Читать книгу Gemmas Gedanken - Lin Rina - Страница 16
Kents ShakeBar
ОглавлениеAls alle Kisten in der Wohnung und alle Möbelstücke halbwegs aufgebaut waren, verabschiedete sich Papa unter dem Vorwand, den gemieteten Transporter wieder zurückbringen zu müssen. Doch ich wusste, dass er zu Mama wollte, und war froh, dass er sich jetzt um sie kümmerte.
Als er aus der Tür ging, schrieb ich Tante Laura, dass er auf dem Weg war. Sie antwortete mir knapp, dass meine Mutter sich wieder beruhigt hatte und nun schlief. Das stimmte mich allerdings wenig zuversichtlich, denn es änderte nichts daran, dass mit ihr etwas nicht in Ordnung war.
Ich lenkte mich mit Kisten auspacken ab und die anderen halfen mir, bis wir gegen spätnachmittag alle keine Lust mehr hatten und uns einer nach dem anderen auf das große Ecksofa fallen ließen.
Erschöpft hing ich zwischen Vikas knochigem Ellenbogen und Lunas weichen Kurven und sah mich in meiner neuen Wohnung um. Alles war durcheinander, überall lag Zeitungspapier und anderes Verpackungsmaterial herum. Die Schränke und Regale waren noch halb leer und durch die Tür mir gegenüber konnte ich in das Chaos im Schlafzimmer sehen.
Es war noch einiges an Anstrengung nötig, bis es hier wohnlich aussah. Aber ich hatte ja auch noch ein paar Tage Zeit, bis mein erster Arbeitstag begann.
Und ich durfte bei dem ganzen Trubel auch nicht vergessen, dass ich noch Termine hatte. Wie die Messe in zwei Tagen, bei der ich mich für die Aufsicht an einem der Stände meiner Ausbildungsstätte hatte einteilen lassen.
»Ich bin erledigt«, stöhnte Vika und lehnte sich auf mich, sodass ihre Locken mich am Hals kitzelten und sich ihr Ellenbogen schmerzhaft in meine Seite bohrte. Ich ertrug es stillschweigend, weil ich zu erschöpft war, um sie wegzuschieben.
»Lasst uns doch eine Runde spazieren gehen«, schlug Joris vom anderen Ende des Sofas vor und Jessy neben ihm stöhnte genervt auf.
»Nicht dein Ernst! Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten«, maulte sie und wir lachten, weil es so typisch Jessy war.
»Ich finde die Idee gar nicht so schlecht«, behauptete Vika und zog glücklicherweise ihren Ellenbogen aus meiner Seite.
»Echt jetzt?«, rief Joris erstaunt und sprang sofort auf die Beine, doch Vika wandte sich schon an Dani, die kerzengerade auf ihrer anderen Seite saß und sich wohl nicht traute, sich ebenfalls bei uns anzulehnen.
»Kommst du auch mit?«, fragte Vika sie und Dani nickte sofort.
»Vielleicht finden wir ja irgendwo Smoothies«, murmelte Luna, die die Augen geschlossen hatte und gemütlich eins meiner neuen Sofakissen umarmte. Ich fürchtete, dass sie nirgendwo mehr hingehen würde. Sie war quasi schon eingeschlafen.
»Find ich auch gut.« Vika war überzeugt.
Luna rutschte langsam der Kopf zur Seite und ich stabilisierte sie mit noch mehr Kissen, damit sie mir nicht vom Sofa fiel.
»Und wo wollen wir hin? Fruit-Palace?«, fragte Joris voller Tatendrang und ich konnte ihm ansehen, wie sehr Vikas Zustimmung ihn pushte. Doch mit seinem letzten Vorschlag hatte er sich selbst ins Bein geschossen.
Ich machte eine umständliche Verrenkung, um vom Sofa hochzukommen und Vika den Mund zuzuhalten, doch ich war zu langsam.
»Auf keinen Fall. Fruit-Palace? Bist du verrückt? Das sind kapitalistische Monster, die durch ihre Obstmassenzüchtungen und ihre Pestizide den Boden verunreinigen und das Sterben der Bienen fördern«, motzte sie drauflos.
Joris stand da wie festgefroren und sein Gesichtsausdruck zeigte, dass er eigentlich keine Ahnung hatte, was Vikas Problem war.
»Beruhig dich, Vika. Er hat’s nicht böse gemeint«, sagte ich zu ihr und strich ihr beruhigend den Rücken auf und ab.
»Aber ist doch wahr«, flüsterte sie mir zu und begann bereits zu erkennen, dass sie zu harsch gewesen war. »Ach, das war jetzt nicht gegen dich, Joris. Du kannst ja nichts dafür, dass die … Ey, ist Luna etwa eingeschlafen?«, wechselte sie mitten im Satz das Thema und merkte es selbst nicht mal.
Ich lächelte müde und kam ächzend auf die Beine.
In meinem Rücken schrie jeder Muskel nach meinem Bett, aber mein Kopf war noch nicht bereit, den Tag einfach so enden zu lassen. Zumal es erst gegen fünf war.
»Wollen wir nicht einfach raus und es auf uns zukommen lassen?«, schlug ich vor und zog Vika ebenfalls vom Sofa hoch. »Vielleicht finden wir Straßen in der Gegend, die wir noch nie gegangen sind. Ich will was Neues entdecken.«
»Was immer du befiehlst, Chef.« Joris salutierte spaßhaft vor mir.
»Was machen wir mit Luna?«, wollte Vika wissen und griff nach Danis Hand, um sie mit sich zu ziehen.
»Lass sie einfach schlafen«, sagte ich und sah mich nach meiner Handtasche um, die ich vorhin irgendwo abgestellt hatte. Vika und Dani verließen schon die Wohnung, ließen die Tür aber offen stehen.
»Ich kann ja bei ihr bleiben«, erklärte sich Jessy sofort bereit, schob sich die Ballerinas von den Füßen und legte die Beine hoch. »Macht mir gar nichts aus.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen«, behauptete ich vielsagend und Jessy lachte ihre abgefahrene Hexenlache, während sie es sich bequem machte.
»Bringt uns ruhig Smoothies mit«, fügte sie hinzu.
Ich schnappte mir einen Klumpen Zeitungspapier und warf ihn nach dem dreisten Biest.
»Als ob, du faules Stück«, beleidigte ich sie spaßhaft und sie schloss seufzend die Augen.
»Mit Blaubeeren bitte. Danke!«, rief sie mir hinterher, als ich meine Tasche schnappte und Joris mir auf den Flur folgte.
»Du bringst ihr wirklich nichts mit?«, fragte er mich, als ich die Tür ins Schloss zog, und ich sah ihn skeptisch an.
Er hatte mal wieder den ganzen Witz verpasst.
»Natürlich bring ich ihr was mit. Ist doch Jessy«, erwiderte ich und schlenderte auf den Aufzug zu.
Als wir an Danis Wohnungstür vorbeikamen, öffnete sie sich in dem Moment und Dani trat zu uns auf den Flur.
Ich erhaschte einen kurzen Blick hinein, bevor sie die Tür wieder schloss. Alles war hell, geradlinig eingerichtet und die Wände voller großer Leinwände mit moderner Kunst.
Das hatte ich nicht von ihr erwartet. Wenn man sie sich ansah, wie sie sich den Träger einer kleinen braunen Umhängetasche über den Kopf zog und dabei ihre kurzen Haare total durcheinandergerieten, erwartete man eher etwas Liebliches. Blumenprints und Spitze. Aber vielleicht wusste ich auch noch nicht genug über Dani, um sie richtig einzuschätzen.
»Sag mal, Nachbarin, was machst du eigentlich so, wenn du nicht nachts die Wände von Freunden verzierst?«, fragte ich sie freiheraus und sie blinzelte mich an.
»Ich?«, erkundigte sie sich unsicher und blieb stehen, als wir Vikas Wohnungstür erreicht hatten, die sich den Flur runter befand.
»Ja, du.«
Dani druckste noch ein wenig herum und schob sich verlegen die runde Brille auf der Stupsnase nach oben. »Ich bin freie Künstlerin«, gestand sie mir und ich hob verblüfft die Augenbrauen. Dani steckte voller Überraschungen.
»Wow«, machten Joris und ich gleichzeitig.
In Vikas Wohnung rumpelte es und es wurde mir langsam zu bunt, auf sie zu warten.
Mit der flachen Hand schlug ich volle Kraft gegen ihre Tür. »Aufmachen! Polizei!«, rief ich spaßhaft und Vika riss sofort die Tür auf.
»Haha, sehr witzig«, sagte sie ironisch und fischte sich eine Socke aus den Locken. Wie auch immer die da hingekommen war. »Ich finde meinen Geldbeutel nicht.«
»Ist doch egal, ich lad euch heute eh alle ein«, eröffnete ich und scheuchte sie mit den Händen. »Schnapp dir deinen Schlüssel und komm. Ihr habt all mein Zeug geschleppt, da ist ein Smoothie ja wohl das Mindeste.«
Der Fahrstuhl war sehr eng für vier Personen und wir fielen fast heraus, als sich die Türen wieder öffneten. Dafür war es aber sehr amüsant.
Draußen schien die Sonne, unser Wohnblock und die umliegenden Grünflächen wirkten so frisch, dass ich mich hier schon richtig zu Hause fühlte.
Wir liefen den Fußweg entlang, bis wir die kleine Einkaufsmeile von Mauersend erreicht hatten. Doch kurz vor dem Biosupermarkt entschied ich, den üblichen Weg zu verlassen und in eine der Seitengassen zu spazieren, die man nie entlanglief, weil man glaubte, dort gäbe es nichts mehr.
In meinem Kopf öffnete sich wie von allein der Stadtplan für diese Gegend. All die schmalen Gassen war ich bereits auf einem Plan mit dem Finger entlanggefahren, um sie mir einzuprägen. Doch noch nie war ich sie entlanggegangen, um zu sehen, wie sie tatsächlich aussahen.
Wir kamen an einem leeren Geschäft vorbei, dessen Schaufenster mit Zeitungspapier verdunkelt waren, was wenig einladend aussah. Joris war dafür, wieder zurückzugehen, doch Vika und ich überstimmten ihn.
Ich fand es eigentlich ganz schön hier auf der Schattenseite der Geschäfte. Der Boden war grob gepflastert, in den Ritzen wuchsen Moos und Löwenzahn und über uns war neben windschiefen Regenrinnen ein blauer Streifen Himmel zu sehen.
Wir bogen wieder ab und blieben bei einem urigen Antiquitätenhändler hängen, bei dem Dani leuchtende Augen bekam. Doch sie war glücklicherweise so nachsichtig mit uns, sich nach zehn Minuten wieder loszureißen und uns nicht zwischen Kerzenleuchtern aus Messing und muffigen alten Sesseln warten zu lassen. Und obwohl Vika, unsere Expertin für Geschichte, sich für altes Zeug immer begeistern konnte, schreckte sie doch sehr zurück, als sie feststellte, dass der ausgestopfte zottelige Bär keine Nachbildung war.
»So grausam. Wie konnten Menschen nur je glauben, Tiere zu töten wäre irgendwie ethisch korrekt«, verlieh sie auch noch Minuten später ihrer Bestürzung Ausdruck, während wir an gemauerten Hausrückseiten entlangschlenderten.
»Damals haben die viele komische Sachen gedacht«, versuchte ich sie zu beruhigen und mir fiel natürlich überhaupt kein gutes Beispiel ein, das sie ablenken könnte.
Dani nahm wortlos ihre Hand und Vika versuchte sich an einem Lächeln.
»Ach Mann, ich wollte gar nicht die Stimmung versauen«, motzte sie über sich selbst und ich legte ihr beschwichtigend einen Arm um die Taille.
»Ach Quatsch. Wir finden schon was, um dich wieder aufzumuntern«, behauptete ich und Joris blieb so plötzlich stehen, dass wir beinahe in ihn hineingelaufen wären.
»Hört ihr das?«, fragte er uns und wir spitzten die Ohren. Und tatsächlich waberten leise Musikfetzen durch die schmale Gasse.
»Wo kommt die her?«, wollte Vika wissen und löste sich aus meiner Umarmung, um sich umzudrehen.
Das leise Quietschen einer Tür war zu hören und schlagartig wurde die Musik lauter, sodass wir den Ursprung schnell ausmachen konnten. Sie ertönte ein Stück hinter uns, von einer Treppe, die hinunter zu einer Kellertür führte.
Ich war überrascht, als ein junger Mann die Stufen nach oben kam. Hinter ihm fiel die Tür wieder zu und die Musik verschwand. Der Mann kam auf uns zu, den Blick auf sein Handy gerichtet, auf dem er einhändig tippte, während er in der anderen einen riesigen Pappbecher hielt, auf dem ich in großen Lettern ShakeBar las.
Wir machten ihm Platz und er verschwand in der nächsten Gasse, ohne den Blick gehoben zu haben. Ich lief das Stück Weg zurück und lugte die Kellertreppe hinunter.
Auf der hellgrünen Tür stand der gleiche Schriftzug geschrieben wie auf dem Pappbecher des Mannes, der an uns vorbeigelaufen war. ShakeBar. Und darüber ein Geöffnet-Schild. Wieso hatten wir das gerade nicht bemerkt?
»Ah, wie geil!«, rief ich und schwang begeistert die Hüften. Genau so etwas hatte ich mir bei unserem Spaziergang auf neuen Wegen erhofft zu finden.
»Ist da unten ein Café?«, fragte Joris erstaunt, der neben mich getreten war, und auch Vika und Dani drängten sich an die Treppe.
»Na, dann auf«, rief Vika und stieg sofort die Stufen hinunter.
Ich freute mich, dass sie ihre gute Laune zurückhatte und auch mich packte die Abenteuerlust.
»Wir können da doch nicht einfach reingehen«, hielt Joris uns zurück und Vika drehte sich lachend zu ihm um.
Sie zeigte auf das Geöffnet-Schild. »Wer ist jetzt der Stimmungskiller?«, warf sie ihm vor, um ihn aus der Reserve zu locken, und er gab natürlich nach. Wer mit Vika mithalten wollte, durfte nicht zu scheu sein.
Ohne zu zögern drückte sie die Tür auf und wir betraten einen niedrigen Raum. Es handelte sich hierbei tatsächlich um eine Art Café und in meinem Bauch breitete sich ein warmes, heimeliges Gefühl aus, das mich zum Lächeln brachte. Als ob dieser Ort zu mir gehörte und dazu bestimmt war, heute von mir entdeckt zu werden.
Die Wände waren hellgrün und auf einem langen Tresen standen eine Unzahl an Kuchen und Muffins, die sich auf gläsernen Platten stapelten. Das Regal dahinter war voller quietschbunter Sirupflaschen, die durch die Leuchtröhren sanft schimmerten.
Es war erstaunlich hell hier, obwohl die Fenster, die zu beiden Seiten kurz unter der Decke hingen, nur sehr schmal waren.
Vika trat sofort näher und lehnte sich an das helle Holz des Tresens. Der Mann tippte gerade etwas in einen Monitor ein und hob die Hand in unsere Richtung.
»Bin gleich so weit«, sagte er und seine Stimme klang jünger, als sein dunkler Vollbart vermuten ließ.
Wir betrachteten solange die Kuchen in der Auslage und lasen die Angebote auf den Kreidetafeln an der seitlichen Wand.
Der Name des Cafés war nicht willkürlich gewählt, denn neben den Standardgetränken wie Kaffee und Tee gab es eine ganze Reihe an Shakes.
»So, jetzt.« Der Mann hob den Blick und strahlte uns an. »Ich bin Kent. Willkommen in meiner ShakeBar. Was wünschst du zu haben?«, begrüßte er uns und sah Vika an, die ihm ein ebenso sonniges Lächeln schenkte.
»Schön, dich kennenzulernen, Kent. Ich bin Vika. Das sind Joris, Dani und Gemma«, verspürte sie wohl das Bedürfnis, uns alle vorzustellen, und Dani hob zaghaft die Hand zum Gruß.
Joris und ich sahen uns nur an und wussten, dass wir das Gleiche dachten. Vika schaffte es einfach überall, sich Freunde zu machen.
»Gemma«, hörte ich Kent meinen Namen sagen und unsere Blicke trafen sich. Er nickte mir zu und ich war mir nicht sicher, was das jetzt bedeuten sollte.
»Ich denke, ich werde den Mango-Hafer-Shake probieren und dazu ein Stück von der Physalistorte«, bestellte Vika als Erste.
»Gute Wahl. Mit Kokossahne?«, erkundigte sich Kent und Vika bekam große Augen.
Sie stimmte zu und verwies fürs Zahlen auf mich, woraufhin ich zustimmend winkte.
Dani nahm einen klassischen Bananenshake, während Joris Ewigkeiten brauchte, bis er sich für einen Nussshake mit Mandelmilch entscheiden konnte und einen Muffin dazu.
Als ich an der Reihe war, hatten sich Vika und Dani schon an einen der hinteren Tische gesetzt und Joris schlenderte ebenfalls zu ihnen. Lässig platzierte er sich neben Vika und schmachtete sie so unverhohlen an, dass Mitleid in mir hochkam. Ich würde sehr bald mit ihm darüber reden müssen.
»Und was möchtest du, Gemma?«, fragte Kent und holte mich damit aus meinen Gedanken.
»Ähm«, machte ich und sah rüber zu den Tafeln. »Ich denke, ich werde einen Soja-Karamellshake probieren.«
»Soll ich dir auch einen Espresso mit reinmachen?«, schlug Kent vor und hatte ein süffisantes Grinsen auf den Lippen, das ich nicht zuordnen konnte.
Aber Karamell mit Kaffeenote klang fantastisch und wie für mich gemacht. Denn ich spürte den Koffeinentzug bereits in meinem Hinterkopf pochen. »Ja, gern.«
Kent sah mich vielsagend an. »So wie immer also«, witzelte er und nahm ein hohes Glas aus dem Regal hinter sich.
Ich war irritiert. Hatte er das gerade wirklich gesagt oder hatte ich es mir schon wieder eingebildet? Denn es ergab gar keinen Sinn.
»Wie bitte?«, flüsterte ich und Kent zwinkerte mir zu.
»Du zahlst, richtig?«, sagte er nur und überging meine Frage.
Er nannte mir den Betrag und ich wühlte in meiner Handtasche nach dem Geldbeutel.
Dabei berührten meine Finger die feste Ecke eines kleinen Kartons. Ach ja, das Päckchen. Das war bei all dem Umzugstrubel ganz in Vergessenheit geraten.
Eilig zahlte ich und lief schnell zu den anderen an den Tisch.
Ich hatte mich noch nicht mal richtig hingesetzt, da fing Vika schon an.
»Hat er dich angegraben?«
»Was?«, fragte ich dümmlich und nahm meine Tasche auf den Schoß, um das Päckchen hervorzukramen.
»Kent. Der Barmann. Er steht auf dich«, flötete Vika und Joris machte große Augen.
»Was, echt?« Er war viel zu begeistert von dieser abstrusen Idee und ich schüttelte demonstrativ den Kopf.
»Doch wohl. Wie er vorhin ihren Namen wiederholt hat und das gerade war ein eindeutiges Zuzwinkern.« Vika war Feuer und Flamme. Ich überhaupt nicht. Denn ich war mir sicher, dass er nicht mit mir geflirtet hatte. Seltsam war es gewesen, keine Frage, aber ein Annäherungsversuch nicht.
»Nein. Er steht nicht auf mich«, wehrte ich ab, bekam endlich den Karton im Innern meiner Handtasche zu fassen und zog ihn heraus. Das war die beste Gelegenheit, um Vika abzulenken.
»Ich habe dir von dem Päckchen erzählt«, sagte ich zu ihr und sie sprang sofort drauf an.
»Ah ja, mit dem Vogel drin.« Sie schnappte sich die Kiste und zupfte genau wie ich jeden Streifen Verpackungsmaterial heraus, um am Ende nur einen gefalteten Papiervogel in Händen zu halten.
»Wer schickt dir denn einen Vogel?« Joris machte ein skeptisches Gesicht.
»Das ist eine Taube«, sagte jemand hinter mir und ich schreckte zusammen, fühlte mich auf seltsame Weise ertappt.
Kent kam an den Tisch und stellte unsere Shakes vor uns ab.
Verlegen sammelte ich schnell die Schnipsel auf, die auf der Tischplatte verteilt lagen, und schaffte es nicht, ihm in die Augen zu sehen.
»Oh, weißt du etwa, wer solche Tauben in Päckchen verschickt?«, erkundigte sich Vika sofort bei ihm und es ärgerte mich, dass sie mit dieser Information so freizügig umging. Dabei war es nicht mal etwas wirklich Geheimes. Es fühlte sich nur so an.
»Ich denke, das weiß Gemma selbst«, erwiderte Kent und hatte schon wieder diesen vielbedeutenden Ton in der Stimme. Sein Blick war so durchdringend, dass ich es merkte, obwohl ich ihn nur aus den Augenwinkeln ansah.
»Uuuh«, machte Vika und grinste verschwörerisch. »Geheimnisvoll.«
Sie mochte solche Rätsel. Doch ich wünschte mir, es gäbe eine einfache Lösung dafür.