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Das Buch in der Wand


Unruhig wälzte ich mich von einer Seite auf die andere, ohne Schlaf zu finden. Obwohl die Bettwäsche wie immer duftete, hing der kalkige Geruch von Wandfarbe noch im Zimmer. Alles wirkte so fremd und leer. Die Schatten waren mir nicht vertraut, und unbekannte Geräusche drangen durch das geöffnete Fenster.

Doch das war nicht das Einzige, was mich umtrieb. Ich machte mir Sorgen um meine Mutter. Zwar war ich bei ihrem Ausbruch während des Umzugs nicht dabei gewesen, aber ich konnte mir bildlich vorstellen, wie sie schreiend und weinend auf dem Parkplatz stand. Sie hatte sich eingebildet, dass ich von einem Laster angefahren worden wäre. Das war schon hart. Ihr Zustand verschlechterte sich eindeutig.

Dabei hatte es nur mit Kleinigkeiten angefangen. Manchmal war sie kurzzeitig desorientiert gewesen oder hatte sich eingebildet, dass die Menschen um sie herum irgendwelche wirren Dinge sagten.

So wie ich.

Ich drehte mich auf die andere Seite und drückte mein Kissen zurecht.

Es war angsteinflößend, wenn ich darüber nachdachte. Da waren unsere Technik und die medizinischen Möglichkeiten schon so weit entwickelt und trotzdem schien ich ganz langsam verrückt zu werden, ohne dass es jemand verhindern oder auch nur nachvollziehen konnte.

Ich wollte nicht irgendwann schreiend auf der Straße stehen, weil ich Dinge für real hielt, die nie passiert waren. Gestern der Postbote, heute Kent in der ShakeBar.

Obwohl ich mir bei Kent noch nicht sicher war, ob es nicht möglicherweise er war, der nicht alle Tassen im Schrank hatte, und nicht ich.

Mein Fuß juckte, meine Liegeposition wurde zunehmend unbequemer und ich musste aufs Klo. Und hier zu liegen und mir Horrorszenarien auszudenken, brachte mich auch nicht weiter.

»Ach Scheiße«, fluchte ich laut und setzte mich auf, um meinen Fuß zu kratzen.

Dabei hatte ich schon letzte Nacht vor Aufregung kaum ein Auge zugetan, doch obwohl mein Körper sich zerschlagen anfühlte, wollte mein Kopf einfach keine Pause machen.

Mühsam erhob ich mich aus meinem Bett und schlurfte nach nebenan ins kleine Bad. Der Raum war schmal und enthielt auch nur ein Waschbecken mit Schränkchen darunter, einen Spiegel an der Wand, eine Toilette und eine winzige Dusche. Doch was konnte man schon erwarten, wenn man eine Wohnung mit dem Geld aus staatlichen Förderungen erwarb. Für etwas Größeres hätten wir Geld drauflegen müssen, das wir nicht besaßen.

Ich konnte froh sein, überhaupt eine eigene Wohnung zu haben. Für uns war es so selbstverständlich geworden, im Besitz der eigenen vier Wände, einer selbstbestimmten Ausbildung und eines festen Arbeitsplatzes zu sein. Noch vor fünfzig Jahren war nichts davon sicher gewesen.

Ich ging aufs Klo und wusch mir anschließend die Hände und auch das Gesicht, um mich in Schwung zu bringen. Wenn mein Kopf schon nicht schlafen wollte, konnte ich mich wenigstens nützlicheren Dingen zuwenden, als mich im Bett zu wälzen und die Bettwäsche zu zerknittern.

In der Küchennische herrschte ein heilloses Durcheinander. Ich begann erst einmal damit, die Schränke auszuwischen und Geschirr einzuräumen, bis ich meine Kaffeemaschine fand.

Was für ein Glück! Ich konnte mir Kaffee kochen. Meine Seele jubilierte. Emsig begann ich die Suche nach Filtern und Kaffeepulver. Und nach meinen Tassen.

Vielleicht war es nicht die beste Idee, mitten in der Nacht einen riesigen Pott Kaffee zu trinken, aber das war mir gerade herzlich egal. Die Kaffeemaschine wurde schnellstmöglich betriebsbereit gemacht und gluckste dann vor sich hin, während ich schon mal die nächste Kiste öffnete.

Ganz oben darin lag mein Buch. Das Buch der wichtigen Erinnerungen.

Mein Herz hoppelte und Adrenalin wurde mir in den Körper gepumpt. Ich hatte nicht daran gedacht, dass ich es in eine der Kisten gesteckt hatte.

Eigentlich war es ja nur richtig, nicht zu häufig daran zu denken, sonst wäre es auch sinnlos, es so geheim zu halten. Aber natürlich erschreckte ich mich in diesem Moment, da ich noch keine Ahnung hatte, wo ich es verstecken wollte und mir dafür jedoch höchstens fünf Minuten blieben. Denn mehr überdeckte so ein kleiner Schnitt in den Finger für die Gedankenauslese nur selten.

Ich schnappte mir das Notizbuch und sah mich erst gründlich in der Küche um, wobei ich mein Cuttermesser, jedoch kein geeignetes Versteck fand. Ich lief zuerst suchend durchs Wohnzimmer, dann durchs Schlafzimmer und anschließend ins Bad.

Über der Toilette befand sich eine weiße Metallplatte in der Wand, die wohl irgendetwas wie den Wasserzähler oder den Spülkasten beinhalten musste.

Mein Herz klopfte immer schneller vom Stress, dass ich einen Moment innehielt und tief durchatmete.

Ich kam mir total bescheuert vor, wie ich mich hier abhetzte. Die ganze Sache mit dem Buch an sich war auch total hirnrissig. Ich vertraute dem System der Gedankenauslese, ich wusste, dass da nichts gemauschelt wurde und eine Gedankenrasterung so gut wie niemals vorkam.

Warum hatte ich also Angst vor etwas, was mir nie passieren würde? Wofür schieb ich dann dieses Buch und versuchte es krampfhaft geheim zu halten?

Trotz dieser Erkenntnisse lief ich und holte mir Werkzeug aus dem Schlafzimmer, mit dem sich die Metallklappe öffnen ließ. Wahrscheinlich wurde ich tatsächlich langsam verrückt und das alles waren nur die Vorboten.

Hinter der Klappe befand sich eine Ansammlung von Rohren und ein dicker Kasten mit irgendwelchen digitalen Anzeigen, von denen ich keine Ahnung hatte, was sie bedeuteten.

Ich stieg auf den geschlossenen Klodeckel und versuchte umständlich hinter den Kasten zu blicken, um herauszufinden, ob der Spalt dahinter breit genug für mein Buch war.

Das Licht im Bad war allerdings nicht hell genug, um etwas zu erkennen, und ich tastete umständlich mit der Hand um den Kasten.

Meine Finger berührten etwas, was leicht nach unten rutschte, als ich dagegendrückte. Skeptisch hielt ich inne und versuchte es dann noch einmal. Diesmal rutschte das Etwas noch tiefer und ich konnte unterhalb des Kastens zwischen den Rohren ein Stück dunkelblauen Buchdeckels erkennen.

Ich war wie vom Donner gerührt. Da klemmte tatsächlich ein Buch an der Stelle, an der ich gerade mein Buch verstecken wollte.

Das war absolut irre. Hatte da etwa jemand die gleiche Idee gehabt wie ich?

Da ich keine Zeit zu verlieren hatte, friemelte ich das blaue Buch so schnell ich konnte heraus und schob mein eigenes mit einigem Druck hinter den Kasten, da es etwas dicker war als das blaue.

Unschlüssig stand ich auf dem Klodeckel und traute mich kaum, das fremde Buch aufzuschlagen. Es war eindeutig ein Notizbuch, ähnlich denen, in die ich gern schrieb.

Aber wie unglaublich war denn bitte der Zufall, dass derjenige, der vor mir in dieser Wohnung gelebt hatte, ebenfalls Notizbücher versteckte? Ob dieser Vorbewohner sich danach wohl auch in den Finger geschnitten hatte?

Obwohl ich mich schlecht fühlte, in die Privatsphäre eines anderen einzudringen, schlug ich das Buch auf der ersten Seite auf. Ich schaffte es nicht einmal, die ersten Zeilen zu überfliegen, da fiel mir schon auf, dass die Handschrift der meinen unglaublich ähnlich war.

Mein Herz setzte einen Schlag aus.

Umzug lief gut. Paps hat sich fast von einem Schrank erschlagen lassen.

Bin super aufgeregt. Ausbildung beginnt in zwei Wochen.

Vika wird morgen in die Wohnung 8 schräg gegenüber einziehen …

Vor Schreck glitt mir das Buch aus den Händen und landete mit einem Klatsch auf dem Fliesenboden.

Mir zitterten die Hände, mein Puls raste, mir wurde heiß und kalt gleichzeitig. Und als ich sah, was aus dem Buch rausgefallen war, bekam ich noch größere Panik: eine Origamitaube.

Was, verdammt noch mal, wurde hier eigentlich gespielt? Und wann hatte sich mein Leben in einen Horrorfilm verwandelt?

Mit Pudding in den Beinen stieg ich vom Klo und musste mich erst einmal setzen.

»Da liegt ein Notizbuch auf dem Boden, das in meiner Wand steckte. Ich habe es nie zuvor gesehen und doch sind die Notizen darin anscheinend von mir«, fasste ich halblaut zusammen und es schien mir noch verwirrender als zuvor.

»Das ist unmöglich«, sagte ich und beugte mich nach unten, um das Buch noch einmal zu inspizieren.

Ich wendete es in den Händen, blätterte grob durch die Ereignisse und prüfte die Daten des ersten und letzten Eintrags. Es war beinahe ein halbes Jahr.

Ich hielt hier ein dokumentiertes halbes Jahr in Händen, das nicht passiert war. Verwirrt und erschüttert starrte ich die letzte beschriebene Seite an und fragte mich, ob ich nun tatsächlich verrückt wurde. Vielleicht stand es um mich schon viel schlimmer, als ich gedacht hatte, und ich fing an, mir Notizbücher einzubilden.

Energisch schüttelte ich den Kopf. Nein, so verrückt konnte ich nicht sein. Dass wir uns Gegenstände vorstellten, war weder mir noch meiner Mutter je passiert. Aber wenn ich es mir nicht einbildete, wo kam es dann her?

Meine Augen fokussierten die Liste, die man auf die Seite vor mir geschrieben hatte. In meiner Handschrift.

-> Mama, Papa, Ezra.

Der Name Ezra war doppelt unterstrichen. Doch wer war Ezra?

Siedend heiß fiel mir wieder ein, dass die Zeit, die ich gehabt hatte, um mich zu schneiden, sicher schon um war. Gehetzt klappte ich das Buch zu, kletterte eilig auf den Klodeckel, um es ebenfalls irgendwie hinter den Kasten zu stopfen. Auch wenn es noch an einer Seite zu sehen war, schmiss ich die Metallklappe zu und schnappte mir mein Cuttermesser.

Zum Glück hatte ich jetzt so viel Adrenalin in den Adern, dass ich keine Sekunde zögerte, das Messer nach oben schob und mir einen deftigen Schnitt in die Handfläche verpasste.

Im ersten Moment spürte ich nichts, doch als Blutstropfen aus meiner Haut quollen, setzte ein unerträgliches Brennen ein und ich presste die Lippen fest aufeinander, um nicht laut zu fluchen.

Okay, dieser Schnitt hatte mehr wehgetan, als sich mal kurz in den Finger zu schneiden, und ich hoffte inständig, dass es reichte.

Denn was auch immer gerade passiert war, ob nun real oder nicht, ich war mir sicher, dass ich nicht wollte, dass irgendwer davon erfuhr.

Gemmas Gedanken

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