doch erzählen, warum es in der Ehe der einen nicht mehr stimmt. Deshalb hat er Bea ja auch angerufen, dabei kennt er Bea kaum. Und dann war er überrascht, wie erfreut sie war. Ganz eifrig, ihn zu treffen und über alles zu reden. Über alles? Sie wusste noch gar nichts von der Trennung. Wie wichtig ist er denn für seine Frau überhaupt noch?
Was für eine merkwürdige Situation das gewesen war. Er hatte dagesessen und der besten Freundin seiner Frau erklärt, dass diese sich von ihm getrennt habe. Und die beste Freundin hatte zugehört mit feuchten Augen und zitternden Lippen, nein, falsch, es waren mehr die Lippen gewesen, die feucht waren, und die Augen, die zitterten. Aber er kann sich auch getäuscht haben, das Licht in diesem Lokal war sehr schlecht.
Wie zwei Verschwörer hatten sie sich in einem sehr dunklen, sehr intimen chinesischen Restaurant getroffen, von dem Bea behauptete, es sei neu und eine Art Geheimtipp, dort träfen sich nur Singles und bestimmt keine mittelalten Professoren und deren Ehefrauen. Sehr umsichtig von Bea, das mit dem Singletreff.
Leonhart wäre es nicht recht, von Kollegen oder seinen Studenten mit einer anderen Frau als Sophie gesehen zu werden. Schon gar nicht mit einer Frau wie Bea, die ziemlich – nun ja – provokant aussah mit ihrem tief geschlitzten Seidenkimono, den sie passend zum Ambiente anhatte.
Da könnte man auf dumme Gedanken kommen und an weibliche Kommunikationsstrategien mit erotischer Absicht denken, also nicht er, aber andere. Erst recht im »Goldenen Drachen«, der wirklich sehr intim ist, mit diesen kleinen Nischen, den weinroten Plüschsofas, den roten Lampions in geschnitzten Torbögen.
Leonhart weiß, dass diese roten Laternen im alten China eine nonverbale Einladung an den Ehemann waren. Einen potenten, mächtigen Ehemann, der die Auswahl zwischen mehreren Frauen und die Pflicht zur weitreichenden Verteilung seines Genmaterials hatte. Sehr interessante Kommunikationsform, die einen Konflikt zwischen den Haupt und Nebenfrauen vermeiden und die Fortpflanzungsrate sichern half. Die Frau, die am Abend die Laterne vor ihren Gemächern anzündete, zeigte ihre fruchtbaren Tage an und hatte damit gewonnen.
Es blieb allerdings anzunehmen, dass die Hauptfrau gewisse Vorrechte hatte. Das müsste er mal überprüfen. Nachdenklich fährt sich Leonhart über die Stirn. Würde als ethnologisch-historischer Seitenschlenker zu seinem Vorlesungsthema passen: »Flirten, werben und verführen. Die Grammatik der Liebe im Zeitalter des Internet«.
Er will seinen Studenten und den anderen Lehrstuhlinhabern etwas Unterhaltsames zum Antritt seiner Professur bieten. Man muss mit der Zeit gehen, Entertainment ist alles. Die Recherche zum Thema hat ihm richtig Spaß gemacht, und Sophie würde es sicher gefallen, dass er sich so intensiv mit Gefühlen beschäftigt – auch ihr zuliebe. Unglaublich, wie kreativ die Menschen sich bei »Lovescout 24« oder »Flirtline« im Internet anpreisen. Geradezu aufregend, wie greifbar nah die Liebe im virtuellen Raum erscheint, sogar für jemanden wie ihn, der aus rein wissenschaftlichen Gründen darin herumsurft und Anzeigen aufgibt. Seine Finger streicheln den Seifenpulver-Vorhang.
Ein dezentes Räuspern unterbricht ihn. »Ihr Tee wird kalt, Herr Professor.«
Leonhart fährt sich durchs Haar und dreht sich um. Der Anblick des rührenden älteren Herrn, der mit leicht eingefallenen Schultern in exakt gebügeltem Streifenhemd und einer ebenso exakt gebügelten Kittelschürze hinter ihm steht und ihn durch Brillengläser anschaut, die dick wie Glasbausteine sind, besänftigt ihn ein wenig.
»Wissen Sie, Böckelkamp, ich dachte immer, Sophie ist froh, dass ich sie alles machen lasse, mich in nichts einmische, was sie plant, und vor allem Professor werde. Sie plant ja so gerne! Und jetzt? Jetzt, wo ich am Ziel meiner, besser, unserer Träume angelangt bin, wirft sie mich raus! Jetzt, wo ich ihr ein paar ausgefallene Wünsche erfüllen könnte, da will sie nichts mehr von mir wissen. Erklär mir einer die Frauen!«
Böckelkamp macht keine Anstalten dazu, setzt die Teetasse auf einem Biedermeiertisch ab und wischt mit einem Lappen einen verschütteten Tropfen von der Untertasse. So hätte es seine Irene auch gemacht.
Irene ist nun seit fünf Jahren tot und nicht mehr für den Haushalt zuständig. Sie schaut nur noch aus mehreren Fotorahmen dabei zu, wie ihr Mann alles in Schuss hält. Milde lächelnd. Sie ist eine wunderbare Frau gewesen – einfühlsam, sanft, aber bestimmt. Oh ja, sehr bestimmt. Irene hat immer gewusst, was sie wollte und wie man es erreicht. Nicht durch Streit, das nicht.
Er ist derjenige gewesen, der manchmal schwer geschaltet hat, wenn seine Irene auf ihre sanfte Art einen Wunsch zum Ausdruck brachte. Wenn er nur an die Sache mit »Tchibo« denkt!
Jahrelang hat sie ihn immer wieder zu den Schaufenstern des Kaffeerösters geschleppt, um sich in der Auslage preisgünstige Handstaubsauger, Tischdecken oder Mixmaschinen anzuschauen. Und Hermann Böckelkamp hat geglaubt, er versteht, und ist nach den Schaufensterbummeln und vor Irenes Geburtstagen hin und hat die Staubsauger und Küchenmaschinen gekauft. Und Irene hat sich auch jahrelang bedankt. Und die Küchengeräte weggeräumt oder an die Tochter verschenkt. Versteh einer die Frauen!
Böckelkamp hat erst verstanden, als es beinahe zu spät war. Da hat seine Irene schon im Krankenhaus gelegen, nach einem zweiten Herzstillstand. Und da hat sie gesagt, dass sie so gerne noch mal einen Schaufensterbummel machen würde.
Wohin? Zu »Tchibo« natürlich. »Weißt du, Hermann, die haben wieder wunderschönen Schmuck im Schaufenster. Hat mir meine Bettnachbarin erzählt. Sogar mit Diamanten. Sehr kleine Diamanten, aber du weißt ja, dass ich immer einen haben wollte.«
Hat er nicht gewusst. Trottel, der er war. Ist aber sofort losgelaufen. Diamanten kaufen. Die ganze Kollektion. Mit der ist seine Irene dann auch beerdigt worden. Nur gut, dass sie den Schmuck kurz vor ihrem Tod noch gesehen und angelegt hat. »Nichts ist wichtiger als die Liebe, Werner, nichts! Wie schön, dass wir ein so gutes Leben hatten.«
Wie eine Königin hat sie mit den Diamanten ausgesehen. Eine sehr schmale, müde Königin, aber eine lächelnde. So ist sie auch gestorben. Lächelnd. Seine Irene. Nichts ist wichtiger als die Liebe, jawohl. Zärtlich wischt er mit seinem Taschentuch einen Rahmen ab, aus dem sie hervorschaut. Ihr zu Ehren hält Herr Böckelkamp im Haus alles blitzsauber. Na ja, ein bisschen Wiedergutmachung ist auch dabei.
Er hat seine Frau auch viel planen und machen lassen. Weil es so bequem war. Nur hat Irene ihn darum nicht rausgeworfen, das machen die Frauen wohl erst seit neuestem so, seit sie mehr vom Leben wollen als Kinder, einen Haushalt und einen Mann, der das Geld nach Hause bringt. Und vielleicht haben sie Recht damit. Bestimmt sogar. Aber einen Professor, findet Böckelkamp, wirft man nicht hinaus.
Schon gar nicht einen wie Leonhart, der ihn in seinen Seminaren mitstudieren lässt, obwohl Böckelkamp nicht mal Abitur hat, nur viel Zeit und Lust, sich richtige Gedanken über die Welt und den Menschen zu machen. Böckelkamp war mal Chauffeur bei einem der Wingener Zechenbesitzer und dann Taxifahrer. Er hat eine Menge zu hören bekommen, während er die Menschen durch ihr Leben chauffierte.
Gesagt hat er nie viel dazu. Nein. Böckelkamp gehörte nicht zu dieser Sorte Taxifahrer. Er will niemandem das Leben erklären. Viel zu schwierig. Chauffeur ist er geworden, weil er gerne Auto fährt und Menschen zu Diensten ist. So einfach ist das. Aber wer glaubt das einem Taxifahrer? Wo die normalerweise alle Quasselwasser getrunken haben und meinen, sie seien allwissend, obwohl manche nicht mal den Stadtplan ordentlich auswendig lernen und sich weigern, die Aschenbecher für jeden Fahrgast sauber zu machen und den Kofferraum regelmäßig zu saugen.
So einer ist Böckelkamp nicht, er hat seinen Job gerne gemacht und nach allen Regeln der Kunst. Immer. Bis ihm der Arzt das Fahren verboten hat, weil er auf dem linken Auge so gut wie nichts mehr sieht, außer Schatten. Blind wie eine Eule ist er ohne seine Brille, aber im Kopf ist alles noch in Ordnung, und mit dem Herzen sieht er seine Irene ganz deutlich.
Der Professor hingegen scheint da ein bisschen blind, da muss man nachhelfen. Ist nämlich ein ganz wertvoller Mensch, nur ein bisschen fernab der Praxis, wenn es um die gewöhnlichen Dinge des Lebens geht. Deshalb hat Böckelkamp ihn bei sich aufgenommen, als der Herr Professor ohne Schuhe in die Mensa wollte, am Tag, als seine Frau ihn rausgeworfen hat.
Was erwartet diese Sophie von einem Philosophen? Der recht anständig aussieht, soweit Böckelkamp das beurteilen kann. Man müsste ihn nur von dieser lappigen Wolljacke befreien, seine Hosen bügeln – was Böckelkamp seit einer Woche tut – und ihm vielleicht die Haare kürzen.
Leonhart öffnet durch den Vorhangspalt das Fenster, vielleicht kann er ein paar Worte aufschnappen, wenn die beiden Frauen aus dem Auto aussteigen.
»Herr Professor, das würde ich nicht tun«, mischt sich Böckelkamp ein.
Leonhart schüttelt unwirsch den Kopf. »Warum? Ich will endlich wissen, warum Sophie mich rausgeworfen hat! Ich meine, ich bin doch nicht zu dumm, um es zu verstehen, wenn man es nur präzise erklärt.«
Böckelkamp schweigt. Der Professor sollte mal besser ein paar alte Spruchweisheiten beherzigen. Etwa die vom Lauscher an der Wand. Obwohl es sich in diesem Falle ja um ein Fenster handelt. Macht das einen Unterschied?