Читать книгу Gemmas Gedanken - Lin Rina - Страница 21

Die Messe

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Zum Glück war Vika viel zu verliebt in ihre neuen Schallplatten, die sie stolz in einer dunkelgrünen Papiertüte durch die Gegend trug, um zu bemerken, dass ich seit der Begegnung mit Ezra total durch den Wind war.

Es nagte an mir, mit ihr nicht einfach darüber zu sprechen, doch ich wollte sie in diese seltsame Sache auch nicht mit reinziehen, bevor ich wusste, wohin das Ganze führte. Denn ich hatte da so ein ungutes Gefühl, dass in meinem Leben etwas aus den Fugen geraten war und ich nur noch nicht herausgefunden hatte, was es war.

Wir aßen an einem Stand mit indischen Suppen zu Mittag und anschließend ließ ich mich von Vika dazu bewegen, Lebensmittel zu holen und noch ins Gartencenter zu fahren, um Pflanzen für meinen Balkon zu kaufen. Nicht zu vergessen die Packung Trockenfutter für Vikas Hamster Sir Francis Drake, für die wir den halben Kaufpark ablaufen mussten, weil Vika unbedingt das mit den getrockneten Fruchtstückchen haben musste.

Danach wollte ich nur noch nach Hause und musste aufpassen, dass ich nicht schon in der Bahn einschlief.

»Kommst du noch mit und hörst dir meine neuen Errungenschaften mit mir an?«, wollte Vika wissen, als ich mich aus dem Fahrstuhl bis zu meiner Wohnungstür geschleppt hatte.

»Ich schlaf dann aber dabei ein«, merkte ich an und sie grinste.

»Ja, das würde dir aber auch ganz guttun. Wenn du in deiner Wohnung nicht schlafen kannst, darfst du gern auch bei mir übernachten«, bot sie an, schloss ihre Tür auf und wedelte einladend mit der Hand.

Ich rieb mir die Nase, die vor Müdigkeit kribbelte, und fand die Idee gar nicht so blöd. Ein bisschen Normalität und jemand, der auf mich achtgab, konnte nicht schaden.

»Ich bring eben die Einkäufe rein«, informierte ich sie und verschwand in meiner Wohnung. Ich konnte kaum noch die Augen offen halten, während ich meine Pflanzen auf dem Küchentresen abstellte und die paar Lebensmittel in den Kühlschrank räumte.

»Dann hast du aber niemanden, der sich mit dir über die guten Stellen in der Musik freut, wenn ich einschlafe«, meinte ich, als ich zurück zu Vika schlurfte, die auf mich gewartet hatte und mich sanft durch die Tür in Richtung Sofa schob.

»Egal. Ich hol einfach Dani rüber. Schlaf du mal.«

Matt ließ ich meine Handtasche sinken, die ich vergessen hatte, in meiner Wohnung abzustellen. Vielleicht besser so, sonst hätte ich womöglich meinen Schlüssel dagelassen.

Ich nahm mir vor, die Schuhe auszuziehen, doch als mein Kopf die weichen, bunt bestickten Kissen auf Vikas orangefarbener Couch berührte, fehlte mir die Willenskraft, mich noch einmal aufzusetzen.

Von draußen hörte ich, wie jemand im Flur gegen Holz klopfte und die weiche, leise Stimme von Dani. Unterhaltungsfetzen drangen noch an mein Ohr, ich hatte aber nicht mehr genug Konzentration, um zu verstehen, was die gesprochenen Worte bedeuteten. Papier raschelte, Vika kicherte, und als leise knisternd die Streicher einsetzten, versank ich in einem tiefen Schlaf.

Langsam rührte ich in einem Tee und wartete. Worauf, wusste ich nicht.

Die Farbe der Wände war so dunkel wie mein Tee und nur eine kleine Kerze auf dem Tisch vor mir schien die Szenerie zu beleuchten.

Menschen saßen in dunklen Nischen, redeten und tranken aus kleinen Tassen, doch ich konnte niemanden von ihnen erkennen, weil die Schatten sie umhüllten.

Trotz der dunklen Atmosphäre hatte ich keine Angst. Es kam mir vertraut und warm vor, wie ein Ort, an dem gute Dinge passierten und Geheimnisse weniger wogen, weil man sie teilen konnte.

Als ich den Blick hob, saß mir ein Mädchen gegenüber, etwas jünger als ich. Gerade war sie noch nicht da gewesen, aber es wunderte mich nicht, dass sie so plötzlich erschienen war. Sie lächelte spitzbübisch und schob mir einen Brief zu. Naturfarbener Umschlag, dunkelblaues Wachssiegel.

»Von wem ist der?«, fragte ich und das Mädchen kicherte.

»Von wem wohl«, sagte sie, als müsste das völlig klar sein.

In meinem Bauch begann es zu kribbeln wie verrückt, als ich nach dem Umschlag griff und das raue Papier zwischen den Fingern rieb.

»Danke«, flüsterte ich und ließ den Brief in meine Jackentasche gleiten.

Ich hob den Blick und die Umgebung hatte sich verändert. Das dunkle Café war verschwunden und ich stand auf einer Straße, mitten in der Nacht. Und ich hatte Angst, furchtbare, mich von innen zerfressende Furcht, die sich in meine Organe krallte und mich zusammenzucken ließ, als jemand meine Hand in seine nahm.

Im Licht des Mondes erkannte ich das Mädchen von gerade, das neben mir stand und zum Himmel aufsah.

»Ich wünschte, es könnte immer so einfach sein«, seufzte sie, einen bitteren Zug um den Mund.

In der Dunkelheit vor uns tauchten zwei riesige leuchtende Augen auf, die auf uns zuhielten. Wind frischte auf, riss an unseren Klamotten, während ein riesenhaftes Monster sich aus den Schatten schälte und immer schneller auf uns zuraste.

Meine Angst wurde zur Panik, ich versuchte mich von der Stelle zu bewegen, doch ich war wie am Boden festgeklebt.

»Gemma!«, kreischte das Mädchen markerschütternd von der anderen Seite der Straße, weit genug weg, um nicht von dem Monster überrannt zu werden, das schnaubend und brüllend auf mich zuhielt, um mich zu verschlingen.

Und ich wusste, dass ich das Mädchen nur retten konnte, wenn ich mich selbst opferte.

»NEIN!«, schrie sie und wurde von vielen Händen gepackt, die sie zurückrissen und noch weiter von mir entfernten.

Meine Füße lösten sich vom Boden und ich rannte dem Monster entgegen.

Ein penetrantes Piepen riss mich aus dem Schlaf und ich blinzelte verwirrt in die grelle Morgensonne, die mir durch das Fenster direkt ins Gesicht schien. Ich wusste im ersten Moment nicht, wo ich mich befand und kämpfte mich unter einer Kuscheldecke mit Ethnomuster und etwa einer Million Kissen hervor, bis ich begriff, dass ich auf Vikas Sofa lag und es mein Handy war, das da so piepte.

Sir Francis Drake raste wie von der Tarantel durch seinen Käfig und machte mich noch zusätzlich wirr.

Panisch ging ich auf die Suche nach meinem Handy, fiel dabei zusammen mit einigen Kissen vom Sofa auf den flauschigen Teppich und fand meine Handtasche neben dem Tresen vor der Kochnische.

Ich stolperte darauf zu, fühlte mich, als wüsste mein Kopf noch nicht, wo oben und unten war und zog beim zweiten Versuch mein Handy aus der kleinen Innentasche.

Eine Erinnerung blinkte auf dem Display. ›Messe, 9:00 Uhr, chic machen!‹, stand dort und verwirrte mich, bis es mir wieder einfiel.

»Ach Scheiße«, schnaubte ich und drückte endlich den Alarm weg. Die Messe hatte ich total vergessen. Dabei hatte ich mich so sehr darauf gefreut. Doch die verwirrenden Dinge der letzten beiden Tage hatten alles andere verdrängt.

Ich warf einen Blick durch Vikas offene Schlafzimmertür, um zu sehen, ob ich sie gleich mit geweckt hatte, sie rührte sich aber keinen Millimeter und schnarchte leise vor sich hin.

»So einen Schlaf müsste man haben«, spottete ich und beneidete sie eigentlich darum. Vika schlief jede Nacht wie ein Stein, während ich mich hin und her wälzte.

Obwohl. Heute Nacht hatte ich wirklich gut geschlafen. Ungewöhnlich gut. Ich musste echt richtig müde gewesen sein.

Ich warf einen Blick auf die Zeitanzeige auf meinem Handy und bekam einen erneuten Adrenalinstoß. Es war schon kurz nach acht. Mir blieben jetzt höchstens noch zwanzig Minuten, um mich fertig zu machen, wenn ich es mit der Bahn noch rechtzeitig zum Messegelände schaffen wollte.

Eilig kramte ich meinen Schlüssel aus der Tasche, verließ leise Vikas Wohnung und huschte rüber zu meiner eigenen, was ich als unglaublich praktisch empfand. Wie schön es war, nicht mehr durch die halbe Stadt fahren zu müssen, um nach Hause zu kommen.

In meiner Wohnung warf ich die Tür zu, riss mir im Schlafzimmer die Klamotten vom Leib und sprang unter die Dusche.

Während ich meine Haare wusch, versuchte ich mich fieberhaft daran zu erinnern, in welcher Kiste sich meine cremefarbene Bluse befand.

Ich entdeckte sie zum Glück relativ schnell und machte mir in der Eile auch nichts daraus, dass der einzige frische BH, den ich finden konnte, schwarz war und daher ein klein wenig durch den hellen Stoff der Bluse blitzte. Dann wäre ich eben eine sexy Messefrau, wen störte das schon.

Die Bundfaltenhose in Anthrazit hing gebügelt auf der Stange im Schrank und ich nahm mir fest vor, heute Abend endlich mal meine Klamotten auszupacken.

Für Kaffee machen reichte die Zeit leider nicht mehr, aber ich würde mir einfach auf dem Weg einen kaufen.

Um schnell einen Überblick über meine Handtasche zu bekommen, spähte ich hinein und fand Schlüssel und Geldbeutel, der Rest war egal. Ich schlappte eben in meine schwarzen Altherrenschuhe, während ich schon wieder aus der Wohnung schlüpfte und zum Fahrstuhl hetzte.

Die Schnürsenkel schloss ich auf der Fahrt nach unten und erst als ich pünktlich an der Haltestelle der Magnetschwebebahn stand, konnte ich wieder aufatmen.

Ich fächerte mir mit der Hand Luft zu, um mein heißes Gesicht zu kühlen, und fuhr mir dann mit den Fingern noch einmal durch die feuchten Haare.

Mal wieder war ich froh, sie mir abgeschnitten zu haben, nachdem mich meine langen Zotteln zu Tode genervt hatten.

Die Bahn brachte mich zum Messegelände und meine Füße mich in einen Coffeeshop. Mit nur vier Minuten Verspätung betrat ich Halle 3.0.

Obwohl die Messe erst in einer halben Stunde öffnete, waren schon einige Menschen hier, die quatschten, ihre Bildschirme einstellten und analoges und digitales Infomaterial auslegten.

Eine ältere Dame drapierte gesunde Snacks auf einem Tablett und ich stibitzte mir einen, als sie gerade nicht hinsah. Er schmeckte nach getrockneten Feigen und Mandeln.

Gerade kam das Areal der Biolog-Medical-Group in Sicht, als mein Handy einen Ton von sich gab. Es war eine Nachricht von Jessy, die mich fragte, wo ich blieb und ich schmunzelte. Da war man mal fünf Minuten zu spät und schon wurde einem die Hölle heiß gemacht.

»Bin ja schon da«, sagte ich, als ich ins sonnengelbe Infozelt stürmte und erst einmal Luna umarmte, die mich erleichtert anstrahlte.

»Es ist nicht typisch für dich, zu spät zu kommen. Da dachte ich, es wäre etwas passiert«, behauptete Jessy platt und reichte mir ein Lanyard mit einem Schild, auf dem mein Name und Berufsabschluss aufgedruckt waren.

»Macht mal keinen Stress. Wir haben noch eine halbe Stunde«, versuchte ich die beiden zu bremsen, aber anscheinend waren sie zu aufgeregt, um sich zu beruhigen.

Also hängte ich mir das Lanyard um den Hals, verstaute meine Tasche in einer Box hinter dem Stand und setzte mich auf einen der hohen Hocker, um meinen Kaffee zu trinken.

Keine zwei Minuten später klärte sich der Grund für die Aufregung. Die beiden Typen vom Stand nebenan kamen mit zwei Kartons zurück und grüßten freundlich, worauf Luna beinahe anfing zu hyperventilieren.

Der eine war aber auch wirklich süß und warf immer wieder verstohlene Blicke zu Luna, die einen so roten Kopf bekam, dass ich fürchtete, sie würde bald anfangen zu leuchten.

»Das hat er gestern schon die ganze Zeit gemacht. Luna ist voll am durchdrehen«, erklärte mir Jessy, nachdem sie mir eine kleine Einführung in unser Infomaterial gegeben hatte. Praktischerweise waren die beiden schon gestern hier gewesen und hatten den Überblick.

»Du musst mit ihm reden, bevor ihr beide platzt«, raunte ich Luna zu und sie schüttelte energisch den Kopf.

»Niemals! Ich werde nur dummes Zeug reden. Wenn er irgendwas von mir will, soll er mich ansprechen.«

Ich kam leider nicht dazu, weiter auf sie einzureden, weil die ersten Besucher die Messe erkundeten.

Drei junge Mädchen machten kichernd den digitalen Berufsauswahl-Test und ein mürrischer Herr nahm mich in Beschlag, fragte mir Löcher in den Bauch zu meiner Ausbildung und den Lehrplänen, während sein Sohn nur desinteressiert danebenstand.

Der Rest meines Kaffees wurde leider schnell kalt, was auch wieder egal war, weil es echt Spaß machte, hier zu stehen, seriös auszusehen und sich wichtig zu fühlen. Wir mussten auch lediglich von unseren eigenen Erfahrungen aus der Ausbildungszeit erzählen und verwiesen für alles andere auf die digitalen Inhalte oder das offizielle Terminal inmitten des Biolog-Medical-Areals.

Gegen Mittag leerten sich die Reihen der Besucher etwas, da alle in Halle 2.0 verschwanden, um sich dort an den Ständen für gesunde Ernährung ihr Mittagessen zu besorgen.

Ich setzte mich für einen Moment wieder auf meinen hohen Hocker und wartete auf Jessy, die losgezogen war, um uns ebenfalls etwas zu holen, mit dem wir unsere leeren Mägen füllen konnten. Erwartungsvoll sah ich aus einiger Entfernung dabei zu, wie Luna sich schleichend aus dem Zelt bewegte und wie zufällig am Stand nebenan vorbeischlenderte.

Soweit ich das beurteilen konnte, waren die beiden Kerle ein kleines Start-up-Unternehmen, hatte aber keine Ahnung, was sie eigentlich bewarben.

Der junge Mann, vom Typ Norweger, kam sofort auf Luna zu, als er sie sah, und ich musste breit lächeln, als ich beobachtete, wie er sie ansprach.

»Schwarz steht dir gut«, sagte jemand so nah an meinem Ohr, dass ich vor Schreck vom Hocker rutschte.

»Geht’s noch?«, schimpfte ich und sah Oliver Grand hinter mir stehen und lachen.

Es amüsierte ihn köstlich, mich so überrascht zu haben, und er fuhr sich kess mit der Hand durchs blonde Haar. Das dunkelblaue Hemd stand ihm wirklich gut und brachte die Farbe seiner Augen zum Strahlen.

Auch wenn mein Puls sich noch nicht wieder ganz beruhigt hatte, war ich doch froh, Oliver zu sehen. Denn er sorgte bei mir immer für gute Laune und war ein Schmeichler für meinen Selbstwert.

»Du hast meinen Rat also beherzigt«, meinte er und ich war einen Moment irritiert. Erst als Oliver die Hand ausstreckte und an meinem Blusenkragen zupfte, ging mir auf, was er meinte.

Der schwarze BH.

Dieser Kerl hatte echt nur eins im Kopf. Und anscheinend eine Vorliebe für schwarze Unterwäsche.

»Ist der für mich?« Seine Augenbrauen wanderten erwartungsvoll nach oben und in seinem Mundwinkel zeigte sich ein zweideutiges Schmunzeln.

»Leider nicht. Der ist für jemanden, der mich auch angerufen hat, als er es versprochen hatte«, hielt ich dagegen und schaffte es dabei, ihm bitterernst in die Augen zu blicken.

Olivers Gesichtsausdruck wurde unsicher. »Hast du wirklich auf einen Anruf gewartet?«

Ich hielt seinem Blick noch einen Moment stand, ehe ich zu lachen begann.

»Ähm, nein«, prustete ich. Wenn ich ehrlich war, hatte ich in den vergangenen Tagen kein einziges Mal an ihn gedacht.

Sein Grinsen kehrte zurück, eine kleine Spur zu erleichtert. Da hatte ich ihm wohl einen Schreck eingejagt. Selbst schuld. Wer austeilte, musste auch einstecken.

»Das ist gut. Ich habe nämlich nicht mal deine Nummer.« Oliver lachte und ich mit ihm, weil selbst ich nicht daran gedacht hatte, sie ihm zu geben.

»Aber mal im Ernst. Wann bist du hier fertig? Ich hol dich ab und du bekommst einen Kaffee von mir«, schlug er vor und ich zuckte mit den Schultern.

»Um halb sechs ist hier Schluss. Aber ich weiß nicht so genau, ob ich dann wirklich Lust auf Kaffee habe«, behauptete ich und fühlte mich dabei herrlich unnahbar. Es machte einfach viel zu viel Spaß, mit diesem Mann herumzualbern, als dass ich klare Ansagen machen wollte.

Denn im Umgang mit Oliver Grand gab es nur eine Regel: Man durfte sich nicht in ihn verlieben. Und davon war ich auch meilenweit entfernt.

»Als ob. Deine Gedankenauslese sagt da aber was ganz anderes«, warf er mir spaßhaft vor und kam mir noch ein Stück näher, sodass ich den Kopf in den Nacken legen musste, um zu ihm aufzusehen.

Gekonnt stemmte ich eine Hand in die Hüfte, während ich ihm meinen Zeigefinger gegen die stramme Brust drückte, um ihn auf Abstand zu bringen.

»Böser Schachzug. Und vor allem illegal. Noch nie was von ärztlicher Schweigepflicht gehört?«, hielt ich dagegen und Oliver nickte.

»Ich bin eben ein böser Junge«, raunte er mit dem Blick eines Verführers und das war einfach eine Schippe zu viel. Selbst für ihn.

Das Lachen platzte aus mir heraus wie eine übervolle Wasserbombe und auch er konnte nicht länger ernst bleiben.

»Das war zu viel!«, sagte ich und schüttelte mir das Haar aus dem Gesicht.

»Ja, hast recht. Aber die Vorlage war einfach zu gut, um sie nicht zu nutzen.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung, lehnte sich ein Stück zurück und betrachtete mich aus schmalen Augen. »Also, Kaffee um halb sechs, ja oder nein?«

Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen, denn meine Antwort war eh klar. »Ja. Und jetzt lass mich arbeiten. Ich muss hier seriös wirken«, scheuchte ich ihn und schob ihn rückwärts aus dem Infozelt.

»Dafür hättest du dir einen unauffälligeren BH anziehen müssen, Baby«, behauptete er mit einem anzüglichen Unterton und schob sich ganz lässig die Hände in die Hosentaschen, während er viel zu langsam seine Schritte aus dem Zelt machte.

»Und die Gelegenheit vertun, den Mann meines Lebens mit meinen Vorzügen zu ködern, wo mir hier doch bisher nur zweiklassige Casanovas den Hof machen. Niemals!« Manchmal wunderte ich mich selbst, wie solche Sätze aus meinem Mund kommen konnten. Aber Oliver machte es einem auch viel zu leicht, schlagfertig zu sein.

»Pass auf, was du sagst, Sexy, sonst musst du deinen Kaffee selbst zahlen«, drohte er mir und ich glaubte ihm keine Sekunde.

»Das schadet aber nur deinem Ruf, nicht meinem.«

Olivers Grinsen wurde noch breiter und so echt, dass eindeutig war, dass er den Schlagabtausch mit mir genauso mochte wie ich. »Ein bisschen liebe ich dich ja schon.«

Ich hob keck die Schultern. »Ich weiß.«

Oliver ging noch zwei Schritte rückwärts, schüttelte lachend den Kopf über mich und verschwand hinter den Ständen.

»Wow. Du hast es mit dem Flirten ja richtig drauf«, lobte mich Jessy, die mit offenem Mund am Rande des Zeltes stand, und ausnahmsweise meinte sie es mal nicht ironisch.

»Das ist nicht dein Ernst, Gemma. Oliver Grand?« Luna drängte sich an ihr vorbei und sah mich bestürzt an. »Der ist nur hinter deinem Höschen her!«

»Dann ist ja gut, dass ich keins anhabe«, behauptete ich süffisant und lachte über meinen eigenen dummen Kommentar. Irgendwie war ich wohl noch im Flirtmodus.

Doch Luna schien wenig Lustiges dran zu finden, kam auf mich zu und packte mich an den Armen. »Gemma. Der Kerl bricht dir doch das Herz, wenn du dich mit ihm einlässt. Das ist niemand, den man heiratet und mit dem man Babys bekommt.«

»Babys? Auf keinen Fall, Luna! Ich habe nicht vor, etwas mit ihm anzufangen. Ganz ehrlich. Wenn ich das mit ihm ernst meinen würde, hätte ich eine rote Birne und würde jede Romantik durch einen dummen Kommentar zerstören, weil es mir peinlich wäre. Das mit Oliver ist alles nur Spaß«, versicherte ich ihr und sie sah mich misstrauisch an. Jessy reichte ihr von der Seite einen Wrap.

»Für Spaß ist er definitiv der Richtige«, kommentierte Jessy mit einem anzüglichen Grinsen und Luna strafte sie mit einem anklagenden Blick.

Auch ich bekam mein Mittagessen gereicht und war gerade dabei, es oben aus dem Papier zu wickeln, als eine Frau mit gehetztem Blick auf unseren Stand zuhielt. Sie kam mir vage bekannt vor, ich konnte jedoch nicht sagen, wer genau sie war. Nur dass sie bei Biolog Medical arbeitete. An ihrer dunkelroten Bluse steckte ein Namensschild mit der Aufschrift I. Bern.

»Gemma Henson?«, fragte sie und sah dabei Jessy an, die mit dem Finger auf mich zeigte, da sie mit dem großen Bissen Räuchertofu-Wrap im Mund nicht antworten konnte.

»Bitte sagen Sie mir, dass der Kollege sich richtig erinnert und Sie AIC-Technikerin sind.«

»Bin ich«, bestätigte ich, obwohl ich gerade mal meinen Abschluss hatte und noch keinerlei Berufserfahrung. Aber das hatte sie ja schließlich auch nicht gefragt.

Die Frau atmete erleichtert auf. »Hätten Sie eben eine Minute für uns? Wir haben vorn eines der Auslesegeräte zur Präsentation, aber es misst in seltsamen Wellen. Die haben uns das vorhin dahingestellt und wir sind leider überfragt.«

»Ich kann es mir anschauen. Aber ich habe kein Werkzeug da«, warf ich ein und spürte die Aufregung in mir hochkommen. Schließlich war das hier so was wie mein erster Auftrag. Und auch wenn mir kein Ausbilder mehr über die Schulter blickte, wollte ich es ordentlich machen.

»Alles ist besser, als jetzt noch ein Neues liefern zu lassen. Wir haben in einer halben Stunde einen Vorführungstermin mit japanischen Interessenten.« I. Bern hob hilflos die Hände.

Mit knurrendem Magen wickelte ich den Wrap wieder ins Papier, ohne abgebissen zu haben.

»Jessy?«, wandte ich mich an meine Freundin und sie nickte mir zu. Schweren Herzens gaben wir beide unser Essen an Luna zur Aufbewahrung und kamen hinter unserem Stand hervor.

Irritiert sah I. Bern zu Jessy.

»Sie Software. Ich Hardware«, erklärte ich auf die Schnelle und Jessy grinste breit. Für so einen Job brauchte man immer beides.

»Ich halte die Stellung.« Luna lächelte uns unsicher hinterher.

»Wir sind gleich wieder da«, versuchte ich sie zu beruhigen und winkte ihr.

Zügig folgten wir der jungen Frau und ich hoffte nur, dass wir diesem Problem auch wirklich auf den Grund gehen konnten. Anscheinend hing davon ja eine Menge ab.

Wenigstens war ich nicht allein, Jessy ergänzte mich. Was, wenn das Problem nicht elektronischer Natur war? Vielleicht hatte auch das Programm einen Bug oder dergleichen.

Schon während der Ausbildung hatten sie und ich immer gut zusammengearbeitet. Wir waren quasi das Dream-Team der Techniker-Klassen. Nur schade, dass Jessy sich für die Sicherheit beworben hatte und so in Zukunft nur noch selten mit mir arbeiten würde.

Mein großes Ziel war ja auch nicht, im Reparaturdienst zu bleiben, sondern in die Forschung einzusteigen. So weit musste ich allerdings erst einmal kommen.

Wir liefen um das halbe Messeareal der Biolog-Medical-Group herum auf die genau gegenüberliegende Seite.

Hier imitierten sie ein Ausleselabor. Pfirsichfarbene Wände, ein kleines Podest, auf dem ein sehr luxuriöser Auslesestuhl platziert war, und ein zuversichtlich lächelnder Mann Ende vierzig in einem Arztkittel, dessen aufgesetzte Fröhlichkeit jedoch sofort bröckelte, als er uns kommen sah.

»Welch ein Glück«, rief er gehetzt, als er seine Kollegin mit uns im Schlepptau ausmachte, und trat sofort beiseite, damit wir Zugang zu dem Gerät hatten.

Es war eins der schicken, sehr teuren Modellserie und glänzte noch überall, weil es so neu war.

Für das Fachpublikum nur das Beste natürlich.

Jessy schob sich weiter bis zu dem Bildschirm, auf dem der Computer seine Ergebnisse ausspuckte, und tippte sich aus dem Präsentationsmenü auf die Datenebene. Wie sie die Sicherheitsverschlüsselung umging, verpasste ich bei der Geschwindigkeit, in der sich ihre Finger über den Touchbildschirm bewegten, aber Jessy war eben ein Crack auf diesem Gebiet.

Ich trat um das eigentliche Auslesegerät herum, ging in die Hocke, was mit meiner feinen Kostümhose nicht ganz so einfach war, und öffnete die Klickverschlüsse der Abdeckung. Blöd, dass ich kein Haargummi dabeihatte. Ich arbeitete ungern mit offenen Haaren, das störte mich.

Nervös nahm ich die lackierte Metallplatte ab und gab sie an I. Bern weiter, die sich neugierig neben mich gestellt hatte.

»Auf den ersten Blick sieht alles in Ordnung aus«, sagte Jessy und wählte sich durch mehrere Menüs. Wie sie auf die Schnelle so viele Reihen aus Zahlen und Buchstaben erfassen konnte, um zu diesem Schluss zu kommen, war mir schon immer ein Rätsel.

Ich ging erst einmal alle Anschlüsse durch, prüfte, ob sie auch richtig eingesteckt waren und die Stromzufuhr stimmte. Allerdings brauchte es nur einen Blick in den Innenraum des Rechners, um das Problem ausfindig zu machen.

Erleichterung erfasste mich und ich griff um den Prozessor herum, um mir die Ursache für den Messfehler zu schnappen. Das war einfacher gewesen als erwartet.

»Ich hab’s«, verkündete ich also und zog eine hellgrüne, aus Bambus gepresste Platte aus dem Inneren des Auslesegerätes heraus. Jessy ließ ein gehässiges Prusten hören.

I. Bern machte große Augen, als ich ihr die Platte in die Hand drückte und Jessy um einen Systemcheck bat.

»Was ist das?«, fragte mich die junge Frau irritiert und ich musste mir ein Grinsen verkneifen, weil meine Antwort ihr sicher unangenehm sein würde.

»Das ist ein Transportschutz für die Platinen«, eröffnete ich ihr und sie presste peinlich berührt die Lippen aufeinander und schloss kurz die Augen.

»Daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Entschuldigung, dass ich deswegen jetzt so einen Wirbel veranstaltet habe«, sagte sie kleinlaut und auch der Doktor kratzte sich verlegen an der Halbglatze.

»Kein Problem. War ja keine große Sache«, versuchte ich sie zu beruhigen und ließ mir von ihr die Abdeckung reichen.

»Systemcheck erfolgreich. Die Kiste arbeitet einwandfrei«, verkündete Jessy und ich schloss das Gerät wieder.

»Danke. Ihr habt uns gerettet.« Der Arzt reichte mir die Hand und schüttelte meine fest.

»Wir schicken Ihnen die Rechnung«, behauptete Jessy mit vollkommen unbewegtem Gesicht und ich hätte ihr gern den Mund zugehalten. Das Mädchen war einfach so unverschämt.

Ich knuffte sie in die Seite, sodass sie zu lachen begann, und zog sie mit mir. »Viel Spaß mit den Japanern«, wünschte ich I. Bern und sie lächelte mir hinterher.

Wir traten ein paar Schritte vom Stand weg, bis wir gerade außer Sichtweite waren, da verfiel Jessy schon in ihre Hexenlache.

»Was für Deppen«, feixte sie lautstark und ich war nur froh, dass der Geräuschpegel in der Halle so hoch war. »Verpackungsmaterial im Gerät vergessen.«

»Du bist so gemein«, warf ich ihr vor und wurde aber schon von ihrem Kichern angesteckt, wodurch ich nicht mehr sehr ernst klang. »So was passiert nun mal.«

»Gut, dass ich mir da in Zukunft keine Gedanken mehr drum machen muss«, schnaubte sie und sah mich mit einem fast schon schadenfrohen Grinsen an. »Nicht so wie du. Verdammt dazu, dummen Menschen die Welt zu erklären.«

»Nur gut, dass du keinen Kundenservice machst«, lachte ich und Jessy stieß mich spaßhaft mit der Hüfte an.

Ich taumelte einen Schritt zur Seite und rempelte natürlich prompt einen Mann an, dem beinahe das Tablet aus der Hand gefallen wäre.

»Oh, Verzeihung!«, rief ich sofort und hörte Jessy hinter mir lachen. Die fiese Kuh!

Doch als der Mann sich zu mir umdrehte, durchfuhr mich ein Schreck, der mich für einen Augenblick erstarren ließ.

Es war der rothaarige Mann aus dem Café gestern. Ezra.

Mein Herz setzte für einen Schlag aus, um anschließend Tonnen an Adrenalin durch meinen Blutkreislauf zu pumpen wie in einer Achterbahn.

Für eine Sekunde starrten wir uns nur gegenseitig an, bis er sich fasste und den Mund öffnete.

»Gemma, nicht wahr?«, sprach er mich an und ich nickte viel zu hastig. Sein Lächeln wurde so breit, dass die Sommersprossen auf seiner Nase tanzten.

»Ja, ähm. Hi«, stammelte ich und fühlte mich total bescheuert dabei.

»Bist du … ein Besucher?«, fragte er mich sofort und verlagerte zweimal das Gewicht von einem Bein aufs andere.

Fahrig griff ich nach dem Lanyard um meinen Hals und hielt die Karte daran hoch. »Ich bin heute im Ausbildungsinformationszelt von Biolog Medical«, blubberten die Worte viel zu schnell über meine Lippen und ich spürte eine Nervosität in meinem Magen, die sogar das Hungergefühl in den Hintergrund drängte. Was war das auch für ein schräger Zufall, dass ich ihn hier wieder traf? Nur einen Tag später.

Oder hatte es etwas mit dem Buch zu tun?

»Ah. Hast du da die Ausbildung gemacht?«, erkundigte Ezra sich und schaffte es nicht zu verbergen, wie interessiert er daran war.

»Ja. Ich bin …«, setzte ich an und wurde von Jessy unterbrochen.

»Was ist das? Ein Verhör?«, wollte sie herausfordernd wissen und legte mir beschützend den Arm um die Schultern.

»Nein, natürlich nicht.« Ezra sah ganz kurz zu Jessy und neigte leicht den Kopf. »Es ist nur so überraschend, sie … also dich hier plötzlich wiederzusehen.«

»Ja, wir sind uns gestern durch Zufall bei Coffee Praise begegnet«, erzählte ich ihr und schüttelte unauffällig ihren Arm ab. »Mir ist mein Kleingeld runtergefallen und er hat mir freundlicherweise geholfen, es aufzusammeln.«

»Ach was. Das war doch selbstverständlich.«

Schon wieder. Wir standen da und redeten nervös über blödes Zeug. Wieso konnten wir uns nicht einfach ganz normal unterhalten wie andere Menschen auch?

Wie konnte ich mit Oliver Grand immer so frei scherzen, aber kaum war es was von Bedeutung, bekam ich keinen geraden Satz mehr heraus. Moment, war es von Bedeutung?

Mein Bauch sagte mir, dass wir beide eine Verbindung hatten, obwohl mein Kopf es abstritt. Was war es also? Eine Seelenverwandtschaft oder doch nur ein Spuk meiner Wünsche, weil ich seinen Namen in einem Buch gelesen hatte?

»Ihr kennt euch also?«, erkundigte sich Jessy und ihr Gesichtsausdruck zeigte Verwirrung und Unglaube.

»Na ja, eigentlich nicht«, antwortete ich ihr und sah zu Ezra auf, betrachtete seine hellen Wimpern, die graublauen Augen und den Schwung seines Mundes. Doch egal wie sehr ich mich anstrengte, mein Kopf wollte mir nicht verraten, was ihn mir so besonders machte.

»Ich weiß auch nicht. Da ist irgendwas«, sagte Ezra, der mich musterte, so wie ich ihn, und mein Bauch wurde ganz flau. Wir empfanden das Gleiche.

»Bei mir auch«, kam es aus meinem Mund und Ezra sah mich zuerst überrascht an und senkte dann beinahe verlegen den Blick.

Jessy hob ungläubig die Augenbrauen und trat von einem Fuß auf den anderen. Ihr war die Situation wohl auch zu seltsam.

Außerdem wartete Luna auf uns.

»Wir müssen wieder zurück … an unseren Stand und so. Du weißt schon«, stotterte ich und hätte mir gern selbst in den Arsch gebissen. Ich machte mich hier selbst zum Vollidioten. Unauffällig wischte ich meine verschwitzen Handflächen an der Hose ab.

»Viel Spaß«, sagte er und ich spürte sofort eine Art Enttäuschung in mir. Mir ging auf, dass ich mir gewünscht hätte, dass er mich aufhielt und nicht so einfach ziehen ließ. Nur weil wir uns durch Zufall so schnell wieder über den Weg gelaufen waren, hieß das nicht, dass wir uns jemals wiedersehen würden.

Ich nickte ihm jedoch nur zu, zwang mich zu einem Lächeln, das viel zu sehr nach Abschied schmeckte, und ging den Gang weiter nach unten.

Jessy blickte noch zweimal zurück, ein Grinsen auf den Lippen, das immer breiter wurde, und öffnete den Mund, um diese Begegnung zu kommentieren, da berührte mich jemand am Arm.

Erstaunt drehte ich den Kopf, spürte die Finger, die sich sanft um mein Handgelenk schlossen, und sah in das Gesicht des Mannes, der mich ganz durcheinanderbrachte.

»Hier.« Er ließ mich los und hielt mir eine Karte hin. »Vielleicht hast du ja mal Lust zu quatschen«, meinte er verlegen und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

Ich nahm ihm das raue Stück Naturpapier ab, auf dem ein Name und eine Nummer aufgedruckt waren.

»Danke«, sagte ich viel zu hastig und ein bisschen zu viel Freude schwappte in meinem Magen umher.

Ezra erwiderte mein Lächeln und wurde von einem Kollegen an seinem Stand zurückgewunken. »Auf Wiedersehen, Gemma.«

Mir gefiel die Art, wie er meinen Namen aussprach. So weich.

Zögerlich wandte er sich um und ging mit großen Schritten zwischen den Menschen hindurch.

Erst als Jessy mich weiterzog, fiel mir wieder ein, dass sie ja auch noch hier war.

»Boah. Das war ja schlimmer, als Menschen beim Knutschen zuzusehen. Wer ist der Kerl?«, wollte sie wissen, den Schalk in den schmalen Augen, und ich zuckte hilflos mit den Schultern.

»Ich habe keine Ahnung«, hauchte ich und war mir nicht sicher, ob Jessy mich überhaupt gehört hatte.

»Wirst du ihm schreiben?«, fragte sie und schien erwartungsvoller zu sein, als ich mich gerade fühlte. Ich klammerte mich an die kleine Karte und wusste nicht, ob sie mich glücklich oder mir Angst machen sollte.

Ezra Hittinger, Public Relation Manager, Scytech Cop., las ich und besah mir die Nummernfolge, unter der ich ihn erreichen konnte.

Ein Typ hatte mir seine Nummer zugesteckt. Ich war total überrascht von mir selbst. Ja gut, ich flirtete mit Oliver Grand, was das Zeug hielt. Aber das war ja nichts Ernstes.

War das mit Ezra was Ernstes? Und warum machte ich mir deswegen überhaupt Gedanken? Schließlich hatte das alles nur Bedeutung, wenn das Buch in der Wand wirklich von mir stammte. In jedem anderen Fall war das hier alles völliger Humbug und ich projizierte Gefühle in einen Mann, den ich nicht kannte, nur weil er den richtigen Namen besaß.

»Nein … Ja? Vielleicht«, änderte ich meine Meinung nach jedem Wort und Jessy lachte. Lässig tätschelte sie mir den Rücken.

»Du wirst ihm schreiben«, behauptete sie und ich fürchtete, sie hatte recht.

Es waren nur noch wenige Meter bis zu unserem Infozelt, da entdeckte Luna uns. Sie wirkte gestresst, schaffte es aber, einigermaßen freundlich das Mädchen abzuwimmeln, das ihr Fragen gestellt hatte, und kam uns entgegen.

»Gemma. Dein Handy hat bestimmt fünfmal geklingelt, seit ihr weg seid«, rief sie mir schon zu, als ich in Hörweite kam.

Irritiert runzelte ich die Stirn, hatte aber sofort ein ungutes Gefühl im Bauch. »Okay«, sagte ich lang gezogen, kam um den Tresen herum und wühlte in meiner Tasche nach meinem Handy. Wer versuchte mich denn da so dringend zu erreichen?

Jessy schnappte sich ihren Wrap, den Luna auch hier unten auf der Box abgelegt hatte.

»Gemma hat doch gerade tatsächlich die Telefonnummer von einem Kerl abgecheckt. Unser Mädchen ist heute hoch im Kurs«, witzelte sie und Luna machte große Augen.

Ich hörte ihre Antwort jedoch nicht, da ich mein Smartphone zu fassen bekam und den Bildschirm aufleuchten ließ.

Sechs verpasste Anrufe. Alle von meinem Vater.

Mein Herz sackte mir in die Hose und mir wurde übel vor Angst, die sich in meine Eingeweide verbiss. Es war etwas passiert. Meiner Mutter ging es schlecht, das wusste ich sofort, sonst hätte er eine Nachricht geschickt.

»O nein, o nein, o nein«, hauchte ich verzweifelt und drückte sofort auf Zurückrufen.

Der Moment, bis mein Vater endlich abnahm, war kaum auszuhalten und ich malte mir das Schlimmste aus. Auch wenn ich nicht so recht wusste, was denn das Schlimmste war. Ein neuer Anfall? Eine Diagnose? Ein Unfall?

»Gemma!«, rief mein Vater atemlos und ich hoffe inständig, dass ich mich irrte und er einfach nur etwas ganz Banales von mir wollte.

»Ist was mit Mama?«, kam ich sofort auf den Punkt, weil ich keine Sekunde länger aushalten konnte, es nicht zu wissen.

»Wir sind in der Notaufnahme. Sie hat dein altes Zimmer demoliert und sich selbst verletzt.« Die Stimme meines Vaters klang gehetzt und eine Spur zu verzweifelt, was mich noch mehr in Angst versetzte.

»Ich komme sofort zu euch«, kündigte ich meinem Vater an und schnappte mir meine Tasche.

Gemmas Gedanken

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